Beschluss vom 13.07.2018 -
BVerwG 3 PKH 7.17ECLI:DE:BVerwG:2018:130718B3PKH7.17.0

Beschluss

BVerwG 3 PKH 7.17

  • VG Halle - 22.09.2017 - AZ: VG 1 A 288/15 HAL

In der Verwaltungsstreitsache hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 13. Juli 2018
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Philipp,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Wysk und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Kuhlmann
beschlossen:

Der Antrag des Klägers, ihm für das Beschwerdeverfahren BVerwG 3 B 43.17 gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Halle vom 22. September 2017 Prozesskostenhilfe zu bewilligen und ihm Rechtsanwalt V. aus F. beizuordnen, wird abgelehnt.

Gründe

1 Dem Kläger kann Prozesskostenhilfe nicht bewilligt und ein Rechtsanwalt beigeordnet werden, weil die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Halle vom 22. September 2017 keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1, § 121 Abs. 1 ZPO).

2 Der Kläger begehrt seine berufliche Rehabilitierung nach dem Beruflichen Rehabilitierungsgesetz (BerRehaG).

3 Der Beklagte stellte auf Antrag des Klägers mit Bescheid vom 6. November 2015 dessen Verfolgteneigenschaft fest, lehnte die Gewährung von Folgeleistungen der beruflichen Rehabilitierung jedoch ab, weil in der Person des Klägers Ausschließungsgründe nach § 4 BerRehaG vorlägen. Diese Ausschließungsgründe hat das Verwaltungsgericht im klageabweisenden Urteil vom 22. September 2017 bestätigt und zur Begründung ausgeführt, der Kläger habe sich freiwillig zu einer konspirativen Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Staatssicherheit der DDR (MfS) verpflichtet und durch umfangreiche Spitzeltätigkeiten in der Zeit von Juli 1983 bis Mai 1984 gegen Grundsätze der Menschlichkeit verstoßen. Einem unerträglichen Druck sei der Kläger nicht ausgesetzt gewesen. Es sei nicht ersichtlich, dass ihm im Weigerungsfall ein schweres Übel gedroht habe. Es könne auch nicht festgestellt werden, dass seine psychische Erkrankung für die Spitzeltätigkeit ursächlich geworden sei. Die Erkrankung habe keinen die Freiwilligkeit ausschließenden Druck zur Folge gehabt.

4 Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil wird auf der Grundlage der anwaltlichen Beschwerdebegründung voraussichtlich keinen Erfolg haben. Die geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor.

5 1. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Diese liegt nur dann vor, wenn eine konkrete, jedoch fallübergreifende Rechtsfrage dargelegt wird, deren Klärung in einem Revisionsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint. Eine Frage, die nach diesem Maßstab revisionsgerichtlicher Klärung zugänglich wäre, ist in der Beschwerdeschrift nicht ausdrücklich formuliert. Sie ist daraus auch nicht ersichtlich. Soweit die Beschwerde unter "3. Rechtliche Ausführungen" geklärt wissen will, ob sich der Kläger in einer die Freiwilligkeit seiner Spitzeltätigkeit ausschließenden Notlage befunden hatte, kritisiert sie die Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts und stellt die konkreten Fallumstände nach Art einer Berufungsbegründung zur erneuten Würdigung durch das Revisionsgericht. Eine verallgemeinerungsfähige, fallübergreifende Frage wird damit nicht aufgeworfen. Das zeigt auch die auf den Einzelfall abstellende Wendung unter "4. Zulassungsgründe", es sei "in der vorliegenden Konstellation" zu klären, ob ein beachtlicher Ausschließungsgrund vorliege.

6 Dasselbe gilt, soweit die Beschwerde beanstandet, was das Verwaltungsgericht zum Vorliegen einer psychischen Erkrankung des Klägers bereits vor der Haftzeit und deren Bedeutung für die Annahme eines Ausschließungsgrundes nach § 4 BerRehaG ausgeführt hat (UA S. 8 f.). Fallübergreifendes wird daraus nicht erkennbar. Die Frage, ob die Ausnutzung einer (psychischen) Notlage durch Mitarbeiter des MfS den Betroffenen derart unter Druck gesetzt hat, dass die Freiwilligkeit seiner Spitzeltätigkeit zu verneinen ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab und entzieht sich einer generalisierenden Aussage (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10. Januar 2018 - 3 B 59.16 [ECLI:​DE:​BVerwG:​2018:​100118B3B59.16.0] - LKV 2018, 124).

7 2. Auch der auf dieser Grundlage geltend gemachte Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO liegt nicht vor. Das Verwaltungsgericht hat seine Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) nicht verletzt. Es hat den in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag des Klägers, ein Sachverständigengutachten zum Beweis der Tatsache einzuholen, dass bei ihm vor der Haftzeit eine psychische Erkrankung vorgelegen habe, verfahrensfehlerfrei abgelehnt. Das Verwaltungsgericht hat den Beweisantrag gemäß § 86 Abs. 2 VwGO noch in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich beschieden und die Ablehnung damit begründet, die unter Beweis gestellte Tatsache sei bereits durch das vorgelegte psychiatrische Gutachten vom 29. September 2013 nachgewiesen, wonach bei dem Kläger eine Persönlichkeitsstörung vorgelegen hätte, die aber keinen ausgeprägten Krankheitswert gehabt hätte (Protokoll über die öffentliche Sitzung vom 22. September 2017, S. 3). Dieser Ablehnungsgrund findet im Prozessrecht eine hinreichende Stütze. Danach muss einem Beweisantrag nicht nachgegangen werden, wenn die Tatsache, die bewiesen werden soll, schon erwiesen ist (§ 244 Abs. 3 Satz 2 Alt. 3 StPO entsprechend). Das Gleiche gilt, wenn das Gericht die behauptete Tatsache zugunsten des Antragstellers als wahr unterstellt (§ 244 Abs. 3 Satz 2 a.E. StPO entsprechend). Ohne Erfolg bleibt daher der Einwand des Klägers, das Verwaltungsgericht könne sich für seine Überzeugung, dass er bereits vor der Inhaftierung an einer psychiatrischen Erkrankung gelitten habe, nicht auf das Gutachten vom 29. September 2013 stützen, weil sich die Gutachterin mit dieser Frage nicht vertieft befasst habe. Für die Beurteilung, ob der Beweisantrag verfahrensfehlerfrei abgelehnt worden ist, kommt es allein darauf an, dass das Verwaltungsgericht die behauptete Tatsache als erwiesen behandelt und der angegriffenen Entscheidung zugrunde gelegt hat (vgl. UA S. 8 unten, S. 9 erster Absatz).

8 Die Beschwerde zeigt auch nicht auf, dass sich dem Verwaltungsgericht die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Klärung der Frage aufdrängen musste, ob sich der Kläger zum Zeitpunkt seiner Verpflichtungserklärung am 7. Juli 1983 und während seiner Tätigkeit für das MfS (Juli 1983 bis Mai 1984) infolge der Erkrankung in einer psychischen Notlage befunden hat, durch die er einem die Freiwilligkeit der Spitzeltätigkeit ausschließenden Druck ausgesetzt war. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist eine Spitzeltätigkeit für das MfS als unfreiwillig zu bewerten, wenn sie unter Zwang aufgenommen und fortgeführt wurde. Eine Zwangsanwendung kann auch in der Ausnutzung einer psychischen oder sozialen Notlage liegen. Diese muss aber das bei der nachrichtendienstlichen Quellenwerbung übliche Maß deutlich überschreiten. Von einem die Freiwilligkeit ausschließenden Druck kann daher nur dann gesprochen werden, wenn er für den Betreffenden unerträglich war, das heißt wenn von diesem auch unter Berücksichtigung des durch die Spitzeltätigkeit mutmaßlich angerichteten Schadens nicht erwartet bzw. verlangt werden konnte, sich zu widersetzen. Ob jemand gemessen daran eine Tätigkeit als Inoffizieller Mitarbeiter des MfS unfreiwillig ausgeübt hat, ist unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zu beurteilen. Dabei sind die Persönlichkeitsstruktur und die Lebensumstände des Inoffiziellen Mitarbeiters zu bedenken. Außerdem kommt es auf die Schwere des Übels an, dessen Zufügung ihm im Fall der Verweigerung drohte (BVerwG, Urteil vom 8. März 2002 - 3 C 23.01 - BVerwGE 116, 100 <102 f.>; Beschlüsse vom 14. April 2010 - 3 PKH 16.09 - ZOV 2010, 151 Rn. 3 und vom 10. Januar 2018 - 3 B 59.16 - LKV 2018, 124 Rn. 6).

9 Diese Grundsätze hat das Verwaltungsgericht zugrunde gelegt und unter Auswertung der ihm vorliegenden Erkenntnismittel festgestellt, dass der Kläger sich in keiner psychischen Notlage befunden habe, durch die er einem die Freiwilligkeit ausschließenden Druck ausgesetzt gewesen sei (UA S. 8 f.). Angesichts dieses Ergebnisses seiner Sachverhalts- und Beweiswürdigung bestand für das Verwaltungsgericht kein Anlass zu einer weiteren Aufklärung. Ein Verfahrensfehler im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ergibt sich auch nicht, soweit die Beschwerde die gerichtliche Würdigung für unzutreffend hält und ihr eine eigene Bewertung entgegensetzt. Die Sachverhalts- und Beweiswürdigung ist revisionsrechtlich dem materiellen und nicht dem Verfahrensrecht zuzuordnen; ein etwaiger Fehler in diesem Bereich begründet daher grundsätzlich keinen Verfahrensmangel. Eine Ausnahme hiervon, die etwa bei einer von objektiver Willkür geprägten Sachverhaltswürdigung in Betracht kommt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 21. November 2017 - 1 B 148.17 [ECLI:​DE:​BVerwG:​2017:​211117B1B148.17.0] - juris Rn. 7 m.w.N.), hat die Beschwerde nicht dargelegt.