Beschluss vom 11.10.2021 -
BVerwG 2 A 9.20ECLI:DE:BVerwG:2021:111021B2A9.20.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 11.10.2021 - 2 A 9.20 - [ECLI:DE:BVerwG:2021:111021B2A9.20.0]

Beschluss

BVerwG 2 A 9.20

In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 11. Oktober 2021
durch den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. von der Weiden
als Berichterstatter gemäß § 87a Abs. 1 und 3 VwGO
beschlossen:

  1. Das Verfahren wird eingestellt.
  2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

1 Nachdem die Beteiligten das Verfahren in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren in entsprechender Anwendung von § 92 Abs. 2 Satz 3 VwGO einzustellen. Über die Kosten ist gemäß § 161 Abs. 2 VwGO nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes zu entscheiden. Danach entspricht es billigem Ermessen, dass die Beklagte die Kosten zu tragen hat.

2 Wie den Beteiligten in einem Berichterstatterschreiben mitgeteilt worden ist, bestehen gegen die Rechtmäßigkeit der streitgegenständlichen Disziplinarverfügung Bedenken zumindest hinsichtlich der Maßnahmebemessung, § 13 BDG, weil die überlange Dauer des Disziplinarverfahrens nicht in die Maßnahmebemessung eingeflossen ist. Dieser Aspekt - der im Widerspruchsbescheid bei den Erwägungen zur Maßnahmebemessung nicht erwähnt ist - ist entgegen der Auffassung der Beklagten in der Klageerwiderungsschrift auch nicht deshalb ohne Bedeutung, weil während des laufenden Widerspruchsverfahrens ein zweites Disziplinarverfahren gegen den Kläger eingeleitet und dann im Hinblick auf das sachgleiche strafrechtliche Ermittlungsverfahren ausgesetzt worden ist.

3 Zwar war der Dienstherr in dieser Lage nicht durch den Grundsatz der Einheit des Dienstvergehens gezwungen, beide disziplinarrechtlichen Vorwürfe in nur einem Disziplinarverfahren zu prüfen und ggf. zu ahnden. Denn unter der Geltung des Bundesdisziplinargesetzes gebietet der Grundsatz der Einheit des Dienstvergehens - anders als nach der früheren Bundesdisziplinarordnung - nicht mehr die gleichzeitige Entscheidung über mehrere Pflichtverstöße eines Beamten. Dem Grundsatz der Einheit des Dienstvergehens ist nicht mehr vorwiegend durch bestimmte Verfahrensweisen, sondern materiell-rechtlich durch die abschließende Würdigung der Dienstpflichtverletzungen des Beamten Rechnung zu tragen; bei der Bestimmung der angemessenen Disziplinarmaßnahme im letzten von mehreren aufeinander folgenden Verfahren ist eine einheitliche Würdigung des gesamten Dienstvergehens vorzunehmen. Ist bereits ein Disziplinarverfahren eingeleitet und ergibt sich der Verdacht weiterer Dienstpflichtverletzungen des Beamten aufgrund eines anderen Sachverhalts, so ist die zuständige Stelle verpflichtet, entweder ein weiteres Disziplinarverfahren einzuleiten oder das bereits laufende Verfahren auf die neuen Handlungen auszudehnen (stRspr, vgl. nur BVerwG, Beschlüsse vom 29. Juli 2009 - 2 B 15.09 - Buchholz 232 § 77 BBG Nr. 29 Rn. 6 ff. und vom 27. Dezember 2017 - 2 B 41.17 - Buchholz 235.2 LDisziplinarG Nr. 55 Rn. 10, jeweils m.w.N.).

4 Dementsprechend musste im vorliegenden Fall der Dienstherr den neuen disziplinarrechtlichen Vorwurf zwar nicht in das laufende Disziplinarverfahren einbeziehen, sondern durfte ein zweites Disziplinarverfahren eröffnen. Allerdings war es dann auch seine Pflicht, das - erste und im vorliegenden Fall streitgegenständliche - Disziplinarverfahren entsprechend dem Beschleunigungsgebot des § 4 BDG zügig zum Abschluss zu bringen. Geschieht das nicht, kann dies bei entsprechender Verfahrensdauer eine Milderung der Disziplinarmaßnahme ermöglichen und gebieten.

5 Denn anders als bei einer statusbeendenden Disziplinarmaßnahme kann bei einer pflichtenmahnenden Disziplinarmaßnahme im Falle einer überlangen Verfahrensdauer das disziplinarrechtliche Sanktionsbedürfnis gemindert sein, weil die mit dem Disziplinarverfahren verbundenen beruflichen und wirtschaftlichen Nachteile positiv auf den Beamten eingewirkt haben. Dann kann aus Gründen der Verhältnismäßigkeit eine unangemessen lange Verfahrensdauer bei der Bestimmung der Disziplinarmaßnahme mildernd zu berücksichtigen sein (stRspr, vgl. nur BVerwG, Urteil vom 28. Februar 2013 - 2 C 3.12 - BVerwGE 146, 98 Rn. 54 m.w.N.).

6 Eine überlange Dauer des - hier: behördlichen - Disziplinarverfahrens dürfte bei einem sachlich nicht gerechtfertigten Untätigbleiben im Widerspruchsverfahren über fast sechs Jahre hinweg ohne Weiteres anzunehmen sein. Damit dürfte die Disziplinarverfügung in der Gestalt des Widerspruchsbescheids rechtswidrig sein. Zumindest im Hinblick auf die überlange Verfahrensdauer dürfte im Übrigen auch eine geringere Geldbuße als die im Widerspruchsbescheid ausgesprochenen 500 € nicht in Betracht kommen.

7 Einer Festsetzung des Streitwerts bedarf es nicht, weil für das Klageverfahren Festgebühren nach dem Gebührenverzeichnis der Anlage zu § 78 BDG erhoben werden.