Beschluss vom 24.02.2023 -
BVerwG 1 W-VR 25.22ECLI:DE:BVerwG:2023:240223B1WVR25.22.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 24.02.2023 - 1 W-VR 25.22 - [ECLI:DE:BVerwG:2023:240223B1WVR25.22.0]

Beschluss

BVerwG 1 W-VR 25.22

In dem Wehrbeschwerdeverfahren hat der 1. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch
den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Häußler,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Langer und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Koch
am 24. Februar 2023 beschlossen:

Der Antrag, dem Bundesministerium der Verteidigung im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig aufzugeben, es bis zur Entscheidung in der Hauptsache zu unterlassen, die Sonderbeurteilung und Personalentwicklungsbewertung (Anteil Erstbeurteiler jeweils vom 31. Mai 2022 und Anteil Zweitbeurteiler jeweils vom 10. Juni 2022) in Auswahlverfahren zur Besetzung höherwertiger Dienstposten zu nutzen, wird abgelehnt.

Gründe

I

1 Der Antragsteller wendet sich im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Nutzung einer für ihn erstellten dienstlichen Beurteilung in Auswahlverfahren.

2 Der ... geborene Antragsteller ist Berufssoldat; seine Dienstzeit endet voraussichtlich mit Ablauf des 31. März ... Er ist Stabsoffizier mit der Befähigung zum Richteramt (Stabsoffizier Recht). Er wurde am 21. Februar 2002 zum Oberstleutnant befördert und mit Wirkung vom 1. November 2005 in eine Planstelle der Besoldungsgruppe A 15 eingewiesen. Bis März 2021 wurde er als ... beim ... in ... verwendet. Im März 2021 wurde er innerhalb des ... von dem Dienstposten der ... zunächst auf ein nach Besoldungsgruppe A 15 dotiertes dienstpostenähnliches Konstrukt im selben Referat und von dort im März 2022 auf ein gleich dotiertes dienstpostenähnliches Konstrukt in der Unterabteilung ... am Standort ... versetzt.

3 Für den Antragsteller war zuletzt unter dem 28. März 2019 eine planmäßige dienstliche Beurteilung zum Vorlagetermin 30. September 2019 erstellt worden. Eine weitere planmäßige dienstliche Beurteilung wurde im Hinblick auf das bevorstehende Dienstzeitende nicht mehr erstellt.

4 Am 3. März 2022 bewarb sich der Antragsteller um den nach Besoldungsgruppe A 16 dotierten Dienstposten des ... im ... Im Hinblick auf diese Bewerbung wurde für ihn eine Sonderbeurteilung und Personalentwicklungsbewertung zum Stichtag 31. Juli 2021 für den Beurteilungszeitraum vom 1. August 2019 bis 31. Juli 2021 erstellt. Der Sonderbeurteilung liegt eine vergleichende Betrachtung des Antragstellers mit den Oberstleutnanten der Besoldungsgruppe A 15 mit Leitungsfunktion in der Abteilung ... des ... zugrunde. Das Gesamtergebnis der Sonderbeurteilung lautet auf C+, die Entwicklungsprognose in der Personalentwicklungsbewertung auf "Potential bis Besoldungsgruppe A 16". Die Schlussfassung der Anteile des Erstbeurteilers datiert vom 31. Mai 2022, die des Zweitbeurteilers vom 10. Juni 2022; sie wurden dem Antragsteller jeweils am selben Tage eröffnet.

5 Mit Schreiben vom 10. Juni 2022 bzw. 11. Juni 2022 erhob der Antragsteller Beschwerde gegen die Sonderbeurteilung und Personalentwicklungsbewertung (Anteile Erstbeurteiler bzw. Zweitbeurteiler) und beantragte jeweils eine Entscheidung nach § 3 Abs. 2 WBO. Er beanstandete, dass für die Beurteilungen keine hinreichende Rechtsgrundlage bestehe. Die für ihn erstellte Sonderbeurteilung sei zudem mit den planmäßigen Beurteilungen der ebenfalls für die Dienstpostenbesetzung betrachteten Soldaten zum Stichtag 31. Juli 2021 nicht vergleichbar, insbesondere, weil er als einziger der Oberstleutnante A 15 mit Leitungsfunktion über die Befähigung zum Richteramt verfüge. Die Sonderbeurteilung spiegele auch nicht seinen aktuellen Leistungsstand wieder, weil unbeachtet bleibe, dass er von März 2021 bis März 2022 das A 16-dotierte Justiziariat als ... geführt habe.

6 Mit Schreiben vom 1. September 2022 erhob der Antragsteller weitere Beschwerde in Form der Untätigkeitsbeschwerde, weil die Vizepräsidentin des Bundesamts für das Personalmanagement nicht binnen eines Monats über seine Beschwerden vom 10. Juni 2022 bzw. 11. Juni 2022 entschieden habe.

7 Mit Bescheid vom 22. September 2022 wies die Vizepräsidentin des Bundesamts für das Personalmanagement die Beschwerden zurück und lehnte den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz nach § 3 Abs. 2 WBO ab. § 2 SLV stelle eine ausreichende Rechtsgrundlage dar. Die Erstellung einer Sonderbeurteilung sei im Hinblick die anstehende Dienstpostenbesetzung unabdingbar. Eine Sonderbeurteilung könne auch nach Ablauf eines Stichtags für einen zurückliegenden Zeitraum erstellt werden.

8 Gegen diesen Bescheid legte der Antragsteller mit Schreiben vom 7. Oktober 2022 weitere Beschwerde ein. Zugleich erhob er weitere Untätigkeitsbeschwerde und beantragte die gerichtliche Entscheidung; der Generalinspekteur der Bundeswehr habe nicht binnen eines Monats über seine Untätigkeitsbeschwerde vom 1. September 2022 entschieden, weshalb mit dem weiteren Untätigkeitsrechtsbehelf die Zuständigkeit auf das Bundesverwaltungsgericht übergehe. Ferner wiederholte der Antragsteller seinen Antrag auf eine Entscheidung nach § 3 Abs. 2 WBO.

9 Der Generalinspekteur der Bundeswehr wertete die weitere Untätigkeitsbeschwerde vom 7. Oktober 2022, übereinstimmend mit dem Antragsteller, als Antrag auf gerichtliche Entscheidung und legte diesen, einschließlich des Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz, mit seiner Stellungnahme vom 19. Oktober 2022 dem Senat vor. Das Hauptsacheverfahren ist unter dem Aktenzeichen - BVerwG 1 WB 68.22 - anhängig.

10 Hinsichtlich des weiterverfolgten Antrags auf Erlass einer Maßnahme des vorläufigen Rechtsschutzes verweist der Antragsteller im Wesentlichen auf sein vorgerichtliches Beschwerdevorbringen und beantragt in der Sache,
dem Bundesministerium der Verteidigung vorläufig aufzugeben, es bis zur Entscheidung in der Hauptsache zu unterlassen, diese Sonderbeurteilungen (Betreff) in Auswahlverfahren zur Besetzung höherwertiger Dienstposten, für die er grundsätzlich geeignet ist (A 16), zu nutzen.

11 Der Generalinspekteur der Bundeswehr beantragt,
den Antrag abzulehnen.

12 Zur Begründung wiederholt er im Wesentlichen die Gründe des Beschwerdebescheids vom 22. September 2022. Ergänzend wird ausgeführt, dass auf den Stichtag 31. Juli 2021 abgestellt worden sei, um die Vergleichbarkeit mit den zu diesem Stichtag planmäßig beurteilten Mitbewerbern herzustellen. Dass der Antragsteller über die Befähigung zum Richteramt verfüge, sei irrelevant, weil sich der Vergleich auf die Wahrnehmung einer Leitungsfunktion der Ebene A 15 und nicht auf die fachliche Ausbildung oder Aufgabenwahrnehmung bezogen habe.

13 Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Akten verwiesen. Die Beschwerdeakten des Generalinspekteurs der Bundeswehr und die Gerichtsakte des Hauptsacheverfahrens - BVerwG 1 WB 68.22 - lagen dem Senat bei der Entscheidung vor.

II

14 Der gemäß § 23a Abs. 2 Satz 1 WBO i. V. m. § 123 VwGO statthafte Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat keinen Erfolg.

15 Der Antrag ist dahingehend klarzustellen, dass sich der Antragsteller mit dem Begriff "diese Sonderbeurteilungen (Betreff)" auf die Sonderbeurteilung gemäß Nr. 209 der Allgemeinen Regelung A-1340/50 über die "Beurteilungen der Soldatinnen und Soldaten" und auf die Personalentwicklungsbewertung gemäß Nr. 229 AR A-1340/50 bezieht, deren Anteile vom Erstbeurteiler jeweils unter dem 31. Mai 2022 und vom Zweitbeurteiler jeweils unter dem 10. Juni 2022 erstellt wurden.

16 Die danach begehrte Anordnung, dem Bundesministerium der Verteidigung im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig aufzugeben, es bis zur Entscheidung in der Hauptsache zu unterlassen, die Sonderbeurteilung und Personalentwicklungsbewertung vom 31. Mai 2022/10. Juni 2022 in Auswahlverfahren zur Besetzung höherwertiger Dienstposten zu nutzen, ist abzulehnen, weil ein Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht ist (§ 123 Abs. 1, Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO). Denn die Anordnung ist nicht geeignet, Rechte des Antragstellers in Auswahlverfahren zu sichern und die Rechtsposition des Antragstellers - über die von ihm bereits ergriffenen Rechtsbehelfe hinaus - zu verbessern.

17 Der Antragsteller hat in dem Auswahlverfahren zur Besetzung des nach Besoldungsgruppe A 16 dotierten Dienstpostens des ... im ..., für den am 14. Juli 2022 ein anderer Bewerber ausgewählt wurde, inzwischen die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts beantragt (BVerwG 1 W-ER 22.22 , vom Bundesministerium der Verteidigung noch nicht vorgelegt). Außerdem hat er beim Senat beantragt, das Bundesministerium der Verteidigung im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Versetzung des ausgewählten Bewerbers auf den Dienstposten bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache vorläufig rückgängig zu machen (BVerwG 1 W-VR 2.23 ). Damit hat er die - auch in eventuellen anderen Auswahlverfahren - geeigneten Rechtsbehelfe in der Hauptsache und im vorläufigen Rechtsschutz ergriffen, um seinen Bewerbungsverfahrensanspruch (Art. 33 Abs. 2 GG, § 3 Abs. 1 SG) durchzusetzen und zu sichern.

18 Auch hinsichtlich der hier gegenständlichen Sonderbeurteilung und Personalentwicklungsbewertung hat der Antragsteller mit dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung (BVerwG 1 WB 68.22 ) bereits den erforderlichen, aber auch ausreichenden Rechtsbehelf ergriffen. Eine Aufhebung und Neufassung der von ihm beanstandeten Sonderbeurteilung und Personalentwicklungsbewertung kann der Antragsteller nur über diesen Rechtsbehelf in der Hauptsache erlangen. Da der Antrag auf gerichtliche Entscheidung den Eintritt der Bestandskraft hemmt, können Einwände gegen die Rechtmäßigkeit der Sonderbeurteilung und Personalentwicklungsbewertung aber auch inzident im Rahmen der Rechtsbehelfe gegen die Auswahlentscheidung über eine Dienstpostenbesetzung geltend gemacht und überprüft werden.

19 Das vorliegend angebrachte Unterlassungsbegehren fügt diesen Rechtsbehelfen keine Vorteile für den Antragsteller hinzu, sondern könnte sich - im Gegenteil - allenfalls zu seinen Lasten auswirken. Denn nach der ständigen Rechtsprechung des Senats findet, wenn mehrere Bewerber den Anforderungskriterien gerecht werden und damit über die erforderliche Eignung für den Dienstposten verfügen, ein Leistungsvergleich anhand dienstlicher (planmäßiger oder Sonder-)Beurteilungen statt. Dabei muss den dienstlichen Beurteilungen zum einen eine hinreichende Aktualität, d. h. zeitliche Nähe zum Zeitpunkt der Auswahlentscheidung, zukommen; zum anderen müssen sie sich zur Wahrung der Chancengleichheit der Bewerber im Wesentlichen auf die gleichen Beurteilungszeiträume und die gleichen Beurteilungsstichtage erstrecken (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 24. Mai 2011 - 1 WB 59.10 - Buchholz 449 § 3 SG Nr. 60 Rn. 32 f., vom 26. März 2015 - 1 WB 44.14 - juris Rn. 37 und 41 und vom 18. November 2022 - 1 W-VR 20.22 - juris Rn. 34 und 36).

20 Würde man dem Bundesministerium der Verteidigung untersagen, die angefochtene Sonderbeurteilung und Personalentwicklungsbewertung in Auswahlverfahren zur Besetzung höherwertiger Dienstposten zu nutzen, so würde der Antragsteller über keine geeignete dienstliche Beurteilung verfügen, um in einen Leistungsvergleich mit anderen Bewerbern einbezogen zu werden. Denn die letzte für den Antragsteller zum Vorlagetermin 30. September 2019 erstellte planmäßige dienstliche Beurteilung vom 28. März 2019 ist weder aktuell noch erstreckt sie sich auf den gleichen Beurteilungszeitraum und Beurteilungsstichtag wie die der übrigen Bewerber. Hinzu kommt, dass zwischen den Beurteilungen zum Vorlagetermin 30. September 2019 und den Beurteilungen zum Stichtag 31. Juli 2021 ein Wechsel des Beurteilungssystems stattgefunden hat, der einen Vergleich der Wertungen ausschließt. Im Ergebnis könnte der Antragsteller damit in einem Auswahlverfahren zur Besetzung höherwertiger Dienstposten nicht mehr rechtmäßig mitbetrachtet werden und stünde damit schlechter als ohne die begehrte einstweilige Anordnung.