Beschluss vom 19.12.2022 -
BVerwG 3 BN 8.22ECLI:DE:BVerwG:2022:191222B3BN8.22.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 19.12.2022 - 3 BN 8.22 - [ECLI:DE:BVerwG:2022:191222B3BN8.22.0]

Beschluss

BVerwG 3 BN 8.22

  • OVG Saarlouis - 31.05.2022 - AZ: 2 C 57/21

In der Normenkontrollsache hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 19. Dezember 2022
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Philipp und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Liebler und Dr. Sinner
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Antragstellerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes vom 31. Mai 2022 wird zurückgewiesen.
  2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 20 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg; die Rechtssache hat nicht die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1, § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO).

2 1. Die Antragstellerin, eine GmbH, die ein Einzelhandelsunternehmen für IT-Technik betreibt, wendet sich mit ihrem am 22. Februar 2021 beim Oberverwaltungsgericht eingegangenen Normenkontrollantrag gegen § 7 Abs. 3 der saarländischen Verordnung zur Bekämpfung der Corona-Pandemie (VO-CP) vom 18. Februar 2021 (Amtsbl. S. 405 ff.), mit dem ihr die Öffnung ihres Ladengeschäfts verboten wurde. Die Verordnung ist gemäß ihrem § 14 Abs. 1 und 2 am 22. Februar 2021 in Kraft und mit Ablauf des 28. Februar 2021 außer Kraft getreten.

3 Zur Begründung ihres Normenkontrollantrags, mit dem die Antragstellerin die Feststellung begehrt hat, § 7 Abs. 3 VO-CP in der Fassung vom 18. Februar 2021 sei rechtswidrig gewesen, hat sie geltend gemacht, sie sei durch das Öffnungsverbot in ihrem Grundrecht auf Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) verletzt worden. Außerdem liege ein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot (Art. 3 Abs. 1 GG) vor, da sie gegenüber SB-Warenhäusern, Vollsortimentgeschäften und Supermärkten, die hätten öffnen dürfen, ungleich behandelt worden sei. Wegen der Umsatzeinbußen, die ihr durch das Verbot entstanden seien, beabsichtige sie, einen Amtshaftungsanspruch geltend zu machen. Sie habe im März 2021 bei ihrer Rechtsschutzversicherung eine entsprechende Deckungsanfrage gestellt. Die Geltendmachung eines solchen Anspruchs sei auch mit Blick auf das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 17. März 2022 - III ZR 79/21 - (BGHZ 233, 107) nicht offensichtlich aussichtslos. In dieser Entscheidung sei das unionsrechtliche Staatshaftungsrecht außer Betracht geblieben.

4 Das Oberverwaltungsgericht hat den Normenkontrollantrag mit Urteil vom 31. Mai 2022 zurückgewiesen. Die Antragstellerin habe kein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Unwirksamkeit des außer Kraft getretenen § 7 Abs. 3 VO-CP in der Fassung vom 18. Februar 2021. Ein solches Interesse bestehe nicht, wenn die beantragte Feststellung der Vorbereitung einer Klage diene, die offensichtlich aussichtslos sei. Es liege auf der Hand, dass hier eine Schadensersatzklage unter jedem Gesichtspunkt aussichtslos sei. Der Bundesgerichtshof habe mit Urteil vom 17. März 2022 entschieden, dass der Staat nicht für Einnahmeausfälle hafte, die durch flächendeckende vorübergehende Betriebsschließungen aufgrund staatlicher Maßnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus entstanden seien. Ein Amtshaftungsanspruch gegen den Antragsgegner (§ 839 Abs. 1 Satz 1 BGB i. V. m. Art. 34 Satz 1 GG) wegen der behaupteten Unwirksamkeit der Corona-Verordnung komme nach diesem Urteil schon deshalb nicht in Betracht, weil es an der Verletzung einer gegenüber einem "Dritten" bestehenden Amtspflicht fehle. Auch auf einen unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruch könne sich die Antragstellerin nicht berufen. Um das für die Zulässigkeit ihres Feststellungsbegehrens erforderliche besondere Feststellungsinteresse darzutun, hätte sie zudem substanziiert darlegen müssen, dass eine Klage ernsthaft beabsichtigt sei. Das sei der Fall, wenn die Klage auf Schadensersatz oder Entschädigung bereits anhängig oder mit hinreichender Sicherheit alsbald erhoben werde. Das habe die Antragstellerin weder vorgetragen noch sei es sonst erkennbar. Hinzu komme, dass sie den behaupteten Schaden nicht hinreichend durch Angaben zu dessen Art und annähernder Höhe substanziiert habe. Die Voraussetzungen für ein Feststellungsinteresse wegen Wiederholungsgefahr habe die Antragstellerin ebenfalls nicht dargelegt. Ein berechtigtes Interesse ergebe sich auch nicht daraus, dass in dem Öffnungsverbot ein erheblicher Eingriff in das Grundrecht der Berufsausübungsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG gelegen habe, das über Art. 19 Abs. 3 GG auf die Antragstellerin anwendbar sei. Wegen ihrer Rechtsform als GmbH erscheine fraglich, ob der Eingriff das erforderliche Feststellungsinteresse begründen könne. Der Persönlichkeitsbezug, der neben der erwerbswirtschaftlichen Seite mit der Berufsfreiheit verbunden sei, habe bei juristischen Personen des Privatrechts wie der Antragstellerin keine Bedeutung. Bei ihnen beschränke sich die Verwirklichung des Grundrechts aus Art. 12 Abs. 1 GG auf wirtschaftliche Erwerbszwecke. Diesem rein wirtschaftlichen Interesse werde ausreichend dadurch Rechnung getragen, dass durch die substanziierte Darlegung der Absicht, Schadensersatz- oder Entschädigungsansprüche geltend zu machen, die nachträgliche Feststellung der Unwirksamkeit einer außer Kraft getretenen Regelung erreicht werden könne.

5 2. Zur Begründung ihrer allein auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützten Nichtzulassungsbeschwerde macht die Antragstellerin geltend, nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 17. März 2022 - III ZR 79/21 -, auf das sich das Oberverwaltungsgericht bezogen habe, sei das Verhältnis des unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruchs zu dem nach dem nationalen Recht bestehenden Amtshaftungsanspruch zu klären.

6 Damit kann die Antragstellerin eine Revisionszulassung auf der Grundlage von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht erreichen. Das Oberverwaltungsgericht hat seine Annahme, ein berechtigtes Interesse der Antragstellerin, nach dem Außerkrafttreten der angegriffenen Regelung deren Unwirksamkeit in einem Normenkontrollverfahren feststellen zu lassen, ergebe sich nicht - wie geltend gemacht - aus der präjudiziellen Wirkung der Feststellung für in Aussicht genommene Entschädigungs- oder Schadensersatzansprüche, auf mehrere jeweils selbstständig tragende Begründungen gestützt. Es hat ein solches Feststellungsinteresse zum einen deshalb verneint, weil eine von der Antragstellerin noch zu erhebende Entschädigungs- oder Schadensersatzklage offensichtlich aussichtslos sei. Diese Annahme stützt das Oberverwaltungsgericht auf das genannte Urteil des Bundesgerichtshofs; er habe entschieden, dass der Staat nicht nach § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB i. V. m. Art. 34 Satz 1 GG für Einnahmeausfälle durch flächendeckende vorübergehende Betriebsschließungen aufgrund von staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus hafte. Auch einen unionsrechtlichen Haftungsanspruch der Antragstellerin hat das Oberverwaltungsgericht verneint (UA S. 13). Allein auf die vom Oberverwaltungsgericht aus diesen Gründen angenommene offensichtliche Aussichtslosigkeit eines Schadensersatzbegehrens zielt die von der Antragstellerin aufgeworfene Fragestellung. Sie macht hierzu geltend, es sei nicht geklärt, ob es sich bei dem unionsrechtlichen Anspruch, der eine Haftung für normatives Unrecht vorsehe, um einen Anspruch sui generis handele, der neben die Haftungstatbestände des nationalen Rechts trete, oder um eine unionsrechtliche Mindestvorgabe für einen Anspruch auf der Grundlage des jeweiligen nationalen Staatsrechts. Zu klären sei, ob das Unionsrecht der vom Oberverwaltungsgericht übernommenen Auffassung des Bundesgerichtshofs entgegenstehe. Mit der von ihr aufgeworfenen Frage und den Ausführungen zu deren Klärungsbedürftigkeit lässt die Antragstellerin indes außer Acht, dass das Oberverwaltungsgericht das Fehlen eines berechtigten Feststellungsinteresses in Bezug auf einen Amtshaftungsanspruch außerdem selbstständig tragend darauf gestützt hat, die Antragstellerin habe nicht substanziiert dargelegt, dass die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen oder einer Entschädigung ernsthaft beabsichtigt sei (UA S. 14); außerdem habe sie den behaupteten Schaden nicht hinreichend durch Angaben zur Art des Schadens und zur annähernden Schadenshöhe infolge der Schließung ihres Betriebs aufgrund der Corona-Verordnung in der Fassung vom 18. Februar 2021 substanziiert (UA S. 15).

7 Ist ein Urteil - hier hinsichtlich der Frage, ob sich ein berechtigtes Feststellungsinteresse aus einer beabsichtigten Amtshaftungsklage ergibt - nebeneinander auf mehrere jeweils selbstständig tragende Begründungen gestützt, kann eine Revision nur dann zugelassen werden, wenn im Hinblick auf jede dieser Begründungen ein Zulassungsgrund geltend gemacht wird und vorliegt (stRspr, vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 9. April 1981 - 8 B 44.81 - Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 197). Diese Voraussetzung erfüllt die Beschwerde nicht. In Bezug auf die vom Oberverwaltungsgericht vermisste Substanziierung des Amtshaftungsanspruchs macht die Antragstellerin einen Grund für die Zulassung der Revision nicht geltend.

8 Das Oberverwaltungsgericht hat bei seiner Entscheidung auch in den Blick genommen, ob sich ein berechtigtes Feststellungsinteresse der Antragstellerin aus Wiederholungsgefahr oder daraus ergeben könne, dass mit dem Verbot der Öffnung ihres Ladengeschäfts ein schwerwiegender Grundrechtseingriff verbunden gewesen sei, dessen direkte Wirkung sich auf eine Zeitspanne beschränkt habe, in der sie eine gerichtliche Hauptsacheentscheidung kaum habe erlangen können. Beides hat das Oberverwaltungsgericht verneint (UA S. 15 ff.). Auch insoweit macht die Antragstellerin einen Grund für die Zulassung der Revision nicht geltend.

9 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO; die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus § 47 Abs. 1 und 2 i. V. m. § 52 Abs. 1 GKG.