Beschluss vom 25.05.2022 -
BVerwG 3 BN 4.22ECLI:DE:BVerwG:2022:250522B3BN4.22.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 25.05.2022 - 3 BN 4.22 - [ECLI:DE:BVerwG:2022:250522B3BN4.22.0]

Beschluss

BVerwG 3 BN 4.22

  • OVG Berlin-Brandenburg - 11.02.2022 - AZ: 12 A 3/20

In der Normenkontrollsache hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 25. Mai 2022
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Philipp
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Liebler und Dr. Kenntner
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Antragstellerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 11. Februar 2022 wird zurückgewiesen.
  2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstands wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe

1 1. Die Antragstellerin ist als Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe in Cottbus niedergelassen und seit 2010 zum Führen der Zusatzbezeichnung "Homöopathie" berechtigt. Nach eigenen Angaben behandelt sie ihre Patientinnen fast ausschließlich homöopathisch. Mit der Normenkontrolle wendet sie sich gegen eine Neufassung der Weiterbildungsordnung der Landesärztekammer Brandenburg, mit der die Möglichkeit abgeschafft wurde, diese Zusatzbezeichnung künftig zu erwerben.

2 Die Kammerversammlung der Landesärztekammer Brandenburg beschloss am 20. Juni 2020 die Weiterbildungsordnung 2020 der Landesärztekammer Brandenburg (WBO BB 2020), die am 29. Juli 2020 in Kraft getreten ist. Anders als in der bis dahin geltenden Weiterbildungsordnung und abweichend von den Empfehlungen der Muster-Weiterbildungsordnung der Bundesärztekammer ist darin die Zusatzweiterbildung "Homöopathie" nicht mehr vorgesehen. Gemäß § 3 Abs. 6 und 7 WBO BB 2020 dürfen die nach den bisherigen Weiterbildungsordnungen erworbenen oder von einer anderen deutschen Ärztekammer verliehenen Bezeichnungen weiter geführt werden.

3 Die Antragstellerin sieht sich durch die Änderung in ihren Grundrechten verletzt. Die Streichung der Zusatzbezeichnung Homöopathie führe zu einem Ansehensverlust dieser Behandlungsmethode und wirke sich wirtschaftlich nachteilig für sie aus. Da die Regelung zu einer Verringerung der Zahl von Homöopathen führe, werde es schwieriger, die für den Betrieb der Praxis benötigte qualifizierte ärztliche Vertretung zu finden. Entsprechendes gelte für Möglichkeit, die Praxis an einen Nachfolger mit homöopathischem Schwerpunkt zu veräußern. Der Erlös aus dem Verkauf ihrer Praxis stelle für Ärzte aber einen wesentlichen Teil der Alterssicherung dar. Dieser Altersvorsorge werde mit der Neuregelung der WBO BB 2020 der Boden entzogen, weil der Wert eines homöopathisch ausgerichteten Patientenstamms durch künftige Ärzte ohne entsprechende Zusatzbezeichnung nicht mehr angemessen abgegolten werde. Die fortbestehende Möglichkeit der Ausweisung eines Tätigkeitsschwerpunkts ändere hieran nichts, weil die heutige Gesellschaft zu Recht Wert darauf lege, dass berufliche Qualifikationen in einem den fachlichen Ansprüchen genügenden und geregelten Verfahren erworben und mit entsprechenden Nachweisen belegt würden. Die Inhaber der Zusatzbezeichnung "Homöopathie" würden so schlechter behandelt als Ärzte mit einer Zusatzbezeichnung, die auch weiterhin erworben werden könne. Eine Rechtfertigung hierfür bestehe nicht, weil die Voraussetzungen für die Vergabe der Zusatzbezeichnung "Homöopathie" nicht weggefallen seien und ein entsprechender Bedarf für die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung bestehe. Die Streichung der Zusatzbezeichnung "Homöopathie" verletze daher auch § 36 des Heilberufsgesetzes Brandenburg.

4 Durch Urteil vom 11. Februar 2022 hat das Oberverwaltungsgericht den Antrag als unzulässig abgelehnt, weil der Antragstellerin die Antragsbefugnis fehle. Ihr Rechtskreis werde durch die beanstandete Regelung nicht unmittelbar berührt, da sie zum Führen ihrer Zusatzbezeichnung berechtigt bleibe. Auch die Möglichkeit einer in absehbarer Zeit zu erwartenden mittelbaren Rechtsverletzung sei weder belegt noch zu erkennen. Im Übrigen seien die berufsrechtlichen Regelungen über den Erwerb oder die Streichung einer Zusatzbezeichnung nicht dergestalt drittschützend, dass sie ein subjektives Recht eines Arztes begründeten, seine Patienten im Vertretungsfall auf einen Kollegen oder eine Kollegin mit derselben Zusatzbezeichnung zu verweisen oder später die Praxis an einen Nachfolger mit dieser Zusatzbezeichnung veräußern zu können.

5 2. Die gegen die Nichtzulassung der Revision gerichtete Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Sie hat weder eine grundsätzlich bedeutsame Rechtsfrage dargelegt (a) noch einen Verfahrensmangel der angegriffenen Entscheidung aufgezeigt (b).

6 a) Die Beschwerde hat keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt (§ 132 Abs. 2 Nr. 1, § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO).

7 Die von ihr aufgeworfene Frage, ob und inwieweit §§ 35 und 36 des Heilberufsgesetzes Brandenburg i. d. F. der Bekanntmachung vom 28. April 2003 (GVBl. I S. 126), für den hier maßgeblichen Zeitraum zuletzt geändert durch Gesetz zur Änderung des Heilberufsgesetzes vom 29. Juni 2018 (GVBl. I Nr. 14 S. 1) auch dem Schutz der einzelnen Ärzte dienen, betrifft im Schwerpunkt nicht-revisibles Landesrecht (vgl. § 137 Abs. 1 VwGO). Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat entschieden, dass die landesrechtlichen Regelungen über die ärztliche Weiterbildung im Heilberufsgesetz Brandenburg "nicht dergestalt drittschützend sind, dass sie ein subjektives Recht eines Arztes begründen, seine Patienten im Vertretungsfall auf einen Kollegen oder eine Kollegin mit derselben Zusatzbezeichnung zu verweisen oder später die Praxis an einen Nachfolger mit dieser Zusatzbezeichnung veräußern zu können" (UA S. 8). Hieran ist das Bundesverwaltungsgericht gebunden. Die Anwendung und Auslegung irrevisiblen Landesrechts durch das Oberverwaltungsgericht ist für das Revisionsgericht verbindlich (§ 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 560 ZPO). Die revisionsgerichtliche Prüfung ist darauf beschränkt, ob die Anwendung des Landesrechts in der Auslegung durch das Oberverwaltungsgericht revisibles Recht verletzt (vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 9. Juli 2020 - 3 C 20.18 - BVerwGE 169, 142 Rn. 8).

8 Soweit die Rüge auf die Grundrechte - und damit revisibles Bundesrecht - Bezug nimmt, hat der Senat mit Beschluss vom 11. Januar 2022 - 3 BN 6.21 - (juris) zur entsprechenden Regelung in Bremen die maßgeblichen Fragen bereits beantwortet; die hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde hat das Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen (BVerfG, Kammerbeschluss vom 31. März 2022 - 1 BvR 565/22 -). Neuen oder zusätzlichen Klärungsbedarf zeigt die Beschwerde nicht auf.

9 Die von der Antragstellerin aufgeworfene Frage, "ob das Recht der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG auch Regelungen umfasst, die sich finanziell erst nach der Beendigung der beruflichen Tätigkeit auswirken", ist im vorliegenden Rechtsstreit im Übrigen nicht entscheidungserheblich. Die Verneinung der Antragsbefugnis der Antragstellerin folgt nicht daraus, dass sich die Regelung erst nach einer Beendigung der beruflichen Tätigkeit von betroffenen Ärzten auswirken würde. Maßgeblich ist vielmehr, dass die beanstandeten Normen nicht den von der Beschwerde behaupteten "Eingriff in die Alterssicherung von Freiberuflern" enthalten. Die Weiterbildungsordnung 2020 trifft keine Regelung zur Alterssicherung freiberuflich tätiger Ärzte oder zum Verkauf einer ärztlichen Praxis.

10 Entscheidend ist daher, ob die von der Antragstellerin befürchteten mittelbaren und faktischen Beeinträchtigungen durch den Fortfall der Möglichkeit, in Brandenburg die Zusatzbezeichnung "Homöopathie" zu erwerben, einem Eingriff in die Berufsfreiheit im herkömmlichen Sinn funktional gleichkommen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. Januar 2022 - 3 BN 6.21 - juris Rn. 11). Diese Einschränkung ist erforderlich, weil grundsätzlich nahezu jede Norm Rückwirkungen auf die Berufstätigkeit entfalten kann und der Schutzbereich des Grundrechts ansonsten konturlos würde (BVerfG, Urteil vom 17. Februar 1998 - 1 BvR 1/91 - BVerfGE 97, 228 <253 f.>). Die Maßstäbe hierfür sind in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geklärt (vgl. zuletzt etwa BVerfG, Beschluss vom 27. April 2021 - 2 BvR 206/14 - NVwZ 2021, 1211 Rn. 54 m. w. N.). Grundsätzlichen Klärungsbedarf hierzu zeigt die Beschwerde nicht auf. Sie hat auch keine Gesichtspunkte vorgetragen, die die Einschätzung des Oberverwaltungsgerichts, die Änderung der WBO BB 2020 greife weder im Hinblick auf ihre Zielrichtung noch hinsichtlich des Kausalzusammenhangs in die Möglichkeiten einer Praxisveräußerung ein, in Frage stellen würden. Auch nach dem Beschwerdevortrag sind die von der Antragstellerin befürchteten Wirkungen vielmehr nur als mittelbare und "reflexartige" Folgen einer nicht auf ihre Berufsausübung gerichteten normativen Regelung zu bewerten.

11 Dies gilt auch, soweit die Beschwerde auf Art. 14 Abs. 1 GG verweist. Auch die Eigentumsgarantie schützt grundsätzlich nicht gegen Änderungen der rechtlichen Rahmenbedingungen wirtschaftlichen Handelns und deren Auswirkungen auf die Marktchancen - hier bei einem etwaigen Verkauf der ärztlichen Praxis (vgl. BVerfG, Urteil vom 6. Dezember 2016 - 1 BvR 2821/11 u. a. - BVerfGE 143, 246 Rn. 372; BGH, Urteil vom 14. März 1996 - III ZR 224/94 - BGHZ 132, 181 Rn. 18 m. w. N.). Eine "eingriffsgleiche Wirkung" (BVerfG, Kammerbeschluss vom 14. Oktober 2008 - 1 BvR 928/08 - NVwZ 2008, 1338 Rn. 21) der Abschaffung der Möglichkeit, die Zusatzbezeichnung "Homöopathie" zu erwerben, auf die Rechtsstellung der Antragstellerin ist im Übrigen schon deshalb nicht dargelegt, weil der Verkaufspreis einer Praxis von einer Vielzahl von Faktoren abhängt. Dass das Entfallen der Möglichkeit für alle der Landesärztekammer Brandenburg angehörenden Ärztinnen und Ärzte, die Zusatzbezeichnung "Homöopathie" neu zu erwerben, hierfür von ausschlaggebender Bedeutung sein könnte, hat die Antragstellerin nicht aufgezeigt.

12 Zu dem schließlich angesprochenen wirksamen Rechtsbehelf nach Art. 9 der Richtlinie (EU) 2018/958 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Juni 2018 über eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vor Erlass neuer Berufsreglementierungen (ABl. L 173 S. 25) benennt die Beschwerde keine klärungsbedürftige Frage. Es ist auch nicht ersichtlich, dass der Fortfall der Möglichkeit eines Erwerbs der Zusatzbezeichnung "Homöopathie" die Antragstellerin, die zum Führen ihrer bereits erworbenen Bezeichnung berechtigt bleibt, in einer von dieser Richtlinie geregelten Angelegenheit betreffen könnte.

13 b) Auch der geltend gemachte Verfahrensmangel liegt nicht vor (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).

14 Warum das Oberverwaltungsgericht den Vortrag weiter hätte aufklären müssen, dass eine in der Praxis der Antragstellerin tätig gewesene Praktikantin das Interesse an einem Einstieg in diese Praxis aufgrund des Wegfalls der Zusatzbezeichnung verloren habe (Beschwerdebegründung vom 18. März 2022, S. 6), ist weder mit der Beschwerde dargelegt noch sonst ersichtlich. Dass der Antragstellerin damit der Weiterbetrieb ihrer Praxis unmöglich gemacht worden oder unzumutbar erschwert worden wäre, ist nicht vorgetragen.

15 Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2 VwGO).

16 3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 47 Abs. 1 und 3 i. V. m. § 52 Abs. 1 und 2 GKG.