Beschluss vom 11.05.2023 -
BVerwG 6 B 35.22ECLI:DE:BVerwG:2023:110523B6B35.22.0
-
Zitiervorschlag
BVerwG, Beschluss vom 11.05.2023 - 6 B 35.22 - [ECLI:DE:BVerwG:2023:110523B6B35.22.0]
Beschluss
BVerwG 6 B 35.22
- VG Dresden - 30.01.2020 - AZ: 5 K 1174/18
- OVG Bautzen - 08.07.2022 - AZ: 2 A 315/20
In der Verwaltungsstreitsache hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 11. Mai 2023
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Kraft sowie die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Möller und Hahn
beschlossen:
- Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 8. Juli 2022 wird zurückgewiesen.
- Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
- Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 69 014,47 € festgesetzt.
Gründe
I
1 Der Kläger ist Träger einer staatlich anerkannten Ersatzschule. Seinen Antrag auf Gewährung von Ausgleichszahlungen für im Schuljahr 2015/2016 nicht erhobenes Schulgeld lehnte die Sächsische Bildungsagentur (nunmehr: Landesamt für Schule und Bildung; im Folgenden: Landesamt) mit Bescheid vom 11. Oktober 2016 ab. Die nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhobene, auf die Verpflichtung zur Neubescheidung gerichtete Klage ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. Das Oberverwaltungsgericht hat im Berufungsurteil ausgeführt, das am 1. August 2015 in Kraft getretene und daher anzuwendende Sächsische Gesetz über Schulen in freier Trägerschaft vom 8. Juli 2015 (SächsFrTrSchulG) verfehle für das Schuljahr 2015/2016 weder in materieller noch in prozeduraler Hinsicht die sich aus dem Urteil des Verfassungsgerichtshofs des Freistaates Sachsen vom 15. November 2013 - Vf. 25-II-12 - (SächsVBl. 2014, 83 ff.) ergebenden Anforderungen an die Regelung eines Ausgleichsanspruchs nach Art. 102 Abs. 4 Satz 2 SächsVerf. Die Revision gegen sein Urteil hat das Oberverwaltungsgericht nicht zugelassen. Der Kläger erstrebt mit seiner Beschwerde die Zulassung der Revision.
II
2 Die auf einen Verfahrensmangel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision hat keinen Erfolg.
3 Aus der Beschwerdebegründung ergibt sich nicht, dass das Verwaltungsgericht den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) verletzt hat. Das Gebot, rechtliches Gehör zu gewähren, verpflichtet das Gericht, das Vorbringen jedes Beteiligten bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass es das gesamte Vorbringen in den Urteilsgründen behandeln muss. Vielmehr sind in dem Urteil nur diejenigen tatsächlichen und rechtlichen Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind (vgl. § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO). Daher kann aus dem Umstand, dass das Gericht einen Aspekt des Vorbringens eines Beteiligten in den Urteilsgründen nicht erwähnt hat, nur dann geschlossen werden, es habe diesen Aspekt nicht in Erwägung gezogen, wenn er nach dem materiell-rechtlichen Rechtsstandpunkt des Gerichts eine Frage von zentraler Bedeutung betrifft (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 8. Dezember 2021 - 6 B 6.21 - juris Rn. 7 m. w. N.).
4 Die Beschwerde macht geltend, in Bezug auf die nach der erwähnten Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs des Freistaates Sachsen maßgebliche Frage, ob der Gesetzgeber auf der Grundlage von begründbaren Annahmen zu dem Ergebnis gekommen sei, dass die allgemeinen Zuschüsse ausreichten, um eine Schule ohne Erhebung von Schulgeld betreiben zu können, beschränke sich das Berufungsurteil darauf, der in der Gesetzesbegründung ohne weitere Ausführungen gemachten Annahme zuzustimmen, dass der festgesetzte Zuschuss einen Schulbetrieb ohne Erhebung von Schulgeld ermöglichen werde. Eine Auseinandersetzung mit dem Vortrag des Klägers, dass diese Entscheidung des Gesetzgebers weder begründbar noch begründet sei, finde nicht statt.
5 Dieses Beschwerdevorbringen lässt eine Gehörsverletzung durch die Vorinstanz nicht erkennen. Das Berufungsgericht hat den Standpunkt des Klägers, die Gesetzesbegründung hätte im Einzelnen darlegen müssen, warum alle für den Betrieb einer Schule in freier Trägerschaft erforderlichen Kosten mit dem zur Verfügung gestellten Zuschuss und dem vom Träger aufzubringenden Eigenanteil gedeckt werden könnten, im Tatbestand des Urteils umfassend wiedergegeben (UA Rn. 8 ff.). In den Entscheidungsgründen hat das Berufungsgericht sodann ausgeführt, es sei sachgerecht und vom weiten Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers gedeckt, dass dieser die (Sach-)Ausgaben, die im Freistaat Sachsen für einen Schüler an einer Schule in öffentlicher Trägerschaft entstünden, nicht nur zum Ausgangspunkt der Bemessung des Umfangs der gemäß Art. 102 Abs. 3 SächsVerf gewährten staatlichen Finanzhilfe an Ersatzschulen gemacht, sondern auch der Bemessung des Ausgleichsanspruchs nach Art. 102 Abs. 4 Satz 2 SächsVerf zugrunde gelegt habe. Denn die Ausgaben für die Schulen in öffentlicher Trägerschaft enthielten, weil in diesen Schulen Unterricht und Lernmittel unentgeltlich seien, die für Unterricht und Lernmittel in den öffentlichen Schulen anfallenden Kosten. Unter diesen Umständen habe der Gesetzgeber davon ausgehen dürfen, dass die auf Grundlage von § 14 SächsFrTrSchulG in Form laufender Zuschüsse gezahlte staatliche Finanzhilfe ausreiche, damit die Ersatzschulen die Genehmigungsanforderungen des Art. 102 Abs. 3 Satz 3 und 4 SächsVerf auch ohne die Erhebung von Schul- und Lernmittelgeldern dauerhaft erfüllen könnten, und habe daher auch von einer gesonderten, an der Höhe der verfassungsrechtlich zulässigen Schul- und Lernmittelgelder orientierten Berechnung des Ausgleichsanspruchs absehen dürfen (UA Rn. 33). Die für diese Einschätzung maßgeblichen Erwägungen habe der Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung in Einklang mit den Vorgaben des Verfassungsgerichtshofs zum Prozeduralisierungsgebot transparent dargelegt und dabei die zugrundeliegenden Daten des öffentlichen Schulwesens und die Art und Weise ihrer Ermittlung offengelegt sowie seine hierauf gegründeten Annahmen im Einzelnen nachvollziehbar erläutert (UA Rn. 34 ff.).
6 Im Anschluss an die Darlegung seines rechtlichen Ausgangspunktes ist das Oberverwaltungsgericht auf das Berufungsvorbringen des Klägers im Einzelnen eingegangen. Dies betrifft zum einen den Einwand des Klägers, die Ermittlung der Kosten öffentlicher Schulen seien insofern unvollständig, als die Baukosten nicht in Höhe der Abschreibungen auf den Bestand eingestellt worden seien, sondern lediglich die Bauausgaben der letzten zehn Jahre, so dass die von den Schulen in freier Trägerschaft aufzuwendenden, aus strukturellen Gründen höheren Sachkosten für Schulräume nicht ermittelt worden seien. Das Oberverwaltungsgericht ist diesem Einwand mit dem Hinweis entgegengetreten, die in die Berechnung des Sachausgabensatzes eingestellten Sachausgaben der Kommunen umfassten auch kommunale Investitionen in Höhe des Durchschnitts der letzten zehn Jahre, die der kommunalen Jahresstatistik entnommen worden seien. Abschreibungen auf den Bestand der im Eigentum der Kommunen als Träger öffentlicher Schulen stehenden Schulgebäude sehe die einschlägige VwV Gliederung und Gruppierung vom 8. Januar 2002 nicht vor. Maßgeblich für die Berechnung der Sachausgaben nach § 14 Abs. 5 SächsFrTrSchulG seien insoweit vielmehr allein die in der Jahresrechnungsstatistik ausgewiesenen Ausgaben, die den kommunalen Schulträgern für ihre Schulgebäude entstünden. Diese Ausgaben gehörten zu den Kosten, die ein Schüler im öffentlichen Schulsystem verursache. Damit habe es sein Bewenden. Der Gesetzgeber habe sich deshalb auch nicht mit Blick auf den vorliegend in Rede stehenden Ausgleichsanspruch nach Art. 102 Abs. 4 Satz 2 SächsVerf damit befassen müssen, ob und inwieweit die Kosten für die Bereitstellung von Schulräumen für private Schulträger höher seien als die sich aus den Haushalten der kommunalen Schulträger ergebenden Beträge, oder diese gar ermitteln müssen (UA Rn. 37 f.).
7 Das Oberverwaltungsgericht hat sich zum anderen auch mit dem Einwand des Klägers auseinandergesetzt, die gegenwärtige Bezuschussung zwinge alle (freien) Träger von allgemeinbildenden Schulen zur Erhebung von Schulgeld, obwohl die Lehrkräfte geringer als Lehrkräfte im öffentlichen Schuldienst bezahlt würden, wogegen Förderschulen, bei denen ein Abschlag von 10 v. H. auf die Personalausgaben nicht vorgenommen werde, auf die Erhebung von Schulgeld verzichten könnten. In diesem Zusammenhang hat das Oberverwaltungsgericht auf § 14 Abs. 6 SächsFrTrSchulG hingewiesen, wonach die Staatsregierung auf der Grundlage der Kostenentwicklung des Schulwesens in öffentlicher Trägerschaft und unter Einbeziehung der tatsächlichen Entwicklung des Schulwesens in freier Trägerschaft kontinuierlich überprüfe, ob Anlass für eine Änderung des in den Absätzen 1 bis 5 festgelegten Umfangs der staatlichen Finanzhilfe an Schulen in freier Trägerschaft bestehe. Ob dies wegen der vom Kläger angesprochenen Umstände, insbesondere des Wettbewerbs zwischen öffentlichen und privaten Schulen um eine unzureichende Anzahl ausgebildeter Lehrkräfte, nunmehr der Fall sei und wie dem gegebenenfalls, etwa durch eine Erhöhung der Schülerausgabesätze, zu begegnen wäre, unterliege der Beobachtungs- und gegebenenfalls Anpassungspflicht der Staatsregierung und des Gesetzgebers. Eine Rechts- oder Verfassungswidrigkeit der in § 14 SächsFrTrSchulG in der am 1. August 2015 in Kraft getretenen Fassung festgeschriebenen Schülerausgabesätze für das im Streit stehende Schuljahr 2015/2016 folge hieraus nicht (UA Rn. 39).
8 Auf die Frage, ob bereits bei Erlass des Sächsischen Gesetzes über Schulen in freier Trägerschaft vom 8. Juli 2015 bzw. für das Schuljahr 2015/16 Gründe vorlagen, die der Annahme entgegenstanden, dass die allgemeinen Zuschüsse ausreichen, um eine Schule ohne Erhebung von Schulgeld betreiben zu können, und aus denen der Gesetzgeber trotz seines weiten Einschätzungs- und Gestaltungsspielraums davon hätte absehen müssen, im Rahmen der Bemessung des Ausgleichsanspruchs nach Art. 102 Abs. 4 Satz 2 SächsVerf die für einen Schüler an einer Schule in öffentlicher Trägerschaft entstehenden Ausgaben zugrunde zu legen, ist das Oberverwaltungsgericht zwar nicht ausdrücklich eingegangen. Dies war jedoch auch mit Blick auf das allgemein gehaltene Berufungsvorbringen nicht geboten. Dass sich das Oberverwaltungsgericht im Ergebnis nicht der Ansicht des Klägers angeschlossen hat, die Entscheidung des Gesetzgebers sei weder begründbar noch begründet, verletzt nicht dessen Anspruch auf rechtliches Gehör.
9 Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).
10 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren ergibt sich unter Berücksichtigung von Ziffer 1.4 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i. V. m. § 52 Abs. 1 und 3 Satz 1 und 2 GKG.