Beschluss vom 25.10.2022 -
BVerwG 1 B 59.22ECLI:DE:BVerwG:2022:251022B1B59.22.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 25.10.2022 - 1 B 59.22 - [ECLI:DE:BVerwG:2022:251022B1B59.22.0]

Beschluss

BVerwG 1 B 59.22

  • VG Köln - 28.03.2017 - AZ: 7 K 6529/15
  • OVG Münster - 09.05.2022 - AZ: 11 A 1143/17

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 25. Oktober 2022
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Keller und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dollinger und Böhmann
beschlossen:

  1. Der Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten wird abgelehnt.
  2. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 9. Mai 2022 wird verworfen.
  3. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  4. Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe

1 A. Der Prozesskostenhilfeantrag der Klägerin wird abgelehnt, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung aus den nachfolgenden Gründen keine Aussicht auf Erfolg hat (§ 166 VwGO i. V. m. §§ 114, 121 Abs. 1 ZPO).

2 B. Die auf Verfahrensmängel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) und Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg, weil sie hinsichtlich beider Zulassungsgründe nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügt.

3 I. Die Revision ist nicht wegen Verfahrensmängeln (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zuzulassen.

4 1. Ohne Erfolg rügt die Beschwerde, das Berufungsgericht habe den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt, indem es ihr Vorbringen nicht berücksichtigt habe.

5 a) Das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verpflichtet die Gerichte, die Ausführungen der Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei ihrer Entscheidung in Erwägung zu ziehen. Als Prozessgrundrecht soll es sicherstellen, dass die gerichtliche Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, die ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme oder Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Oktober 2012 - 1 C 13.11 - BVerwGE 144, 230 Rn. 10). Dabei ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die Gerichte das Vorbringen der Beteiligten, wie es Art. 103 Abs. 1 GG vorschreibt, zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben. Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ist daher nur dann anzunehmen, wenn besondere Umstände deutlich ergeben, dass das Gericht bestimmtes Vorbringen nicht berücksichtigt hat (stRspr, vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 19. Mai 1992 - 1 BvR 986/91 - BVerfGE 86, 133 <145 f.>).

6 b) Solche besonderen Umstände legt die Beschwerde nicht dar. Es ist insbesondere nicht ersichtlich, dass das Oberverwaltungsgericht den Vortrag der Klägerin zum Bekenntnis zum deutschen Volkstum (§ 6 Abs. 2 Satz 1 BVFG) nicht berücksichtigt hätte. Es hat zum einen weder dem am 11. Mai 2000 ausgestellten Inlandspass noch anderen vorgelegten Dokumenten einen Nationalitätseintrag entnehmen können (UA S. 9 f.). Zum anderen hat es den Passantrag vom Mai 2000, die Wahl eines deutschen Ehenamens bei der Eheschließung 2004 und den Erwerb eines B1-Sprachzertifikats einschließlich der Auskunft eines Mitarbeiters der Caritas vom 5. Dezember 2014 und der Angaben zu den familiär erworbenen Deutschkenntnissen der Klägerin berücksichtigt (UA S. 10 ff.). Auch mit dem Vortrag der Klägerin zum Erwerb von Deutschkenntnissen durch Vater (UA Bl. 14 und Großvater (UA Bl. 15 f.) hat sich das Oberverwaltungsgericht auseinandergesetzt. Sofern das Oberverwaltungsgericht auf dieser Grundlage zu der Überzeugung gelangt, diese Umstände begründeten kein Bekenntnis zum deutschen Volkstum "auf andere Weise" im Sinne von § 6 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 BVFG, liegt dem keine Gehörsverletzung zugrunde.

7 c) Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG folgt schließlich nicht aus dem - unzutreffenden - Hinweis der Beschwerde, das Berufungsgericht habe die Erbringung eines vollen Beweises für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 Satz 1 BVFG verlangt.

8 2. Der weiter geltend gemachte Verstoß gegen die gerichtliche Aufklärungs- und Hinweispflicht (§ 86 Abs. 1 und 3 VwGO) ist ebenfalls nicht dargelegt.

9 a) Die Rüge einer solchen Verletzung erfordert eine substantiierte Darlegung, hinsichtlich welcher tatsächlichen Umstände Aufklärungsbedarf bestanden hat, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht gekommen wären und welche tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung der unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären. Weiterhin muss entweder dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, durch einen Beweisantrag hingewirkt worden ist und die Ablehnung der Beweiserhebung im Prozessrecht keine Stütze findet, oder aufgrund welcher Anhaltspunkte sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken hätten aufdrängen müssen (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 15. Februar 2013 - 8 B 58.12 - ZOV 2013, 40, vom 12. Juli 2018 - 7 B 15.17 - Buchholz 451.224 § 36 KrWG Nr. 1 Rn. 23 und vom 5. November 2018 - 1 B 77.18 - juris Rn. 3). Zudem ist substantiiert darzulegen, dass sich der geltend gemachte Verfahrensmangel auf entscheidungserhebliche tatsächliche Feststellungen bezieht und die Entscheidung mithin auf diesem auch beruhen kann.

10 b) Diesen Anforderungen genügt die Beschwerde ersichtlich nicht. Die von ihr für erforderlich gehaltenen weiteren Aufklärungsmaßnahmen beziehen sich zum einen auf die vom Berufungsgericht vorgenommene Bewertung, der Vortrag zur Angabe in dem Passantragsformular "Forma Nr. 1" vom Mai 2000 sei unschlüssig und nicht geeignet, ein Bekenntnis durch Nationalitätenerklärung zu belegen. Entscheidungstragend war für das Oberverwaltungsgericht dabei der Umstand, dass ein Nationalitäteneintrag im Inlandspass - und damit auch in dem diesbezüglichen Antragsformular - nicht (mehr) vorgesehen war. Daraus zieht es den Schluss, dass es nicht nachvollziehbar sei, dass und warum die Klägerin ihre Nationalität abgegeben haben soll. Lediglich "ferner" und damit nicht eigenständig entscheidungstragend hält es das Oberverwaltungsgericht für nicht ersichtlich, von welchem Original die vorgelegte Kopie stammen soll und ob auf diesem Original die Eintragung der Nationalität nachträglich ergänzt worden ist (UA S. 10), sodass die Entscheidung darauf ersichtlich nicht beruht.

11 Zum anderen bedurfte es keiner Anhörung des Mitarbeiters der Caritas im Hinblick auf dessen unter dem 5. Dezember 2014 erteilte Auskunft, da sich daraus nach der allein maßgeblichen materiell-rechtlichen Sicht des Berufungsgerichts kein Nachweis ausreichender deutscher Sprachkenntnisse im Sinne des § 6 Abs. 2 Satz 2 BVFG ergibt.

12 II. Die Revision ist auch nicht wegen der weiter geltend gemachten Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) zuzulassen. Die Rüge, die Berufungsentscheidung weiche von Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts ab, bleibt ohne Erfolg, weil die Beschwerde einen solchen Zulassungsgrund ebenfalls nicht in der nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO erforderlichen Weise dargelegt hat.

13 1. Eine die Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO eröffnende Divergenz ist nur dann im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung eines der in § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO genannten Gerichte aufgestellten ebensolchen, die Entscheidung tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat. Das Aufzeigen einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung der Rechtssätze, die das betreffende Gericht in seiner Rechtsprechung aufgestellt hat, genügt den Zulässigkeitsanforderungen nicht (stRspr, vgl. z. B. BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n. F.> VwGO Nr. 26 S. 14).

14 2. Eine Divergenz zum Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. Juni 2010 - 5 B 49.09 - (Buchholz 412.3 § 6 BVFG Nr. 116) zur Aufklärungspflicht des Gerichts bei Zweifeln an der Echtheit einer ausländischen öffentlichen Urkunde kann die Beschwerde bereits deshalb nicht begründen, weil das Oberverwaltungsgericht nach den Ausführungen unter I.2.b nicht entscheidungstragend auf die Echtheit des Antragsformulars "Forma Nr. 1" abgestellt hat.

15 3. Divergierende Rechtssätze zum Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. April 1967 - 8 C 30.64 - (BVerwGE 26, 344) zeigt die Beschwerde nicht auf. Das Berufungsgericht hat zum einen schon keinen Rechtssatz aufgestellt, nach dem es (für ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum) nicht auf die Erklärung gegenüber den Behörden des Aussiedlungsgebietes, sondern allein auf die Eintragung in Urkunden (Pass, Geburtsurkunde usw.) ankomme. Zum anderen enthält das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts lediglich einen Rechtssatz, nach dem sich derjenige im Sinne von § 6 BVFG zu seinem Volkstum "bekannt" hat, der durch sein Verhalten das Bewusstsein und den Willen, einem bestimmten Volkstum und keinem anderen anzugehören, für Dritte wahrnehmbar verbindlich kundgetan hat. Maßgebend für die rechtliche Beurteilung der Frage, ob sich jemand in seiner Heimat im Sinne von § 6 BVFG zum deutschen Volkstum "bekannt" hat, sind in erster Linie die Erklärungen, die er in seiner Heimat bei der amtlichen Aufforderung, seine Volkszugehörigkeit zu bezeichnen, abgegeben hat (BVerwG, Urteil vom 26. April 1967 - 8 C 30.64 - BVerwGE 26, 344). Die Klägerin macht allenfalls eine unzureichende Berücksichtigung dieser Grundsätze durch das Berufungsgericht geltend. Hieraus ergibt sich keine Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO.

16 III. Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).

17 IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über den Streitwert beruht auf § 47 Abs. 1 und 3 i. V. m. § 52 Abs. 2 GKG.