Beschluss vom 20.03.2023 -
BVerwG 10 B 1.23ECLI:DE:BVerwG:2023:200323B10B1.23.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 20.03.2023 - 10 B 1.23 - [ECLI:DE:BVerwG:2023:200323B10B1.23.0]

Beschluss

BVerwG 10 B 1.23

  • VG Kassel - 05.12.2018 - AZ: 4 K 505/15.KS
  • VGH Kassel - 25.05.2022 - AZ: 5 A 589/21

In der Verwaltungsstreitsache hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 20. März 2023
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts Dr. Rublack und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Schemmer und Dr. Günther
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 25. Mai 2022 wird zurückgewiesen.
  2. Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 113 400 € festgesetzt.

Gründe

I

1 Die Klägerin ist Eigentümerin eines Geländes einer ehemaligen Munitionsanstalt und wendet sich gegen eine abfallrechtliche Anordnung. Auf dem Grundstück befinden sich ein früheres Granatenvernichtungsbecken, ein Schacht und eine Abflussleitung. Mit der Anordnung gab der Beklagte der Klägerin auf, diese Einrichtungen von einer in der Kampfmittelräumung erfahrenen Firma vollständig räumen zu lassen und das geräumte Becken und den Schacht wieder zu verfüllen. Die Klage gegen die abfallrechtliche Anordnung hat im Berufungsverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof insgesamt Erfolg gehabt. Der Geltungsbereich des Kreislaufwirtschaftsgesetzes sei gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 14 KrWG nicht eröffnet für das Aufsuchen, Bergen, Befördern, Lagern, Behandeln und Vernichten von Kampfmitteln. Die festgestellten Umstände sprächen dafür, dass sich auf dem Grundstück der Klägerin noch Kampfmittel befänden.

2 Der Verwaltungsgerichtshof hat die Revision gegen seinen Beschluss nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Beklagten.

II

3 Die auf die Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

4 Es kann dahinstehen, ob der Rechtssache die ihr von dem Beklagten beigemessene grundsätzliche Bedeutung im Hinblick auf die von ihm aufgeworfenen Fragen zukommt,
ob es sich bei in einem Abfallgemisch befindlichen, aus der Granatenvernichtung entstandenen Reststoffen um Kampfmittel handelt und unter welchen Voraussetzungen damit eine abfallrechtliche Ermächtigung zur Beseitigungsanordnung ausgeschlossen ist
und
ob der Ausschlussgrund des § 2 Abs. 2 Nr. 14 KrWG bereits dann anzunehmen ist, wenn das Auffinden von Kampfmitteln im Bereich des Möglichen liegt (oder bei Gelegenheit erfolgt) oder eben doch erst der bewusste, zielgerichtete Umgang mit Kampfmitteln die Anwendung des Kreislaufwirtschaftsgesetzes ausschließt.

5 Selbst wenn es sich hierbei um klärungsfähige und -bedürftige Fragen des revisiblen Rechts handelte, wäre die Revision nicht zuzulassen.

6 Der Verwaltungsgerichtshof hat seinen Beschluss selbständig tragend auf die weitere Erwägung gestützt, der angegriffene Bescheid sei mangels ausreichender Ausführungen zur Störerauswahl ermessensfehlerhaft. Ist die vorinstanzliche Entscheidung - wie hier - auf mehrere selbständig tragende Begründungen gestützt, so kann die Revision nur zugelassen werden, wenn hinsichtlich jeder dieser Begründungen ein Revisionszulassungsgrund aufgezeigt wird und vorliegt (stRspr, vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 16. Juni 2020 - 4 BN 53.19 - juris Rn. 15 m. w. N.). Das ist nicht der Fall.

7 Der vom Beklagten im Hinblick auf die berufungsgerichtliche Annahme einer ermessensfehlerhaften Störerauswahl geltend gemachte Revisionszulassungsgrund der Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) liegt nach den Darlegungen in der Beschwerdebegründung nicht vor.

8 Eine die Revision eröffnende Divergenz ist nur dann im Sinne von § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung (unter anderem) des Bundesverfassungsgerichts aufgestellten ebensolchen entscheidungstragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat (BVerwG, Beschluss vom 4. Dezember 2018 - 4 B 3.18 - juris Rn. 10). Daran fehlt es hier.

9 Die Beschwerde rügt, der Verwaltungsgerichtshof weiche vom Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 16. Februar 2000 - 1 BvR 242/91 u. a. – (BVerfGE 102, 1 <19>) ab, wonach der Zustandsverantwortliche auch nicht aus verfassungsrechtlichen Gründen als stets nachrangig Haftender angesehen werden müsse, dessen Inanspruchnahme nur dann ermessensfehlerfrei sei, wenn ein Verursacher der Gefahr nicht mehr vorhanden oder zur Gefahrenbeseitigung außerstande sei. Eine Divergenz ist damit nicht dargetan. Der Verwaltungsgerichtshof hat keinen Rechtssatz aufgestellt, der von einem Rechtssatz des Bundesverfassungsgerichts abweicht. Vielmehr hat er darauf abgehoben, dass für Anordnungen nach § 62 KrWG grundsätzlich Handlungs- und Zustandsstörer in Betracht kämen. Die zuständige Behörde habe ein Auswahlermessen; hier spreche der Gesichtspunkt der Nähe zur Verursachung eher für eine Inanspruchnahme der Bundesrepublik Deutschland. Damit widersprechen die Rechtssätze des Verwaltungsgerichtshofs aber nicht dem Rechtssatz des Bundesverfassungsgerichts, der der grundsätzlichen Nachrangigkeit des Zustandsverantwortlichen eine Absage erteilt hat.

10 Die Beschwerde legt auch nicht hinreichend dar, dass der angegriffene Beschluss von dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 31. Mai 2012 - 3 A 1.11 – (Buchholz 11 Art. 120 GG Nr. 10) abweicht. Insoweit fehlt es schon an der Benennung eines Widerspruchs zu einem abstrakten Rechtssatz in dem angeblichen Divergenzurteil in Anwendung derselben Rechtsvorschrift, da das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts die für den Verwaltungsgerichtshof nicht entscheidungserhebliche Staatspraxis zur Erstattung von Aufwendungen für Kampfmittelbeseitigungen in Anlehnung an die Regelung in § 19 Abs. 2 Nr. 1 des Allgemeinen Kriegsfolgengesetzes (AKG) betrifft.

11 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i. V. m. § 52 Abs. 1 GKG.