Beschluss vom 17.04.2025 -
BVerwG 9 B 60.24ECLI:DE:BVerwG:2025:170425B9B60.24.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 17.04.2025 - 9 B 60.24 - [ECLI:DE:BVerwG:2025:170425B9B60.24.0]

Beschluss

BVerwG 9 B 60.24

  • VG Stuttgart - 18.05.2021 - AZ: 5 K 3422/20
  • VGH Mannheim - 19.07.2024 - AZ: 1 S 1704/22


In der Verwaltungsstreitsache hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts


am 17. April 2025


durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Bick und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Steinkühler und Dr. Martini


beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs
  2. Baden-Württemberg vom 19. Juli 2024 wird zurückgewiesen.
  3. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  4. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 26 546 € festgesetzt.

Gründe

I

1 Die Klägerin - ein Sicherheitsunternehmen - erbrachte im Auftrag der Stadt S. Sicherheitsdienstleistungen für das Gebäude "T..." (künftig TX) in S. Sie wendet sich gegen die Heranziehung zu den Kosten für einen Polizeieinsatz, der am Abend des 6. Februar 2017 wegen eines Amokalarms in diesem Gebäude stattfand.

2 Das Polizeipräsidium stützte den gegenüber der Klägerin erlassenen Gebührenbescheid in Höhe von 26 546 € auf Ziffer 15.9 des Gebührenverzeichnisses (GebVerz IM) in der Anlage zur Verordnung des Innenministeriums über die Festsetzung der Gebührensätze für öffentliche Leistungen der staatlichen Behörden für den Geschäftsbereich des Innenministeriums. Zur Begründung führte es aus, für den unbegründeten Amokalarm sei die Betätigung des diesbezüglichen Melders durch eine Mitarbeiterin der Klägerin ursächlich gewesen. Die von Besuchern alarmierten Einsatzkräfte hätten ca. 1 000-1 500 Besucher evakuieren müssen und bis in die frühen Morgenstunden das Gebäude durchsucht. Für die Polizei sei die fehlerhafte Auslösung des Amokalarms nicht erkennbar gewesen, da die Mitarbeiterin die Auslösung zunächst verschwiegen und erst nach Ende des Einsatzes zugegeben habe, dass sie den Knopf für den Amokalarm in der Fehlvorstellung betätigt habe, hierdurch den Signalton für einen zuvor ausgelösten Brandalarm beenden zu können. Die Klägerin machte gegen den Bescheid im Wesentlichen geltend, die Stadt S. habe es als Betreiberin des Gebäudes versäumt, die Mitarbeiter der Klägerin vor der Inbetriebnahme der neuen Alarmanlage ordnungsgemäß einzuweisen. Die Einweisungen der Anlagenherstellerin (R. GmbH) seien zu früh, nur unzureichend und nicht am Gerät erfolgt. Zu dem Fehlalarm sei es gekommen, weil einer der Brandmelder zu fein eingestellt gewesen sei und schon aufgrund des Dampfes einer Spülmaschine ausgelöst habe.

3 Widerspruch, Klage und Berufung der Klägerin blieben erfolglos. Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Berufungsgerichts.

II

4 Die auf die Zulassungsgründe nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

5 1. Grundsätzlich bedeutsam im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache nur, wenn für die angefochtene Entscheidung der Vorinstanz eine konkrete, fallübergreifende und bislang ungeklärte Rechtsfrage des revisiblen Rechts von Bedeutung war, deren Klärung im Revisionsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint. Den Darlegungen der Beschwerde lässt sich nicht entnehmen, dass diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall erfüllt sind.

6 Die Beschwerde misst der Sache grundsätzliche Bedeutung zu, weil das Berufungsgericht bei seiner Auslegung des Gebührentatbestands "Alarm- und Brandmeldeanlage" im Sinne der Ziff. 15.9 GebVerz IM eine Amokwarnanlage mit einer Alarmanlage gleichgesetzt habe. Diese Auslegung sei "nicht haltbar" und stelle einen unzulässigen Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb (Art. 14 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 3 Abs. 1 GG) dar. Zudem werde durch die Gleichsetzung der beiden Anlagen das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot des Art. 20 Abs. 3 GG verletzt.

7 Diese Rüge erfüllt bereits nicht die Anforderungen, die § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO an die Darlegung eines Zulassungsgrundes stellt. Denn die Beschwerde übt in der Art einer Berufungsbegründung Kritik an der Entscheidung des Berufungsgerichts, ohne eine bestimmte, höchstrichterlich noch ungeklärte, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrunde liegenden Einzelfall hinausgehende Rechtsfrage zu formulieren. Unabhängig davon fehlt es am gebotenen Bezug zum revisiblen Recht. Zwar rügt die Beschwerde einen Verstoß gegen ein Grundrecht (Art. 14 Abs. 1 GG) und den bundes(verfassungs)rechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz. Die Frage der Verletzung von Bundesrecht durch die Auslegung und Anwendung des nicht revisiblen Landesrechts verleiht einer Rechtssache aber nur dann grundsätzliche Bedeutung, wenn die Auslegung und Anwendung der bundesrechtlichen Norm ihrerseits ungeklärte Fragen von grundsätzlicher Bedeutung aufwerfen (stRspr, vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 26. Januar 2022 - 9 B 27.21 - juris Rn. 5 m. w. N.). Zur Klärungsbedürftigkeit der beiden bundesrechtlichen Bestimmungen enthält die Beschwerde jedoch keinerlei Ausführungen.

8 2. Die erhobenen Verfahrensrügen (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) greifen ebenfalls nicht durch.

9 a) Die Klägerin macht geltend, das Berufungsgericht habe es unterlassen, in tatsächlicher Hinsicht aufzuklären, ob die neue Alarmanlage am Abend des Einsatzes bereits abgenommen bzw. ordnungsgemäß an sie - die Klägerin - übergeben worden sei. Dies habe sie wiederholt erstinstanzlich sowie im Berufungsverfahren bestritten. Fehle es aber an einer ordnungsgemäßen Übergabe, scheide auch eine Zurechenbarkeit und verantwortliche Veranlassung im Sinne des § 2 Abs. 3 Satz 2 LGebG BW aus. Soweit sich das Berufungsgericht insoweit auf eine E-Mail der N. GmbH vom 3. Februar 2017 beziehe, sei dies für die Klägerin völlig überraschend; die E-Mail sei nicht Gegenstand der mündlichen Verhandlung am 19. Juli 2024 gewesen und ihr nicht bekannt. Der E-Mail komme zudem schon deshalb kein Beweiswert zu, weil sie nicht von der Errichterin der Alarmanlage, also der R. GmbH, stamme; die N. BW GmbH könne nicht rechtswirksam bestätigen, dass die notwendigen Abnahmen und Einweisungen erfolgreich durchgeführt worden seien.

10 Mit diesem Vorbringen wird weder eine unzulässige Überraschungsentscheidung (aa) noch ein Aufklärungsmangel (bb) dargelegt.

11 aa) Eine gerichtliche Entscheidung stellt sich dann als unzulässiges Überraschungsurteil dar, wenn das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit welcher insbesondere der unterlegene Beteiligte nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchte (stRspr, vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 13. Februar 2025 ‌- 3 B 16.24 - juris Rn. 32).

12 Hiervon kann keine Rede sein. Die Behauptung, die Klägerin kenne die besagte E-Mail vom 3. Februar 2017 nicht, ist nach Aktenlage nicht nachvollziehbar. Die E-Mail ist nicht nur - ebenso wie eine weitere E-Mail der N. GmbH vom 6. Februar 2017 - Bestandteil des Verwaltungsvorgangs (vgl. dort S. 19 und 20), worauf im Urteil ausdrücklich hingewiesen wird (vgl. UA S. 29 f.). Vielmehr weist der Beklagte in seiner Beschwerdeerwiderung zutreffend darauf hin, dass die Klägerin selbst in ihrem an die R. GmbH gerichteten Schreiben vom 13. November 2017 näher auf beide E-Mails eingeht, sie also entgegen ihrem Vorbringen davon Kenntnis hatte (vgl. Verwaltungsvorgang W 22).

13 bb) Auch ein Verfahrensfehler wird nicht den Anforderungen von § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entsprechend bezeichnet.

14 Das Berufungsgericht stützt seine Annahme, die neue Alarmanlage sei zum maßgeblichen Zeitpunkt - am Abend des Polizeieinsatzes – "bereits ab- und in Betrieb genommen", auf die o. g. E-Mails der N. GmbH. Diese hatte u. a. der Landeshauptstadt S., dem Hausmeister des TX und der Klägerin am 3. Februar 2017 mitgeteilt, dass "aufgrund der in nächster Woche stattfindenden Veranstaltung im TX und der damit verbundenen Sicherheitsanforderungen" die Alarmanlage am 6. Februar 2017 von 9.00 bis 12.00 Uhr scharfgeschaltet werde; die dafür notwendigen Abnahmen und Einweisungen seien bereits erfolgreich durchgeführt worden. In der weiteren E-Mail vom 6. Februar 2017 wurde mittags (11.51 Uhr) gegenüber denselben Adressaten mitgeteilt: "(D)ie Scharfschaltung ist heute Vormittag erfolgreich durchgeführt worden. Es finden noch letzte Tests zur Alarmauslösung statt. Termin Dienstag, 07.02.17 von 7:00 Uhr bis 7:30 Uhr."

15 Die Klägerin legt nicht dar, warum sich dem Berufungsgericht bei dieser Ausgangslage eine weitere Sachverhaltsaufklärung zur Ab- und Inbetriebnahme der Anlage hätte aufdrängen müssen. Das Berufungsgericht gibt den Inhalt der beiden E-Mails zutreffend wieder. Danach war die Scharfschaltung der Anlage am Vormittag des 6. Februar 2017 - entsprechend der vorangegangenen Ankündigung - erfolgt. Zwar bleibt im Urteil offen, woher die N. GmbH Kenntnis von den "notwendigen Abnahmen und Einweisungen" hatte. Da sich dieser Hinweis allerdings der Sache nach mit den eigenen Angaben der Klägerin deckte, die selbst auf die fachliche Einweisung ihres Personals in den Betrieb der Anlagen durch Schulungen der R. GmbH hingewiesen hatte (vgl. hierzu Berufungsurteil S. 29 Mitte), gab es für das Gericht offenbar keinen Grund an den Angaben der N. GmbH in der E-Mail vom 3. Februar 2017 zu zweifeln. Es kommt hinzu, dass die Klägerin nicht aufzeigt, dass sie bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung durch entsprechende Beweisanträge, auf die Vornahme der nun vermissten Sachverhaltsaufklärung hingewirkt hat. Dies ist aber Voraussetzung für eine erfolgreiche Aufklärungsrüge (stRspr, vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 6. Februar 2024 - 9 B 28.23 - juris Rn. 17). Dem Protokoll der mündlichen Verhandlung lässt sich kein einziger Beweisantrag entnehmen.

16 b) Auch soweit die Klägerin rügt, das Berufungsgericht habe nicht aufgeklärt, ob die Errichterin der Alarmanlage, die R. GmbH, die Mitarbeiter der Klägerin ordnungsgemäß, d. h. umfassend und vor Ort in die Bedienung der Anlage eingewiesen hat, insbesondere fehle eine Aufklärung, ob die Informationsveranstaltungen am 29. September 2016 und am 13. Oktober 2016 ordnungsgemäße Einweisungen darstellten (Beschwerdebegründung S. 10 ff.), legt sie keinen Aufklärungsmangel dar. Denn darauf kam es nach der insoweit maßgeblichen materiell-rechtlichen Rechtsauffassung des Berufungsgerichts nicht an.

17 Im Widerspruchsbescheid wird - im Zusammenhang mit der Frage der Schuldnerauswahl - darauf hingewiesen, dass der umfangreiche Polizeieinsatz durch die Mitarbeiterin der Klägerin verursacht worden sei, die zumindest fahrlässig zur Abschaltung des Brandalarms den - gut gekennzeichneten - Amokalarmknopf gedrückt und diesen Umstand zunächst nicht gegenüber der Polizei angegeben habe. Dabei könne offen bleiben, ob die Unterweisung der R. GmbH in die neu installierte Anlage zu frühzeitig und nicht umfassend gewesen sei, denn es dürfe "von geschultem und unterwiesenem Sicherheitspersonal jederzeit und im Übrigen auch völlig unabhängig von einer Schulung erwartet werden, gut gekennzeichnete Amokalarmknöpfe nicht ohne Vorliegen einer Amoklage zu drücken." Jedenfalls dürfe aber erwartet werden, dass dies spätestens auf Nachfrage gegenüber der Polizei eingeräumt werde. Dieser Argumentation hat sich das Berufungsgericht angeschlossen.

18 c) Schließlich bezeichnet die Beschwerde auch im Hinblick auf die geltend gemachte "(m)angelnde Aufklärung zum Sachverhalt der Pflichtenübertragung" keinen Verfahrensmangel.

19 Das Berufungsgericht geht davon aus, dass die Klägerin - neben der Stadt S. – verantwortliche (Mit-)Betreiberin der zentralen Alarmanlage im TX war, und leitet dies aus nachfolgenden Erwägungen ab: Die Klägerin habe tatsächlichen Zugriff auf die Alarmanlage gehabt und diese in Erfüllung ihrer vertraglichen Verpflichtung, die Sicherheit des Gebäudes zu überwachen, in eigenem - zivilrechtlichen und wirtschaftlichen - Interesse genutzt. Das Gericht habe keinen Zweifel, dass die vertraglichen Pflichten ungeachtet des von der Klägerin geltend gemachten Fehlens einer ausdrücklichen vertraglichen Regelung auch die Bedienung der neuen zentralen Alarmanlage umfasst habe. Hierfür liefere sowohl die Installation der Handmelder der Anlage in dem für die Mitarbeiter der Klägerin vorgesehenen Aufenthaltsraum als auch die von der Klägerin geschilderten Einweisungen ihres Personals in den Betrieb der Anlage durch die R. GmbH belastbare Anhaltspunkte. Überdies sei die Klägerin selbst ganz offensichtlich nicht von der Notwendigkeit einer Anpassung des Dienstleistungsvertrages mit der Stadt S. ausgegangen.

20 Die Beschwerde hält diese Argumentation nicht für überzeugend und weist darauf hin, dass es für eine Vertragsänderung, insbesondere vor dem Hintergrund, dass es zuvor im TX keine Alarmanlage gab, der Schriftform bedurft hätte. Durch fachliche Einweisungen des Personals würde keine rechtswirksame Erweiterung des bestehenden schriftlichen Sicherheitsdienstleistungsvertrages bewirkt. Die tatsächliche Sachherrschaft über die Alarmanlage setze zudem den Willen und das zur Bedienung der Anlage erforderliche Wissen voraus. An beidem habe es gefehlt.

21 Mit diesem Vorbringen setzt die Klägerin lediglich ihre eigene Würdigung des Sachverhalts an die Stelle derjenigen des Gerichts. Damit legt sie jedoch keinen Verfahrensfehler in Gestalt einer Aufklärungsrüge dar.

22 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG.