Verfahrensinformation

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist die Versetzung der Klägerin in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit.


Die 1953 geborene Klägerin war als Steueramtsrätin in der Finanzverwaltung des beklagten Landes tätig. Sie ist schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 50. Aufgrund einer entsprechenden amtsärztlichen Begutachtung beabsichtigte das beklagte Land die Versetzung der Klägerin in den Ruhestand. Mit dieser Absicht befasste das Land die Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen und die zuständige Frauenvertreterin mit dem Vorgang. Diese erklärten jeweils, keine Einwände gegen die beabsichtigte Versetzung der Klägerin in den Ruhestand zu haben. Das Land legte den Vorgang auch dem Personalrat zur Mitbestimmung vor. Dieser verweigerte seine Zustimmung mit der Begründung, ihm fehlten die maßgeblichen Unterlagen, insbesondere das amtsärztliche Gutachten. Daraufhin legte die Behörde dem Personalrat die Sache samt Gutachten erneut zur Mitbestimmung vor. Der Personalrat erklärte, er stimme der Zurruhesetzung nicht zu, und führte zur Begründung an, gültige Stellungnahmen der Schwerbehinderten- und der Frauenvertretung lägen nicht vor. Denn diese hätten erneut befasst werden müssen. Das Land hielt diese Begründung für unbeachtlich und sah die Zustimmung als erteilt an. Der Personalrat hat daraufhin beim Verwaltungsgericht einen konkreten Feststellungsantrag in Bezug auf das abgebrochene Mitbestimmungsverfahren gestellt, diesen jedoch in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht zurückgenommen.


Das Verwaltungsgericht hat die Klage der Klägerin gegen die Zurruhesetzungsverfügung abgewiesen. Das OVG Berlin-Brandenburg hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Es sei unerheblich, dass vor dem Erlass der Verfügung nicht die Zustimmung des Integrationsamtes eingeholt worden sei. Denn § 85 SGB IX a.F. sei auf das Verfahren der Zurruhesetzung eines Lebenszeitbeamten nicht anwendbar. Die Verweigerung der Zustimmung durch den Personalrat sei unbeachtlich. Denn die von der Personalvertretung angegebenen Gründe lägen offensichtlich außerhalb der Mitbestimmung. Die Frauenvertreterin und die Vertrauensperson hätten sich mit den ihnen unterbreiteten Informationen begnügt. Diese Stellen hätten selbst zu entscheiden, ob sie genauere Angaben für notwendig erachten. Damit sei der Einwand des Personalrats, die Frauenvertreterin und die Vertrauensperson hätten weiter beteiligt werden müssen, hinfällig.


Urteil vom 20.10.2022 -
BVerwG 2 C 10.21ECLI:DE:BVerwG:2022:201022U2C10.21.0

Leitsatz:

Im Verfahren der Mitbestimmung bei der vorzeitigen Versetzung in den Ruhestand ohne eigenen Antrag des Beamten nach § 88 Nr. 10 PersVG BE kann der Personalrat die Verweigerung seiner Zustimmung nicht darauf stützen, die Zustimmung der Vertretung der schwerbehinderten Menschen oder der Frauenvertreterin beruhe auf unzureichenden Informationen durch den Dienstherrn (wie BVerwG, Beschluss vom 20. März 1996 - 6 P 7.94 - BVerwGE 100, 354).

  • Rechtsquellen
    BeamtStG §§ 23 und 26
    SGB IX 2001 § 85
    LBG BE § 39
    PersVG BE §§ 72, 73 und 88

  • VG Berlin - 31.10.2019 - AZ: 36 K 857.17
    OVG Berlin-Brandenburg - 29.07.2021 - AZ: 4 B 14.19

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 20.10.2022 - 2 C 10.21 - [ECLI:DE:BVerwG:2022:201022U2C10.21.0]

Urteil

BVerwG 2 C 10.21

  • VG Berlin - 31.10.2019 - AZ: 36 K 857.17
  • OVG Berlin-Brandenburg - 29.07.2021 - AZ: 4 B 14.19

In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 20. Oktober 2022
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Kenntner, die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. von der Weiden und Dr. Hartung, die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Hampel
sowie den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Hissnauer
ohne mündliche Verhandlung für Recht erkannt:

  1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 29. Juli 2021 wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

Gründe

I

1 Die Klägerin wendet sich gegen ihre Zurruhesetzung wegen Dienstunfähigkeit.

2 Die 1953 geborene Klägerin stand als Steueramtsrätin (Besoldungsgruppe A 12 LBesO) im Dienst des beklagten Landes. Sie ist schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 50. Ohne Zurruhesetzung wäre die Klägerin mit Ablauf des Januar 2018 wegen des Erreichens der gesetzlichen Altersgrenze in den Ruhestand versetzt worden.

3 Ab April 2013 war die Klägerin mehrfach für längere Zeit - auch für mehrere Monate - dienstunfähig erkrankt. Die Klägerin wurde mehrmals amtsärztlich untersucht und auch im Rahmen des sogenannten Hamburger Modells wieder eingegliedert. Aufgrund der letzten amtsärztlichen Untersuchung vom Januar 2017, die die Wiederherstellung der Dienstfähigkeit der Klägerin langfristig ausschloss, leitete der Beklagte das Verfahren zur Zurruhesetzung der Klägerin ein.

4 Die Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen und die Frauenvertreterin im Finanzamt erhoben auf der Grundlage der ihnen übersandten Unterlagen gegen die vom Beklagten beabsichtigte Zurruhesetzung der Klägerin keine Einwände. Der daraufhin vom Beklagten beteiligte Personalrat verweigerte seine Zustimmung mit der Begründung, ihm fehlten die maßgeblichen Unterlagen, insbesondere das amtsärztliche Gutachten vom Januar 2017. Der Beklagte legte dem Personalrat die Sache samt Gutachten erneut zur Mitbestimmung vor. Der Personalrat verweigerte abermals seine Zustimmung mit der Begründung, es lägen keine gültigen Stellungnahmen der Schwerbehinderten- und der Frauenvertretung vor, weil diese noch einmal hätten befasst werden müssen. Der Beklagte hielt diese Begründung für unbeachtlich und sah die Zustimmung als erteilt an. Eine hiergegen vom Personalrat erhobene Klage nahm dieser in der mündlichen Verhandlung wieder zurück.

5 Der Beklagte versetzte die Klägerin mit Ablauf des Mai 2017 wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand. Die nach Durchführung des Vorverfahrens erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung der Klägerin hiergegen zurückgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die Zurruhesetzung der Klägerin sei formell rechtmäßig. Vor der Zurruhesetzung habe das Integrationsamt nicht beteiligt werden müssen. Die Verweigerung der Zustimmung durch den Personalrat sei unbeachtlich. Auf der Grundlage des amtsärztlichen Gutachtens vom Januar 2017 sei die Zurruhesetzung der Klägerin auch materiell rechtmäßig.

6 Hiergegen richtet sich die bereits vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Klägerin, mit der sie beantragt,
die Urteile des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 29. Juli 2021 und des Verwaltungsgerichts Berlin vom 31. Oktober 2019 sowie den Bescheid des Landesverwaltungsamtes Berlin vom 17. Mai 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids der Senatsverwaltung für Finanzen vom 24. August 2017 aufzuheben.

7 Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

II

8 Die zulässige Revision der Klägerin, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 101 Abs. 2 i. V. m. § 141 Satz 1 und § 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO), ist unbegründet. Das Berufungsurteil verletzt revisibles Recht (§ 137 Abs. 1 und § 191 Abs. 2 VwGO, § 127 Nr. 2 BRRG sowie § 63 Abs. 3 Satz 2 BeamtStG) nicht. Die Anfechtungsklage gegen die Zurruhesetzung ist ungeachtet des Umstands, dass die Klägerin zwischenzeitlich ohnehin in den Ruhestand versetzt worden wäre, wegen der nachteiligen finanziellen Auswirkungen der Zurruhesetzung wegen Dienstunfähigkeit zulässig (BVerwG, Urteil vom 30. Mai 2013 - 2 C 68.11 - BVerwGE 146, 347 Rn. 10). Sie ist jedoch nicht begründet. Die Zurruhesetzung der Klägerin ist nach Maßgabe der zum Zeitpunkt der Zustellung des Widerspruchsbescheids bestehenden Sach- und Rechtslage sowohl in formeller (1.) als auch in materiell-rechtlicher Hinsicht (2.) rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.

9 1. Weder im Hinblick auf das Erfordernis der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes (a) noch in Bezug auf das Personalvertretungsrecht (b) begegnet die Zurruhesetzungsverfügung des beklagten Landes Bedenken.

10 a) In Ansehung der Schwerbehinderung der Klägerin bedurfte es vor dem Erlass der Zurruhesetzungsverfügung weder nach innerstaatlichem Recht noch nach den Vorgaben des Unionsrechts der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes (vgl. das den Beteiligten bekannte Senatsurteil vom 7. Juli 2022 - 2 A 4.21 - ArbR 2022, 593 zu § 168 SGB IX in der Fassung des am 1. Januar 2018 in Kraft getretenen Bundesteilhabegesetzes vom 23. Dezember 2016, BGBl. I S. 3234). Gegenüber der hier maßgeblichen Vorschrift des § 85 SGB IX in der Fassung des Gesetzes vom 19. Juni 2001 (BGBl. I S. 1046) ist mit der Regelung des § 168 SGB IX keine inhaltliche Änderung verbunden (Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Bundesteilhabegesetz, BT-Drs. 18/9522 S. 108, zu § 178 BTHG). Wie im Verfahren des Senatsurteils BVerwG 2 A 4.21 bietet auch der vorliegende Rechtsstreit keinen Anlass für eine Prüfung, ob die Entlassung eines Beamten auf Widerruf und auf Probe (§ 23 Abs. 3 und 4 BeamtStG) der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes bedarf.

11 b) Die Zurruhesetzung der Klägerin ist auch nach Maßgabe der revisiblen Vorschriften des Personalvertretungsgesetzes des beklagten Landes (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. November 1983 - 2 C 9.82 - BVerwGE 68, 189 <191>) rechtmäßig.

12 Zwar wirkt nach § 88 Nr. 10 PersVG BE der Personalrat mit bei der vorzeitigen Versetzung in den Ruhestand ohne eigenen Antrag, soweit der Beamte dem nicht widerspricht. Der Beklagte durfte aber die Verweigerung der Zustimmung des Personalrats im Schreiben vom 20. April 2017 als unbeachtlich bewerten. Denn der vom Personalrat angegebene Grund, es lägen keine rechtswirksamen Stellungnahmen der Schwerbehinderten- und der Frauenvertretung vor und diese hätten erneut befasst werden müssen, liegt offensichtlich außerhalb eines Mitwirkungstatbestandes (BVerwG, Urteil vom 20. Juni 1986 - 6 P 4.83 - BVerwGE 74, 273 <276 f.>).

13 Aus der dem Personalrat nach § 72 Abs. 1 Nr. 2 PersVG BE obliegenden allgemeinen Aufgabe, über die Durchführung der für die Dienstkräfte geltenden Vorgaben zu wachen, folgt, dass die Personalvertretung zur Durchführung ihrer Aufgaben rechtzeitig und umfassend zu unterrichten ist und ihr sämtliche zur Durchführung ihrer Aufgaben erforderlichen Unterlagen zur Verfügung zu stellen sind (§ 73 PersVG BE). Bei einer Entscheidung über die Mitbestimmung im Falle einer vorzeitigen Versetzung eines Beamten in den Ruhestand ohne dessen Antrag (§ 88 Nr. 10 PersVG BE) müssen dem Personalrat danach die Stellungnahmen der Vertretung der schwerbehinderten Menschen sowie der Frauenvertreterin vorgelegt werden. Dementsprechend kann der Personalrat geltend machen, dass die Dienststelle die Schwerbehindertenvertretung und die Frauenvertreterin nicht beteiligt hat. Dagegen kann die Personalvertretung die Verweigerung ihrer Zustimmung nicht darauf stützen, die bisherige Beteiligung anderer Vertretungen sei nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden (BVerwG, Beschluss vom 20. März 1996 - 6 P 7.94 - BVerwGE 100, 354 <364 f.>). Denn in diesem Fall maßte sich die Personalvertretung die Befugnisse an, die der Gesetzgeber der jeweiligen Vertretung zugeordnet hat. Es ist allein Sache der jeweiligen Vertretung darüber zu befinden, ob die ihr vorgelegten Unterlagen für die von ihr zu treffende Entscheidung ausreichen. Die Vertretungen entscheiden selbst über die Art und Weise der Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben und unterliegen dabei nicht der Aufsicht der Personalvertretung. Es oblag daher auch den seit Jahren mit den krankheitsbedingten Einschränkungen der Klägerin befassten Vertretungen, darüber zu befinden, ob ihnen das Ergebnis der amtsärztlichen Untersuchung vom Januar 2017 als Entscheidungsgrundlage genügt oder ob hierfür die Begründung im Einzelnen erforderlich ist.

14 2. Nach den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und deshalb nach § 137 Abs. 2 VwGO bindenden tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts waren zum maßgeblichen Zeitpunkt auch die materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Zurruhesetzung der Klägerin erfüllt (§ 26 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG und § 39 Abs. 1 Satz 1 LBG BE).

15 Die Klägerin hatte im Zeitraum vor der Zustellung des Widerspruchsbescheids innerhalb eines Zeitraums von sechs Monaten infolge einer Erkrankung mehr als drei Monate keinen Dienst getan. Es bestand auch keine Aussicht, dass innerhalb einer Frist von weiteren sechs Monaten ihre Dienstfähigkeit wieder voll hergestellt würde. Ausgeschlossen waren ferner die Möglichkeit einer anderweitigen Verwendung nach § 26 Abs. 2 und 3 BeamtStG sowie die Annahme der begrenzten Dienstfähigkeit.

16 3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.