Beschluss vom 26.01.2022 -
BVerwG 5 P 12.20ECLI:DE:BVerwG:2022:260122B5P12.20.0

Leitsatz:

Eine sechs Monate übersteigende Elternzeit, die ein Personalratsmitglied nach der Personalratswahl antritt, führt in Mecklenburg-Vorpommern nach gegenwärtiger Rechtslage nicht zum Verlust der Mitgliedschaft im Personalrat.

  • Rechtsquellen
    PersVG MV § 11 Abs. 1 Satz 3, § 12 Abs. 1, § 22 Abs. 1 Nr. 5

  • VG Greifswald - 20.04.2016 - AZ: VG 7 A 700/15
    OVG Greifswald - 21.10.2020 - AZ: OVG 8 L 201/16

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 26.01.2022 - 5 P 12.20 - [ECLI:DE:BVerwG:2022:260122B5P12.20.0]

Beschluss

BVerwG 5 P 12.20

  • VG Greifswald - 20.04.2016 - AZ: VG 7 A 700/15
  • OVG Greifswald - 21.10.2020 - AZ: OVG 8 L 201/16

In der Personalvertretungssache hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 26. Januar 2022
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Störmer,
die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Stengelhofen-Weiß und Dr. Harms und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Holtbrügge und Preisner
beschlossen:

Auf die Rechtsbeschwerden der Beteiligten zu 2 und 3 werden der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 21. Oktober 2020 und der Beschluss des Verwaltungsgerichts Greifswald vom 20. April 2016 geändert. Der Antrag des Antragstellers wird abgelehnt, die Wideranträge der Beteiligten zu 2 und 3 werden verworfen.

Gründe

I

1 Die Beteiligten streiten darüber, ob die Mitgliedschaft im Personalrat dadurch erlischt, dass ein Personalratsmitglied nach der Wahl zum Personalrat für mehr als sechs Monate Elternzeit ohne Teilzeitbeschäftigung in Anspruch nimmt.

2 Die Beteiligte zu 2 war nach der Personalratswahl im Mai 2013 Mitglied des Beteiligten zu 3 und nahm von September 2014 bis Juli 2015 Elternzeit ohne Teilzeitbeschäftigung nach dem Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz in Anspruch. Der Antragsteller ist der Auffassung, dass die Mitgliedschaft im Personalrat infolge der sechs Monate übersteigenden Elternzeit erloschen sei. Dem ist das Verwaltungsgericht gefolgt. Das Oberverwaltungsgericht hat die Beschwerde der Beteiligten zu 2 und 3 zurückgewiesen sowie der Sache nach auch die von ihnen im Beschwerdeverfahren gestellten Wideranträge sinngemäß mit der Begründung abgelehnt, dass für die Frage des Verlustes der Mitgliedschaft im Personalrat nach § 11 Abs. 1 Satz 3, § 12 Abs. 1 und § 22 Abs. 1 Nr. 5 PersVG MV aus gesetzessystematischen Gründen sowie wegen des Sinn und Zwecks der Vorschriften auch ein nach dem Wahltag eintretender Verlust der Wählbarkeit zu berücksichtigen sei.

3 Dem treten die Beteiligten zu 2 und 3 mit der vom Oberverwaltungsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde entgegen und stellen Wideranträge.

4 Der Antragsteller verteidigt den angefochtenen Beschluss.

II

5 Die Rechtsbeschwerden der Beteiligten zu 2 und 3 sind zulässig und insoweit begründet, als sie sich gegen die Zurückweisung ihrer Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts richten (1.), im Übrigen, soweit mit ihnen die im Beschwerdeverfahren gestellten Wideranträge weiterverfolgt werden, bleiben sie erfolglos (2.).

6 1. Soweit der angefochtene Beschluss die Beschwerde der Beteiligten zu 2 und 3 gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts zurückgewiesen hat, mit dem dieses antragsgemäß festgestellt hat, dass die Beteiligte zu 2 nicht mehr Mitglied des Beteiligten zu 3 ist, beruht er auf der unrichtigen Anwendung einer Rechtsnorm (§ 93 Abs. 1 Satz 1 ArbGG i.V.m. § 87 Abs. 2 des Personalvertretungsgesetzes für das Land Mecklenburg-Vorpommern - PersVG MV - vom 24. Februar 1993 <GVOBl. M-V 1993, S. 125>, zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes vom 26. November 2019 <GVOBl. M-V S. 705 <718>). Er verstößt gegen § 11 Abs. 1 Satz 3, § 12 Abs. 1, § 22 Abs. 1 Nr. 5 PersVG MV und ist daher - ebenso wie der erstinstanzliche Beschluss - zu ändern; der Antrag des Antragstellers ist abzulehnen (§ 96 Abs. 1 Satz 2 ArbGG i.V.m. § 562 Abs. 1, § 563 Abs. 3 ZPO). Sein in der Beschwerdeinstanz deutlich geäußertes Begehren ist als abstrakter Feststellungsantrag auszulegen. Der Antrag, dass die Mitgliedschaft im Personalrat infolge einer nach der Personalratswahl angetretenen Elternzeit von mehr als sechs Monaten erlischt, ist als abstrakter Feststellungsantrag zulässig, aber unbegründet. Eine sechs Monate übersteigende Elternzeit, die ein Personalratsmitglied nach der Wahl antritt, führt nicht zum Verlust der Mitgliedschaft im Personalrat.

7 Gemäß § 22 Abs. 1 Nr. 5 PersVG MV erlischt die Mitgliedschaft im Personalrat durch Verlust der Wählbarkeit. Nach § 12 Abs. 1 PersVG MV sind grundsätzlich alle Wahlberechtigten wählbar. Wahlberechtigt sind nach § 11 Abs. 1 Satz 1 PersVG MV unter bestimmten weiteren Voraussetzungen grundsätzlich alle Bediensteten der Dienststelle. Der Verlust des aktiven Wahlrechts führt demnach automatisch zu einem Verlust auch des passiven Wahlrechts und damit zum Erlöschen der Mitgliedschaft im Personalrat. § 22 Abs. 1 Nr. 5 PersVG MV erfasst nach seinem Wortlaut ("erlischt die Mitgliedschaft im Personalrat") ausschließlich Fälle des nach der Wahl eingetretenen Verlustes des passiven Wahlrechts. Gesetzessystematisch untermauert § 22 Abs. 1 Nr. 7 PersVG MV dieses Verständnis, wonach in Fällen, in denen das Personalratsmitglied (am Wahltag) nicht wählbar war, die Mitgliedschaft im Personalrat nach Ablauf der für die Wahlanfechtung in § 18 Abs. 2 PersVG MV vorgesehenen Frist durch gerichtliche Feststellung erlischt. Demzufolge kann die Regelungsautomatik in §§ 11, 12 und § 22 Abs. 1 Nr. 5 PersVG MV nur ausgelöst werden von Wählbarkeitsvoraussetzungen, die ihrerseits nicht auf den Wahltag fixiert sind, sondern auch noch nach der Wahl entfallen können. Ein Leerlaufen der Regelung des § 22 Abs. 1 Nr. 5 PersVG MV ist insoweit entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts (BA S. 5) nicht zu besorgen. Vielmehr gelangt sie zur Anwendung, wenn ein Personalratsmitglied nach dem Wahltag infolge Richterspruchs das Recht verliert, in öffentlichen Angelegenheiten zu wählen oder zu stimmen oder Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen (§ 11 Abs. 1 Satz 1 PersVG MV, der in der Vorschrift enthaltene Wahltagsbezug erstreckt sich nur auf das Erfordernis der Vollendung des achtzehnten Lebensjahres), wenn es länger als drei Monate abgeordnet wird (§ 11 Abs. 2 Satz 1 PersVG MV) oder wenn es zum Dienststellenleiter oder seinem ständigen Vertreter berufen wird oder die Befugnis erhält, Entscheidungen in Personalangelegenheiten nach § 68 Abs. 1 und 2 PersVG MV zu treffen (§ 12 Abs. 3 PersVG MV).

8 Zu den von § 22 Abs. 1 Nr. 5 PersVG MV erfassten Wählbarkeitsvoraussetzungen gehört die hier unter der Prämisse, dass Elternzeit als Beurlaubung im Sinne dieser Vorschrift anzusehen sein sollte, allein in Betracht zu ziehende Vorschrift des § 11 Abs. 1 Satz 3 PersVG MV nicht. Danach sind Beschäftigte nicht wahlberechtigt, die am Wahltag bereits länger als sechs Monate unter Wegfall der Bezüge beurlaubt sind. Wie das Bundesverwaltungsgericht zu der vergleichbaren Vorschrift des § 13 Abs. 1 Satz 2 BPersVG a.F. bereits entschieden hat (BVerwG, Beschluss vom 28. März 1979 - 6 P 86.78 - Buchholz 238.3a § 29 BPersVG Nr. 2 S. 5), ergibt der Wortlaut der Vorschrift eindeutig, dass die Beurlaubung bereits am Wahltag vorliegen muss. Diese Auffassung hat das Bundesverwaltungsgericht nachfolgend im Lichte der im Ergebnis gegenteiligen Beurteilung der Freistellungsphase der Altersteilzeit bestätigend referiert (BVerwG, Beschluss vom 15. Mai 2002 - 6 P 8.01 - BVerwGE 116, 242 <251>). Sie wird in Rechtsprechung (VGH Mannheim, Beschluss vom 26. September 1995 - PB 15 S 1138/95 - PersR 1996, 63) und Literatur geteilt (vgl. Vogelgesang, ZfPR 2016, 103 <105>; Gronimus, in: Vogelgesang/Bieler/Schroeder-Printzen u.a., Landespersonalvertretungsgesetz M-V, 1999, § 22 PersVG MV Rn. 59-61; vgl. zum BPersVG: Fischer/Goeres/Gronimus u.a., GKÖD, Band V, 2011, K § 13 Rn. 22e und § 29 BPersVG Rn. 18a; Kröll, in: Altvater/Baden/Baunack u.a., BPersVG, 10. Aufl. 2019, § 29 BPersVG a.F. Rn. 15a und 19c; Bamberger, in: BeckOK BPersVG, Stand August 2020, § 29 Rn. 39.2; Schwarze, in: Richardi/Dörner/Weber, BPersVG, 5. Aufl. 2020, § 29 Rn. 33 und 49; Ilbertz/Widmaier/Sommer, BPersVG 14. Aufl. 2018, § 29 Rn. 21 und 26 <anders jedoch Rn. 22>; Schlatmann, in: Lorenzen/Gerhold/Schlatmann u.a., BPersVG, Stand September 2021, § 29 BPersVG a.F. Rn. 33).

9 Aus Sinn und Zweck des § 11 Abs. 1 Satz 3 PersVG MV folgt entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts (BA S. 6) nichts anderes. Der Regelung liegt zwar der Gedanke zu Grunde, dass es bei längerer Beurlaubung ohne Bezüge an der für die Wahlberechtigung notwendigen tatsächlichen Eingliederung in die Dienststelle fehle (vgl. zu § 13 Abs. 1 Satz 2 BPersVG a.F. BVerwG, Beschluss vom 15. Mai 2002 - 6 P 8.01 - BVerwGE 116, 242 <248> unter Hinweis auf BT-Drs. 7/176 S. 28). Wie das Verwaltungsgericht (BA S. 7) aber selbst zutreffend betont, regelt die Vorschrift nur die Wahlberechtigung bezogen auf den Zeitpunkt, zu dem es auf die Ausübung des Wahlrechts ankommt, dem Wahltag. Angesichts des eindeutigen Wortlauts (vgl. BVerwG, Beschluss vom 28. März 1979 - 6 P 86.78 - Buchholz 238.3a § 29 BPersVG Nr. 2 S. 5) kommt § 11 Abs. 1 Satz 3 PersVG MV kein darüberhinausgehender Sinn und Zweck dergestalt zu, die fehlende Bindung an die Dienststelle auch in Fällen anzunehmen, in denen eine sechs Monate übersteigende Abwesenheit von der Dienststelle erst nach dem Wahltag während der Amtsperiode der Personalvertretung eintritt. Letzteres folgt auch nicht aus dem vom Verwaltungsgericht (BA S. 7) hervorgehobenen Umstand, dass sich § 22 Abs. 1 Nr. 5 PersVG MV im Unterschied zu § 11 Abs. 1 Satz 3 PersVG MV denknotwendig auf einen Zeitpunkt nach der Wahl bezieht, zu dem die Wählbarkeit und damit die Mitgliedschaft im Personalrat entfällt. Dies rechtfertigt kein anderes Verständnis des § 11 Abs. 1 Satz 3 PersVG MV, weil § 22 Abs. 1 Nr. 5 PersVG MV die Bestimmungen über die Wählbarkeit zum Personalrat unmittelbar ohne inhaltliche Modifikationen und nicht etwa nur entsprechend in Bezug nimmt.

10 Für eine im Wege teleologischer Reduktion vorzunehmende Rechtsfortbildung - so diese in Betracht kommen könnte - fehlt es jedenfalls an tragfähigen Anhaltspunkten für einen entsprechenden Plan des Gesetzgebers, dass § 11 Abs. 1 Satz 3 PersVG MV auch nach dem Wahltag angetretene Beurlaubungen erfassen soll.

11 2. Die im Beschwerdeverfahren gestellten Wideranträge der Beteiligten zu 2 und 3, die das Oberverwaltungsgericht zwar nicht ausdrücklich, aber - wie ihre Wiedergabe im Tatbestand des angefochtenen Beschlusses belegt - der Sache nach mit der Zurückweisung der Beschwerde abgelehnt hat, sind unzulässig. Soweit sie sich auf das Fortbestehen der Mitgliedschaft im Personalrat konkret der Beteiligten zu 2 beziehen, sind sie mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig, weil sich das Verfahren insoweit durch Ablauf der Amtsperiode des Personalrats und der seiner anschließenden Neuwahl erledigt hat. Sie sind auch unzulässig, soweit mit ihnen hilfsweise abstrakt die Feststellung begehrt wird, dass die Mitgliedschaft im Personalrat nicht durch eine vor dem Wahltag begonnene, zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht sechs Monate andauernde Elternzeit erlischt. Insoweit entspricht das Begehren nicht mehr - was für die Zulässigkeit eines abstrakten Feststellungsantrags erforderlich wäre (stRspr, vgl. etwa BVerwG, Beschlüsse vom 1. April 2015 - 5 P 8.14 - Buchholz 250 § 69 BPersVG Nr. 33 Rn. 9 und vom 15. Mai 2020 - 5 P 9.19 - Buchholz 250 § 69 BPersVG Nr. 36 Rn. 6, jeweils m.w.N.) - dem Sachverhalt des anlassgebenden konkreten Vorgangs. Schließlich sind die Wideranträge auch unzulässig, soweit sich das Feststellungsbegehren auf eine nach dem Wahltag angetretene Elternzeit bezieht. Diesen Wideranträgen steht das Prozesshindernis der anderweitigen Rechtshängigkeit nach § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO entgegen, weil sie nur auf das kontradiktorische Gegenteil des zuvor in diesem Verfahren bereits rechtshängig gemachten abstrakten Feststellungsantrags des Antragstellers abzielen.