Beschluss vom 13.07.2022 -
BVerwG 5 AV 4.21ECLI:DE:BVerwG:2022:130722B5AV4.21.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 13.07.2022 - 5 AV 4.21 - [ECLI:DE:BVerwG:2022:130722B5AV4.21.0]

Beschluss

BVerwG 5 AV 4.21

  • VG Hamburg - 18.10.2021 - AZ: 9 K 653/21

In der Verwaltungsstreitsache hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 13. Juli 2022
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Störmer
und die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Stengelhofen-Weiß und Dr. Harms
beschlossen:

Als zuständiges Gericht wird das Verwaltungsgericht Hamburg bestimmt.

Gründe

I

1 Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits ist die Kostentragung für eine stationäre Krankenhausbehandlung. Der Kläger (ein Universitätsklinikum) macht gegenüber der beklagten Stadt, welche die Unterbringung einer Person in der geschlossenen Abteilung der psychiatrischen Krankenabteilung herbeigeführt hatte, einen Anspruch auf Zahlung von Kosten für die stationäre Behandlung der im Sinne des Hamburgischen Gesetzes über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten (HmbPsychKG) untergebrachten Person geltend.

2 Das vom Kläger zunächst angerufene Sozialgericht Hamburg hat mit Beschluss vom 28. Dezember 2020 den Rechtsweg zu den Sozialgerichten für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Verwaltungsgericht Hamburg verwiesen.

3 Das Verwaltungsgericht hat die Beteiligten darauf hingewiesen, dass es sich für unzuständig halte, weil der Rechtsweg zu den Sozialgerichten und nicht zu den Verwaltungsgerichten eröffnet sei. Mit Beschluss vom 18. Oktober 2021 hat es den Verwaltungsrechtsweg für unzulässig erklärt und das Bundesverwaltungsgericht zur Bestimmung des zuständigen Gerichts angerufen.

II

4 1. Das Bundesverwaltungsgericht ist zur Entscheidung des negativen Kompetenzkonflikts zwischen dem Sozialgericht Hamburg und dem Verwaltungsgericht Hamburg berufen.

5 Gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 5 i. V. m. Abs. 3 Satz 1 VwGO wird ein negativer Kompetenzkonflikt zwischen Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit von dem Gericht entschieden, das den beteiligten Gerichten übergeordnet ist. Zwar ist diese Vorschrift auf den Kompetenzkonflikt zwischen einem Verwaltungsgericht und einem Sozialgericht weder unmittelbar anwendbar noch gibt es für einen solchen Fall an anderer Stelle eine gesetzliche Regelung. Diese Regelungslücke ist aber - im Einklang mit der Rechtsprechung anderer oberster Gerichtshöfe des Bundes - in der Weise zu schließen, dass dasjenige oberste Bundesgericht den negativen Kompetenzkonflikt zwischen den Gerichten verschiedener Gerichtszweige entscheidet, das einem der beteiligten Gerichte übergeordnet ist und zuerst angegangen wird. Denn obwohl ein nach § 17a GVG ergangener und unanfechtbar gewordener Beschluss, mit dem ein Gericht den bestrittenen Rechtsweg für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an ein anderes Gericht verwiesen hat, nach dem Gesetz keiner weiteren Überprüfung unterliegt, ist eine Zuständigkeitsbestimmung in Analogie zu § 53 Abs. 1 Nr. 5 VwGO im Interesse einer funktionierenden Rechtspflege und der Rechtssicherheit geboten, wenn es in einem Verfahren zu Zweifeln über die Bindungswirkung der Verweisung kommt und deshalb keines der in Frage kommenden Gerichte bereit ist, die Sache zu bearbeiten (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 12. November 2021 - 5 AV 1.21 - juris Rn. 5 und vom 7. Februar 2022 - 5 AV 5.21 - juris Rn. 5, jeweils m. w. N.). Eine solche Situation ist hier gegeben. Sowohl das Sozialgericht Hamburg als auch das Verwaltungsgericht Hamburg haben entschieden, dass der Rechtsweg zu ihnen unzulässig sei.

6 2. Für die Entscheidung im vorliegenden Verfahren ist das Verwaltungsgericht Hamburg zuständig. Der Verweisungsbeschluss des Sozialgerichts Hamburg vom 28. Dezember 2020 entfaltet gemäß § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG Bindungswirkung. Die Voraussetzungen, unter denen ein Verweisungsbeschluss eines Gerichts ausnahmsweise keine Bindungswirkung entfaltet, liegen hier nicht vor.

7 Gemäß § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG ist ein Verweisungsbeschluss für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, hinsichtlich des Rechtswegs bindend. Die Bindungswirkung tritt auch bei einem fehlerhaften Verweisungsbeschluss ein, etwa wenn der Rechtsweg zu dem verweisenden Gericht entgegen dessen Rechtsauffassung gegeben war oder das Gericht den Verweisungsbeschluss entgegen § 17a Abs. 4 Satz 2 GVG nicht begründet oder unter Verletzung des rechtlichen Gehörs getroffen hat. Mit Rücksicht auf die in § 17a GVG eröffnete Möglichkeit, einen Verweisungsbeschluss in dem in § 17a Abs. 4 Satz 3 bis 6 GVG vorgesehenen Instanzenzug überprüfen zu lassen, kann die gesetzlich angeordnete Bindungswirkung eines unanfechtbaren Verweisungsbeschlusses allenfalls bei extremen Rechtsverstößen durchbrochen werden. Das ist nur dann der Fall, wenn sich die Verweisung bei der Auslegung und Anwendung der Zuständigkeitsnormen so weit von dem diese beherrschenden verfassungsrechtlichen Grundsatz des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) entfernt hat, dass sie schlechthin nicht mehr zu rechtfertigen ist. Hiervon kann ausgegangen werden, wenn die Entscheidung bei verständiger Würdigung nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist (BVerwG, Beschlüsse vom 29. Dezember 2021 - 3 AV 1.21 - NVwZ 2022, 421 Rn. 11 und vom 7. Februar 2022 - 5 AV 5.21 - juris Rn. 7, jeweils m. w. N.).

8 Der Verweisungsbeschluss des Sozialgerichts Hamburg vom 28. Dezember 2020 erweist sich nicht als in dieser Weise qualifiziert fehlerhaft. Das Sozialgericht geht davon aus, dass der Verwaltungsrechtsweg gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO eröffnet sei, weil eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nicht verfassungsrechtlicher Art vorliege und die Voraussetzungen für eine die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte ausschließende ausdrückliche Zuweisung an die Sozialgerichte nach § 51 SGG, namentlich § 51 Abs. 1 Nr. 6a SGG, nicht gegeben sei. Das gelte insbesondere auch, soweit der Kläger den geltend gemachten Kostenerstattungsanspruch auf § 25 SGB XII - der grundsätzlich den Rechtsweg zu den Sozialgerichten eröffnen kann - stütze. Ob das Sozialgericht dabei allen insoweit zu berücksichtigenden Belangen ausreichend Rechnung getragen hat, bedarf keiner Entscheidung, weil sich der Verweisungsbeschluss jedenfalls nicht als völlig unverständlich und offensichtlich unhaltbar oder - wie das Verwaltungsgericht Hamburg meint - willkürlich erweist.

9 Ob für das Klagebegehren eine Anspruchsgrundlage in Betracht kommt, die in dem beschrittenen Rechtsweg zu verfolgen ist, ist auf der Grundlage des Klageantrags und des zu seiner Begründung vorgetragenen Sachverhalts zu prüfen (BVerwG, Beschluss vom 15. Dezember 1992 - 5 B 144.91 - Buchholz 300 § 17a GVG Nr. 5 S. 5 m. w. N.). Für die Rechtswegeröffnung ist allein die wirkliche Natur des behaupteten Rechtsverhältnisses und nicht die rechtliche Qualifizierung durch den Kläger maßgeblich (BVerwG, Beschluss vom 17. März 2010 - 7 AV 1.10 - Buchholz 300 § 17a GVG Nr. 29 Rn. 8). Bei der Prüfung des Rechtsweges sind lediglich solche Anspruchsgrundlagen nicht zu berücksichtigen, die aufgrund des vorgetragenen Sachverhalts offensichtlich nicht gegeben und insbesondere erkennbar vom Rechtssuchenden nur mit dem Ziel erhoben worden sind, einen bestimmten Rechtsweg beschreiten zu können (BVerwG, Beschlüsse vom 4. März 2015 - 6 B 58.14 - juris Rn. 11 und vom 30. April 2002 - 4 B 72.01 - juris Rn. 12, jeweils m. w. N.; BSG, Beschluss vom 25. März 2021 - B 1 SF 1/20 R - juris Rn. 10 m. w. N.). Dementsprechend steht der Umstand, dass sich der Kläger auf eine materielle Anspruchsgrundlage beruft, für die der beschrittene Rechtsweg zulässig wäre, einer Verweisung dann nicht entgegen, wenn diese Anspruchsgrundlage aufgrund des vorgetragenen Sachverhalts so offensichtlich nicht gegeben sein kann, dass kein Bedürfnis dafür besteht, die Klage insoweit mit Rechtskraftwirkung abzuweisen (BVerwG, Beschluss vom 15. Dezember 1992 - 5 B 144.91 - Buchholz 300 § 17a GVG Nr. 5 S. 5 m. w. N.). Gemessen daran ist es nicht völlig unverständlich oder offensichtlich unhaltbar, dass das Sozialgericht Hamburg die Eröffnung des Rechtswegs zu den Sozialgerichten verneint und den Rechtsstreit an das Verwaltungsgericht Hamburg verwiesen hat.

10 Nach § 25 Satz 1 SGB XII hat derjenige, der in einem Eilfall einem Anderen Leistungen erbracht hat, die bei rechtzeitigem Einsetzen von Sozialhilfe nicht zu erbringen gewesen wären, einen Anspruch auf Erstattung seiner Aufwendungen in gebotenem Umfang, wenn er sie nicht auf Grund rechtlicher oder sittlicher Pflicht selbst zu tragen hat. In der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist insoweit geklärt, dass der Anspruch des Nothelfers nach § 25 SGB XII in Abgrenzung zum Anspruch des Leistungsberechtigten nur dann besteht, wenn der Sozialhilfeträger keine Kenntnis vom Leistungsfall hat und ein Anspruch des Hilfebedürftigen gegen den Sozialhilfeträger (nur) deshalb nicht entsteht. Die Kenntnis des Sozialhilfeträgers bildet insoweit die Zäsur für die sich gegenseitig ausschließenden Ansprüche des Nothelfers und des Leistungsberechtigten (BSG, Beschluss vom 1. März 2018 - B 8 SO 63/17 B - GesR 2018, 539 Rn. 8 m. w. N.). Diese Rechtsprechung hat auch das Sozialgericht Hamburg seinem Verweisungsbeschluss zugrunde gelegt. Es hat in Anwendung derselben angenommen, dass die Beklagte vor der Unterbringung der Patientin im Krankenhaus Kenntnis von dem möglichen Leistungsfall hatte, weil sie die Unterbringung der betroffenen Person im Krankenhaus selbst initiiert habe und ihr zu diesem Zeitpunkt bekannt gewesen sei, dass die Person möglicherweise nicht krankenversichert gewesen sei und Hilfebedürftigkeit bestanden habe. Damit hat das Sozialgericht Hamburg nicht - wovon offenbar das Verwaltungsgericht Hamburg ausgeht - den zu ihm beschrittenen Rechtsweg im Hinblick auf die (bloße) Unbegründetheit der Klage verneint, sondern es hat sich darauf gestützt, dass die Klage unter keinem überhaupt in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkt erfolgversprechend im Sozialrechtsweg verfolgt werden könne, der deshalb nicht eröffnet sei. Ob es insoweit zusätzlich darauf ankommt, dass der Vortrag des Klägers auf die Eröffnung des (nicht gegebenen) Rechtswegs ausgerichtet ist, wie das Verwaltungsgericht Hamburg meint und wofür vorliegend nichts spricht, bedarf mangels Erheblichkeit keiner Entscheidung. Denn selbst wenn der Verweisungsbeschluss des Sozialgerichts Hamburg insoweit fehlerhaft sein sollte, wäre er nicht völlig unverständlich oder offensichtlich unhaltbar. Gleiches gilt auch, soweit das Sozialgericht Hamburg andere sozialhilferechtliche Anspruchsgrundlagen nicht in Betracht gezogen hat, namentlich nicht die vom Verwaltungsgericht Hamburg unter Hinweis auf dessen Urteil vom 7. Januar 2021 - 17 K 4067/20 - angesprochenen §§ 48, 52 Abs. 3 Satz 1 SGB XII, selbst wenn sich - was der Senat hier nicht zu entscheiden hat - der vom Kläger geltend gemachte Anspruch dem Grunde nach auf diese Vorschriften stützen lassen können sollte.

11 Vor dem Hintergrund der Einschätzung des Sozialgerichts Hamburg, der Rechtsweg zu den Sozialgerichten sei hier nicht eröffnet, ist auch dessen weitere Annahme, der Verwaltungsrechtsweg sei eröffnet, unabhängig von ihrer Richtigkeit entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts Hamburg jedenfalls im Ergebnis nicht unhaltbar. Dies ergibt sich schon aus der eingangs dargestellten Regelungssystematik des § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO einerseits und des § 51 SGG andererseits, wonach die Verwaltungsgerichte in allen nicht ausdrücklich anderen Gerichten zugewiesenen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten entscheiden.