Beschluss vom 16.12.2022 -
BVerwG 9 BN 5.22ECLI:DE:BVerwG:2022:161222B9BN5.22.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 16.12.2022 - 9 BN 5.22 - [ECLI:DE:BVerwG:2022:161222B9BN5.22.0]

Beschluss

BVerwG 9 BN 5.22

  • OVG Berlin-Brandenburg - 14.06.2022 - AZ: 9 A 2.17

In der Normenkontrollsache hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 16. Dezember 2022
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Bick und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Martini und Dr. Dieterich
beschlossen:

  1. Die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg über die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss vom 14. Juni 2022 wird aufgehoben, soweit sie den Antrag des Antragstellers betrifft, § 4 Abs. 2 der Schmutzwassergebührensatzung des Antragsgegners vom 15. Mai 2014 in der Fassung der 2. Änderungssatzung vom 6. Dezember 2016 für unwirksam zu erklären. Insoweit wird die Revision zugelassen.
  2. Im Übrigen wird die Beschwerde verworfen.
  3. Der Antragsteller trägt die Gerichtsgebühren, die für die Verwerfung der Beschwerde angefallen sind. Die sonstigen Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Antragsteller zur Hälfte. Die Entscheidung über die restlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt der Kostenentscheidung in der Hauptsache.
  4. Der Wert des Streitgegenstands für das Beschwerdeverfahren wird auf 10 000 €, für den erfolglos gebliebenen Teil der Beschwerde auf 5 000 € festgesetzt.
  5. Der Wert des Streitgegenstands für das Revisionsverfahren wird vorläufig auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die Nichtzulassungsbeschwerde hat nur teilweise Erfolg.

2 1. Die Beschwerde, die nach dem gestellten Antrag und seiner Begründung auf die Zulassung der Revision gegen die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts insgesamt gerichtet ist, ist mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig und daher zu verwerfen, soweit sie den Antrag des Antragstellers betrifft, § 4 Abs. 2 der Trinkwassergebührensatzung des Antragsgegners vom 15. Mai 2014 in der Fassung der 2. Änderungssatzung vom 6. Dezember 2016 (im Folgenden: TGS 2016) für unwirksam zu erklären.

3 a) Der Antragsteller ist insoweit nicht beschwert.

4 Das Oberverwaltungsgericht hat seinem Antrag in vollem Umfang stattgegeben und § 4 Abs. 2 TGS 2016 antragsgemäß für unwirksam erklärt. Eine Beschwer besteht in einem solchen Fall auch dann nicht, wenn die Entscheidung wie hier mit der Annahme eines Verstoßes gegen das Kostenüberschreitungsverbot auf andere Gründe gestützt ist, als der Antragsteller sie zur Begründung seines Antrags vorgebracht hatte. Denn eine Beschwer ist nur gegeben, wenn die angefochtene Entscheidung anders als hier von dem Antrag im Ergebnis zuungunsten des Rechtssuchenden abweicht (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 10. Januar 1964 - 5 B 83.62 - BVerwGE 17, 352 <353> und vom 18. Februar 2002 - 3 B 149.01 - juris Rn. 1 <insoweit in Buchholz 442.151 § 12 StVO Nr. 10 nicht abgedruckt>).

5 b) Ein Rechtsschutzbedürfnis des Antragstellers besteht auch nicht deshalb, weil die Begründung, mit der das Oberverwaltungsgericht die vom Antragsteller für die Unwirksamkeit der Satzung angeführten Gründe verneint hat, an der Rechtskraft des Normenkontrollbeschlusses Teil hätte und der Antragsteller sie sich deshalb nach § 121 Nr. 1 VwGO im Falle des Neuerlasses von § 4 Abs. 2 TGS 2016 mit einem das Kostenüberschreitungsverbot wahrenden Beitragssatz entgegenhalten lassen müsste (vgl. insoweit BVerwG, Beschluss vom 20. Juni 2001 - 4 BN 21.01 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 148 S. 65). Denn eine rechtskräftige stattgebende Normenkontrollentscheidung entfaltet zwar neben ihrer Allgemeinverbindlichkeit nach § 47 Abs. 5 Satz 2 VwGO Bindungswirkung nach § 121 VwGO. In materielle Rechtskraft erwachsen aber allein der Entscheidungsausspruch des Normenkontrollgerichts, dass die angegriffene Rechtsnorm rechtsunwirksam ist, und seine gerade diese Beurteilung tragenden "negativen" Entscheidungsgründe, aus denen sich für den Antragsgegner das Verbot der Normwiederholung ergibt (vgl. für Bebauungspläne BVerwG, Beschluss vom 20. Juni 2001 - 4 BN 21.01 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 148 S. 65 m. w. N.).

6 Dies zugrunde gelegt, ist die Auffassung des Oberverwaltungsgerichts, dass die Erhebung unterschiedlicher Gebühren weder den Gleichheitssatz noch den Grundsatz des Vertrauensschutzes verletze und keine Umgehung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 12. November 2015 - 1 BvR 2961/14, 1 BvR 3051/15 - darstelle, gegen die sich der Antragsteller mit der Nichtzulassungsbeschwerde wendet, von der Rechtskraft der Normenkontrollentscheidung nicht umfasst. Denn soweit diese § 4 Abs. 2 TGS 2016 für unwirksam erklärt, ist dafür allein tragend, dass der Gebührensatz nach § 4 Abs. 2 TGS 2016 nach Ansicht des Oberverwaltungsgerichts gegen das Kostenüberschreitungsgebot nach § 6 Abs. 1 KAG BB verstößt.

7 2. Die Revision ist jedoch nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen, soweit das Oberverwaltungsgericht den Antrag, § 4 Abs. 2 der Schmutzwassergebührensatzung des Antragsgegners vom 15. Mai 2014 in der Fassung der 2. Änderungssatzung vom 6. Dezember 2016 (im Folgenden: SGS 2016) für unwirksam zu erklären, abgelehnt hat. Insoweit hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung. Die Revision kann dem Bundesverwaltungsgericht Gelegenheit geben, die bisher höchstrichterlich nicht entschiedene Frage zu klären, ob der Grundsatz des Vertrauensschutzes nach Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG in Fällen, in denen Herstellungsbeiträge für eine Schmutzwasserbeseitigungseinrichtung wegen des Eintritts der (hypothetischen) Festsetzungsverjährung nicht mehr erhoben werden können, nicht nur das Vertrauen schützt, nicht mehr zu Herstellungsbeiträgen herangezogen zu werden, sondern ebenso das Vertrauen, auch nicht durch Benutzungsgebühren zu den Anschaffungs- und Herstellungskosten beitragen zu müssen.

8 3. Die Kostenentscheidung folgt, soweit über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden war, aus § 154 Abs. 2 und § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde entsteht eine Gerichtsgebühr nur, soweit die Beschwerde verworfen oder zurückgewiesen wird. Die sonstigen Kosten des Beschwerdeverfahrens, namentlich die außergerichtlichen Kosten, waren verhältnismäßig zu teilen und daher dem Antragsteller im Maße seines Unterliegens aufzuerlegen, während die Entscheidung über diejenigen Kosten, die dem Anteil der erfolgreichen Beschwerde am gesamten Beschwerdeverfahren entsprechen, der Kostenentscheidung in der Hauptsache folgt (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 16. Juni 2010 - 6 B 83.09 - juris Rn. 9 und vom 21. Dezember 2015 - 9 B 32.15 - juris Rn. 11).

9 4. Die Festsetzung des Streitwertes für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 47 Abs. 1 und 3 i. V. m. § 52 Abs. 2 und § 39 Abs. 1 GKG, die vorläufige Streitwertfestsetzung für das Revisionsverfahren auf § 47 Abs. 1 i. V. m. § 52 Abs. 2 und § 63 Abs. 1 Satz 1 GKG.
Rechtsbehelfsbelehrung
Soweit die Revision zugelassen worden ist, wird das Beschwerdeverfahren als Revisionsverfahren unter dem Aktenzeichen BVerwG 9 CN 3.22 fortgesetzt. Der Einlegung einer Revision durch den Beschwerdeführer bedarf es nicht.
Die Revision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Beschlusses zu begründen. Die Begründung ist bei dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig einzureichen.
Für die Beteiligten besteht Vertretungszwang; dies gilt auch für die Begründung der Revision. Die Beteiligten müssen sich durch Bevollmächtigte im Sinne von § 67 Abs. 4 Satz 3 bis 6 VwGO, § 5 Nr. 6 Alt. 2 RDGEG vertreten lassen.