Beschluss vom 14.11.2022 -
BVerwG 1 W-VR 24.22ECLI:DE:BVerwG:2022:141122B1WVR24.22.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 14.11.2022 - 1 W-VR 24.22 - [ECLI:DE:BVerwG:2022:141122B1WVR24.22.0]

Beschluss

BVerwG 1 W-VR 24.22

In dem Wehrbeschwerdeverfahren hat der 1. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch
den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Häußler,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Langer und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Eppelt
am 14. November 2022 beschlossen:

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Gründe

I

1 Der Antragsteller begehrt eine einstweilige Anordnung, um dem Bundesministerium der Verteidigung und dem unterstellten Bereich zu untersagen, auf der Grundlage eines Strafurteils Entscheidungen zu seinen Lasten zu treffen.

2 Der ... geborene Antragsteller ist Berufssoldat. Er ist - nach eigenen Angaben rechtskräftig - wegen Missbrauchs der Dienststellung als Offizier mit höherem Dienstgrad zu unzulässigen Zwecken in Tateinheit mit Anmaßen von Befehlsbefugnissen zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Wegen des dem Strafurteil zugrundeliegenden Sachverhaltes ist nach Angaben des Antragstellers beim Truppendienstgericht ... ein gerichtliches Disziplinarverfahren (S 6 VL 34/20) anhängig.

3 Am 7. Juni 2022 wurde die Ermächtigung des Antragstellers zum Zugang zu und zum Umgang mit Verschlusssachen aufgehoben. Seine Beschwerde hiergegen wies der Kommandeur ... der Bundeswehr mit Bescheid vom 15. Juli 2022 zurück. Seine weitere Beschwerde wurde durch den Inspekteur ... mit Beschwerdebescheid vom 14. September 2022 zurückgewiesen.

4 Mit Schriftsatz vom 3. Oktober 2022 hat der Antragsteller den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Er macht geltend, das Bundesministerium der Verteidigung und die unterstellten Bereiche hätten bereits die Möglichkeit gehabt, von den Strafurteilen Abstand zu nehmen. Dies sei aber trotz seines entsprechenden Vortrages gegenüber dem Kommandeur ... der Bundeswehr und dem Inspekteur ... nicht geschehen. Wegen seiner sicherheitsempfindlichen Tätigkeit seien weitere einschneidende Entscheidungen, z. B. die Feststellung eines Sicherheitsrisikos, zu erwarten, sofern weiterhin blind auf die Strafurteile Bezug genommen werde. Eine zeitnahe Entscheidung im gerichtlichen Disziplinarverfahren sei nicht zu erwarten. Das rechtskräftige Strafurteil sei fehlerhaft und entfalte keine Bindungswirkung. Es könne wegen seiner Rechtswidrigkeit nicht Grundlage rechtmäßiger Entscheidungen staatlicher Organe sein. Die Strafgerichte hätten die angewandten Strafnormen gebeugt sowie gegen das Analogieverbot und den Bestimmtheitsgrundsatz verstoßen. Sein rechtliches Gehör sei verletzt worden. Die tatsächlichen Feststellungen des Urteils seien unvertretbar.

5 Der Antragsteller beantragt,
im Wege der einstweiligen Anordnung das Bundesministerium der Verteidigung und die unterstellten Bereiche zu verpflichten, keine weiteren Entscheidungen zulasten des Antragstellers auf Grundlage des rechtswidrigen Strafurteils zu treffen.

6 Das Bundesministerium der Verteidigung beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.

7 Der Antrag sei unzulässig. Er sei zu unbestimmt, da nicht erkennbar sei, welche Entscheidungen untersagt werden sollten. Der Antrag laufe auf eine in der Wehrbeschwerdeordnung nicht vorgesehene Überprüfung des rechtskräftigen Strafurteils heraus. Gegen die vom Antragsteller angeführten Beschwerdebescheide sei keine einstweilige Anordnung mit dem angegebenen Ziel möglich. Soweit sich der Antragsteller auf den Bescheid beziehe, mit dem seine Ermächtigung zum Zugang zu Verschlusssachen entzogen worden sei, sei seine weitere Beschwerde dagegen zurückgewiesen. Daher stehe eine weitere Aufhebung der Zulassung nicht bevor. Es fehle an einer angreifbaren dienstlichen Maßnahme oder Unterlassung. Der Antrag sei prophylaktisch ohne konkreten Anlass gestellt. Dem Antragsteller sei zuzumuten, konkrete Maßnahmen abzuwarten und dann erst (vorläufigen) Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen.

8 Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte Bezug genommen.

II

9 Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat keinen Erfolg. Er ist unzulässig, weil der Antragsteller kein berechtigtes Interesse an der Gewährung von vorbeugendem Rechtsschutz hat.

10 1. Ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung und in entsprechender Weise ein Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz im Wehrbeschwerdeverfahren setzen eine dienstliche Maßnahme (oder deren Unterlassung) voraus, die angegriffen oder aber erbeten wird (§ 17 Abs. 3 Satz 1 WBO i. V. m. § 21 Abs. 2 Satz 1 WBO). Gegenstand des vorliegenden Eilantrages ist jedoch keine bereits ergangene Maßnahme, für die das Bundesverwaltungsgericht als Gericht der Hauptsache zuständig wäre.

11 Insbesondere lässt sich dem Vorbringen des Antragstellers nicht entnehmen, dass er mit dem Antrag vom 3. Oktober 2022 vorläufigen Rechtsschutz wegen des Entzuges der Ermächtigung zum Umgang mit Verschlusssachen begehrt. Zwar nimmt er Bezug auf den Beschwerdebescheid des Kommandeurs ... der Bundeswehr vom 15. Juli 2022 und den Beschwerdebescheid des Inspekteurs ... vom 14. September 2022. Hiergegen hat der Antragsteller nach eigenem Vortrag unter dem 29. September 2022 einen vom ihm als "Beschwerde" bezeichneten und an den Generalinspekteur der Bundeswehr adressierten Rechtsbehelf eingelegt, obwohl der Beschwerdebescheid - zutreffend - über den Rechtsbehelf des Antrages auf gerichtliche Entscheidung durch das Truppendienstgericht informiert. Jedenfalls ist nach der eindeutigen Formulierung des unter dem 3. Oktober 2022 gestellten Antrages Ziel des Antragstellers nicht die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner "Beschwerde" vom 29. September 2022 (§ 17 Abs. 6 Satz 2 WBO), sondern die Verhinderung weiterer Entscheidungen zu seinem Nachteil auf der Grundlage des rechtskräftigen Strafurteils. Für vorläufigen Rechtsschutz wegen des Zuganges zu Verschlusssachen wäre zudem das Truppendienstgericht als Gericht der Hauptsache und gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 WBO nicht das Bundesverwaltungsgericht zuständig.

12 Hiernach ist dem Vorbringen des Antragstellers gemäß § 23a Abs. 2 Satz 1 WBO i. V. m. § 86 Abs. 3 VwGO zu entnehmen, dass er die genannten Beschwerdebescheide nur anführt, um beispielhaft die Rechtsverletzungen zu verdeutlichen, die ihm seiner Meinung nach durch weitere truppendienstliche Maßnahmen drohen, wenn diese sich auf das rechtskräftige Strafurteil stützen, und dass er mit seinem Antrag vom 3. Oktober 2022 vorbeugend eine unbestimmte Vielzahl weiterer, ihn in ähnlicher Weise wie die beispielhaft angeführten Bescheide nachteilig betreffender Entscheidungen unterbinden möchte.

13 2. Vor Ergehen einer truppendienstlichen Maßnahme kommt vorbeugender Rechtsschutz - und zwar sowohl in Form eines Antrags auf gerichtliche Entscheidung in der Hauptsache als auch (wie hier) in Form eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung - grundsätzlich nur in engen Grenzen in Betracht (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 22. Januar 2003 - 1 WB 44.02 - Buchholz 311 § 17 WBO Nr. 48 und vom 28. Mai 2008 - 1 WDS-VR 8.08 - Rn. 17 jeweils m. w. N.). Die Zulässigkeit eines Antrags auf vorbeugenden Rechtsschutz setzt danach einerseits voraus, dass das künftige Handeln der Vorgesetzten des Soldaten nach seinem Inhalt und seinen tatsächlichen wie rechtlichen Voraussetzungen soweit spezifiziert ist, dass eine Rechtmäßigkeitsprüfung durch den Senat möglich ist. Solange sich noch nicht mit der dafür erforderlichen Bestimmtheit übersehen lässt, welche Maßnahmen drohen oder unter welchen tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen sie ergehen werden, kann ein berechtigtes Interesse an vorbeugendem Rechtsschutz dagegen nicht anerkannt werden. Das für einen Antrag auf vorbeugenden Rechtsschutz erforderliche Rechtsschutzbedürfnis verlangt zum anderen, dass dem Soldaten nicht zugemutet werden kann, die beabsichtigte truppendienstliche Maßnahme abzuwarten, weil schon eine nur kurzfristige Hinnahme der befürchteten Maßnahme geeignet wäre, ihn in besonders schwerwiegender, womöglich nicht wiedergutzumachender Weise in seinen Rechten zu beeinträchtigen.

14 Hieran fehlt es vorliegend. Zum einen sind in die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts nach § 21 Abs. 1 Satz 1 WBO fallende drohende Maßnahmen in der Folge des rechtskräftigen Strafurteils nicht so weit spezifiziert, dass der Senat sie überprüfen könnte. Dies gilt auch, soweit der Antragsteller die Feststellung eines Sicherheitsrisikos durch den zuständigen Geheimschutzbeauftragten befürchtet. Der Antragsteller hat nicht glaubhaft gemacht, dass ein entsprechendes Verfahren bereits so weit vorangeschritten wäre, dass Inhalt und Begründung einer entsprechenden Maßnahme absehbar wären. Daher fehlt es bislang an einer Grundlage für eine Rechtmäßigkeitsprüfung durch den Senat. Hierfür reicht es nicht aus, dass möglicherweise auf ein rechtskräftiges Strafurteil Bezug genommen werden könnte. Zum anderen ist auch nicht erkennbar, welche konkreten, nicht wiedergutzumachenden Nachteile drohen könnten, wenn der Antragsteller - sei es wegen der Feststellung eines Sicherheitsrisikos, sei es wegen weiterer Maßnahmen - auf die Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes nach dem Ergehen einer konkreten für ihn nachteiligen Maßnahme in der Folge des laufenden Disziplinarverfahrens verwiesen wird.

15 Etwas Anderes folgt auch nicht aus dem vom Antragsteller in Bezug genommenen Beschluss vom 13. Juni 2022 - BVerwG 1 W-VR 5.22 . Dass vorläufiger Rechtsschutz bereits vor der Rechtshängigkeit der Hauptsache beantragt werden kann, erweitert die engen Zulässigkeitsgrenzen vorbeugenden Rechtsschutzes nicht. Gegenstand des Verfahrens BVerwG 1 W-VR 5.22 war eine bereits ergangene Entscheidung und nicht - wie hier - die Verhinderung befürchteter künftiger Entscheidungen.