Beschluss vom 21.04.2021 -
BVerwG 4 BN 48.20ECLI:DE:BVerwG:2021:210421B4BN48.20.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 21.04.2021 - 4 BN 48.20 - [ECLI:DE:BVerwG:2021:210421B4BN48.20.0]

Beschluss

BVerwG 4 BN 48.20

  • OVG Koblenz - 27.05.2020 - AZ: OVG 8 C 11400/18.OVG

In der Normenkontrollsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 21. April 2021
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Schipper und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Külpmann und Dr. Hammer
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 27. Mai 2020 wird zurückgewiesen.
  2. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 20 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die auf alle Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

2 1. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, die ihr die Beschwerde beimisst.

3 Grundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrunde liegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), also näher ausgeführt werden, dass und inwieweit eine bestimmte Rechtsfrage des revisiblen Rechts im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und warum ihre Klärung in dem beabsichtigten Revisionsverfahren zu erwarten ist (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 2. Oktober 1961 - 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91> und vom 14. Oktober 2019 - 4 B 27.19 - ZfBR 2020, 173 Rn. 4).

4 a) Die Beschwerde möchte grundsätzlich geklärt wissen,
ob der Untersuchungsumfang und die Konfliktlösung in der FFH-Verträglichkeitsprüfung im Rahmen der verbindlichen Bauleitplanung in der Weise abgeschichtet werden können, dass nur die hier bereits prüffähigen und mit den Mitteln der Bauleitplanung lösbaren Konflikte eine abschließende Prüfung erfahren und im Übrigen lediglich ein prognostisches positives Gesamturteil erfolgt.

5 Diese Frage ist nicht klärungsbedürftig, weil sie sich dem Oberverwaltungsgericht nicht gestellt hat. Das Revisionsgericht ist nicht gehalten, nach Art eines Gutachtens Rechtsfragen zu klären, die sich die Vorinstanz nicht gestellt und die sie deshalb auch nicht beantwortet hat (BVerwG, Beschlüsse vom 25. April 2016 - 4 B 10.16 - juris Rn. 5 und vom 6. September 2017 - 4 BN 20.17 - juris Rn. 3).

6 Die naturschutzrechtlichen Prüfungsanforderungen, die gemäß § 1a Abs. 4 BauGB auch bei der Aufstellung von Bauleitplänen anzuwenden sind, sind sachnotwendig von den im Rahmen der Planung verfügbaren Detailkenntnissen abhängig und an die Leistungsgrenzen des jeweiligen planerischen Instruments gebunden. Lassen sich Beeinträchtigung der Erhaltungsziele eines FFH- oder Vogelschutzgebiets auf der jeweiligen Planungsebene nicht abschätzen oder gegebenenfalls erforderliche Kohärenzsicherungsmaßnahmen nicht treffen, kann es zulässig sein, die FFH-Verträglichkeitsprüfung auf ein nachfolgendes Genehmigungsverfahren zu verlagern (BVerwG, Beschluss vom 24. März 2015 - 4 BN 32.13 - Buchholz 406.11 § 1a BauGB Nr. 9 Rn. 35 zu einem Flächennutzungsplan).

7 Die an diese Rechtsprechung anknüpfende Frage der Beschwerde wirft der Fall nicht auf. Der Bebauungsplan lässt innerhalb eines Vogelschutzgebiets ein Hotel mit Schank- und Speisewirtschaften, die Verlagerung und Konzentration wassersportlicher Anlagen sowie die Errichtung einer Schank- und Speisewirtschaft mit sanitären Anlagen und Mitarbeiterstellplätzen an einem Badestrand zu (UA S. 23). Zur Überzeugung der Vorinstanz steht fest, dass entgegen der nicht vollständig durchgeführten Verträglichkeitsprüfung und nachgereichter Unterlagen diese Nutzungen zu erheblichen Beeinträchtigungen von Erhaltungszielen des Vogelschutzgebiets in außerhalb des Geltungsbereichs des Bebauungsplans gelegenen Gebietsbestandteilen führen können, die durch die im Plan festgesetzten Schadensbegrenzungsmaßnahmen nicht ansatzweise aufgewogen werden (UA S. 25 und S. 33 f.). Vor diesem Hintergrund ist nicht ersichtlich, dass die Verträglichkeit des angefochtenen Bebauungsplans nicht prüffähig war. Es gilt vielmehr der Grundsatz, dass § 1a Abs. 4 BauGB i.V.m. § 34 Abs. 1 und 2 BNatSchG eine lückenlose Prüfung gebietet, die vollständige, präzise und endgültige Feststellungen enthalten muss (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. April 2014 - 9 A 25.12 - BVerwGE 149, 289 Rn. 48; siehe auch EuGH, Urteil vom 20. September 2007 - C-304/05 [ECLI:​EU:​C:​2007:​532] - Rn. 69).

8 b) Die Frage,
ob die allgemeinen ordnungsrechtlichen Grundsätze zur Verhaltenszurechnung auch in der FFH-Verträglichkeitsprüfung gelten,
führt nicht zur Zulassung der Revision, weil sich der Prüfungsmaßstab, soweit er für den vorliegenden Fall entscheidungserheblich ist, auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung und mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation ohne Weiteres beantworten lässt (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 24. August 1999 - 4 B 72.99 - BVerwGE 109, 268 <270> und vom 16. November 2004 - 4 B 71.04 - NVwZ 2005, 449 <450>).

9 Gegenstand der Verträglichkeitsprüfung ist nach § 34 Abs. 2 BNatSchG, ob der Plan zu erheblichen Beeinträchtigungen des Gebiets in seinen für die Erhaltungsziele oder den Schutzzweck maßgeblichen Bestandteilen führen kann. Damit ist ein vorhaben- und gebietsbezogener Maßstab bezeichnet (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Februar 2020 - 7 C 3.19 - BVerwGE 168, 20 Rn. 43). Grundsätzlich ist jede Beeinträchtigung von Erhaltungszielen erheblich und muss als Beeinträchtigung des Gebiets gewertet werden (BVerwG, Urteil vom 17. Januar 2007 - 9 A 20.05 - BVerwGE 128, 1 Rn. 41; vgl. auch EuGH, Urteil vom 14. Januar 2016 - C-399/14 [ECLI:​EU:​C:​2016:​10] - Rn. 42). Fraglich könnte die Zurechnung mittelbarer Beeinträchtigungen durch Dritte allenfalls sein, wenn der Plan insofern keine Lenkungswirkung entfaltete (vgl. hierzu Möckel, in: Schlacke, GK-BNatSchG, 2. Aufl. 2017, § 34 Rn. 17).

10 Das Oberverwaltungsgericht ist in Übereinstimmung mit den Annahmen der Antragsgegnerin davon ausgegangen, dass jedenfalls die von den Hotel- und Gastronomiegästen ausgehenden Störungen auf den Wegen um den Silbersee auf die zugelassenen Nutzungen zurückzuführen und damit planbedingt sind (UA S. 28). Da bereits diese Störwirkungen von der Antragsgegnerin nicht ausreichend erfasst worden sind, kommt es auf die Frage, ob weitere, dem Plangeber unerwünschte Störungen, etwa durch "wildes" Baden, Campen, Grillen etc. dem Vorhaben zuzurechnen sind, nicht entscheidungserheblich an.

11 c) Die von der Beschwerde als klärungsbedürftig aufgeworfene Frage,
ob ohnehin gesichert eintretende günstige Effekte in der FFH-Verträglichkeitsprüfung den sowieso gebotenen Maßnahmen (Standardmaßnahmen) gleichzustellen sind oder in die dadurch entstehende Gunstlage saldierend "hineingeplant" werden darf, wenn die gebietsbezogenen Erhaltungsziele nicht auf die Nutzung dieser Gunstlage ausgerichtet sind,
ist nicht entscheidungserheblich. Das Oberverwaltungsgericht hat seine Entscheidung auf zwei selbständig tragende Begründungen gestützt. In diesem Fall kann die Revision nur zugelassen werden, wenn hinsichtlich jeder dieser Begründungen ein Revisionszulassungsgrund aufgezeigt wird und vorliegt (stRspr, vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 20. Dezember 2016 - 3 B 38.16 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 66 Rn. 3). Das Oberverwaltungsgericht hat die im gerichtlichen Verfahren vorgelegte ergänzende Untersuchung als nicht ausreichend angesehen, weil zum einen der Untersuchungszeitraum nicht den Anforderungen genüge (UA S. 30 ff.) und zum anderen den ermittelten Beeinträchtigungen rechtsfehlerhaft Verbesserungen gegenübergestellt worden seien, die ohnehin eingetreten wären (UA S. 35 ff.). In Bezug auf den Untersuchungszeitraum hat die Beschwerde keine Revisionsgründe dargelegt.

12 2. Die von der Beschwerde behauptete Abweichung von der Entscheidung des Senats vom 24. März 2015 - 4 BN 32.13 - (Buchholz 406.11 § 1a BauGB Nr. 9) liegt nicht vor.

13 Eine die Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO eröffnende Divergenz ist nur dann im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten, die Entscheidung tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat (BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26). Diesen Anforderungen wird das Beschwerdevorbringen nicht gerecht. Das Oberverwaltungsgericht hat dem angeführten Rechtssatz aus dem Senatsbeschluss vom 24. März 2015 - 4 BN 32.13 - (Buchholz 406.11 § 1a BauGB Nr. 9 Rn. 35) nicht widersprochen. Dieser verhält sich zur Prüfungstiefe einer FFH-Prüfung in der Bauleitplanung und den sich daraus ergebenden Folgerungen für die Vorhabenzulassung, während sich der von der Beschwerde angeführte Satz (UA S. 21) zum Gegenstand der Verträglichkeitsprüfung äußert.

14 3. Die Revision ist nicht wegen eines als Verfahrensfehler gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO einzuordnenden Verstoßes gegen den Überzeugungsgrundsatz nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO zuzulassen. Gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Die Freiheit der richterlichen Überzeugungsbildung ist überschritten, wenn das Gericht seiner Sachverhalts- und Beweiswürdigung nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde legt, sondern nach seiner Rechtsauffassung entscheidungserheblichen Akteninhalt übergeht oder aktenwidrige Tatsachen annimmt. Solche Verstöße können als Verfahrensmängel gerügt werden (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. Dezember 2018 - 8 B 12.18 - juris Rn. 23 m.w.N.).

15 Das Oberverwaltungsgericht hat den Umstand, dass das überplante Hofgut unter anderem aus einem denkmalgeschützten Herrenhaus besteht, nicht übergangen. Der Denkmalschutz wird im Tatbestand erwähnt (UA S. 5) und im Rahmen der planerischen Zielsetzungen gewürdigt. Das Gericht verweist insofern auf die Begründung des Bebauungsplans, die auf die Erhaltung und Einbeziehung des denkmalgeschützten Gebäudes abstellt (UA S. 44).

16 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG.