Beschluss vom 24.11.2022 -
BVerwG 20 F 19.22ECLI:DE:BVerwG:2022:241122B20F19.22.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 24.11.2022 - 20 F 19.22 - [ECLI:DE:BVerwG:2022:241122B20F19.22.0]

Beschluss

BVerwG 20 F 19.22

In der Verwaltungsstreitsache hat der Fachsenat des Bundesverwaltungsgerichts
für Entscheidungen nach § 99 Abs. 2 VwGO
am 24. November 2022
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Häußler
und die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Dr. Eppelt und Dr. Henke
beschlossen:

Der Antrag auf Bestimmung des zuständigen Gerichts wird abgelehnt.

Gründe

I

1 Die Antragstellerin führt seit dem 13. Oktober 2020 beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg unter dem Aktenzeichen OVG 5 A 6/22 (vormals: OVG 11 A 24/20) ein Normenkontrollverfahren gegen die Verordnung zur Änderung der SARS-CoV-2-Umgangsverordnung vom 26. Juni 2020 (GVBl. II Nr. 54) und die Vierte Verordnung zur Änderung der SARS-CoV-2-Umgangsverordnung vom 8. Oktober 2020 (GVBl. II Nr. 94).

2 Der Antragsgegner hat dem Oberverwaltungsgericht die zu diesen Verordnungen mit richterlichen Verfügungen erbetenen Normsetzungsvorgänge zum Teil übermittelt, eine vollständige Übersendung jedoch unter Vorlage einer Sperrerklärung vom 27. Januar 2021 verweigert, weil eine Offenlegung der ausgesonderten Dokumente dem Wohl des Landes Nachteile bereiten würde.

3 Die Antragstellerin hat mehrfach beim 5. Senat des Oberverwaltungsgerichts beantragt, das Verfahren auszusetzen und die Sache an den Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts abzugeben, sowie festzustellen, dass die Sperrerklärung rechtswidrig sei. Der Berichterstatter des 5. Senats hat darauf hingewiesen, dass der Abgabe an den Fachsenat die Frage der Entscheidungserheblichkeit vorgelagert sei, über die der 5. Senat zu entscheiden habe.

4 Am 11. August 2022 hat sie beim Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts (95. Senat) beantragt, vom 5. Senat die Akten der Sache OVG 5 A 6/22 beizuziehen und das dort am 9. März 2022 beantragte Zwischenverfahren nach § 99 Abs. 2 VwGO durchzuführen. Der Vorsitzende des Fachsenats des Oberverwaltungsgerichts hat die Antragstellerin darauf hingewiesen, dass die Zuständigkeit des Fachsenats erst eröffnet sei, wenn das Gericht der Hauptsache die Sache gemäß § 99 Abs. 2 Satz 4 VwGO abgebe. Der Fachsenat könne einen im Hauptsacheverfahren gestellten Antrag nach § 99 Abs. 2 Satz 1 VwGO nicht von Amts wegen an sich ziehen. Das Verfahren nach § 99 Abs. 2 VwGO sei auch kein Mittel, das Gericht der Hauptsache zu einer bestimmten Sachaufklärung zu zwingen.

5 Die Antragstellerin hat daraufhin beim Bundesverwaltungsgericht beantragt, "gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 5 und Abs. 3 Satz 1 VwGO für das Zwischenverfahren nach § 99 Abs. 2 VwGO zu dem bei dem 5. Senat des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg unter dem Aktenzeichen OVG 5 A 6/22 anhängigen Ausgangsverfahren den 95. Senat des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg als das instanziell zuständige Gericht zu bestimmen."

6 Der Antragsgegner hält den Antrag für unbegründet.

II

7 Der Antrag auf Bestimmung des zuständigen Gerichts bleibt ohne Erfolg. Nach § 53 Abs. 3 VwGO kann das Bundesverwaltungsgericht das zuständige Gericht innerhalb der Verwaltungsgerichtsbarkeit nur unter den in § 53 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 VwGO genannten Voraussetzungen bestimmen. Diese liegen nicht vor.

8 Insbesondere ist entgegen der Annahme der Antragstellerin der in § 53 Abs. 1 Nr. 5 VwGO geregelte Fall nicht gegeben, dass verschiedene Gerichte, von denen eines für den Rechtsstreit zuständig ist, sich rechtskräftig für unzuständig erklärt haben.

9 Zwar ist § 53 Abs. 1 Nr. 5 VwGO entsprechend anwendbar, wenn mehrere Spruchkörper desselben Gerichts um ihre Zuständigkeit streiten und die Entscheidung des Kompetenzkonflikts nicht von der Auslegung des Geschäftsverteilungsplans abhängt, sondern auf der Grundlage einer gesetzlichen Zuständigkeitsregelung zu treffen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Juli 2022 - X ARZ 3.22 - juris Rn. 16 zu § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO; W.-R. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 28. Aufl. 2022, § 53 Rn. 1).

10 Dies setzt aber voraus, dass das Prozessrecht selbst keine oder keine widerspruchsfreie Zuweisung enthält (vgl. BVerwG, Beschluss vom 7. Februar 2006 - 1 AV 1.06 - Buchholz 310 § 53 VwGO Nr. 30 Rn. 4). Für die vorliegende Fallkonstellation enthält das Prozessrecht in § 99 VwGO indes eine widerspruchsfreie Zuweisung der gerichtlichen Zuständigkeit.

11 Nach § 99 Abs. 1 Satz 1 VwGO sind Behörden zur Vorlage von Urkunden oder Akten, zur Übermittlung elektronischer Dokumente und zu Auskünften verpflichtet. Unter den Voraussetzungen des § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann die zuständige oberste Aufsichtsbehörde dies verweigern. In diesem Fall stellt gemäß § 99 Abs. 2 Satz 1 VwGO auf Antrag eines Beteiligten das Oberverwaltungsgericht (bzw. in den hier nicht einschlägigen Fällen des § 99 Abs. 2 Satz 2 VwGO das Bundesverwaltungsgericht) durch Beschluss fest, ob die Verweigerung rechtmäßig ist. Der Antrag ist gemäß § 99 Abs. 2 Satz 3 VwGO bei dem für die Hauptsache zuständigen Gericht zu stellen. Dieses gibt den Antrag und die Hauptsacheakten gemäß § 99 Abs. 2 Satz 4 VwGO an den nach § 189 VwGO zuständigen Spruchkörper ab.

12 Danach ist vorliegend für die Beschlussfassung gemäß § 99 Abs. 2 Satz 1 VwGO der Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts zuständig, wenn das Gericht der Hauptsache ihm die anhängige Sache vorgelegt hat (vgl. BVerwG, Beschluss vom 1. August 2007 - 20 F 10.06 - juris Rn. 3; OVG Schleswig, Beschluss vom 15. Februar 2021 - 15 P 1/16 - juris Rn. 10). Beruft sich die Behörde auf die Geheimhaltungsbedürftigkeit der Akten, muss das Gericht der Hauptsache zunächst darüber entscheiden, ob es die zurückgehaltenen Unterlagen tatsächlich benötigt, um den entscheidungserheblichen Sachverhalt umfassend aufzuklären. Denn für den Zwischenstreit über die Rechtmäßigkeit der Verweigerung muss klargestellt sein, was er zum Gegenstand haben soll. Dazu bedarf es gemäß § 98 VwGO i. V. m. § 358 ZPO grundsätzlich eines Beweisbeschlusses des Gerichts der Hauptsache (vgl. BVerwG, Beschluss vom 31. August 2009 - 20 F 10.08 - Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 55 Rn. 3 m. w. N.).

13 Ungeachtet dieser bereits widerspruchsfreien Zuweisung der gerichtlichen Zuständigkeit haben sich der 5. Senat und der Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg nicht jeweils rechtskräftig für unzuständig erklärt.

14 Der zuständige Berichterstatter des 5. Senats und der Vorsitzende des Fachsenats des Oberverwaltungsgerichts haben übereinstimmend und zutreffend darauf hingewiesen, dass der Abgabe des Antrags und der Hauptsacheakten an den zuständigen Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts noch die Frage der Entscheidungserheblichkeit vorgelagert sei, über die das Gericht der Hauptsache entscheide. Nach § 99 Abs. 2 Satz 4 VwGO besteht kein Zweifel, dass bis zu dieser Abgabe der 5. Senat des Oberverwaltungsgerichts zuständig ist und danach der Fachsenat.

15 Letztlich versucht die Antragstellerin, im Gewande eines Antrags auf Zuständigkeitsbestimmung eine beschleunigte Bearbeitung ihres Antrags nach § 99 Abs. 2 Satz 1 VwGO zu erwirken. Das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Gerichts nach § 53 VwGO ist nicht das dafür gesetzlich vorgesehene Mittel. Wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird, sieht § 198 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 1 GVG die Möglichkeit einer Verzögerungsrüge vor.

16 Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht. Das Verfahren nach § 53 VwGO ist gerichtskostenfrei und stellt hinsichtlich der Anwaltskosten dieselbe Angelegenheit dar wie das Verfahren, für das der Gerichtsstand bestimmt werden soll (§ 16 Nr. 3a RVG). Die Kosten des Verfahrens zur Bestimmung des zuständigen Gerichts sind damit Teil der Kosten des zugrunde liegenden Hauptsacheverfahrens (vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. August 2022 - 20 F 9.22 - juris Rn. 2 f.).