Beschluss vom 13.10.2020 -
BVerwG 1 WB 79.19ECLI:DE:BVerwG:2020:131020B1WB79.19.0

Verweisung an das Arbeitsgericht

Leitsatz:

Für Streitigkeiten um die Kosten, die durch die Tätigkeit der Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen bei einer militärischen Dienststelle entstehen, ist der Rechtsweg nicht zu den Wehrdienstgerichten, sondern zu den Gerichten für Arbeitssachen eröffnet.

  • Rechtsquellen
    WBO § 17 Abs. 1, § 18 Abs. 3
    ArbGG § 2a Abs. 1 Nr. 3a und Abs. 2, § 82 Abs. 1 Satz 1
    SGB IX § 179 Abs. 8
    SBG § 17, § 33 Abs. 7, § 42 Abs. 6, § 63 Abs. 3
    SGleiG § 22

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 13.10.2020 - 1 WB 79.19 - [ECLI:DE:BVerwG:2020:131020B1WB79.19.0]

Beschluss

BVerwG 1 WB 79.19

In dem Wehrbeschwerdeverfahren hat der 1. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch
den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Häußler,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Langer und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Eppelt
am 13. Oktober 2020 beschlossen:

  1. Der Rechtsweg zu den Wehrdienstgerichten ist unzulässig.
  2. Der Rechtsstreit wird an das Arbeitsgericht ... verwiesen.

Gründe

I

1 Der Antragsteller war Berufssoldat, zuletzt im Dienstgrad Hauptfeldwebel. Er wurde zum 31. Oktober ... gemäß § 44 Abs. 3 SG wegen Dienstunfähigkeit zur Ruhe gesetzt. Bis zur Zurruhesetzung war er Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen beim ...

2 Mit Schreiben vom 7. Februar 2017 beantragte der Antragsteller in seiner Funktion als Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen die Übernahme von Anwaltskosten für die rechtliche Prüfung mehrerer beteiligungspflichtiger Maßnahmen sowie die Gestellung einer halbtags beschäftigten Bürokraft für fünf Tage pro Woche zur Unterstützung seiner Tätigkeit als Vertrauensperson.

3 Mit Bescheid vom 11. April 2017 lehnte der ... diese Anträge ab. Hiergegen erhob der Antragsteller unter dem 3. Mai 2017 Beschwerde. Mit Bescheid vom 11. März 2019 wies der Generalinspekteur der Bundeswehr diese als unzulässig zurück, weil dem Antragsteller nach seinem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst und der dadurch bedingten Beendigung seiner Funktion als Vertrauensperson das Rechtsschutzbedürfnis fehle. Die dagegen eingelegte weitere Beschwerde vom 18. April 2019 wies das Bundesministerium der Verteidigung mit Bescheid vom 27. Mai 2019 zurück.

4 Hiergegen hat der Antragsteller mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 30. Juni 2019 die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts beantragt. Das Bundesministerium der Verteidigung hat den Antrag mit seiner Stellungnahme vom 13. Dezember 2019 dem Senat vorgelegt.

5 Mit dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung verfolgt der Antragsteller seine Anliegen weiter und beantragt,
1. festzustellen, dass die Wertung seines Schreibens vom 7. Februar 2017 als Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen beim ... an den ... als Wehrbeschwerde rechtswidrig gewesen ist und ihn in seinen Rechten aus dem Sozialgesetzbuch, Neuntes Buch, insbesondere § 179 SGB IX, folgenden spezialgesetzlich geregelten Rechten als Vertrauensperson von Menschen mit Behinderungen verletzt hat,
2. (nicht belegt),
3. festzustellen, dass die Regelungen des Soldatinnen- und Soldatenbeteiligungsgesetzes auf die Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen in dieser Funktion keine Anwendung finden, auch wenn sie im Status Soldatin oder Soldat ist,
4. festzustellen, dass der Vertreter des Dienstherrn in seiner Funktion als Arbeitgeber nicht darüber entscheiden durfte, ob er, der Antragsteller, im Rahmen der Tätigkeit der Schwerbehindertenvertretung einen Rechtsanwalt zur Beratung und gegebenenfalls zur Prozessführung hinzuziehen darf, sondern die Antragsgegnerin gemäß § 96 Abs. 8 SGB IX die Übernahme der Kosten erklären musste, sowie
5. festzustellen, dass das Bundesverwaltungsgericht das unzuständige Gericht ist, da es sich bei dem Konflikt um eine organschaftliche Streitigkeit der Schwerbehindertenvertretung handelt, und das Verfahren an das zuständige Gericht zu verweisen.

6 Das Bundesministerium der Verteidigung beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.

7 Der Antrag sei unzulässig, soweit er die Verletzung von Rechten des Antragstellers als Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen betreffe. Der Antragsteller sei seit seinem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst nicht mehr antragsbefugt. Seine Nachfolger in der Funktion als Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen hätten den Rechtsstreit nicht fortgeführt. Wegen der Unzulässigkeit des Antrags bedürfe es auch keiner Verweisung des Rechtsstreits an ein Arbeitsgericht. Soweit es dem Antragsteller um die Feststellung von Rechtsverletzungen in seiner Eigenschaft als ehemaliger Soldat mit Behinderungsgrad gehe, sei seine Beschwerde unbegründet. Insoweit fehle es an einem berechtigten Feststellungsinteresse.

8 Das Gericht hat den Beteiligten mit Verfügung vom 19. August 2020 Gelegenheit gegeben, zur Frage der Verweisung des Rechtsstreits an ein Arbeitsgericht Stellung zu nehmen. Der Antragsteller stimmt einer Verweisung des Rechtsstreits an das Arbeitsgericht ... zu. Das Bundesministerium der Verteidigung vertritt in erster Linie die Auffassung, dass der Antrag auf gerichtliche Entscheidung zurückzuweisen sei; für den Fall einer Verweisung sei das Arbeitsgericht ... örtlich zuständig.

9 Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen. Die Beschwerdeakte des Bundesministeriums der Verteidigung und die Personalgrundakte des Antragstellers haben dem Senat bei der Beratung vorgelegen.

II

10 Für das Rechtsschutzbegehren des Antragstellers ist der Rechtsweg nicht zu den Wehrdienstgerichten, sondern zu den Gerichten für Arbeitssachen eröffnet. Die Sache ist deshalb an das zuständige Arbeitsgericht ... zu verweisen. Über die Verweisung entscheidet der Senat in der Besetzung ohne ehrenamtliche Richter (vgl. BVerwG, Beschluss vom 17. März 2009 - 1 WB 77.08 - Buchholz 449 § 82 SG Nr. 4 Rn. 26 m.w.N.).

11 1. Gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 WBO (hier i.V.m. § 21 Abs. 2 Satz 1 WBO) entscheiden die Wehrdienstgerichte, wenn die Beschwerde des Soldaten eine Verletzung seiner Rechte oder eine Verletzung von Pflichten eines Vorgesetzten ihm gegenüber zum Gegenstand hat, die im Zweiten Unterabschnitt des Ersten Abschnitts des Soldatengesetzes mit Ausnahme der §§ 24, 25, 30 und 31 geregelt sind. Insoweit tritt das Verfahren vor den Wehrdienstgerichten an die Stelle des Verwaltungsrechtswegs gemäß § 82 des Soldatengesetzes (§ 17 Abs. 2 WBO).

12 Dem Antragsteller geht es vorliegend nicht um seine persönlichen Rechte als Soldat, deren Verletzung er ggf. auch nach Beendigung seines Wehrdienstverhältnisses geltend machen (§ 1 Abs. 3 WBO) oder in einem entsprechenden Verfahren weiterverfolgen könnte (§ 15 WBO), wenn der Beschwerdeanlass in die Wehrdienstzeit fällt. Vielmehr beruft sich der Antragsteller erklärtermaßen auf Rechte aus seiner früheren Funktion als Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen beim ... Diese Rechte sind nicht im Soldatengesetz, sondern im Neunten Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB IX) in den §§ 177 ff. (bis zum 31. Dezember 2017: §§ 94 ff. SGB IX) geregelt. Sie unterfallen deshalb nicht der Rechtswegzuweisung nach § 17 Abs. 1 Satz 1 WBO.

13 Der Rechtsweg zu den Wehrdienstgerichten wird auch nicht durch eine normative Verweisung auf das Beschwerderecht nach der Wehrbeschwerdeordnung eröffnet. Anders als für die Vertrauensperson im Sinne des Soldatinnen- und Soldatenbeteiligungsgesetzes (§ 17 SBG), für die weiteren soldatenbeteiligungsrechtlichen Vertretungsorgane (§ 33 Abs. 7 Satz 2, § 42 Abs. 6, § 63 Abs. 3 SBG) und für die Gleichstellungsbeauftragte (§ 22 SGleiG) fehlt es für die Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen bei einer militärischen Dienststelle an einer Vorschrift, die auf diese Weise eine Zuständigkeit der Wehrdienstgerichte begründet.

14 Eine Zuständigkeit des Senats besteht auch nicht beschränkt auf die Frage der Zulässigkeit des Rechtsbehelfs. Auch insoweit obliegt die Beurteilung dem zuständigen Gericht. Die Zulässigkeit des beschrittenen Rechtswegs könnte nur dann dahingestellt bleiben und auf eine Verweisung verzichtet werden, wenn nach übereinstimmenden Erledigungserklärungen der Beteiligten nur noch über die Kosten des Rechtsstreits zu entscheiden ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 5. August 2010 - 1 WDS-VR 3.10 - Rn. 8); so liegt der Fall hier jedoch nicht.

15 2. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Beschluss vom 30. März 2010 - 7 AZB 32/09 - BAGE 134, 51 Rn. 4 ff.; vgl. auch Christians, in: GK-SGB IX, Stand Dezember 2018, § 179 Rn. 154 m.w.N.), der sich der Senat anschließt, sind Rechtsstreitigkeiten über die nach dem Neunten Buch des Sozialgesetzbuchs bestehende Pflicht des Arbeitgebers, die Kosten der Schwerbehindertenvertretung zu tragen (bis 31. Dezember 2017: § 96 Abs. 8 Satz 1 SGB IX; ab 1. Januar 2018: § 179 Abs. 8 Satz 1 SGB IX), in entsprechender Anwendung von § 2a Abs. 1 Nr. 3a und Abs. 2 ArbGG im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren zu entscheiden. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (a.a.O. Rn. 15) gilt dies auch dann, wenn die Schwerbehindertenvertretung in einer Dienststelle des öffentlichen Dienstes errichtet ist. Es besteht kein Anlass, Schwerbehindertenvertretungen bei militärischen Dienststellen hiervon auszunehmen.

16 Danach umfasst die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen zunächst das für den Antragsteller im Vordergrund stehende Rechtsschutzbegehren, das die Kostenübernahme gemäß § 96 Abs. 8 SGB IX (jetzt § 179 Abs. 8 Satz 1 SGB IX) für die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts zur Beratung und gegebenenfalls Prozessführung im Rahmen der Tätigkeit der Schwerbehindertenvertretung betrifft (Antrag zu 4). Die arbeitsgerichtliche Zuständigkeit erstreckt sich aber auch auf die beiden anderen Sachanträge, weil diese lediglich das vorgerichtliche Verfahren zu dem Antrag auf Kostenübernahme gemäß § 96 Abs. 8 SGB IX bzw. § 179 Abs. 8 Satz 1 SGB IX betreffen. Denn mit dem Antrag zu 1 wendet sich der Antragsteller dagegen, dass sein Schreiben vom 7. Februar 2017, mit dem er sich wegen der Kostenübernahme an den ... gewandt hatte, als Auslöser für ein Verfahren nach der Wehrbeschwerdeordnung genommen wurde; mit dem Antrag zu 3 beanstandet er, dass der Generalinspekteur der Bundeswehr in dem Beschwerdebescheid die für Vertrauenspersonen im Sinne des Soldatinnen- und Soldatenbeteiligungsgesetzes, nicht aber für Vertrauenspersonen der schwerbehinderten Menschen geltende Vorschrift des § 16 SBG (jetzt § 17 SBG) herangezogen hat. Auch diese im vorgerichtlichen Verfahren angefallenen Fragen unterliegen der Beurteilung durch das zuständige Arbeitsgericht. Denn auch damit hat der Antragsteller nur eine Verletzung seiner Rechte aus § 179 SGB IX im Zusammenhang mit den kollektivrechtlichen Angelegenheiten der Schwerbehindertenvertretung geltend gemacht; er hat nicht vorgetragen, dass sich die behauptete Benachteiligung auf seine individuellen soldatischen Rechte ausgewirkt hätte (vgl. BAG, Beschluss vom 30. März 2010 - 7 AZB 32/09 - BAGE 134, 51 Rn. 15). Das Arbeitsgericht hat daher über diese Anträge einschließlich der Frage zu entscheiden, ob der Antragsteller diese Teilaspekte zulässigerweise zum Gegenstand selbständiger Feststellungsanträge machen kann.

17 Der Rechtsstreit ist daher gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 18 Abs. 3 Satz 1 WBO an das zuständige Gericht für Arbeitssachen zu verweisen. Dies ist nach § 82 Abs. 1 Satz 1 ArbGG und § 15 Nr. 3 des Gesetzes über die Justiz im Land Nordrhein-Westfalen vom 26. Januar 2010 (GV. NRW. S. 30) das Arbeitsgericht ..., weil der Dienstsitz des - als "Betrieb" im Sinne des § 82 Abs. 1 Satz 1 ArbGG anzusehenden - ... in ... liegt.