Beschluss vom 24.06.2022 -
BVerwG 10 B 16.21ECLI:DE:BVerwG:2022:240622B10B16.21.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 24.06.2022 - 10 B 16.21 - [ECLI:DE:BVerwG:2022:240622B10B16.21.0]

Beschluss

BVerwG 10 B 16.21

  • VG Halle - 04.09.2019 - AZ: 2 A 129/18 HAL
  • OVG Magdeburg - 17.06.2021 - AZ: 2 L 104/19

In der Verwaltungsstreitsache hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 24. Juni 2022
durch
den Vizepräsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Prof. Dr. Korbmacher,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Günther und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Bähr
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom 17. Juni 2021 wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die Beschwerde, die auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache und entscheidungserheblicher Verfahrensfehler gestützt ist, hat keinen Erfolg.

2 1. Die Revision ist nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen. Grundsätzlich bedeutsam im Sinne dieser Vorschrift ist eine Rechtssache nur, wenn für die angefochtene Entscheidung der Vorinstanz eine konkrete, fallübergreifende und bislang ungeklärte Rechtsfrage des revisiblen Rechts von Bedeutung war, deren Klärung im Revisionsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint.

3 a) Diese Voraussetzungen erfüllen die von dem Kläger aufgeworfenen Fragen,
ob die Mitteilung des Ergebnisses einer Flurstückneubildung ohne Liegenschaftsvermessung nach § 12 Abs. 2 Satz 2 Vermessungs- und Geoinformationsgesetz Sachsen-Anhalt (VermGeoG LSA) durch Bekanntgabe des Veränderungsnachweises verbunden mit der Übersendung eines unbemaßten Auszuges aus der Liegenschaftskarte (Maßstab 1:1000) inhaltlich hinreichend bestimmt im Sinne des § 1 Abs. 1 VwVfG LSA i.V.m. § 37 Abs. 1 VwVfG (im Folgenden nur noch: VwVfG) ist und, sofern dies verneint wird, ob die mangelnde Bestimmtheit zur Nichtigkeit des so bekanntgegebenen feststellenden Verwaltungsaktes über die Flurstückneubildung im Sinne des § 44 Abs. 1 VwVfG führt,
nicht. Der Kläger will in der Sache geklärt wissen, ob die der damaligen Grundstücksverkäuferin und Antragstellerin im Jahr 2007 durch den Beklagten bekannt gegebene Fortführung des Liegenschaftskatasters wegen Unbestimmtheit nicht nur rechtswidrig, sondern nichtig ist. Die damit angesprochenen Fragen sind - soweit sie einer revisionsgerichtlichen Überprüfung zugänglich sind - in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bereits geklärt oder lassen sich auf der Grundlage dieser Rechtsprechung ohne Weiteres beantworten, so dass es der Durchführung eines Revisionsverfahrens nicht bedarf.

4 Das Bestimmtheitsgebot des gemäß § 137 Abs. 1 Nr. 2 VwGO revisiblen § 37 Abs. 1 VwVfG verlangt, dass der Adressat in die Lage versetzt wird, zu erkennen, was von ihm gefordert wird; zudem muss der Verwaltungsakt geeignete Grundlage für Maßnahmen zu seiner zwangsweisen Durchsetzung sein können. Im Einzelnen richten sich die Anforderungen an die notwendige Bestimmtheit eines Verwaltungsakts nach den Besonderheiten des jeweils anzuwendenden und mit dem Verwaltungsakt umzusetzenden materiellen Rechts (vgl. BVerwG, Urteile vom 15. Februar 1990 - 4 C 41.87 - BVerwGE 84, 335 <338>, vom 18. April 1997 - 8 C 43.95 - BVerwGE 104, 301 <317 f.> und vom 14. November 2012 - 9 C 13.11 - BVerwGE 145, 87 Rn. 11). Dieser Maßstab liegt auch der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts zugrunde, das die von dem Beklagten vorgenommene Fortführung des Liegenschaftskatasters als hinreichend bestimmten Verwaltungsakt angesehen hat. Ob dies im Einzelfall zutreffend ist, unterliegt nicht revisionsgerichtlicher Überprüfung.

5 In einer selbständig tragenden Begründung hat das Berufungsgericht, das diesen Verwaltungsakt für bestandskräftig und mithin unanfechtbar geworden hält, nachdem er der früheren Grundstückeigentümerin im Jahr 2007 bekannt gegeben wurde, entsprechend festgestellt, dass die Fortführungsmitteilung (jedenfalls) nicht nach § 44 Abs. 1 VwVfG nichtig ist. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass die Rechtsfolge der Nichtigkeit eines Verwaltungsaktes eine besondere Ausnahme darstellt und grundsätzlich von der Gültigkeit von Akten der staatlichen Gewalt auszugehen ist. Der einem Verwaltungsakt anhaftende Fehler muss diesen schlechterdings unerträglich, d. h. mit tragenden Verfassungsprinzipien oder der Rechtsordnung immanenten wesentlichen Wertvorstellungen unvereinbar erscheinen lassen, wobei der Fehler für einen verständigen Bürger offensichtlich sein muss (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Oktober 1997 - 8 C 1.96 - Buchholz 401.0 § 125 AO Nr. 1 S. 3 f.; Beschlüsse vom 11. Mai 2000 - 11 B 26.00 - Buchholz 316 § 44 VwVfG Nr. 12 S. 4 und vom 9. Juli 2019 - 9 B 29.18 - Buchholz 11 Art. 20 GG Nr. 233 Rn. 10). Ob ein solcher besonders schwerwiegender Fehler hier vorliegt, hängt von einer tatsächlichen Würdigung der Umstände des Einzelfalls ab und ist damit einer rechtsgrundsätzlichen Klärung nicht zugänglich.

6 b) Auch die Frage,
ob in der Mitteilung des Ergebnisses einer Flurstückneubildung ohne Liegenschaftsvermessung nach § 12 Abs. 2 Satz 2 VermGeoG LSA die wirksame Bekanntgabe eines Verwaltungsaktes gemäß § 41 Abs. 1 und 2 VwVfG liegt,
rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht. Sie lässt sich einfach aufgrund des Gesetzes beantworten. Der Kläger selbst geht, wie sich seiner ersten Frage entnehmen lässt, davon aus, dass es sich bei der Mitteilung um einen Verwaltungsakt handelt. Gemäß § 43 Abs. 1 Satz 1 VwVfG wird ein - rechtmäßiger oder rechtswidriger - Verwaltungsakt gegenüber demjenigen, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in dem er ihm nach § 41 VwVfG bekannt gegeben wird. Ein nichtiger Verwaltungsakt, der nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hier jedenfalls nicht vorliegt, ist hingegen gemäß § 43 Abs. 3 VwVfG unwirksam.

7 2. Aus dem Beschwerdevorbringen ergibt sich auch nicht das Vorliegen eines Verfahrensmangels im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, auf dem das angefochtene Urteil beruhen kann. Der Kläger rügt, das Oberverwaltungsgericht habe bei der Feststellung, die Angabe von Längenmaßen der Grenzlinien der neu gebildeten Flurstücke sei mit einem zusätzlichen Verwaltungsaufwand verbunden, den Maßstab der Überzeugungsgewissheit nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO verfehlt und den Untersuchungsgrundsatz nach § 86 Abs. 1 VwGO nicht gewahrt. Die Vorinstanz habe sich bei ihrer Beurteilung einseitig auf die mit dem übrigen Akteninhalt nicht konformen informatorischen Angaben der Vertreterin des Beklagten in der mündlichen Verhandlung gestützt, wonach alle Maßzahlen aus den Unterlagen des Liegenschaftskatasters herausgesucht werden müssten, der Sachbearbeiter dann in einem anspruchsvollen Verfahren die Strecken einer Wertung unterziehen müsse und die Berechnung von Längenmaßen anhand von Koordinaten ein mathematisch komplizierter Vorgang sei sowie umfangreiche mathematische Berechnungen erfordere, ohne diese Angaben zumindest weiter aufzuklären.

8 Diese Beschwerdebegründung genügt bereits nicht dem gesetzlichen Darlegungserfordernis. Die nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO gebotene Bezeichnung eines Verfahrensmangels setzt voraus, dass der Verfahrensmangel sowohl in den ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen als auch in seiner rechtlichen Würdigung substantiiert dargetan wird (vgl. BVerwG, Beschluss vom 17. Dezember 2010 - 9 B 60.10 - BayVBl 2011, 352 Rn. 4). Eine Verfahrensrüge erfordert danach auch die Darlegung der Möglichkeit des Beruhens der angefochtenen Entscheidung auf dem geltend gemachten Mangel, also dass die - behauptete - unvollständige Berücksichtigung des Akteninhalts und die unterbliebene weitere Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich zu Feststellungen geführt hätten, deren Berücksichtigung nach dem materiell-rechtlichen Standpunkt der Vorinstanz zu einer für den Beschwerdeführer günstigeren Entscheidung hätte führen können (vgl. BVerwG, Urteile vom 12. Februar 1998 - 3 C 55.96 - BVerwGE 106, 177 <182> und vom 20. April 2004 - 1 C 13.03 - BVerwGE 120, 298 <303>). Daran fehlt es hier.

9 Abgesehen davon, dass die von der Beschwerde angegriffenen Feststellungen der Vorinstanz durchaus den Akteninhalt in Gestalt des Erfassungsrisses vom 6. August 2007 berücksichtigen und würdigen, beziehen sie sich ausschließlich auf die Anforderungen an die hinreichende Bestimmtheit der Fortführung des Liegenschaftskatasters durch den Beklagten. Für die selbständig tragende Begründung im Berufungsurteil, wonach die Fortführungsmitteilung nicht nichtig ist, kommt es auf diese Feststellungen hingegen nicht entscheidungserheblich an, so dass die Entscheidung insoweit nicht auf den gerügten Verfahrensmängeln beruhen kann. Da das Berufungsgericht von der Bestandskraft der Fortführung des Liegenschaftskatasters ausgeht, hätte nur die Nichtigkeit, nicht jedoch bereits die Rechtswidrigkeit dieses Verwaltungsaktes zu einer für den Kläger günstigeren Entscheidung über seinen Hauptantrag auf Verpflichtung des Beklagten zur Korrektur des Liegenschaftskatasters führen können.

10 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.