Beschluss vom 21.08.2023 -
BVerwG 9 B 11.23ECLI:DE:BVerwG:2023:210823B9B11.23.0
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Zitiervorschlag
BVerwG, Beschluss vom 21.08.2023 - 9 B 11.23 - [ECLI:DE:BVerwG:2023:210823B9B11.23.0]
Beschluss
BVerwG 9 B 11.23
- OVG Greifswald - 10.01.2023 - AZ: 5 K 294/21 OVG
In der Verwaltungsstreitsache hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 21. August 2021
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Bick, den Richter am Bundesverwaltungsgericht Steinkühler und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Sieveking
beschlossen:
- Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 10. Januar 2023 wird zurückgewiesen.
- Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
- Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 12 000 € festgesetzt.
Gründe
1 Die auf sämtliche Zulassungsgründe gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
2 1. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen.
3 Die Darlegung dieses Zulassungsgrundes setzt die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich nicht geklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts sowie die Angabe voraus, worin die allgemeine und über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der Rechtssache bestehen soll (BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 VwGO <n. F.> Nr. 26 S. 14). Allein das Aufzeigen einer vermeintlich fehlerhaften Anwendung von Rechtssätzen, die das Bundesverwaltungsgericht in seiner Rechtsprechung aufgestellt hat, genügt den Anforderungen von § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO an die Begründung einer Grundsatzrüge nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht (stRspr; vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - a. a. O.).
4 Diese Voraussetzungen erfüllt die Beschwerdebegründung nicht. Die von dem Kläger aufgeworfenen Fragen zur Notwendigkeit der Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung sind schon deshalb nicht erheblich, weil das Oberverwaltungsgericht das diesbezügliche Vorbringen gemäß § 17e Abs. 5 FStrG als verspätet zurückgewiesen hat und hierauf inhaltlich nur im Rahmen einer weiteren, eigenständigen Begründung eingegangen ist. Ist ein Urteil - wie hier - auf mehrere selbstständig tragende Begründungen gestützt, so setzt die Zulassung der Revision voraus, dass in Bezug auf jede dieser Begründungen ein Zulassungsgrund vorliegt. Hieran fehlt es jedenfalls hinsichtlich der Klagebegründungsfrist; soweit der Kläger diesbezüglich unionsrechtliche Einwände erhebt, sind die Anforderungen der Klagebegründungsfrist und ihre Vereinbarkeit mit Unionsrecht einschließlich des Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 15. Oktober 2015 - C-137/14 [ECLI:EU:C:2015:683] - (NJW 2015, 3495) höchstrichterlich geklärt (vgl. BVerwG, Urteile vom 3. November 2020 - 9 A 7.19 - BVerwGE 170, 138 Rn. 14 ff. und vom 7. Juli 2022 - 9 A 1.21 - BVerwGE 176, 94 Rn. 13 ff.).
5 2. Hinsichtlich des Zulassungsgrunds der Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) benennt die Beschwerde entgegen § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO schon keinen die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts aufgestellten entscheidungstragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat. Angefochtene Entscheidung i. S. d. § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO ist entgegen der Annahme des Klägers nicht der Planfeststellungsbeschluss, sondern allein das Urteil des Oberverwaltungsgerichts. Auch insoweit genügt im Übrigen das bloße Aufzeigen einer vermeintlich fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht den Darlegungsanforderungen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n. F.> VwGO Nr. 26 S. 14 m. w. N.).
6 3. Schließlich ist die Revision auch nicht deshalb zuzulassen, weil ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
7 a) Verfahrensmängel i. S. d. § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO sind grundsätzlich nur Verstöße gegen das Prozessrecht, also Fehler, die das Gericht bei der Handhabung seines Verfahrens begeht. Mängel des dem Verwaltungsprozess vorausgegangenen Verwaltungsverfahrens sind dafür grundsätzlich ohne Bedeutung (BVerwG, Beschluss vom 17. März 1994 - 3 B 12.94 - NVwZ-RR 1995, 113). Dies übersieht die Beschwerde bei etlichen gerügten Fehlern.
8 b) Das Oberverwaltungsgericht hat den Anspruch des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs nicht verletzt.
9 Soweit das Oberverwaltungsgericht Vorbringen des Klägers nach Ablauf der Klagebegründungsfrist gemäß § 17e Abs. 5 FStrG als präkludiert zurückgewiesen hat, entspricht dies den gesetzlichen Vorgaben. Anhaltspunkte für deren fehlerhafte Anwendung zeigt die Beschwerde nicht auf. Die darin vorgebrachten unionsrechtlichen Einwände sind, wie bereits ausgeführt, unbegründet.
10 Auch sonst legt der Kläger keine Gehörsverletzung dar. Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet die Gerichte, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, nicht jedoch dazu, der Rechtsansicht einer Partei zu folgen oder jedes Vorbringen der Beteiligten in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich zu bescheiden. Es müssen nur die wesentlichen, der Rechtsverfolgung und Rechtsverteidigung dienenden Tatsachenbehauptungen in den Entscheidungsgründen verarbeitet werden. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass ein Gericht das von ihm entgegengenommene Vorbringen der Beteiligten auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Eine Verletzung der Pflicht, den Vortrag der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und zu erwägen, kann nur dann festgestellt werden, wenn sich dies aus den besonderen Umständen des Falles ergibt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 2. Juli 2018 - 1 BvR 82/12 - NVwZ 2018, 1561 Rn. 19).
11 Derartige Umstände liegen hier nicht vor. Die eigentumsrechtliche Betroffenheit hat das Oberverwaltungsgericht umfassend berücksichtigt (UA S. 17, 27 f.). Auch der Planfeststellungsbeschluss hat ihr Rechnung getragen, indem er dem Vortrag des Klägers zufolge die von ihm vorgeschlagene, sein Eigentum schonende Trassenvariante abgewogen hat. Zu welchem Zeitpunkt die Planfeststellungsbehörde diese Alternative berücksichtigt hat, bedurfte keiner gerichtlichen Prüfung; diese erstreckt sich allein darauf, ob der Planfeststellungsbeschluss im Zeitpunkt seines Erlasses rechtmäßig war. Insoweit hat das Oberverwaltungsgericht festgestellt, dass die vom Kläger favorisierte ebenso wie eine weitere Variante nicht geeignet sind, die beabsichtigte Erhöhung der Verkehrssicherheit und die Entflechtung der Verkehrsteilnehmer zu verwirklichen, und dass deshalb die klägerseits vorgeschlagene Variante keiner vertieften Befassung bedurfte. Einer - mit der Beschwerde unter verschiedenen rechtlichen Gesichtspunkten geforderten - weitergehenden Prüfung, ob der Beklagte die enteignungsrechtliche Vorwirkung berücksichtigt hat, bedurfte es danach nicht. Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang rügt, die Erforderlichkeit der Inanspruchnahme seines Eigentums sei unzureichend geprüft worden, verkennt er, dass eine eigentumsrechtliche Betroffenheit nur einer von vielen in die planerische Abwägung einzustellenden Gesichtspunkten ist und die Einbeziehung seines Grundstücks nicht allein dadurch rechtswidrig wird, dass - zumal ungeachtet deren Eignung - eine andere Trassenführung möglich wäre. Im Übrigen obliegt den Gerichten keine eigenständige Abwägungsentscheidung, sondern beschränkt sich die verwaltungsgerichtliche Kontrolle insoweit auf die Frage, ob die Planfeststellungsbehörde die abwägungserheblichen Gesichtspunkte rechtlich und tatsächlich zutreffend bestimmt hat und ob sie - auf der Grundlage des derart zutreffend ermittelten Abwägungsmaterials - die aufgezeigten Grenzen der ihr obliegenden Gewichtung eingehalten hat (stRspr, vgl. BVerwG, Urteile vom 14. Februar 1975 - 4 C 21.74 - BVerwGE 48, 56 <63 f.> und vom 19. August 2004 - 4 A 9.04 - juris Rn. 15).
12 Die weitere Rüge, das Oberverwaltungsgericht habe zu Unrecht ein rechtswidriges Verhalten von Radfahrern und Fußgängern zugrunde gelegt, zielt auf eine vermeintlich fehlerhafte Anwendung materiellen Rechts und führt damit von vornherein auf keinen Gehörsverstoß.
13 Der Einwand, die Eingriffstiefe der durch den Planfeststellungsbeschluss eingeleiteten Enteignung sei unabgewogen geblieben, verletzt ebenfalls nicht den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör. Das Oberverwaltungsgericht hat den Umfang der Inanspruchnahme des klägerischen Grundstücks berücksichtigt, jedoch u. a. festgestellt, dass dies nur durch einen ungeeigneten Trassenverlauf zu vermeiden wäre. Eines weiteren Eingehens auf etwaige verringerte Verkaufsmöglichkeiten bedurfte es nicht, zumal der Kläger selbst in einer Vereinbarung vom 15. April 2011 einer Einbeziehung des für den Radweg erforderlichen Teils seines Grundstücks zugestimmt hat und der Bau eines Radwegs zudem einem Straßenanschluss des Grundstücks nicht grundsätzlich entgegensteht. Die Ermittlung der wirtschaftlichen Betroffenheit bleibt dem Entschädigungsverfahren vorbehalten.
14 c) Das klägerische Vorbringen führt nicht auf eine Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) in Bezug auf die tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts zur Eignung der vom Kläger vorgeschlagenen Trassenvariante. Hierfür wären u. a. Darlegungen dazu erforderlich, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterlassen nunmehr gerügt wird, hingewirkt worden ist. Dazu ist in der Regel ein - unbedingter - Beweisantrag erforderlich, der förmlich spätestens in der mündlichen Verhandlung zu stellen ist. Denn die Verfahrensrüge kann nicht dazu dienen, Versäumnisse eines Verfahrensbeteiligten in der Tatsacheninstanz zu kompensieren. Die Tatsache, dass - wie hier ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 10. Januar 2023 - ein solcher Beweisantrag nicht gestellt worden ist, ist nur dann unerheblich, wenn aufgezeigt wird, aufgrund welcher Anhaltspunkte sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken hätten aufdrängen müssen. Angesichts der vom Oberverwaltungsgericht benannten zahlreichen tatsächlichen Umstände für eine zu erwartende geringe Akzeptanz eines abseits der Straße verlaufenden Radwegs ist dies nicht der Fall.
15 4. Soweit der Kläger darüber hinaus Einwände gegen den Planfeststellungsbeschluss des Antragsgegners vom 26. Februar 2021 erhebt, sind diese von vornherein nicht geeignet, die Zulassung der Revision zu begründen.
16 5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwertes auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.