Urteil vom 09.11.2022 -
BVerwG 7 C 1.22ECLI:DE:BVerwG:2022:091122U7C1.22.0
Unangekündigte Kontrolle eines Sonderabfall-Zwischenlagers
Leitsätze:
1. Die nach § 52 Abs. 2 Satz 1 BImSchG bestehende Verpflichtung des Betreibers einer Anlage, den Zutritt zu Grundstücken und die Vornahme von Prüfungen durch Angehörige der zuständigen Behörde zu dulden, setzt keine Ankündigung voraus. Unangekündigte Kontrollen sind regelmäßig auch verhältnismäßig.
2. § 52 Abs. 2 Satz 1 BImschG umfasst in der Regel die Befugnis, bei der Kontrolle von Anlagen zu fotografieren.
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Rechtsquellen
BImSchG § 52 Abs. 2 Satz 1 VwGO § 43 Abs. 1, § 113 Abs. 1 Satz 4 -
Instanzenzug
VG Düsseldorf - 17.01.2019 - AZ: 3 K 8507/18
OVG Münster - 30.11.2021 - AZ: 8 A 513/19
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Zitiervorschlag
BVerwG, Urteil vom 09.11.2022 - 7 C 1.22 - [ECLI:DE:BVerwG:2022:091122U7C1.22.0]
Urteil
BVerwG 7 C 1.22
- VG Düsseldorf - 17.01.2019 - AZ: 3 K 8507/18
- OVG Münster - 30.11.2021 - AZ: 8 A 513/19
In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 9. November 2022
durch den Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Prof. Dr. Korbmacher,
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Schemmer, Dr. Günther,
Dr. Löffelbein und die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Bähr
für Recht erkannt:
- Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 30. November 2021 wird zurückgewiesen.
- Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Gründe
I
1 Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass das unangekündigte Betreten ihres Anlagengrundstücks, eines Sonderabfall-Zwischenlagers, durch Mitarbeiter der Bezirksregierung Düsseldorf sowie das Fotografieren während der Begehung der Anlage rechtswidrig gewesen sind. Sie betreibt ein Unternehmen zur Schadstoffentsorgung und für das Recycling für Industrie- und Gewerbekunden.
2 Grundlage des Anlagenbetriebs ist eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung vom 15. Dezember 2004, die in Teil 3 "Nebenbestimmungen und Hinweise" unter Nr. 1.7 Folgendes regelt: "Die Betreiberin hat den Bediensteten der Bezirksregierung Düsseldorf und den für die Überwachung der Anlage zuständigen Behörden jederzeit Zutritt zur Anlage sowie Einsicht in die Betriebsbücher zu gestatten und sie bei der Erfüllung ihrer Aufgaben zu unterstützen."
3 Am 10. Juli 2018 suchten zwei Mitarbeiter der Bezirksregierung Düsseldorf das Anlagengrundstück der Klägerin ohne vorherige Ankündigung auf. In einem Vermerk führte ein Mitarbeiter aus, auf eine vorherige Ankündigung sei verzichtet worden, da nach einem Erlass des Ministeriums für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen vom 16. Mai 2018 auch unangekündigte Überwachungen durchgeführt werden sollten und die letzten drei Überwachungen der Klägerin vorher bekannt gegeben worden seien. Zu Beginn der Inspektion hätten sich die Behördenmitarbeiter bei dem Niederlassungsleiter angemeldet. Dieser habe auf die "üblichen Regelungen" bei der Klägerin verwiesen, womit nach Ansicht des Vermerkverfassers die vorherige Anmeldung gemeint gewesen sei. Er habe daraufhin auf den genannten Erlass verwiesen und auf die Durchführung der Inspektion bestanden. Der Niederlassungsleiter habe wegen eines anderen Termins seinen Vertreter gebeten, die Anlage mit den Behördenmitarbeitern zu begehen. Zum Schluss der Anlagenbegehung habe der Geschäftsführer der Klägerin angerufen und mitteilen lassen, dass dem Vermerkverfasser Hausverbot erteilt werde. Während der Inspektion wurden auch Fotografien gefertigt.
4 Mit Schreiben vom 18. Juli 2018 rügte die Klägerin die durchgeführte Inspektion, insbesondere den Umstand der unterbliebenen vorherigen Ankündigung. Der Niederlassungsleiter habe den Behördenmitarbeitern mitgeteilt, dass er weder mit der beabsichtigten Anlagenbegehung noch mit der Anfertigung von Lichtbildern einverstanden gewesen sei.
5 Der von der Klägerin am 22. Oktober 2018 erhobenen Klage hat das Verwaltungsgericht stattgegeben. Auf die Berufung des Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht das Urteil des Verwaltungsgerichts geändert und die Klage abgewiesen. Die Vor-Ort-Besichtigung finde ihre Rechtsgrundlage in § 52 Abs. 1 Satz 1, Abs. 1b und 2 Satz 1 Alt. 1 BImSchG. Das der Behörde vom Gesetzgeber eingeräumte Betretungs- und Besichtigungsrecht hänge nicht von einem positiven Willensakt des Anlagenbetreibers im Sinne einer Entscheidung ab, die Kontrolle zu billigen oder mit ihr einverstanden zu sein. Die Entscheidung der Überwachungsbehörde, die Durchführung einer Kontrolle dem Betreiber nicht vorher anzukündigen, sei im Regelfall - wie auch hier - verhältnismäßig. Das Anfertigen von Lichtbildern sei ohne ausdrückliche Erwähnung von der Besichtigungsermächtigung gedeckt, wenn und soweit die Lichtbilder der Dokumentation der Kontrolle sowie der Plausibilisierung von Beanstandungen dienten.
6 Zur Begründung ihrer vom Oberverwaltungsgericht zugelassenen Revision macht die Klägerin geltend, dass es sowohl für das Betreten des Anlagengeländes ohne Gestattung durch die Klägerin und ohne vorherige Ankündigung als auch für das Fotografieren an einer Rechtsgrundlage fehle. Jedenfalls sei eine unangekündigte Kontrolle unverhältnismäßig.
7
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 30. November 2021 zu ändern und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 17. Januar 2019 zurückzuweisen.
8
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
9 Er verteidigt das angefochtene Urteil.
II
10 Die zulässige Revision der Klägerin ist unbegründet. Das Urteil des Berufungsgerichts steht mit Bundesrecht in Einklang. Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Das Berufungsgericht hat das stattgebende Urteil des Verwaltungsgerichts deshalb zu Recht geändert und die Klage abgewiesen.
11 1. Die Klage ist zulässig. Hierbei kann offenbleiben, ob sie - wie vom Oberverwaltungsgericht angenommen - als allgemeine Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 VwGO oder entsprechend § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO als Fortsetzungsfeststellungsklage statthaft ist. Letztere Klageart wäre einschlägig, wenn das Zutrittsverlangen zu der Anlage der Klägerin und die Inanspruchnahme des Rechts, auf dem Gelände Fotografien anzufertigen, als mündlich oder konkludent erlassene Verwaltungsakte im Sinne des § 35 Satz 1 VwVfG NRW zu qualifizieren wären, die sich mit dem Verlassen der Anlage erledigt hätten. In diesem Fall wäre auch die Jahresfrist zur Klageerhebung gewahrt (§ 74 Abs. 1, § 58 Abs. 2 VwGO). Das berechtigte Interesse der Klägerin an der Feststellung ergibt sich aus der bestehenden Wiederholungsgefahr.
12 2. Die Klage ist unbegründet. Sowohl das Betreten des Anlagengrundstücks der Klägerin als auch die Fertigung von Fotografien auf dem Anlagengelände waren rechtmäßig.
13 a) Die aus § 52 Abs. 2 Satz 1 BImSchG folgende Befugnis der Mitarbeiter der zuständigen Überwachungsbehörde, ein Anlagengrundstück zu betreten, setzt weder die Einwilligung des Betroffenen noch eine vorherige Ankündigung voraus. Eine unangekündigte Inanspruchnahme der Befugnis aus § 52 Abs. 2 Satz 1 BImSchG ist regelmäßig verhältnismäßig. Dies ist auch vorliegend der Fall.
14 aa) Nach der Befugnisnorm des § 52 Abs. 2 Satz 1 BImSchG sind Eigentümer und Betreiber von Anlagen sowie Eigentümer und Besitzer von Grundstücken, auf denen Anlagen betrieben werden, verpflichtet, den Angehörigen der zuständigen Behörde und deren Beauftragten den Zutritt zu den Grundstücken und die Vornahme von Prüfungen einschließlich der Ermittlung von Emissionen und Immissionen zu gestatten. Aus dieser Vorschrift folgt ein behördliches Zutritts- und Prüfungsrecht, dem auf Seiten der Eigentümer und Betreiber von Anlagen eine entsprechende Duldungspflicht sowie die Verpflichtung zur Ermöglichung von Zutritt und Prüfung durch erforderliche Mitwirkungshandlungen - etwa durch das Aufschließen von Türen, Beleuchten von Räumen etc. – gegenübersteht.
15 Eines über die Duldung und erforderliche Mitwirkungshandlungen hinausgehenden positiven Willensakts des Pflichtigen im Sinne einer Einwilligung bedarf es demgegenüber nicht. Ein derartiger Vorbehalt der Einwilligung entspräche nicht dem Verständnis des Gesetzgebers. Der Begründung des Gesetzentwurfs lässt sich entnehmen, dass Eigentümer und Betreiber die nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz erforderlichen Überwachungsmaßnahmen zu dulden und gegebenenfalls zu fördern haben (BT-Drs. 7/179 S. 47). Zudem widerspräche es dem auf eine effektive Wahrnehmung der Überwachungsaufgabe zielenden Sinn und Zweck der Regelung, wenn die behördliche Überwachungstätigkeit auf dem Betriebsgrundstück von einer Einwilligung des Betroffenen abhinge. Im Weigerungsfall könnte eine Einwilligung, die eine unvertretbare Handlung darstellt, nicht im Wege der Ersatzvornahme, sondern grundsätzlich nur mittels Zwangsgeld durchgesetzt werden. Nicht zuletzt die mit der Festsetzung und Einziehung von Zwangsgeldern verbundenen zeitlichen Verzögerungen könnten den Zweck der Überwachungsmaßnahmen nach § 52 Abs. 2 BImSchG, zur Sicherstellung der Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften ein möglichst realistisches Bild von Anlage und Betriebsgrundstück zu gewinnen, vereiteln.
16 bb) Die Inanspruchnahme des Zutritts- und Prüfungsrechts nach § 52 Abs. 2 Satz 1 BImSchG setzt keine vorherige Ankündigung voraus. § 52 BImSchG enthält weder eine positive Aussage zur Notwendigkeit einer vorherigen Ankündigung, noch hängen Zutritt und Prüfung begrifflich oder sachlogisch hiervon ab. Auch die Gesetzesbegründung (BT-Drs. 7/179 S. 47) enthält hierfür keinerlei Anhaltspunkte. Die der Sache nach von der Klägerin geforderte Annahme eines ungeschriebenen Tatbestandsmerkmals ist nicht geboten. Derartiges ergibt sich insbesondere nicht aus den von der Klägerin in Bezug genommenen Vorschriften anderer Rechtsbereiche, die unangekündigte Kontrollen ausdrücklich ansprechen.
17 § 72a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Gesetzes über den Verkehr mit Arzneimitteln (Arzneimittelgesetz - AMG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 12. Dezember 2005 (BGBl. I S. 3394), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 10. August 2021 (BGBl. I S. 3519), regelt schon keine Zutrittsbefugnis, sondern macht die Erlaubnis zum Einführen von Arzneimitteln oder Wirkstoffen unter anderem davon abhängig, dass die zuständige Behörde des Herstellungslandes bestätigt hat, dass die Herstellungsstätte auch durch wiederholte und unangekündigte Inspektionen regelmäßig überwacht wird. § 72a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AMG veranschaulicht damit lediglich, dass der arzneimittelrechtliche Gesetzgeber unangekündigte Inspektionen als im Rahmen regelmäßiger Überwachung von Herstellungsstätten unabdingbar ansieht. Demgegenüber enthält die für das Betretungsrecht der mit der Überwachung beauftragten Personen maßgebliche Befugnisnorm des § 64 Abs. 4 Nr. 1 AMG - insoweit nicht anders als § 52 Abs. 2 Satz 1 BImSchG - keine Regelung zur Frage der vorherigen Ankündigung. Entsprechendes gilt für die von der Klägerin in Bezug genommene tierschutzrechtliche Bestimmung des § 16 Abs. 1 Satz 7 des Tierschutzgesetzes (TierSchG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 18. Mai 2006 (BGBl. I S. 1206, 1313), zuletzt geändert durch Art. 105 des Gesetzes vom 10. August 2021 (BGBl. I S. 3436), wonach ein angemessener Teil der Kontrollen bestimmter Einrichtungen unangekündigt erfolgt. Auch hier regelt die Vorschrift des § 16 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und 2 TierSchG, die den beauftragten Personen eine Betretungsbefugnis verleiht, die Frage der vorherigen Ankündigung nicht.
18 § 143 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 des Seearbeitsgesetzes (SeeArbG) vom 20. April 2013 (BGBl. I S. 868), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 20. Mai 2021 (BGBl. I S. 1144), den die Klägerin ebenfalls nennt, führt auf keine tatbestandserweiternde Auslegung des § 52 Abs. 2 Satz 1 BImSchG. § 143 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SeeArbG ermächtigt die Berufsgenossenschaft dazu, während der üblichen Geschäfts- und Betriebszeiten unangekündigt an Bord eines Schiffes oder eines Schiffes unter ausländischer Flagge zu gehen sowie Geschäfts-, Dienst- und Behandlungsräume von Reedern, Vermittlern, zugelassenen Ärzten und anerkannten Organisationen zu betreten. Die hiernach vom Fachgesetzgeber ausdrücklich verliehene Befugnis, bestimmte Maßnahmen unangekündigt vorzunehmen, lässt keine Rückschlüsse auf den Tatbestand des § 52 Abs. 2 Satz 1 BImSchG zu. Namentlich ist eine einheitliche gesetzgeberische Praxis hinsichtlich des Detaillierungsgrades von Normen, zumal solchen unterschiedlichen Alters (§ 52 Abs. 2 Satz 1 BImSchG war seinem hier maßgeblichen Inhalt und Wortlaut nach bereits in der Ursprungsfassung des Bundesimmissionsschutzgesetzes aus dem Jahr 1974 enthalten; vgl. hierzu § 44 Abs. 2 Satz 1 BImSchG-E, BT-Drs. 7/179 S. 13) und verschiedener Rechtsgebiete, oder gar eine Praxis, Systematik und Regelungstiefe im gesamten (öffentlich-rechtlichen) Normenbestand einheitlich zu gestalten, nicht erkennbar.
19 Abweichendes ergibt sich auch nicht im Lichte des Art. 23 Abs. 1 Satz 2 der Richtlinie 2010/75/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 über Industrieemissionen (ABl. L S. 334), deren Anwendungsbereich das Sonderabfall-Zwischenlager der Klägerin unterfällt. Nach dieser Vorschrift stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass die Betreiber den zuständigen Behörden jede notwendige Unterstützung dabei gewähren, etwaige Vor-Ort-Besichtigungen und Probenahmen durchzuführen und die zur Erfüllung ihrer Pflichten im Rahmen dieser Richtlinie erforderlichen Informationen zu sammeln. Diese Bestimmung schließt es in keiner Weise aus, dass die zuständigen nationalen Behörden sowohl angekündigte als auch unangekündigte Umweltinspektionstermine durchführen, bei denen jeweils unterschiedliche Unterstützungshandlungen inmitten stehen können. So bedarf es auch bei unangekündigten Inspektionen der Unterstützung durch den Betreiber, etwa indem er Türen öffnet oder eine ausreichende Beleuchtung sicherstellt (vgl. Hansmann/Röckinghausen, in: Landmann/Rohmer, UmweltR, Stand April 2022, § 52 BImSchG Rn. 63; Jarass, BImSchG, 14. Aufl. 2022, § 52 Rn. 47).
20 cc) Die Wahrnehmung des Zutrittsrechts aus § 52 Abs. 2 Satz 1 BImSchG ohne vorherige Ankündigung verstößt regelmäßig weder gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, noch ist sie mit sonstigen grundrechtlichen Positionen unvereinbar. Das Oberverwaltungsgericht nimmt zu Recht an, dass unangekündigte Kontrollen zur Erreichung ihres Zwecks geeignet, erforderlich und in aller Regel auch verhältnismäßig im engeren Sinne sind.
21 Ohne Rechtsfehler nimmt das Berufungsgericht an, dass der behördlichen Vor-Ort-Besichtigung im Rahmen der Anlagenüberwachung nach §§ 52, 52a BImSchG eine zentrale Bedeutung zukommt, weil Feststellungen, ob die Anforderungen des Bundesimmissionsschutzgesetzes und der hierauf gestützten Rechtsverordnungen eingehalten werden, vielfach nur durch eine Inaugenscheinnahme der Anlage oder des Anlagenbetriebs möglich sind. Hierbei ist es unter dem Gesichtspunkt der Effektivität der Überwachung von maßgeblicher Bedeutung, dass die Überwachungsbehörde eine Situation vorfindet, die den Anlagenzustand und die Betriebsverhältnisse möglichst realitätsnah abbilden. Hierfür sind unangekündigte Kontrollen nicht nur geeignet, sondern eine wesentliche Voraussetzung.
22 Angekündigte Kontrollen stellen sich demgegenüber nicht als in gleicher Weise wirksam dar wie unangekündigte Kontrollen. Unabhängig von der seitens des Beklagten im Berufungsverfahren hierzu vorgelegten und vom Oberverwaltungsgericht mit für den Senat bindender Wirkung (§ 137 Abs. 2 VwGO) als repräsentativ erachteten Auswertung, wonach bei unangekündigten Umweltinspektionen verhältnismäßig mehr Mängel und zudem eine verhältnismäßig höhere Mängelschwere festgestellt wurden als bei angekündigten Umweltinspektionen, entspricht es auch allgemeiner Lebenserfahrung, dass mit einer unangekündigten Besichtigung die größtmögliche Effektivität einer Überwachungsmaßnahme zu erreichen ist (in diesem Sinne BVerwG, Beschluss vom 28. Januar 1998 - 1 B 5.98 - Buchholz 451.41 § 22 GastG Nr. 1 S. 2 f.; VGH Mannheim, Beschluss vom 27. Januar 2004 - 9 S 1343/03 - NVwZ-RR 2004, 416 <417> m. w. N.).
23 Nicht näher begründete Auffassungen in der Literatur (Dederer, in: Kotulla, BImSchG, Stand September 2019, § 52 Rn. 128; Jarass, BImSchG, 14. Aufl. 2022, § 52 Rn. 46; Kenyeressy, in: Appel/Ohms/Saurer, BImSchG, § 52 Rn. 58; Spindler, in: Feldhaus, Bundesimmissionsschutzrecht, 2. Aufl., § 52 BImSchG Rn. 34), die mit Blick auf die nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebotene Wahl des mildesten Mittels zumindest für den Regelfall die Ankündigung von Überwachungsmaßnahmen fordern, vermögen demgegenüber nicht zu überzeugen, zumal vergleichende Überlegungen zur Effektivität einerseits angekündigter und andererseits unangekündigter Überwachungsmaßnahmen fehlen.
24 Unangekündigte Kontrollen sind regelmäßig auch verhältnismäßig im engeren Sinne. Entgegenstehende, von atypischen Einzelfällen unabhängige allgemein schutzwürdige Interessen der Eigentümer und Betreiber von Anlagen, die für eine mindestens regelmäßige vorherige Ankündigung des Zutrittsbegehrens streiten können, haben gegenüber dem öffentlichen Interesse an einer möglichst effektiven Anlagenüberwachung kein höheres Gewicht. Eine unzumutbare Belastung der Eigentümer und Betreiber durch (auch) nicht angekündigte Vor-Ort-Kontrollen ist nicht ersichtlich (in diesem Sinne auch BVerwG, Urteil vom 7. April 2022 - 3 C 8.21 - NVwZ-RR 2022, 670 Rn. 17).
25 Eine übermäßige, durch den Kontrollzweck nicht gerechtfertigte Störung der Betriebsabläufe kann und muss regelmäßig durch die konkrete Gestaltung der Kontrolle vermieden werden. Dazu gehört, worauf bereits das Oberverwaltungsgericht zutreffend hingewiesen hat, dass sich die die Kontrolle durchführenden Behördenmitarbeiter zu Beginn der Inspektion bei der an dem betreffenden Tag vor Ort anwesenden, für den Betrieb der Anlage verantwortlichen, das Hausrecht ausübenden Person anmelden und die für den kontrollierten Betrieb maßgeblichen Sicherheitsvorschriften, z. B. das Anlegen von Schutzausrüstung, beachten. Erscheinen Kontrolleure unangekündigt auf einem Betriebsgelände, müssen sie zudem gegebenenfalls damit rechnen, weder den Betriebsinhaber selbst noch eine verantwortliche Person anzutreffen, weil sich diese naturgemäß nicht vorab auf die Kontrolle einstellen können. Die Kontrolleure müssen auch damit rechnen, dass eine unangekündigte Kontrolle mit anderen, sachlich gerechtfertigten und nicht bloß vorgeschobenen Terminen der verantwortlichen Person kollidiert (vgl. BVerwG, Urteil vom 7. April 2022 - 3 C 8.21 - NVwZ-RR 2022, 670 Rn. 18).
26 Der Hinweis der Klägerin darauf, dass eine angekündigte Kontrolle effizienter sei als eine unangekündigte, weil im ersteren Fall eine umfassendere Unterstützung der Behörde seitens des Eigentümers oder Betreibers ermöglicht werde, führt nicht weiter. Diese Annahme geht davon aus, dass jeder Anlagenbetreiber bereits von sich aus pflichtgemäß und im öffentlichen Interesse handelt, ein Umstand, den der Gesetzgeber gerade kontrolliert wissen will.
27 Auch mit Blick auf Grundrechte der Eigentümer und Betreiber oder sonstiges Verfassungsrecht ergibt sich nichts Anderes. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts unterliegen Betretungs- und Besichtigungsrechte für Geschäfts- und Betriebsräume aufgrund besonderer gesetzlicher Ermächtigung, die den Zweck des Betretens sowie den Gegenstand und den Umfang der zugelassenen Besichtigung und Prüfung deutlich erkennen lassen, einem erlaubten Zweck dienen und für dessen Erreichung erforderlich sind und sich auf das Betreten zu normalen Betriebszeiten beziehen, keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Sie dienen berechtigten Interessen der Verwaltung und belasten den Betriebsinhaber nicht in unzumutbarer Weise (BVerfG, Beschluss vom 13. Oktober 1971 - 1 BvR 280/66 - BVerfGE 32, 54 <76 f.>). Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Weiterreichende Rechtspositionen, namentlich auf der Grundlage der EU-Grundrechtecharta, vermag auch die Klägerin nicht aufzuzeigen.
28 Der Verweis der Klägerin auf die verwaltungsprozessuale Vorschrift des § 97 VwGO, wonach die Beteiligten eines gerichtlichen Verfahrens von allen Beweisterminen benachrichtigt werden und der Beweisaufnahme beiwohnen können, ist ebenfalls unergiebig. § 97 VwGO dient der Gewährung rechtlichen Gehörs im Rahmen gerichtlicher Überprüfung des Verwaltungshandelns (vgl. hierzu nur Schübel-Pfister, in: Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 97 Rn. 1 m. w. N.) und ist auf behördliche Maßnahmen nicht übertragbar.
29 dd) Die Verhältnismäßigkeit wurde auch bei der von Mitarbeitern der Bezirksregierung Düsseldorf am 10. Juli 2018 auf dem Anlagengelände der Klägerin unangekündigt durchgeführten Vor-Ort-Kontrolle gewahrt. Vom Oberverwaltungsgericht wurden keine besonderen Umstände festgestellt, wegen derer es ausnahmsweise einer vorherigen Ankündigung bedurft hätte. Eine Atypik ergibt sich insbesondere nicht daraus, dass die Klägerin in einem zwischen den Beteiligten geführten Verwaltungsrechtsstreit um eine frühere unangekündigte Regelinspektion zum Ausdruck gebracht habe, wie wichtig für sie die vorherige Ankündigung einer Inspektion sei, damit ein Mitarbeiter der Genehmigungsabteilung anwesend sein könne. Hierzu hat das Oberverwaltungsgericht ausgeführt, dass es zwar hilfreich gewesen wäre, wenn die Bezirksregierung die Klägerin nach deren Klagerücknahme darauf hingewiesen hätte, dass sie ihre Rechtsauffassung und ihre Verwaltungspraxis nicht geändert hatte. Die erneute Durchführung einer unangekündigten Kontrolle habe sich aber nicht als treuwidrig erwiesen, weil die Überwachungsbehörde der Klägerin keinen Anlass zu der Annahme gegeben habe, dass die Verwaltungspraxis generell oder gar bezogen auf die Anlagen der Klägerin geändert worden sei. Dies ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Hinsichtlich der Möglichkeit zur Teilnahme nicht ortsanwesender Personen verweist das Berufungsgericht zutreffend darauf, dass ein solcher Anspruch weder aus dem Hausrecht noch der betrieblichen Organisationshoheit folgt. Erhebliche Beeinträchtigungen im Betriebsablauf im Zuge der etwa 45-minütigen Inspektion in der Anlage der Klägerin hat das Oberverwaltungsgericht nicht festgestellt.
30 Hinzu kommt, dass die Klägerin nach Teil 3 Nr. 1.7 der bestandskräftigen immissionsschutzrechtlichen Genehmigung ihrer Anlage vom 15. Dezember 2004 dazu verpflichtet ist, Bediensteten der Bezirksregierung Düsseldorf jederzeit Zutritt zur Anlage zu gestatten. Unbeschadet der Frage, ob Teil 3 Nr. 1.7 der Genehmigung eigenständigen Regelungs- oder bloßen Hinweischarakter hat, musste die Klägerin hiernach jedenfalls mit einem jederzeitigen - und mithin auch einem unangekündigten - Zutrittsverlangen durch Mitarbeiter des Beklagten rechnen.
31 b) Die Fertigung von Fotografien anlässlich der Begehung des Anlagengeländes der Klägerin kann sich ebenfalls auf § 52 Abs. 2 Satz 1 BImSchG stützen und begegnet auf der Grundlage der Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts auch sonst keinen revisionsrechtlichen Bedenken.
32 aa) Nach § 52 Abs. 2 Satz 1 BImSchG sind - wie bereits ausgeführt - Eigentümer und Betreiber von Anlagen verpflichtet, den Angehörigen der zuständigen Behörde den Zutritt zu den Grundstücken und die Vornahme von Prüfungen einschließlich der Ermittlung von Emissionen und Immissionen zu gestatten. Nach verbreiteter Auffassung ist der Begriff der Prüfung weit auszulegen und umfasst - neben der im Gesetz ausdrücklich genannten Ermittlung von Emissionen und Immissionen - jede sonstige Untersuchung, soweit sie zur Erfüllung der Aufgaben nach § 52 Abs. 1 Satz 1 BImSchG notwendig ist (vgl. Jarass, BImSchG, 14. Aufl. 2022, § 52 Rn. 44 m. w. N.; Kenyeressy, in: Appel/Ohms/Saurer, BImSchG, § 52 Rn. 61; Lechelt, in: Führ, GK-BImSchG, Stand 2019, § 52 Rn. 50 m. w. N.). Mit anderen Worten verleiht die Norm eine Befugnis für Handlungen des Feststellens von Zuständen (Mösbauer, NVwZ 1985, 457 <460>). Auch der Begriff des Zutritts bedarf nach seinem Sinn und Zweck einer weiten Auslegung. Insbesondere umfasst das Betretungsrecht - soll es nicht bloß um seiner selbst willen gelten - auch die Möglichkeit der Wahrnehmung von Sachverhalten im Sinne der Augenscheinseinnahme bzw. eines informativen Betretens (vgl. Lechelt, in: Führ, GK-BImSchG, Stand 2019, § 52 Rn. 45 unter Bezugnahme auf Mösbauer, NVwZ 1985, 457 <459>). In diesem Sinne spricht das Bundesverwaltungsgericht auch von einer allgemeinen Betretungs- und Besichtigungsbefugnis (BVerwG, Urteil vom 25. August 1999 - 8 C 12.98 - BVerwGE 109, 272 <283>).
33 Hiernach ist entgegen der Auffassung der Klägerin auch das Fotografieren vom Tatbestand des § 52 Abs. 2 Satz 1 BImSchG sowohl als Element des informativen Betretens als auch der Untersuchung im Sinne des Feststellens von Zuständen umfasst. Dies gilt für den Akt des Fotografierens selbst, aber auch für die mit der Speicherung gefertigter Aufnahmen verbundene Dokumentation von Wahrnehmungen und Untersuchungen. Insofern hat das Fotografieren keine rechtserheblich andere Qualität als etwa das Anfertigen handschriftlicher Notizen oder Skizzen, ein Diktat oder die sonstige Dokumentation von Messergebnissen (so im Ergebnis auch Kenyeressy, in: Appel/Ohms/Saurer, BImSchG, § 52 Rn. 62).
34 Aus dem Verweis der Klägerin auf Normen, die das Anfertigen von Bildaufnahmen anlässlich von Inspektionen ausdrücklich regeln – § 64 Abs. 4 Nr. 1 AMG, § 16 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und 2 TierSchG, § 72 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 des Gesetzes über den Verkehr mit Tierarzneimitteln und zur Durchführung unionsrechtlicher Vorschriften betreffend Tierarzneimittel (Tierarzneimittelgesetz - TAMG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 27. September 2021 (BGBl. I S. 4530) und § 42 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 des Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuches (Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch - LFGB) in der Fassung der Bekanntmachung vom 15. September 2021 (BGBl. I S. 4253, ber. 2022 S. 28) – folgt nicht im Umkehrschluss, dass der Gesetzgeber eine diesbezügliche Befugnis vom Regelungsumfang des § 52 Abs. 2 Satz 1 BImSchG ausnehmen wollte. Wie bereits im Zusammenhang mit der Frage der Notwendigkeit der Ankündigung einer Vor-Ort-Besichtigung dargelegt, lässt sich eine einheitliche gesetzgeberische Praxis hinsichtlich des Detaillierungsgrades von Normen, zumal unterschiedlichen Alters und verschiedener Rechtsgebiete, oder eine Praxis des Gesetzgebers, Systematik und Regelungstiefe einheitlich zu gestalten, nicht erkennen.
35 bb) Einwände gegen die konkreten Umstände des Fotografierens auf ihrem Anlagengelände hat die Klägerin nicht erhoben. Fragen nach in Abhängigkeit von den Umständen des Einzelfalls bestehenden rechtlichen Grenzen für Fotoaufnahmen - etwa mit Rücksicht auf den Schutz personenbezogener Daten oder die Vertraulichkeit von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen - sind nicht aufgeworfen.
36 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.