Beschluss vom 23.03.2023 -
BVerwG 3 BN 12.22ECLI:DE:BVerwG:2023:230323B3BN12.22.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 23.03.2023 - 3 BN 12.22 - [ECLI:DE:BVerwG:2023:230323B3BN12.22.0]

Beschluss

BVerwG 3 BN 12.22

  • VGH München - 31.08.2022 - AZ: 20 N 22.70

In der Normenkontrollsache hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 23. März 2023
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Philipp,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Sinner und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Hellmann
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 31. August 2022 wird zurückgewiesen.
  2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 20 000 € festgesetzt.

Gründe

I

1 Der Antragsteller hat mit Schriftsatz vom 12. Januar 2022 beantragt, § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der 15. Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (15. BayIfSMV) vom 23. November 2021 (BayMBl. Nr. 816) i. d. F. der Änderungsverordnung vom 11. Januar 2022 (BayMBl. Nr. 2) für unwirksam zu erklären, soweit darin im Hinblick auf den Zugang zu geschlossenen Räumen im Rahmen von außerschulischen Bildungsangeboten einschließlich der beruflichen Aus-, Fort- und Weiterbildung eine 2G-Regelung angeordnet und damit nur gegen SARS CoV-2 geimpften oder von der Erkrankung genesenen Personen Zutritt gewährt wird. Die angegriffene Regelung ist mit Ablauf des 16. Februar 2022 außer Kraft getreten (vgl. § 1 Ziffer 5 und § 2 der Änderungsverordnung vom 16. Februar 2022 <BayMBl. Nr. 115>). Der Verwaltungsgerichtshof hat den Antrag mit Beschluss vom 31. August 2022 ohne mündliche Verhandlung (§ 47 Abs. 5 Satz 1 VwGO) als unzulässig abgelehnt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entziehe das Außerkrafttreten der zur Prüfung gestellten Norm dem Normenkontrollantrag grundsätzlich seinen Gegenstand. § 47 Abs. 1 VwGO gehe vom Regelfall einer noch gültigen Norm als Gegenstand des Normenkontrollantrags aus. Allerdings könne ein Antrag trotz Außerkrafttretens der angegriffenen Rechtsnorm u. a. dann zulässig bleiben, wenn während des Verfahrens eine auf kurzfristige Geltung angelegte Norm, durch die oder durch deren Anwendung der Antragsteller einen Nachteil erlitten hat, außer Kraft getreten ist. In einem solchen Fall bedürfe es jedoch einer Umstellung des Antrags auf die Feststellung der Ungültigkeit der außer Kraft getretenen Norm. Eine entsprechende Antragsänderung mit der Darlegung eines Feststellungsinteresses sei nicht erfolgt. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Revision nicht zugelassen.

II

2 Die auf einen Verfahrensmangel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision hat keinen Erfolg. Der geltend gemachte Verfahrensfehler liegt nicht vor.

3 Der Antragsteller trägt vor, der Verwaltungsgerichtshof habe den Grundsatz des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) verletzt, indem er unter Verletzung seiner Hinweispflicht gemäß § 86 Abs. 3 VwGO eine Überraschungsentscheidung getroffen habe. Er habe auf seinen Normenkontrollantrag vom 12. Januar 2022 mit Datum vom 13. Januar 2022 eine Eingangsbestätigung zugestellt und das Aktenzeichen für das Hauptsacheverfahren mitgeteilt bekommen. Diese Mitteilung sei bis zum angegriffenen, dem Antragsteller am 1. September 2022 zugestellten Beschluss die letzte Verfahrenshandlung des Gerichts gewesen. Weitere gerichtliche Schreiben, Hinweise, Verfügungen oder eine Antragserwiderung der Landesanwaltschaft seien nicht erfolgt. Rechts- und verfahrensfehlerhaft habe es der Verwaltungsgerichtshof unterlassen, "nochmals" auf den Umstand des zwischenzeitlichen Außerkrafttretens des § 5 Abs. 1 15. BayIfSMV hinzuweisen und anzufragen, ob eine Antragsumstellung oder prozessbeendende Erklärung erfolgen werde.

4 Zu einem Hinweis nach § 86 Abs. 3 VwGO war der Verwaltungsgerichtshof gegenüber dem anwaltlich vertretenen Antragsteller nicht verpflichtet. Zwar ist der Vorsitzende in jeder Phase des Verfahrens verpflichtet, durch Hinweise darauf hinzuwirken, dass sachdienliche Anträge gestellt bzw. unklare Anträge erläutert werden. Gegenüber einem anwaltlich vertretenen Antragsteller ist die Belehrungspflicht auch nicht von vornherein ausgeschlossen, aber ihrem Umfang nach geringer. Die Unterlassung einer Anregung zur Änderung eines Klageantrages stellt einen Verfahrensmangel nur dann dar, wenn sich eine solche Anregung dem Vorsitzenden nach der eindeutigen Sach- und Rechtslage aufdrängen musste (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 8. Mai 1991 - 2 BvR 170/85 - NVwZ 1992, 259 <260>; stRspr des BVerwG, vgl. Beschluss vom 12. Dezember 2017 - 8 B 16.17 - juris Rn. 12). Das Gericht darf grundsätzlich davon ausgehen, dass ein Rechtsanwalt eines Beteiligten mit der Sach- und Rechtslage hinreichend vertraut ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 12. Dezember 2017, a. a. O.).

5 Danach erübrigte sich hier ein richterlicher Hinweis. Der Verfahrensbevollmächtigte des Antragstellers hat in seinem Schriftsatz vom 23. Januar 2023 mitgeteilt, ihm sei die Änderung der gesetzlichen Grundlage - gemeint: der Verordnungslage durch Außerkrafttreten der 15. BayIfSMV - umgehend mit deren Inkrafttreten bekannt gewesen. Er habe sich vermehrt mit pandemiebedingten Maßnahmen sowie deren Rechtmäßigkeit und Wirksamkeit auseinanderzusetzen gehabt und so in einer Vielzahl von Parallelfällen Erfahrung erworben. Ihm musste mithin auch ohne Hinweis des Gerichts klar sein, dass er auf das Außerkrafttreten der 15. BayIfSMV in verwaltungsprozessualer Hinsicht zu reagieren hatte, z. B. durch Umstellung des Anfechtungs- auf einen Fortsetzungsfeststellungsantrag.

6 Der anwaltlich vertretene Antragsteller durfte auch nicht durch den Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs überrascht sein. Zwischen dem Außerkrafttreten der angegriffenen Verordnung und der Ablehnung seines Antrags als unzulässig lag ein Zeitraum von mehr als sechs Monaten und damit genug Zeit für eine Rücksprache des Prozessbevollmächtigten mit dem Antragsteller und das Einreichen eines Schriftsatzes. Dass der Verwaltungsgerichtshof in einem anderen Verfahren mit Schreiben vom 18. Juli 2022 auf das Außerkrafttreten der dort angegriffenen 13. BayIfSMV hingewiesen und unter Fristsetzung Gelegenheit zur Antragsumstellung gegeben hatte, begründete kein Vertrauen darauf, der Verwaltungsgerichtshof werde im Verfahren des Antragstellers in gleicher Weise vorgehen. In einem weiteren Verfahren hatte der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 4. Juli 2022 - 20 N 21.3130 - den Normenkontrollantrag wegen fehlender Antragsumstellung als unzulässig abgewiesen und zur Begründung dargelegt, angesichts des seit Außerkrafttreten der Verordnung verstrichenen Zeitraums von drei Monaten und der anwaltlichen Vertretung des Antragstellers habe es eines gerichtlichen Hinweises nicht bedurft. Die Landesanwaltschaft hatte diesen Beschluss am 11. Juli 2022 unter Hinweis auf zahlreiche Parallelentscheidungen auf ihrer Internetseite veröffentlicht. Im Übrigen genügt die Vorlage eines einzigen Hinweises in einem anderen Verfahren nicht, um eine ständige Verfahrenspraxis des 20. Senats des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs in Normenkontrollverfahren gegen Infektionsschutzmaßnahmenverordnungen nach deren Außerkrafttreten darzulegen.

7 Soweit der Bevollmächtigte das Unterlassen einer frühzeitigen Antragsumstellung mit prozesstaktischen Erwägungen begründet, erschließt sich dies dem Senat nicht. Dass die Landesanwaltschaft sich bis dato noch nicht zur Sache geäußert hatte, verschaffte dem Antragsteller keine günstigere Prozesssituation. Um sein Rechtsschutzbegehren nach dem Außerkrafttreten der 15. BayIfSMV durchzusetzen, war vielmehr zunächst die Antragsumstellung geboten.

8 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.