Beschluss vom 15.04.2020 -
BVerwG 2 WNB 4.20ECLI:DE:BVerwG:2020:150420B2WNB4.20.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 15.04.2020 - 2 WNB 4.20 - [ECLI:DE:BVerwG:2020:150420B2WNB4.20.0]

Beschluss

BVerwG 2 WNB 4.20

  • TDG Süd 3. Kammer - 07.11.2019 - AZ: TDG S 3 BLc 9/18 und S 3 RL 4/19

In der Disziplinarsache hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch
den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Häußler,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Burmeister und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Henke
am 15. April 2020 beschlossen:

  1. Die Entscheidung über die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde in dem Beschluss des Truppendienstgerichts Süd vom 7. November 2019 wird aufgehoben.
  2. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
  3. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt der Kostenentscheidung in der Hauptsache.

Gründe

1 Die Nichtzulassungsbeschwerde betrifft Fragen des rechtlichen Gehörs bei der Überprüfung einer Disziplinarbuße.

2 1. Gegen den Soldaten wurde am 24. Juli 2018 wegen Verfälschens einer E-Mail eine Disziplinarbuße in Höhe von 800 € verhängt. Dagegen erhob er per E-Mail am 17. August 2018 Beschwerde, die als unbegründet zurückgewiesen wurde.

3 Die weitere Beschwerde wies das Truppendienstgericht mit Beschluss vom 7. November 2019 ebenfalls zurück. Die Erstbeschwerde sei zwar formwidrig erhoben, der Formfehler jedoch durch eine Entscheidung zur Sache geheilt worden. Die ordnungsgemäß erhobene weitere Beschwerde sei nicht - wie mit Schreiben an die ... vom 5. Oktober 2018 angekündigt - dem Truppendienstgericht gegenüber begründet worden. Die Kammer gehe nach Auswertung der vorhandenen Beweismittel davon aus, dass der Soldat die E-Mail auf seinem Rechner wie angeschuldigt manipuliert habe. Dafür spreche das auf seinem Rechner gefundene Verlaufsprotokoll. Soweit der Soldat zu suggerieren versuche, dass ein Dritter auf seinem Rechner die Änderungen vorgenommen habe, sei dies eine unglaubwürdige Schutzbehauptung. Das Truppendienstgericht ließ die Rechtsbeschwerde gegen seine Entscheidung nicht zu.

4 Mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde rügt der Soldat eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör. Er habe unter dem 8. Februar 2019 seine weitere Beschwerde ausführlich begründet und insbesondere darauf hingewiesen, dass die E-Mail nach dem Verlaufsprotokoll zuvor durch andere Nutzer geändert worden sei. Es sei denkbar, dass die angeschuldigte Manipulation bereits bei der ersten Änderung durch Hauptfeldwebel ... erfolgt sei. In dem Verlaufsprotokoll sei der Inhalt der Änderungen nicht ausgewiesen, sodass es erhebliche Zweifel an seiner Täterschaft gebe. Hätte das Truppendienstgericht diese Stellungnahme von ihm gekannt, hätte es anders entscheiden müssen.

5 Das Truppendienstgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und im Beschluss vom 6. Februar 2020 ausgeführt, der Schriftsatz vom 8. Februar 2019 habe bei seiner Entscheidung am 7. November 2019 vorgelegen. Er sei zur Kenntnis genommen worden und nur aufgrund eines Redaktionsversehens nicht in die Darstellung des Sach- und Streitstandes eingeflossen. Inhaltlich habe der schriftsätzliche Vortrag die Kammer nicht davon überzeugen können, dass jemand anderes als der Beschwerdeführer die angeschuldigte Datumsänderung vorgenommen habe.

6 2. Die Nichtzulassungsbeschwerde, über die der Senat gemäß § 22b Abs. 4 Satz 1 WBO in der Besetzung ohne ehrenamtliche Richter entscheidet, ist nach § 22a Abs. 2 Nr. 3 WBO zuzulassen, weil ein Verfahrensfehler vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

7 a) Der Grundsatz der Gewährleistung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 23a Abs. 2 WBO i.V.m. § 108 Abs. 2 VwGO) verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, soweit sie entscheidungserheblich sind (BVerfG, Beschluss vom 17. November 1992 - 1 BvR 168/89 u.a. - BVerfGE 87, 363 <392 f.>). Zwar muss das Gericht nicht auf sämtliches Tatsachenvorbringen und alle Rechtsauffassungen eingehen. Nur der wesentliche Kern des Vorbringens eines Beteiligten, der nach der materiell-rechtlichen Auffassung des Gerichts für den Ausgang des Verfahrens von Bedeutung ist, muss in den Gründen der Entscheidung behandelt werden. Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG ist allerdings dann gegeben, wenn auf den Einzelfall bezogene Umstände deutlich ergeben, dass das Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung ersichtlich nicht erwogen worden ist (BVerfG, Beschluss vom 19. Mai 1992 - 1 BvR 986/91 - BVerfGE 86, 133 <146> und BVerwG, Beschluss vom 1. Oktober 2014 - 10 B 52.14 - juris Rn. 4).

8 b) So liegen die Dinge hier. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob das Truppendienstgericht den Schriftsatz des Beschwerdeführers vom 8. Februar 2019 bei seiner Entscheidung am 7. November 2019 zur Kenntnis genommen hat, obwohl es in seinem Beschluss dezidiert erklärt hat, der Soldat habe seine weitere Beschwerde - entgegen seiner Ankündigung - dem Truppendienstgericht gegenüber nicht begründet. Der Beschluss vom 7. November 2019 lässt jedenfalls darauf schließen, dass die zentralen Ausführungen des Schreibens nicht ausreichend in Erwägung gezogen worden sind. Soweit in dem Beschluss bei der Darstellung des Sach- und Streitstandes fälschlich das Fehlen einer detaillierten Begründung behauptet wird, mag dies noch einem redaktionellen Versehen geschuldet sein. Jedoch geht der Beschluss auch bei den Rechtsausführungen und bei der Beweiswürdigung an keiner Stelle auf das Kernargument des Schriftsatzes ein, dass die E-Mail nach dem Verlaufsprotokoll bereits vor ihrem Eintreffen auf dem Rechner des Soldaten mehrfach - etwa von Hauptfeldwebel ... - geändert und dass der Inhalt der Änderungen nicht protokolliert worden sei. Auch zu den übrigen Ausführungen in dem Schreiben findet sich in dem Beschluss nichts.

9 c) Auf dieser Gehörsverletzung kann die Entscheidung auch im Sinne von § 22a Abs. 2 Nr. 3 WBO beruhen. Denn es ist nach den Beschlussgründen möglich, dass die Beweiswürdigung des Gerichts bei Berücksichtigung dieses Vorbringens anders ausgefallen wäre. Die Überzeugung des Truppendienstgerichts von der Täterschaft des Soldaten wird in dem angefochtenen Beschluss auf einen Indizienbeweis gestützt. Nach der Beschlussbegründung kommt dabei dem Verlaufsprotokoll der E-Mail eine wesentliche Bedeutung zu. Wird dessen Beweiswert als belastendes Indiz mit nachvollziehbaren Gründen in Frage gestellt, kann nicht ohne Weiteres angenommen werden, dies wäre ohne Einfluss auf das Ergebnis der Beweiswürdigung geblieben. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass das Truppendienstgericht sich später argumentativ mit dem Vorbringen befasst und dabei an der Beweiswürdigung festgehalten hat. Denn die Frage, ob ein Beschluss auf einer unzureichenden Berücksichtigung eines Vorbringens beruht, ist keine Tatsachenfrage, sondern eine Frage der rechtlichen Bewertung der hierfür maßgeblichen schriftlichen Entscheidungsgründe des angefochtenen Beschlusses. Für die Beantwortung dieser Rechtsfrage können nachträgliche Erklärungen der beteiligten Richter nicht ausschlaggebend sein (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. März 1968 - 4 C 27.67 - BVerwGE 29, 261 <268>; Kraft, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 132 Rn. 56).

10 Die späteren Ausführungen des Truppendienstgerichts im Nichtabhilfebeschluss vom 6. Februar 2020 haben den Gehörsverstoß auch nicht nachträglich geheilt. Denn das Zwischenverfahren bei einer Nichtzulassungsbeschwerde unterscheidet sich vom Abhilfeverfahren bei einer Anhörungsrüge im Sinne von § 23a Abs. 3 WBO i.V.m. § 152a Abs. 5 VwGO wesentlich. Bei einer Nichtzulassungsbeschwerde trifft das Truppendienstgericht nur eine Entscheidung darüber, ob dem Betroffenen eine weitere Instanz zur rechtlichen Überprüfung der Entscheidung eröffnet werden muss. Das Zwischenverfahren ist nicht dazu bestimmt und nicht geeignet, Mängel in einem dem angefochtenen Beschluss zugrunde liegenden Verfahren zu beseitigen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 17. Mai 2018 - 1 WNB 2.18 - Buchholz 450.1 § 23a WBO Nr. 6 Rn. 6).

11 Die Rechtsbeschwerde ist daher wegen eines Verfahrensfehlers zuzulassen.

12 3. Im Rechtsbeschwerdeverfahren ist die gerichtliche Entscheidung in vollem Umfang rechtlich zu prüfen. Dabei ist auch der Frage nachzugehen, ob sich die angegriffene Entscheidung aus anderen Gründen als im Ergebnis richtig erweist (§ 23a Abs. 2 Satz 1 WBO i.V.m. § 144 Abs. 4 VwGO). Im vorliegenden Fall wird insbesondere zu klären sein, ob der Formmangel der Erstbeschwerde - wie das Truppendienstgericht meint - aufgrund der Sachentscheidung der Beschwerdestelle im gerichtlichen Verfahren tatsächlich nicht mehr beachtlich ist oder ob die formwirksame Erhebung der Beschwerde eine indisponible Prozessvoraussetzung des wehrdienstgerichtlichen Verfahrens darstellt. Für die erste Rechtsauffassung könnte der Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts zur verfristeten Beschwerdeerhebung (BVerwG, Beschluss vom 31. August 2017 - 1 WRB 1.16 - Buchholz 450.1 § 17 WBO Nr. 96 Rn. 18) herangezogen, für die zweite Auffassung kann die bisherige Rechtsprechung zu formunwirksamen Beschwerden ins Feld geführt werden (BVerwG, Beschluss vom 26. Oktober 2010 - 1 WNB 4.10 - juris Rn. 12).

13 Den Beteiligten wird hiermit Gelegenheit gegeben, sich zu diesem rechtlichen Gesichtspunkt im zugelassenen Verfahren zu äußern.

Rechtsbehelfsbelehrung


Das Beschwerdeverfahren wird nunmehr unter dem Aktenzeichen BVerwG 2 WRB 1.20 als Rechtsbeschwerdeverfahren fortgesetzt. Der Einlegung einer Rechtsbeschwerde bedarf es nicht.
Die Rechtsbeschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Beschlusses zu begründen. Die Begründung ist beim Bundesverwaltungsgericht, Simsonplatz 1, 04107 Leipzig, schriftlich oder in der vorgeschriebenen elektronischen Form (§ 23a Abs. 2 WBO i.V.m. § 55a VwGO i.V.m. der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach vom 24. November 2017, BGBl. I S. 3803) einzureichen.
Der Beschwerdeführer muss sich im Rechtsbeschwerdeverfahren durch einen Anwalt oder durch einen Bevollmächtigten im Sinne von § 22a Abs. 5 Satz 1 WBO vertreten lassen.