Beschluss vom 23.02.2022 -
BVerwG 1 WNB 6.21ECLI:DE:BVerwG:2022:230222B1WNB6.21.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 23.02.2022 - 1 WNB 6.21 - [ECLI:DE:BVerwG:2022:230222B1WNB6.21.0]

Beschluss

BVerwG 1 WNB 6.21

  • TDG Nord 1. Kammer - 20.07.2021 - AZ: TDG N 1 BLa 37/20 und N 1 RL 2/21

In dem Wehrbeschwerdeverfahren hat der 1. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch
den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Häußler,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Langer und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Eppelt
am 23. Februar 2022 beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Antragsstellers gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde in dem Beschluss des Truppendienstgerichts Nord vom 20. Juli 2021 wird zurückgewiesen.
  2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1 Die fristgerecht eingelegte und begründete Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde in dem Beschluss des Truppendienstgerichts Nord vom 20. Juli 2021 ist zulässig, aber unbegründet. Die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Beschwerdesache (§ 22a Abs. 2 Nr. 1 WBO) kommt der Sache nicht zu.

2 Die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache erfordert die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Rechtsbeschwerde entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts, der eine allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. für das Revisionsrecht der VwGO BVerwG, Beschluss vom 2. Oktober 1961 - 8 B 78.61 - Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 18 S. 21 f. sowie für das Rechtsbeschwerderecht der WBO BVerwG, Beschlüsse vom 23. November 2011 - 1 WNB 5.11 - Rn. 2 und vom 12. April 2018 - 2 WNB 1.18 - juris Rn. 5, jeweils m.w.N.). Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache nur zu, wenn sie eine bestimmte Rechtsfrage des revisiblen Rechts aufwirft, die der - ggf. erneuten oder weitergehenden - höchstrichterlichen Klärung bedarf, sofern mit dieser Klärung im angestrebten Rechtsbeschwerdeverfahren zu rechnen ist und hiervon eine Fortentwicklung der Rechtsprechung über den Einzelfall hinaus zu erwarten steht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 18. Januar 2017 - 8 B 16.16 - Buchholz 451.622 EAEG Nr. 3 Rn. 16).

3 Die Rechtsfragen
"Ist § 4 Abs. 4 S. 1 und 2 in der Fassung des Artikels 13 Gesetz zur Regelung des Erscheinungsbilds von Beamtinnen und Beamten sowie zur Änderung weiterer dienstrechtlicher Vorschriften G. v. 28. Juni 2021 (BGBl. I S. 2250 m.W.n. (im Folgenden nur als n.F. bezeichnet) <eine> geeignete Rechtsgrundlage für Nr. 201 und 202 der ZDv A-2630/1?"
"Ist durch § 4 Abs. 4 S. 1 und 2 SG n.F. der Mangel an Rechtsgrundlage der Nr. 201 und 202 der ZDv A-2630/1 für Befehle, die vor dem Inkrafttreten des § 5 Abs. 4 S. 1 und 2 SG erlassen wurden, geheilt?"
"Verstößt § 4 Abs. 4 S. 1 und 2 SG n.F. wegen geschlechterdiskriminierender Wirkung gegen Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG?"
"Erfordert die Funktionsfähigkeit der Streitkräfte oder die Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten nach § 4 Abs. 4 S. 1 und 2 SG n.F., das Tragen eines zum Haarknoten geschlungenen Haares (kleine zopfähnliche Verflechtung) zu verbieten?"
"Erfordert die Funktionsfähigkeit der Streitkräfte oder die Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten nach § 4 Abs. 4 S. 1 und 2 SG n.F. die Einschränkung der Haartracht bei beurlaubten Soldaten?"
"Üben beurlaubte Soldaten eine Tätigkeit mit unmittelbarem Dienstbezug nach § 4 Abs. 4 s. 1 SG n.F. aus?"
rechtfertigen die Durchführung eines Rechtsbeschwerdeverfahrens nicht. Denn diese Fragen sind weder entscheidungserheblich noch würden sie sich in einem Rechtsbeschwerdeverfahren stellen. Der Antragsteller verkennt, dass das Truppendienstgericht seiner Entscheidung nicht § 4 Abs. 4 Satz 1 und 2 SG in der Fassung des Gesetzes vom 28. Juni 2021 zugrunde gelegt hat. Entgegen seiner Rechtsauffassung hat die Vorinstanz die Legitimation des streitgegenständlichen Befehls nicht rückwirkend in der durch das Gesetz vom 28. Juni 2021 neu geschaffenen Gesetzeslage gesehen. Vielmehr führen die Gründe der angegriffenen Entscheidung ausdrücklich aus, dass nach Auffassung der erkennenden Kammer bis zu einem Tätigwerden des Verordnungsgebers auf der Grundlage des § 93 Abs. 2 Nr. 2 SG in der Fassung des Gesetzes vom 28. Juni 2021 die bisherige Regelung noch angewandt werden kann. Die mit der Anwendung der Zentralen Dienstvorschrift einhergehenden Grundrechtsverletzungen seien daher vom Antragsteller hinzunehmen, weil sie dem Verhältnisgrundsatz entsprächen und auch kein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz vorliege. Damit stützt die Kammer ihre Entscheidung nicht darauf, dass Nr. 201 und Nr. 202 ZDv A-2630/1 durch die gesetzliche Neuregelung nachträglich eine ausreichende gesetzliche Grundlage erlangt haben, sondern auf ihre übergangsweise mögliche Anwendung ohne eine solche. Die vom Antragsteller zitierten Passagen des angegriffenen Beschlusses begründen, warum die Vorinstanz diese Übergangsphase wegen des konkret angeführten Tätigwerdens des Gesetzgebers nicht beendet sieht, sie erklären nicht neues Recht für im konkreten Rechtsstreit maßgeblich. Dies ist auch rechtlich nicht zu beanstanden. Denn Streitgegenstand sind der Befehl vom 10. Juni 2020 und die Beschwerdebescheide vom 22. Juni 2020 und vom 27. September 2020, deren Aufhebung beantragt war. Bei einem Anfechtungsantrag ist grundsätzlich auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der der letzten Behördenentscheidung abzustellen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 30. Juni 2016 - 1 WB 28.15 - juris Rn. 27 m.w.N.). Zu diesem Zeitpunkt war die fragliche Gesetzesänderung aber noch gar nicht in Kraft getreten.

4 Die Kostenentscheidung beruht auf § 23a Abs. 2 Satz 1 WBO i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO.