Beschluss vom 13.07.2023 -
BVerwG 1 W-VR 10.23ECLI:DE:BVerwG:2023:130723B1WVR10.23.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 13.07.2023 - 1 W-VR 10.23 - [ECLI:DE:BVerwG:2023:130723B1WVR10.23.0]

Beschluss

BVerwG 1 W-VR 10.23

In dem Wehrbeschwerdeverfahren hat der 1. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch
den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Häußler,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Langer und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Koch
am 13. Juli 2023 beschlossen:

  1. Das Verfahren wird eingestellt.
  2. Die der Antragstellerin im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht erwachsenen notwendigen Aufwendungen werden dem Bund auferlegt.

Gründe

I

1 Das Verfahren betraf die Aufhebung einer Kommandierung der Antragstellerin zu einem Lehrgang.

2 Die ... geborene Antragstellerin ist Soldatin auf Zeit; ihre festgesetzte Dienstzeit endet mit Ablauf des 30. September 2024. Zuletzt wurde sie zum 1. Oktober 2020 zum Stabsunteroffizier befördert. Sie wird derzeit auf einem dienstpostenähnlichen Konstrukt (Ausbildung) bei der ... in ... verwendet.

3 Mit Verfügung Nr. ... vom 27. April 2023 kommandierte das Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr die Antragstellerin für die Zeit vom 19. Juni bis 13. Oktober 2023 zum Feldwebellehrgang für Feldjäger (Lehrgang mit Prüfung gemäß SLV) an die Schule ... Mit Verfügung vom 24. Mai 2023 hob das Bundesamt für das Personalmanagement diese Kommandierung wieder auf; als Grund der Aufhebung ist angeführt: "Fehlende Voraussetzung".

4 Mit Schreiben vom 8. Juni 2023 erhob die Antragstellerin Beschwerde gegen die Aufhebung der Kommandierung und beantragte ihre vorläufige Kommandierung zum Feldwebellehrgang bis zum Abschluss des Beschwerdeverfahrens.

5 Mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 13. Juni 2023 beantragte sie außerdem beim Bundesverwaltungsgericht vorläufigen Rechtsschutz. In der Sache beantragte sie, die aufschiebende Wirkung der Beschwerde vom 8. Juni 2023 gegen die Aufhebung der Kommandierung vom 24. Mai 2023 anzuordnen, deren Vollziehung bis zu einer Entscheidung über den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz auszusetzen (Schiebebeschluss), sowie anzuordnen, dass sie am Feldwebellehrgang für Feldjäger beginnend mit dem 19. Juni 2023 teilnehmen darf.

6 Seit dem 12. Juni 2023 wurde die Antragstellerin stationär im Bundeswehrkrankenhaus ... behandelt. Mit Schreiben vom 22. Juni 2023 teilte der Kommandeur und Ärztliche Direktor des Bundeswehrkrankenhauses ... mit, dass bei der Antragstellerin derzeit keine Lehrgangstauglichkeit bestehe.

7 Unter Hinweis auf diese gesundheitlichen Gründe hat der Bevollmächtigte der Antragstellerin mit Schriftsatz vom 22. Juni 2023 den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz für erledigt erklärt und beantragt,
die Kosten des Verfahrens der Antragsgegnerin aufzuerlegen.

8 Das Bundesministerium der Verteidigung hat sich mit Schreiben vom 22. Juni 2023 der Erledigungserklärung unter Verwahrung gegen die Kostentragung angeschlossen.

9 Wegen aller weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten verwiesen.

II

10 Nachdem die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren in entsprechender Anwendung von § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen und gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 20 Abs. 3 WBO nur noch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden. Für die Kostenentscheidung sind die im Prozessrecht allgemein geltenden Grundsätze maßgebend. Danach ist bei übereinstimmender Erledigungserklärung über die Kosten nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes zu entscheiden (§ 20 Abs. 3 WBO, § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO; stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 22. April 2008 - 1 WB 4.08 - Rn. 8 m. w. N.).

11 Billigem Ermessen entspricht es hier, die notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin dem Bund aufzuerlegen, weil im Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses ihr Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz (§ 21 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 17 Abs. 6 Satz 2 und 3 WBO) voraussichtlich Erfolg gehabt hätte.

12 Nach den vorgelegten Teilen der Verfahrensakte war die Aufhebung der Kommandierung im Wesentlichen dadurch veranlasst, dass der Verdacht bestehe, die Antragstellerin sei im November 2022 an der Schule ... Opfer einer Vergewaltigung, mutmaßlich durch einen Angehörigen der Schule, geworden, und die Antragstellerin sich einerseits weigere, an der Aufklärung der Tat mitzuwirken und insbesondere den Namen des potentiellen Täters zu nennen, andererseits aber im Juni 2023 bei Teil 3 des Feldwebellehrgangs mit weiteren Vergewaltigungen rechne. Aus Fürsorgegesichtspunkten sei ihr daher die Teilnahme an dem Lehrgang zu untersagen. Die Antragstellerin hat hierzu erklärt, den Beschuldigten einer Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung schon deshalb nicht benennen zu können, weil sie keine Erinnerungen an ein Belästigungsgeschehen im November 2022 habe; des Weiteren bestreite sie, erklärt zu haben, dass es sich bei dem potentiellen Täter um einen Angehörigen der Schule gehandelt habe und sie im Juni 2023 mit weiteren Vergewaltigungen rechne; zutreffend sei lediglich, dass sie im Jahre 2018 im privaten, außerdienstlichen Umfeld Opfer eines sexuellen Übergriffs gewesen sei. Das Kommando ... hat mit Vermerk vom 11. Mai 2023 festgestellt, dass von weiteren Ermittlungen abgesehen werde, da ohne die Mitwirkung des Opfers nicht mit einer Aufklärung zu rechnen sei.

13 Nach dem Erkenntnisstand im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes war es auf dieser Tatsachengrundlage nicht gerechtfertigt, die Kommandierung der Antragstellerin zum Feldwebellehrgang aufzuheben. Die Aufhebung, für die das Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr keine bestimmte Rechtsgrundlage bezeichnet hat, ist sowohl als Rücknahme (§ 48 VwVfG) als auch und erst recht als Widerruf (§ 49 VwVfG) ermessensfehlerhaft und damit rechtswidrig.

14 Der Ausschluss von einem erforderlichen Laufbahnlehrgang stellt - mindestens durch den zeitlichen Aufschub bis zu einer nächsten Teilnahmemöglichkeit - einen schwerwiegenden Eingriff und Karrierenachteil dar. Demgegenüber beruht die Prognose, die Antragstellerin könne während des Feldwebellehrgangs Opfer einer Sexualstraftat werden, auf weithin ungesicherten und bestrittenen Annahmen. Schon dies lässt an der Verhältnismäßigkeit des Mittels zweifeln. Vor allem aber tragen die Erwägungen, die der Aufhebung der Kommandierung zugrunde liegen, nicht der Tatsache Rechnung, dass die Antragstellerin als potentielles Opfer einer Straftat und damit - im gefahrenabwehrrechtlichen Sinne - nicht als Störerin oder Zweckveranlasserin, sondern als Nichtstörerin in Anspruch genommen wird. Eine zu ihren Lasten gehende Vorgehensweise kommt deshalb nur in Betracht, wenn andere Mittel, einen störungsfreien Ablauf des Feldwebellehrgangs zu gewährleisten, keinen Erfolg versprechen. Es ist nichts dafür vorgetragen, dass die Gewährleistung eines störungsfreien Ablaufs - zumal angesichts der hier gegebenen vorherigen Sensibilisierung - nicht mit den zur Verfügung stehenden dienst- und disziplinarrechtlichen Mitteln möglich gewesen wäre.

15 Soweit sich das Bundesministerium der Verteidigung außerdem auf die Lehrgangsuntauglichkeit der Antragstellerin aus Gesundheitsgründen stützt, ist dies ein erst im Laufe des gerichtlichen Verfahrens festgestellter Umstand, dem der Bevollmächtigte der Antragstellerin mit der Erledigungserklärung unverzüglich Rechnung getragen hat. Bis zur Entscheidung über die Aufhebung der Kommandierung lag nur die Mitteilung der Einheit der Antragstellerin (E-Mail vom 16. Mai 2023) vor, dass eine "BA 90/5 Lehrgangstauglichkeit" eingeleitet sei, der sich ein bestimmtes Ergebnis der Begutachtung freilich nicht entnehmen lässt; der gleichzeitige Antrag auf Aufhebung der Kommandierung erfolgte jedoch allein unter Verweis auf die mögliche Gefährdung der Antragstellerin beim Lehrgang.