Beschluss vom 20.12.2022 -
BVerwG 6 B 36.22ECLI:DE:BVerwG:2022:201222B6B36.22.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 20.12.2022 - 6 B 36.22 - [ECLI:DE:BVerwG:2022:201222B6B36.22.0]

Beschluss

BVerwG 6 B 36.22

  • VG Düsseldorf - 05.11.2021 - AZ: 15 K 3772/19
  • OVG Münster - 29.09.2022 - AZ: 14 A 3201/21

In der Verwaltungsstreitsache hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 20. Dezember 2022
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Kraft,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Tegethoff und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Gamp
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 29. September 2022 wird verworfen.
  2. Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 15 000 € festgesetzt.

Gründe

I

1 Die Klägerin, eine Diplom-Psychologin, begehrt die Verpflichtung des beklagten Landes, ihre staatliche Prüfung zur Psychologischen Psychotherapeutin für bestanden zu erklären.

2 Der Beklagte ließ die Klägerin im August 2017 zur staatlichen Prüfung zur Psychologischen Psychotherapeutin zu, nachdem sie die entsprechende Ausbildung absolviert hatte. Während sie im mündlichen Teil dieser Prüfung die Gesamtnote "gut" erreichte, bewertete der Beklagte den schriftlichen Teil im ersten Versuch und im Wiederholungsversuch als nicht bestanden. Mit Bescheid vom 28. September 2018 teilte er der Klägerin mit, dass auch der zweite Wiederholungsversuch und die Prüfung damit endgültig nicht bestanden seien. Die Bestehensgrenze für den schriftlichen Teil in diesem Versuch habe bei 48 Punkten gelegen. Die Klägerin habe nur 47 Punkte erreicht. Die Klägerin erhob Widerspruch mit der Begründung, ihre Antwort "hyperchondrische Störung" statt "hypochondrische Störung" bei der Kurzantwortaufgabe Nr. 3 sei mit richtig zu bewerten, weil es sich hierbei um einen unbeachtlichen Schreibfehler handele. Der Beklagte wies den Widerspruch unter Bezugnahme auf eine eingeholte fachliche Stellungnahme des Instituts für medizinische und pharmazeutische Prüfungsfragen (IMPP) zurück, da die griechischen Wortbestandteile "hyper" und "hypo" unterschiedliche Bedeutung hätten. Die anschließend erhobene Klage blieb beim Verwaltungsgericht erfolglos.

3 Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberverwaltungsgericht das erstinstanzliche Urteil geändert und den Beklagten verpflichtet, die schriftliche Prüfung der Klägerin mit 48 Punkten für bestanden zu erklären und die Klägerin über das Gesamtergebnis der staatlichen Prüfung zur psychologischen Psychotherapeutin zu bescheiden. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass das IMPP zu dem Verfahren nicht beizuladen gewesen sei. Dessen rechtlichen Interessen seien durch die Entscheidung über die Bewertung der streitgegenständlichen Prüfungsfrage als richtig oder falsch nicht berührt. Zwar habe das IMPP die Prüfungsfrage nebst Lösung erstellt, jedoch stünden ihm insoweit keine eigenen geschützten Rechtspositionen zu. Die Klägerin habe den schriftlichen Teil der Prüfung mit 48 Punkten bestanden, da ihre Antwort "hyperchondrische Störung" in der Kurzantwortaufgabe Nr. 3 als richtig zu werten sei, obwohl sie von der vorgegebenen Lösung "hypochondrische Störung" abweiche. Die Schreibweise der Klägerin sei als unbeachtlicher Rechtschreibfehler zu werten, da es den Fachbegriff "Hyperchondrie" nicht gebe und daher eine Verwechselung zweier Fachbegriffe mit unterschiedlichem Bedeutungsgehalt nicht vorliege. Zudem stelle das mit dem zutreffenden Fachbegriff "Hypochondrie" umschriebene Krankheitsbild keine wörtliche Übersetzung eines griechischen Begriffs dar. Der zutreffende Fachbegriff sei durch den Schreibfehler nicht derart verfälscht, dass nicht mehr erkennbar wäre, welcher Fachbegriff gemeint sei. Schließlich stelle der Rechtschreibfehler auch nicht die zu prüfende Fähigkeit der Klägerin im Bereich der Diagnostik in Frage. Mit ihrer Antwort bleibe nicht unklar, welche Erkrankung sie bezeichnet habe; auch habe sie mit dem Schreibfehler keine andere Erkrankung diagnostiziert.

4 Hiergegen wendet sich der Beklagte mit seiner Beschwerde, die er auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache und das Vorliegen von Verfahrensfehlern im Berufungsverfahren stützt.

II

5 Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem vorinstanzlichen Beschluss bleibt ohne Erfolg. Das Vorbringen des Beklagten genügt schon nicht den Anforderungen, die an die Geltendmachung der in § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO normierten Zulassungsgründe zu stellen sind.

6 1. Die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO setzt voraus, dass die Beschwerde eine Frage des revisiblen Rechts von allgemeiner, über den Einzelfall hinausreichender Bedeutung aufwirft, die im konkreten Fall entscheidungserheblich ist. Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO verlangt für die Geltendmachung der Grundsatzrüge die Bezeichnung einer konkreten Rechtsfrage, die für die Revisionsentscheidung erheblich sein wird, und einen Hinweis auf den Grund, der ihre Anerkennung als grundsätzlich bedeutsam rechtfertigen soll. Die Beschwerde muss daher erläutern, dass und inwiefern die Revisionsentscheidung zur Klärung einer bisher revisionsgerichtlich nicht beantworteten fallübergreifenden Rechtsfrage des revisiblen Rechts führen kann (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. August 2011 - 6 B 16.11 - juris Rn. 2 m. w. N.).

7 a) Der Beklagte trägt in der Begründung unter Wiederholung des Berufungsvorbringens zur Bedeutung des Verfahrens zur Erstellung und Bewertung von Kurzantwortaufgaben durch das IMPP vor. Er rügt, durch die vorinstanzliche Entscheidung sei das Prüfungsformat Freitextaufgabe bzw. Kurzantwortaufgabe nicht mehr rechtssicher zu bewerten, da die Prüferinnen und Prüfer nicht eindeutig abgrenzen könnten, was richtig, vertretbar oder falsch sei, wenn danach gefragt werden müsse, was ein Prüfling "meine". Dies gelte insbesondere dann, wenn Fachbegriffe nach ICD-10 abgefragt würden, die keiner Interpretationsmöglichkeit unterlägen.

8 Dieser Darlegung einer Grundsatzrüge fehlt schon die Bezeichnung einer konkreten Rechtsfrage. Sie erschöpft sich zudem in einer Kritik an dem vorinstanzlichen Beschluss im Stile einer Berufungsbegründung, die die Darlegungsanforderungen für die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung nicht ansatzweise erfüllt.

9 b) Auch soweit der Beklagte rügt, das Berufungsgericht habe sich nicht mit der grundsätzlichen Frage auseinandergesetzt, ob es sich vorliegend um eine Fachfrage oder um - nur eingeschränkter gerichtlichen Kontrolle unterliegende - prüfungsspezifische Wertungen handele, sind die Darlegungsanforderungen für den Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht erfüllt. Denn der Beklagte zeigt nicht auf, dass sich diese Frage in entscheidungserheblicher Weise in einem Revisionsverfahren stellen würde. Das Berufungsgericht ist unter Beachtung der bundesverwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. November 1980 - 7 C 54.78 - BVerwGE 61, 211 <214 f.>) in seiner den Beschluss tragenden Begründung von einem unbeachtlichen Schreibfehler ausgegangen, der keinen Rückschluss auf die zu prüfenden Fähigkeiten der Klägerin gestattet. Mit dieser, ihrem Vorbringen vorgelagerten Würdigung des Berufungsgerichts setzt sich die Beschwerde nicht auseinander.

10 2. Die Bezeichnung eines Verfahrensmangels verlangt gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO substantiierten Tatsachen- und Rechtsvortrag (BVerwG, Beschluss vom 10. November 1992 - 3 B 52.92 - Buchholz 303 § 314 ZPO Nr. 5). Insbesondere muss der verletzte prozessuale Rechtssatz dargelegt werden; die verletzte Rechtsnorm sollte dabei genannt werden (BVerwG, Beschlüsse vom 1. Oktober 2014 - 10 B 52.14 - juris Rn. 3 und vom 12. Mai 2020 - 6 B 53.19 - juris Rn. 2).

11 a) Nach Auffassung des Beklagten hätte sich die Vorinstanz mit der Frage beschäftigen müssen, ob es sich bei der Beantwortung der Kurzantwortaufgabe Nr. 3 um eine Fachfrage oder eine fachspezifische Wertung handele. Darin könne zugleich ein Verfahrensmangel i. S. v. § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO liegen, da das Berufungsgericht zur Klärung dieser Frage nicht auf einschlägige Fachliteratur habe zurückgreifen können, die sich mit der Gleichsetzung der hyperchondrischen und der hypochondrischen Störung befasse.

12 Diesem Vorbringen lässt sich schon nicht entnehmen, welche Verfahrensvorschrift das Berufungsgericht verletzt haben soll. Darüber hinaus verkennt der Beklagte, dass das Berufungsgericht nicht auf die von ihm aufgeworfene Frage eingehen musste. Es ist von einem unbeachtlichen Schreibfehler ausgegangen und hat hervorgehoben, dass mangels eigenständigen Bedeutungsgehalts des Begriffs "hyperchondrische Störung" es nicht entscheidungserheblich darauf angekommen ist, ob "Hypochondrie" und "Hyperchondrie" synonym verwandt werden. Hiermit setzt sich der Beklagte nicht auseinander.

13 b) Auch soweit der Beklagte die unterlassene Beiladung des IMPP und damit die fehlende Darstellung des Ablaufs des Verfahrens zur Entstehung der Prüfung, ihrer Fragen und Bewertungen durch dieses Institut als Verletzung der Aufklärungspflicht rügt, ist den Darlegungsanforderungen nicht Rechnung getragen. Denn dem Vortrag des Beklagten lässt sich nicht entnehmen, welche Tatsachen das IMPP vorgetragen hätte, die zu einer anderen, für den Beklagten günstigeren rechtlichen Bewertung als das Vorliegen eines unbeachtlichen Schreibfehlers geführt hätten (vgl. zu den Anforderungen an die Darlegung: BVerwG, Beschluss vom 9. Oktober 2020 - 6 B 51.20 - juris Rn. 16 m. w. N.). Allein die Behauptung, dass bei erfolgter Beiladung des IMPP die Sache anders bewertet worden und die Entscheidung anders ausgefallen wäre, genügt nicht.

14 3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).

15 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG i. V. m. Ziff. 36.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.