Beschluss vom 10.04.2018 -
BVerwG 6 AV 1.18ECLI:DE:BVerwG:2018:100418B6AV1.18.0
Keine gerichtliche Zuständigkeitsbestimmung für Klage gegen einfache Streitgenossen
Leitsatz:
Die Bestimmung der Zuständigkeit eines Gerichts für eine Klage gegen Gesamtschuldner als einfache Streitgenossen ist in § 53 Abs. 1 Nr. 3 VwGO nicht vorgesehen; die Regelung des § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO kann weder über § 173 Satz 1 VwGO noch analog angewendet werden.
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Rechtsquellen
VwGO § 52 Nr. 5, § 53 Abs. 1 Nr. 3 ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 3, § 62 Abs. 1 -
Instanzenzug
VG Gelsenkirchen - AZ: VG 4 K 13/17
OVG Münster - 28.02.2018 - AZ: OVG 5 F 11/17
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Zitiervorschlag
BVerwG, Beschluss vom 10.04.2018 - 6 AV 1.18 - [ECLI:DE:BVerwG:2018:100418B6AV1.18.0]
Beschluss
BVerwG 6 AV 1.18
- VG Gelsenkirchen - AZ: VG 4 K 13/17
- OVG Münster - 28.02.2018 - AZ: OVG 5 F 11/17
In der Verwaltungsstreitsache hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 10. April 2018
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Kraft sowie die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Möller und Hahn
beschlossen:
Der Antrag auf Bestimmung eines zuständigen Gerichts wird abgelehnt.
Gründe
I
1 Die Antragstellerin, die Studierendenschaft einer Universität, beantragt die Bestimmung des zuständigen Gerichts für eine gegen vier ehemalige Mitglieder des Allgemeinen Studierendenausschusses (AStA) gerichtete Klage auf Schadensersatz.
2 Die Antragstellerin hat im Januar 2017 beim Verwaltungsgericht Gelsenkirchen Klage u.a. gegen die in Duisburg, Egeln, München und Velbert wohnhaften Antragsgegner als Gesamtschuldner auf Zahlung von insgesamt 272 216,46 € erhoben. Dazu macht sie im Kern geltend, die Antragsgegner hätten ihre Pflichten u.a. als AStA-Vorsitzende, stellvertretende Vorsitzende und Finanzreferent im Zusammenhang mit dem Betrieb eines Kunst- und Kulturcafés verletzt.
3 Nachdem das angerufene Verwaltungsgericht auf Zweifel an seiner örtlichen Zuständigkeit hingewiesen hatte, stellte die Antragstellerin am 8. Februar 2017 beim Oberverwaltungsgericht einen Antrag auf Bestimmung des zuständigen Gerichts. Sie ist der Auffassung, die Vorschrift des § 53 Abs. 1 Nr. 3 VwGO erfasse auch die durch Gesamtschuldnerschaft begründete einfache Streitgenossenschaft. Andernfalls müssten im vorliegenden Fall bayerische und sachsen-anhaltinische Landesgerichte über nordrhein-westfälisches Landesrecht entscheiden. Dem sind die Antragsgegner entgegen getreten.
4 Nach Anhörung der Beteiligten hat sich das Oberverwaltungsgericht mit Beschluss vom 28. Februar 2018 für sachlich unzuständig erklärt und das Verfahren an das Bundesverwaltungsgericht verwiesen.
II
5 Der Antrag ist unbegründet. Eine Zuständigkeitsbestimmung gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 53 Abs. 3 VwGO kommt vorliegend nicht in Betracht, denn das Prozessrecht enthält für die hier vorliegende Fallkonstellation eine widerspruchsfreie Zuweisung der örtlichen Zuständigkeit.
6 Für eine konstitutive Zuständigkeitsbestimmung ist nur Raum, wenn die in § 53 VwGO geregelten Anforderungen erfüllt sind, d.h. im vorliegenden Fall nach den Regelungen des § 52 VwGO keines oder verschiedene Gerichte in Betracht kommen (§ 53 Abs. 1 Nr. 3 VwGO). Das ist hier nicht der Fall. Der Gesetzgeber hat für eine Schadensersatzklage, in der die anderen Nummern der Vorschrift nicht durchgreifen, mit § 52 Nr. 5 VwGO auf den Wohnsitz des (jeweiligen) Beklagten abgestellt. Denn bei einer Mehrzahl von Ansprüchen oder Beklagten ist die Zuständigkeit für jeden einzelnen Streitgegenstand gesondert zu prüfen (BVerwG, Beschluss vom 5. Mai 2017 - 6 AV 1.17 [ECLI:DE:BVerwG:2017:050517B6AV1.17.0] - NVwZ-RR 2017, 676 Rn. 15; Kraft, in: Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 52 Rn. 8). Das führt im vorliegenden Fall wegen der beabsichtigten Inanspruchnahme aller Antragsgegner als Gesamtschuldner zu einer örtlichen Zuständigkeit mehrerer Verwaltungsgerichte in Nordrhein-Westfalen (Antragsgegner zu 1 und 4), Sachsen-Anhalt (Antragsgegner zu 2) und Bayern (Antragsgegner zu 3).
7 Die gerichtliche Zuständigkeitsbestimmung eines gemeinsamen Verwaltungsgerichts käme im vorliegenden Fall nur in Betracht, wenn anzunehmen wäre, dass zwischen den Antragsgegnern eine notwendige Streitgenossenschaft im Sinne des § 64 VwGO i.V.m. § 62 Abs. 1 ZPO bestünde (BVerwG, Beschluss vom 14. Mai 1992 - 4 ER 403.91 - Buchholz 310 § 53 VwGO Nr. 18 m.w.N.). Das ist jedoch nicht der Fall. Die Antragsgegner werden zwar von der Klägerin aus einem einheitlichen haftungsbegründenden Sachverhalt in Anspruch genommen. Eine Haftung als Gesamtschuldner bedeutet jedoch nicht, dass das streitige Rechtsverhältnis ihnen gegenüber im Sinne des § 62 Abs. 1 ZPO nur einheitlich festgestellt werden könnte oder ihre Streitgenossenschaft aus einem anderen Grund eine notwendige wäre (BVerwG, Beschlüsse vom 1. Dezember 1993 - 2 AV 7.93 - Buchholz 310 § 53 VwGO Nr. 23 und vom 22. November 1999 - 11 AV 2.99 - Buchholz 310 § 53 VwGO Nr. 27).
8 Das verkennt auch die Antragstellerin nicht, möchte aber für ihre Klage gegen mehrere Gesamtschuldner in verschiedenen Bundesländern in Anlehnung an die in § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO vorgesehene Möglichkeit, auch für einfache Streitgenossen unter bestimmten Voraussetzungen ein zuständiges Gericht zu bestimmen, die Zuständigkeit eines nordrhein-westfälischen Verwaltungsgerichts begründet wissen. Damit vernachlässigt sie, dass eine Zuständigkeitsbestimmung nach § 53 VwGO, der keine § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO entsprechende Regelung enthält, nur in Betracht kommt, wenn die Verwaltungsgerichtsordnung für die gerichtliche Geltendmachung von Ansprüchen im konkreten Fall keine widerspruchsfreie Zuweisung der gerichtlichen Zuständigkeiten vorsieht (BVerwG, Beschluss vom 5. Mai 2017 - 6 AV 1.17 - NVwZ-RR 2017, 676 Rn. 12 m.w.N.). Denn die örtlichen Zuständigkeitsregelungen der Verwaltungsgerichtsordnung werden nicht von Gesichtspunkten des Sachzusammenhangs oder prozessökonomischer Zweckmäßigkeit bestimmt (BVerwG, Beschlüsse vom 12. Februar 1993 - 4 ER 404.92 - Buchholz 310 § 52 VwGO Nr. 34 und vom 5. Juli 2002 - 7 AV 2.02 - Buchholz 310 § 53 VwGO Nr. 28). Wegen der abschließenden gesetzlichen Regelung in § 53 VwGO kann § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO weder über § 173 Satz 1 VwGO noch im Wege des Analogieschlusses zur Anwendung gelangen.