Beschluss vom 09.04.2025 -
BVerwG 7 B 31.24ECLI:DE:BVerwG:2025:090425B7B31.24.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 09.04.2025 - 7 B 31.24 - [ECLI:DE:BVerwG:2025:090425B7B31.24.0]

Beschluss

BVerwG 7 B 31.24

  • OVG Münster - 23.08.2024 - AZ: 8 D 15/23.AK

In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 9. April 2025
durch den Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Prof. Dr. Korbmacher, den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Tegethoff und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Bähr
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 23. August 2024 wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
  3. Der Wert des Streitgegenstands wird für das Beschwerdeverfahren auf 45 000 € festgesetzt.

Gründe

I

1 Der Kläger wendet sich mit seiner Klage gegen die der Beigeladenen von dem Beklagten am 2. Januar 2023 erteilte immissionsschutzrechtliche Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb von drei Windenergieanlagen. Die genehmigten Anlagen liegen in einer Entfernung von 702 m sowie 1,1 und 1,4 km zu dem mit einem Wohnhaus bebauten Grundstück des Klägers.

2 Das Oberverwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen, da von dem Betrieb der Windenergieanlagen keine schädlichen Umwelteinwirkungen auf das Grundstück des Klägers durch Geräuschimmissionen zu erwarten seien, und die Revision nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Klägers, mit der er eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und das Vorliegen eines Verfahrensfehlers geltend macht.

II

3 Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO gestützte Beschwerde des Klägers hat keinen Erfolg. Weder hat die Rechtssache die von dem Kläger geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (1.) noch beruht das angefochtene Urteil auf einem Verfahrensmangel (2.).

4 1. Grundsätzlich bedeutsam ist eine Rechtssache, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrunde liegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO dargelegt werden, dass und inwiefern diese Voraussetzungen vorliegen (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 18. Juli 2024 - 7 B 33.23 - NVwZ-RR 2024, 857 Rn. 4). Daran fehlt es hier.

5 Die vom Kläger aufgeworfene Frage,
"ob Nr. 7.3 der TA Lärm so auszulegen ist, dass bei Vorliegen (zahlenmäßig) konkretisierter Anhaltspunkte für das Auftreten immissionsschutzrechtlich relevanter bzw. erheblicher tieffrequenter Geräusche in einem dem Vorhaben benachbarten Wohnraum im Genehmigungsverfahren eine Prognose darüber anzustellen bzw. vom Vorhabenträger einzufordern ist, ob die zu erwartenden tieffrequenten Geräusche die Schwelle zum Ausschluss schädlicher Umwelteinwirkungen im Sinne von § 3 Abs. 1 BImSchG i. V. m. § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG unterschreiten",
weist nicht die ihr zugedachte grundsätzliche Bedeutung auf. Sie unterstellt das Vorliegen konkretisierter Anhaltspunkte für das Auftreten immissionsschutzrechtlich relevanter bzw. erheblicher tieffrequenter Geräusche als Grundlage für eine nach Auffassung des Klägers anzustellende Prognoseberechnung und steht damit in Widerspruch zu den vorinstanzlichen tatsächlichen Feststellungen.

6 Das Oberverwaltungsgericht hat in Auswertung des bisherigen Stands der wissenschaftlichen Erkenntnisse festgestellt, dass keine deutlich wahrnehmbaren tieffrequenten Geräusche durch die Windenergieanlagen in Innenräumen in mehr als 700 m Entfernung zu erwarten sind (UA S. 21 ff.). Es hat ferner festgestellt, dass sich Anhaltspunkte für von den genehmigten Anlagen ausgehendem tieffrequenten Schall weder aus dem Messbericht des Ingenieurbüros K. KG aus dem Jahr 2010 zum "Windpark H." (UA S. 24) noch aus dem klägerischen Hinweis auf eine Überschreitung der Hörschwelle im Bereich der Terzmittenfrequenzen 63Hz, 80Hz und 100Hz am Messpunkt in einem Wohnhaus in ca. 600 m Entfernung zum Windpark (UA S. 24 f.), der Publikation des Umweltbundesamtes: "Texte 134/2020 - Ermittlung und Bewertung tieffrequenter Geräusche in der Umgebung von Wohnbebauung - Abschlussbericht" aus dem Jahr 2020 (UA S. 25 f.), der möglichen Vorbelastung des klägerischen Grundstücks mit tieffrequentem Schall durch die Blockheizkraftwerke auf dem Gelände der in der Nähe gelegenen Gärtnerei W. (UA. S. 27 f.) oder der letzten Fassung der von dem Kläger vorgelegten "Expertise" der Unternehmensberatung KA. (UA S. 28 f.) ergeben. Da der Senat an diese Tatsachenwürdigung und -feststellungen mangels insoweit erhobener durchgreifender Verfahrensrügen in einem Revisionsverfahren gebunden wäre, erweist sich die für grundsätzlich erachtete Frage als nicht entscheidungserheblich.

7 Im Übrigen tritt der Kläger mit seinem Beschwerdevorbringen, wonach im Rahmen der TA Lärm eine Prognose über schädliche Umwelteinwirkungen durch tieffrequenten Schall möglich und geboten sei, der gegenteiligen Auffassung der Vorinstanz (UA S. 15 ff.) entgegen. Mit diesem auf die Tatsachenfeststellung und -würdigung des Oberverwaltungsgerichts abzielenden Vortrag legt er keine rechtsgrundsätzliche Bedeutung der von ihm aufgeworfenen Frage dar.

8 2. Die Rüge einer Verletzung der Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) rechtfertigt nicht die Annahme eines Verfahrensmangels im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.

9 Der Kläger hat zum Beweis der Tatsache, dass durch die streitgegenständlichen drei Windenergieanlagen in Kumulation mit den vor Ort bestehenden Vorbelastungen, insbesondere durch die fünf Bioöl-Blockheizkraftwerke auf dem Gelände der Fa. W., tieffrequenter Schall erzeugt wird, der zu schädlichen Umwelteinwirkungen und damit spürbaren und belästigenden Immissionen im Wohnhaus des Klägers führt, also die Anhaltswerte nach Beiblatt 1 der DIN 45680:1997-03 "Messung und Bewertung tieffrequenter Geräuschimmissionen in der Nachbarschaft" überschritten werden, eine sachverständige Tieffrequenzschallmessung, hilfsweise eine Tieffrequenzschallprognose beantragt.

10 Die Ablehnung eines unbedingten Beweisantrags verstößt nur dann gegen die Pflicht, den Sachverhalt zu erforschen (§ 86 Abs. 1 und 2 VwGO) und dem Kläger Gehör zu gewähren (§ 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG), wenn die Ablehnung - auf der Grundlage der materiell-rechtlichen Sicht des Tatsachengerichts, selbst wenn sie verfehlt sein sollte - im Prozessrecht keine Stütze findet (stRspr, vgl. nur BVerwG, Urteile vom 28. Mai 2021 - 7 C 8.20 - Buchholz 406.25 § 47 BImSchG Nr. 11 Rn. 32 und vom 25. April 2023 - 4 CN 9.21 - NVwZ 2023, 1581 Rn. 36, jeweils m. w. N.). Das ist hier nicht der Fall.

11 a) Entgegen der Auffassung des Klägers hat das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss in der mündlichen Verhandlung rechtsfehlerfrei den Hauptbeweisantrag als nicht entscheidungserheblich und - selbstständig tragend - als Ausforschungsbeweis abgelehnt.

12 aa) Der Antrag des Klägers auf Durchführung einer sachverständigen Tieffrequenzschallmessung zum Nachweis des Hervorrufens schädlicher Umwelteinwirkungen durch die Windenergieanlagen war nach der materiell-rechtlichen Auffassung des Oberverwaltungsgerichts nicht entscheidungserheblich. Nach dem Standpunkt des Oberverwaltungsgerichts bedarf es für die Beurteilung der von einer zu genehmigenden immissionsschutzrechtlichen Anlage ausgehenden tieffrequenten Geräusche nach Nr. 7.3 TA Lärm einer Beurteilung nach den örtlichen Verhältnissen im Einzelfall, ohne dass eine rechnerische Ausbreitungsberechnung erstellt oder eine Messung, die erst nach der Errichtung und Inbetriebnahme der Anlage in Betracht kommt, durchgeführt werden muss. Für das Genehmigungsverfahren bleibt in Ermangelung eines standardisierten Prognoseverfahrens nur eine prognostische behördliche Einschätzung im Einzelfall auf der Grundlage des bestehenden Erfahrungswissens (UA S. 15 ff. <21>).

13 Soweit der Kläger darauf hinweist, dass Messungen auch noch in einem Rechtsbehelfsverfahren eines Dritten zur Klärung des Vorliegens der Genehmigungsvoraussetzungen möglich seien, rechtfertigt dies keine abweichende Beurteilung der Entscheidungserheblichkeit der aufgeworfenen Frage. Denn das Oberverwaltungsgericht hat entscheidungstragend auf die prognostische behördliche Einschätzung abgestellt und diese auf der Grundlage seiner Tatsachenfeststellungen unbeanstandet gelassen. Danach bestand kein Raum für nachträgliche Messungen.

14 bb) Ungeachtet dessen ist die Ablehnung einer sachverständigen Tieffrequenzschallmessung im gerichtlichen Verfahren als Ausforschungsbeweis ebenso wenig zu beanstanden, soweit der Kläger mit dem Beweisantrag darauf abzielt, durch eine Messung die Erkenntnislage in Frage zu stellen, wonach tieffrequente Geräusche in einer Entfernung von 700 m zur Windenergieanlage nicht mehr wahrnehmbar seien bzw. die Wahrnehmungsschwelle durch das Hinzutreten tieffrequenter Blockheizkraftwerke überschritten werde.

15 Ein Beweisantrag ist unter anderem dann unzulässig und kann abgelehnt werden, wenn es sich um einen Ausforschungs- oder Beweisermittlungsantrag handelt, wenn er also lediglich zum Ziel hat, Zugang zu einer bestimmten Informationsquelle zu erlangen, um auf diesem Wege Anhaltspunkte für neuen Sachvortrag zu gewinnen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. Oktober 2022 - 7 B 19.21 - NVwZ-RR 2023, 95 Rn. 19). So verhält es sich hier.

16 Wie bereits dargelegt hat das Oberverwaltungsgericht unter Würdigung der wissenschaftlichen Erkenntnisse sowie des Vorbringens der Beteiligten und der in das gerichtliche Verfahren eingeführten Unterlagen keine Anhaltspunkte dafür feststellen können, dass nach der gemäß Nr. 7.3 Abs. 1 Satz 1 TA Lärm gebotenen Beurteilung im Einzelfall das Wohnhaus des Klägers Belastungen mit tieffrequentem Schall durch die zu genehmigenden Anlagen ausgesetzt sein wird. Die von dem Kläger beantragte sachverständige Tieffrequenzschallmessung hat demnach allein den Zweck gehabt, neue Anknüpfungstatsachen für die vom Kläger behauptete (wahrnehmbare) Belastung mit tieffrequentem Schall durch die Windenergieanlagen zu erlangen. Dem kann der Kläger mit seiner Beschwerde nicht erfolgreich entgegen halten, aus den von ihm vorgelegten Unterlagen ergäben sich am Maßstab der TA Lärm hinreichende Anhaltspunkte für schädliche Umwelteinwirkungen auf sein Wohnhaus aufgrund der von den Windenergieanlagen hervorgerufenen Zusatzbelastung mit tieffrequentem Schall. Denn insoweit setzt er seine eigene Würdigung der vorliegenden Erkenntnisse und Unterlagen an die Stelle derjenigen des Oberverwaltungsgerichts. Dies genügt nicht den Darlegungsanforderungen an die Geltendmachung der unzulässigen Ablehnung eines Beweisantrags als Ausforschungsbeweis.

17 b) Aus den vorstehenden Ausführungen folgt zugleich, dass die Ablehnung des Hilfsbeweisantrags auf Einholung einer Tieffrequenzschallprognose als rechtlich unerheblich seine Stütze im Gesetz findet, da eine solche Prognose gemäß Nr. 7.3 TA Lärm nach der Rechtsauffassung der Vorinstanz nicht gefordert ist. Angesichts dessen kann es dahingestellt bleiben, ob das Oberverwaltungsgericht die Ablehnung selbstständig tragend auch damit begründen konnte, dass es sich in Ermangelung eines hinreichend belastbaren Prognoseverfahrens um ein untaugliches Beweismittel handelt.

18 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Entscheidung über den Wert des Streitgegenstands folgt aus § 47 Abs. 1 und 3, § 39 Abs. 1, § 52 Abs. 1 GKG i. V. m. Ziff. 19.2 und Ziff. 2.2.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.