Beschluss vom 22.12.2021 -
BVerwG 7 BN 1.21ECLI:DE:BVerwG:2021:221221B7BN1.21.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 22.12.2021 - 7 BN 1.21 - [ECLI:DE:BVerwG:2021:221221B7BN1.21.0]

Beschluss

BVerwG 7 BN 1.21

  • OVG Schleswig - 24.09.2020 - AZ: OVG 5 KN 2/19

In der Normenkontrollsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 22. Dezember 2021
durch
den Vizepräsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Prof. Dr. Korbmacher und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Schemmer und Dr. Günther
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Antragsteller gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 24. September 2020 wird zurückgewiesen.
  2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen die Antragsteller zu 1 und 2 sowie - als Gesamtschuldner - die Antragsteller zu 3 und 4 zu je einem Drittel.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes für das Beschwerdeverfahren wird auf 45 000 € festgesetzt.

Gründe

I

1 Die Antragsteller wenden sich als Eigentümer von Grundstücken, die sich in unmittelbarer Nähe zu Windkraftanlagen befinden, gegen das Konzept des Antragsgegners zur Einführung und Umsetzung der LAI-Hinweise zum Schallimmissionsschutz bei Windkraftanlagen und den Erlass "Einführung der aktuellen LAI-Hinweise zum Schallimmissionsschutz bei Windkraftanlagen in Schleswig-Holstein". Das Oberverwaltungsgericht hat die Anträge, das Konzept und den Erlass für unwirksam zu erklären, abgelehnt. Der Normenkontrollantrag sei unzulässig, weil es sich bei dem Erlass und dem Konzept nicht um Rechtsvorschriften handele.

2 Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Antragsteller.

II

3 Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die Revision ist nicht gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen. Die Beschwerde möchte - sinngemäß - grundsätzlich geklärt wissen,
ob die in den Klageanträgen näher bezeichnete Ziffer 2 des Erlasses vom 31. Januar 2018 sowie das näher bezeichnete Überwachungskonzept AltWKA vom 25. Mai 2018 (jeweils) zulässiger Gegenstand eines Normenkontrollantrags nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO sein können.

4 Diese Frage führt nicht zur Zulassung der Revision.

5 Grundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrundeliegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), also näher ausgeführt werden, dass und inwieweit eine bestimmte Rechtsfrage des revisiblen Rechts im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und warum ihre Klärung in dem beabsichtigten Revisionsverfahren zu erwarten ist (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 2. Oktober 1961 - 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91>, vom 14. Oktober 2019 - 4 B 27.19 - ZfBR 2020, 173 Rn. 4 und vom 23. März 2021 - 4 B 24.20 - NVwZ 2021, 1075 Rn. 2).

6 1. Die Antragsteller haben bereits nicht hinreichend dargelegt, dass die Beantwortung der Frage in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrundeliegenden Einzelfall hinausgehend klärungsbedürftig ist. Für jede dieser Regelungen wäre gesondert zu prüfen, ob sie den Kriterien genügt, die für eine Rechtsvorschrift unabdingbar sind (BVerwG, Urteil vom 20. November 2003 - 4 CN 6.03 - BVerwGE 119, 217 <221 f.>). Dass die in Rede stehende Regelung ihrer Konzeption nach durch die Verwaltung in mehreren Verfahren angewendet wird, ist nicht entscheidend. Maßgeblich ist vielmehr, ob weitere Verfahren nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO drohen würden oder sich bei Durchführung eines Verfahrens nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO eine Vielzahl von Einzelprozessen vermeiden ließe (BVerwG, Urteil vom 20. November 2003 - 4 CN 6.03 - a.a.O. S. 220 f.). Das ist weder mit der Beschwerde dargelegt noch sonst erkennbar.

7 2. Im Übrigen zeigen die Antragsteller eine ungeklärte, entscheidungserhebliche Rechtsfrage nicht auf. Die Frage lässt sich vielmehr auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung und mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation beantworten, ohne dass es der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf (vgl. etwa BVerwG, Beschlüsse vom 28. Mai 1997 - 4 B 91.97 - NVwZ 1998, 172 f., vom 24. August 1999 - 4 B 72.99 - BVerwGE 109, 268 <270>, vom 23. Januar 2003 - 4 B 79.02 - Buchholz 406.11 § 1 BauGB Nr. 114, vom 16. Juli 2019 - 4 B 9.19 - Buchholz 406.12 § 11 BauNVO Nr. 39 Rn. 4 und vom 23. März 2021 - 4 B 24.20 - NVwZ 2021, 1075 Rn. 4). Zu Recht weist das Oberverwaltungsgericht in seinem Nichtabhilfebeschluss vom 5. Januar 2021 darauf hin, dass die rechtlichen Maßstäbe, nach denen Regelungen als Rechtsvorschriften im Sinne des § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO anzusehen sind, höchstrichterlich geklärt sind.

8 Als Gegenstand einer Normenkontrolle kommen nur landesrechtliche Vorschriften in Betracht, die im Range unter dem Landesgesetz stehen. Dazu gehören zweifelsfrei Satzungen und Rechtsverordnungen. Dem stehen Vorschriften gleich, die dadurch Rechtsnormqualität erlangt haben, dass sie unabhängig von ihrem materiellen Gehalt durch Satzung oder Rechtsverordnung für verbindlich erklärt worden sind. Ob zum Kreis der Rechtsvorschriften auch Regelungen gehören können, die nicht förmlich als Norm erlassen worden sind, lässt der Gesetzgeber offen. Sinn und Zweck des § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO legen indes ein weites Verständnis nahe. Die Normenkontrolle dient der Rechtsklarheit und der ökonomischen Gestaltung des Prozessrechts. Ihr Zweck liegt darin, durch eine einzige Entscheidung eine Reihe von Einzelklagen zu vermeiden und dadurch die Verwaltungsgerichte zu entlasten. Durch sie wird gegebenenfalls einer Vielzahl von Prozessen vorgebeugt, in denen die Gültigkeit einer bestimmten Rechtsvorschrift als Vorfrage zu prüfen wäre. Überdies ist sie geeignet, den individuellen Rechtsschutz zu verbessern. Nichtförmliche Regelungen, wie es hier auf Ziffer 2 des Erlasses vom 31. Januar 2018 und das Überwachungskonzept AltWKA vom 25. Mai 2018 zutrifft, sind vom Kreis der Rechtsvorschriften nicht von vornherein ausgeschlossen (vgl. nur BVerwG, Urteil vom 20. November 2003 - 4 CN 6.03 - BVerwGE 119, 217 <220 f.> m.w.N.). Es ist für jede Regelung gesondert zu prüfen, ob sie den Kriterien genügt, die für eine Rechtsvorschrift unabdingbar sind. Als hierfür tauglicher Anknüpfungspunkt eignen sich vor allem Zielfestlegungen, die vom Gesetzgeber nicht bloß als verbindliche Vorgaben gekennzeichnet, sondern darüber hinaus als abstrakt-generelle Regelungen mit einem Außenwirksamkeitsanspruch ausgestattet werden (BVerwG, Urteil vom 20. November 2003 a.a.O. S. 221 f.). Es kommt also darauf an, ob die Regelungen der Exekutive rechtliche Außenwirkung gegenüber dem Bürger entfalten und auf diese Weise dessen subjektiv-öffentlichen Rechte unmittelbar berühren (BVerwG, Urteil vom 25. November 2004 - 5 CN 1.03 - BVerwGE 122, 264 <265 f.>).

9 Ob eine Regelung der Verwaltung, wie sie hier in Rede steht, rechtliche Außenwirkung entfaltet, hängt indes maßgeblich von den Umständen des Einzelfalles ab und ist einer fallübergreifenden Klärung in einem Revisionsverfahren nicht zugänglich. Dies gilt auch hinsichtlich des Vorbringens der Beschwerde, die Zulässigkeit ihrer Anträge ergäbe sich daraus, dass § 7 Abs. 2 Satz 2 des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes (UmwRG) das Normenkontrollverfahren nach § 47 VwGO entsprechend für anwendbar erkläre, wenn sich der Antrag gegen eine Entscheidung im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 UmwRG richte. § 7 Abs. 2 Satz 2 UmwRG gilt nach der eindeutigen Systematik der Vorschrift des § 7 UmwRG nicht für Individualklagen im Anwendungsbereich des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes. Denn § 7 Abs. 6 UmwRG verweist nur auf die Zuständigkeitsregelungen nach § 7 Abs. 2 Satz 1 und 3 UmwRG und nicht auf § 7 Abs. 2 Satz 2 UmwRG (vgl. auch Bunge, UmwRG, 2. Aufl. 2019, § 7 Rn. 45).

10 3. Auch die geltend gemachte Abweichung des Urteils des Oberverwaltungsgerichts von dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 25. Juni 2020 - C-24/19 - führt nicht zum Erfolg der Beschwerde. Zwar hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung, wenn Fragen des Unionsrechts aufgeworfen werden, die durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs noch nicht beantwortet und in ihrer möglichen Beantwortung nicht unzweifelhaft sind, oder wenn in einer das Unionsrecht betreffenden Frage von der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs abgewichen wird (vgl. BVerwG, Beschluss vom 30. Januar 1996 - 3 NB 2.94 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 111 S. 56 f.). Indes besteht die geltend gemachte Divergenz nicht.

11 Die Frage der Auslegung der Richtlinie 2001/42/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. Juni 2001 über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme zur Bestimmung des Anwendungsbereichs des § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO ist in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs geklärt. Hinsichtlich der in Art. 2 Buchst. a zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 2001/42/EG genannten zweiten Voraussetzung ergibt sich aus der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass im Sinne und zur Anwendung der Richtlinie 2001/42/EG als Pläne und Programme, die „erstellt werden müssen“, jene Pläne und Programme anzusehen sind, deren Erlass in nationalen Rechts- und Verwaltungsvorschriften geregelt ist, die die insoweit zuständigen Behörden und das Ausarbeitungsverfahren festlegen (EuGH, Urteil vom 25. Juni 2020 - C-24/19 [ECLI:​EU:​C:​2020:​503] - Rn. 35). Dass der Erlass der Ziffer 2 des Erlasses und das Überwachungskonzept AltWKA in nationalen Rechts- und Verwaltungsvorschriften geregelt ist, die die insoweit zuständigen Behörden und das Ausarbeitungsverfahren bestimmen, macht aber weder die Beschwerde geltend noch ist dies ersichtlich.

12 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 159 Satz 1 und 2 VwGO, § 100 Abs. 1 ZPO.

13 Der Wert des Beschwerdeverfahrens ergibt sich aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG. Die Höhe orientiert sich an den geltend gemachten Beeinträchtigungen der Grundstücke der Antragsteller.