Urteil vom 20.03.2023 -
BVerwG 3 CN 13.22ECLI:DE:BVerwG:2023:200323U3CN13.22.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 20.03.2023 - 3 CN 13.22 - [ECLI:DE:BVerwG:2023:200323U3CN13.22.0]

Urteil

BVerwG 3 CN 13.22

  • VGH München - 05.09.2022 - AZ: 20 N 21.2782

In der Normenkontrollsache hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 20. März 2023
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Philipp,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Liebler,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Kuhlmann,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Sinner und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Hellmann
ohne mündliche Verhandlung für Recht erkannt:

  1. Die Nummern I. und II. des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 5. September 2022 werden aufgehoben.
  2. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.
  3. Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Gründe

I

1 Die Antragstellerin betreibt ein Fitnessstudio in der Rechtsform einer GmbH. Sie wendet sich mit ihrem am 12. November 2021 beim Verwaltungsgerichtshof eingegangenen Normenkontrollantrag (§ 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO) gegen § 16 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 Halbs. 1, § 17 Satz 2 Nr. 2 Halbs. 1, § 17 Satz 2 Nr. 3 i. V. m. § 17 Satz 2 Nr. 2, § 17a Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 17 Satz 2 Nr. 3 i. V. m. § 17 Satz 2 Nr. 2 sowie § 17a Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 17 Satz 2 Nr. 2 Halbs. 1 - jeweils i. V. m. § 3 Abs. 1 - der Vierzehnten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 1. September 2021 (BayMBl. Nr. 615) in der Fassung der Änderungsverordnung vom 9. November 2021 (BayMBl. Nr. 776). Die Vorschriften enthielten Regelungen über den Zugang von Beschäftigten und Besuchern u. a. zu Sporteinrichtungen. Sie sind mit Ablauf des 23. November 2021 außer Kraft getreten (vgl. § 18 Abs. 2 der Fünfzehnten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 23. November 2021, BayMBl. Nr. 816).

2 Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat den Normenkontrollantrag mit Beschluss vom 5. September 2022 abgelehnt (I.) und der Antragstellerin die Kosten des Verfahrens auferlegt (II.). Der Antrag sei unzulässig. Ein Normenkontrollantrag könne nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zwar trotz des Außerkrafttretens der angegriffenen Rechtsnorm zulässig bleiben, wenn in der Vergangenheit liegende Sachverhalte noch nach ihr zu entscheiden seien oder wenn - wie hier - während des Normenkontrollverfahrens eine auf kurzfristige Geltung angelegte Norm, durch die oder durch deren Anwendung der Antragsteller einen Nachteil erlitten habe, außer Kraft getreten sei. In diesem Fall müsse jedoch der Antrag auf die Feststellung der Ungültigkeit der außer Kraft getretenen Norm umgestellt werden und ein berechtigtes Interesse an der (nachträglichen) Feststellung der Ungültigkeit bestehen. Eine solche Antragsänderung mit Darlegung des erforderlichen Feststellungsinteresses sei seitens der Antragstellerin aber nicht erfolgt. Die Revision hat der Verwaltungsgerichtshof in diesem Beschluss nicht zugelassen.

3 Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Antragstellerin hat der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 14. Oktober 2022 seinen Beschluss vom 5. September 2022 geändert und die Revision wegen eines Verfahrensfehlers zugelassen.

4 Mit ihrer allein auf einen Verfahrensmangel gestützten Revision beantragt die Antragstellerin,
den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 5. September 2022, 20 N 21.27 82 , aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen.

5 Der Antragsgegner ist dem nicht entgegengetreten.

II

6 Die Revision der Antragstellerin, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 101 Abs. 2 i. V. m. § 125 Abs. 1 und § 141 VwGO), ist begründet. Die Ablehnung des Normenkontrollantrags der Antragstellerin als unzulässig beruht auf einer Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Das führt zur Aufhebung der Nummern I. und II. des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

7 Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat den Anspruch der Antragstellerin auf rechtliches Gehör verletzt (§ 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG). Er hat bei der Ablehnung des Normenkontrollantrags als unzulässig nicht berücksichtigt, dass die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 31. März 2022 (Bl. 43 ff. GA), der am selben Tag beim Verwaltungsgerichtshof eingegangen ist, ihren bisherigen Antrag unter Verweis darauf umgestellt hatte, die angegriffenen Vorschriften seien gemäß § 18 Abs. 2 der Fünfzehnten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 23. November 2021 (BayMBl. Nr. 816) außer Kraft getreten. Sie hatte beantragt festzustellen, dass § 16 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 Halbs. 1, § 17 Satz 2 Nr. 3 i. V. m. § 17 Satz 2 Nr. 2, § 17a Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 17 Satz 2 Nr. 3 i. V. m. § 17 Satz 2 Nr. 2 - jeweils i. V. m. § 3 Abs. 1 - der Vierzehnten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 1. September 2021 (BayMBl. Nr. 615) in der Fassung der Änderungsverordnung vom 9. November 2021 (BayMBl. Nr. 776) unwirksam waren, soweit sie Beschäftigte eines Fitnessstudios betrafen. Zur Begründung des erforderlichen besonderen Feststellungsinteresses (vgl. zu diesem Erfordernis u. a. BVerwG, Urteil vom 11. November 2015 - 8 CN 2.14 - BVerwGE 153, 183 Rn. 19 m. w. N.) hatte sie geltend gemacht, es liege ein gravierender Eingriff in ihre Berufsfreiheit und das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb sowie eine Verletzung des Gleichheitssatzes und des Rechtsstaatsprinzips vor. Die angegriffenen Regelungen hätten es ihr faktisch wirtschaftlich unmöglich gemacht, ungeimpfte Mitarbeiter zu beschäftigen, da die angeordnete PCR-Testpflicht die Beschäftigung geringfügig Beschäftigter vollkommen unrentabel gemacht hätte. Für die Gastronomie und damit infektiologisch nicht weniger exponierte Bereiche hätten deutlich weniger eingriffsintensive "Ausnahmeregelungen" gegolten. Zudem bestehe Wiederholungsgefahr, da zu befürchten sei, dass in einem etwaigen nächsten Lockdown oder bei strengeren Maßnahmen zur Bekämpfung einer neuen Variante des Coronavirus Fitnessstudios erneut sachgrundlos im Vergleich zu anderen Indoor-Aktivitäten schlechter gestellt würden. Der Verwaltungsgerichtshof hat diesen Vortrag übersehen.

8 Die Antragstellerin hat die Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör in der erforderlichen Weise geltend gemacht (§ 139 Abs. 3 Satz 4 VwGO). Der angefochtene Beschluss beruht auf dem Verfahrensmangel (§ 138 Nr. 3 VwGO). Er ist daher aufzuheben und die Sache an den Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO; vgl. BVerwG, Urteil vom 15. September 2008 - 1 C 12.08 - Buchholz 310 § 101 VwGO Nr. 34 Rn. 11).

9 Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.