Beschluss vom 10.07.2023 -
BVerwG 1 W-VR 8.23ECLI:DE:BVerwG:2023:100723B1WVR8.23.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 10.07.2023 - 1 W-VR 8.23 - [ECLI:DE:BVerwG:2023:100723B1WVR8.23.0]

Beschluss

BVerwG 1 W-VR 8.23

In dem Wehrbeschwerdeverfahren hat der 1. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch
den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Häußler,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Langer und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Eppelt
am 10. Juli 2023 beschlossen:

  1. Die Anhörungsrüge wird zurückgewiesen.
  2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens über die Anhörungsrüge.

Gründe

I

1 Der Antragsteller wendet sich mit seiner Anhörungsrüge vom 1. Mai 2023 gegen den Beschluss des Senats vom 24. April 2023 (BVerwG 1 W-VR 6.23 ).

2 Der Antragsteller ist rechtskräftig wegen Missbrauchs der Dienststellung als Offizier mit höherem Dienstgrad zu unzulässigen Zwecken in Tateinheit mit Anmaßen von Befehlsbefugnissen zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Wegen des dem Strafurteil zugrunde liegenden Sachverhaltes ist beim Truppendienstgericht Süd ein gerichtliches Disziplinarverfahren (Az. S 6 VL 34/20) anhängig.

3 Der Antragsteller hat mit Anträgen auf Erlass einstweiliger Anordnungen vom 3. Oktober 2022 und vom 18. Februar 2023 verlangt, das Bundesministerium der Verteidigung zu verpflichten, auf der Grundlage der strafgerichtlichen Verurteilung keine Entscheidungen zu seinen Lasten zu treffen, bzw. ihn diskreditierende Verleumdungen und falsche Verdächtigungen zu unterlassen. Die Anträge sind mit Beschlüssen vom 14. November 2022 (BVerwG 1 W-VR 24.22 ) und vom 21. März 2023 (BVerwG 1 W-VR 4.23 ) abgelehnt worden. Dem angegriffenen Beschluss liegt ein Antrag vom 30. März 2023 zugrunde, mit dem erneut eine einstweilige Anordnung beantragt wurde, um dem Bundesministerium der Verteidigung die Wiederholung von Aussagen zu untersagen, die der Antragsteller als kränkend und unwahr wertet. Dieser Antrag ist unter Bezugnahme auf die Gründe der Beschlüsse vom 14. November 2022 (BVerwG 1 W-VR 24.22 ) und vom 21. März 2023 (BVerwG 1 W-VR 4.23 ) abgelehnt worden. Zudem ist ausgeführt, der Hinweis auf eine rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilung stelle weder eine unwahre Tatsachenbehauptung noch eine Verleumdung oder falsche Verdächtigung dar.

4 Der Antragsteller rügt, der Senat habe sich nicht mit dem Streitgegenstand seines Antrages in diesem Verfahren befasst, in dem es um die Verbreitung ehrverletzender unwahrer Tatsachenbehauptungen und die Verletzung seiner Ehre und Würde gehe und nicht um die Verhinderung dienstrechtlicher Konsequenzen oder dienstrechtlicher Maßnahmen. Er habe nicht behauptet, der Verweis auf das rechtskräftige Strafurteil sei eine falsche Verdächtigung. Falsche Verdächtigungen seien eingesetzt worden, um das Strafurteil zu erwirken. Das Bundesministerium der Verteidigung verbinde den Hinweis auf das rechtskräftige Strafurteil mit einem Werturteil, was als ehrverletzende unwahre Tatsachenbehauptung anzusehen sei.

5 Das Bundesministerium der Verteidigung tritt der Anhörungsrüge entgegen.

6 Wegen der Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen.

II

7 Der Senat entscheidet über die Anhörungsrüge in der Besetzung mit drei Berufsrichtern ohne ehrenamtliche Richter (BVerwG, Beschluss vom 27. September 2017 - 1 WB 33.17 <1 WB 36.16 > - juris Rn. 5 m. w. N.).

8 Die Anhörungsrüge bleibt ohne Erfolg, weil eine entscheidungserhebliche Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör weder ausreichend dargelegt ist (§ 23a Abs. 3 WBO i. V. m. § 152a Abs. 2 Satz 6 VwGO) noch vorliegt.

9 Der Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs verpflichtet das zur Entscheidung berufene Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (vgl. z. B. BVerwG, Beschlüsse vom 18. Dezember 2015 - 1 WNB 1.15 - NZWehrr 2016, 85 und vom 9. Mai 2017 - 1 WNB 3.16 - NZWehrr 2017, 216). Dabei ist grundsätzlich davon auszugehen, dass das Gericht dieser Pflicht Rechnung trägt. Es ist nicht gehalten, sich in den Gründen seiner Entscheidung mit jedem Vorbringen zu befassen; insbesondere begründet Art. 103 Abs. 1 GG keinen Schutz gegen Entscheidungen, die den Sachvortrag eines Verfahrensbeteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts teilweise oder ganz unberücksichtigt lassen. Aus Art. 103 Abs. 1 GG ergibt sich auch keine Pflicht eines Gerichts, der von der Partei vertretenen Rechtsauffassung zu folgen.

10 Hier hat der Senat entgegen der Rechtsauffassung des Antragstellers seinen Antrag, das Bundesministerium der Verteidigung im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, verschiedene konkret angeführte Äußerungen einstweilen nicht zu wiederholen, geprüft. Dabei hat er auch sein Vorbringen zur Kenntnis genommen, die von ihm beanstandeten Äußerungen seien unwahr und verletzten seine Würde und Ehre. Der Senat hat diesem Vorbringen aber aus den Gründen keinen Erfolg beigemessen, die ausführlich in den Beschlüssen ausgeführt sind, auf die im Beschluss vom 24. April 2023 Bezug genommen worden ist.

11 Der Antragsteller hat seit Oktober 2022 wiederholt einstweilige Anordnungen beantragt, die - trotz Unterschieden in der Formulierung der im Einzelnen beantragten Anordnung - im für die rechtliche Würdigung wesentlichen Kern dasselbe Begehren zum Gegenstand hatten. Er beantragt in den in Rede stehenden Eilverfahren die durch einstweilige Anordnung auszusprechende Verpflichtung des Antragsgegners, Handlungen zu unterlassen, mit denen sich der Dienstherr der rechtlichen Würdigung der rechtskräftigen Strafurteile anschließt oder aus ihnen dienstrechtliche Konsequenzen zieht. In allen oben angeführten Eilverfahren rügt der Antragsteller die Rechtsfehlerhaftigkeit seiner strafgerichtlichen Verurteilung und will dem Dienstherrn bereits im Vorfeld konkreter Entscheidungen untersagen lassen, dabei die strafgerichtliche Verurteilung zugrunde zu legen und dies zu kommunizieren. Für dieses Begehren gibt es aus den in den Beschlüssen vom 14. November 2022, BVerwG 1 W-VR 24.22 , und vom 21. März 2023, BVerwG 1 W-VR 4.23 , dargelegten Gründen kein Rechtsschutzinteresse. Mit dem Antrag vom 30. März 2023 greift der Antragsteller ein weiteres Mal die seine strafgerichtliche Verurteilung tragenden rechtlichen Erwägungen sowie die Einleitung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens und die Rechtmäßigkeit seiner rechtskräftigen Verurteilung an, indem er dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung untersagen lassen will, die rechtliche Bewertung seines Verhaltens durch die Strafgerichte zu teilen und entsprechende Aussagen bezogen auf das Straf- und das gerichtliche Disziplinarverfahren zu wiederholen. Hierfür gibt es aus den im Beschluss vom 24. April 2023 erneut in Bezug genommenen Gründen kein Rechtsschutzbedürfnis. Auch mit der Anhörungsrüge vom 1. Mai 2023 und dem Schriftsatz vom 3. Juli 2023 ist nichts vorgetragen, was im Lichte der Entscheidungsgründe des Senats zu einer anderen Beurteilung Anlass geben könnte. Insbesondere ist weder dargelegt noch ersichtlich, welche entscheidungserheblichen Umstände sich seit den Beschlüssen vom 14. November 2022 und vom 21. März 2023 geändert haben könnten.

12 Im Übrigen stellen Aussagen über die Bewertung von Handlungen des Antragstellers als Verwirklichung wehrstrafgesetzlicher Straftatbestände eine rechtliche Würdigung dar und - entgegen der Auffassung des Antragstellers - keine Tatsachenbehauptungen. Auch wenn der Antragsteller die rechtliche Würdigung der Strafgerichte für fehlerhaft hält, ist seine Verurteilung nach eigenem Vortrag rechtskräftig geworden. Der Dienstherr verletzt seine Fürsorgepflicht gegenüber dem Antragsteller nicht, wenn er die rechtliche Würdigung einer nach Ausschöpfung des Rechtsweges rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilung bei der Prüfung und Vorbereitung dienstrechtlicher Konsequenzen und truppendienstlicher Maßnahmen berücksichtigt, und sich entsprechend äußert. Es ist dem Antragsteller zumutbar, die Durchführung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens abzuwarten und sich in diesem durch Darlegung seiner von derjenigen der Strafgerichte abweichenden Rechtsauffassung zu verteidigen. Im gerichtlichen Disziplinarverfahren wird ihm ebenso wie in einem Wehrbeschwerdeverfahren gegen konkrete truppendienstliche Maßnahmen, die der Dienstherr nach der strafgerichtlichen Verurteilung eventuell für geboten halten wird, effektiver Rechtsschutz gewährt. Der Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes bereits gegen die Prüfung und Vorbereitung solcher Maßnahmen durch den Dienstherrn bedarf es für die Gewährung effektiven Rechtsschutzes nicht.

13 Die Kostenentscheidung beruht auf § 23a Abs. 2 Satz 1 WBO i. V. m. § 154 Abs. 2 VwGO.

14 Diese Entscheidung ist gemäß § 23a Abs. 3 WBO i. V. m. § 152a Abs. 4 Satz 3 VwGO unanfechtbar.