Verfahrensinformation



Das Jugendamt ist nach einer Bestimmung des Jugendhilferechts verpflichtet, unbegleitete minderjährige Flüchtlinge vorläufig in Obhut zu nehmen. In diesem Zusammenhang ist das Alter des Flüchtlings zu klären. Das Verfahren betrifft die Frage, auf welche Art und Weise dies zu geschehen hat.


Der Kläger wurde von der Polizei am Hauptbahnhof München erkennungsdienstlich behandelt. Dabei gab er an, afghanischer Staatsangehöriger und minderjährig zu sein. Wenige Tage darauf fand ein Alterseinschätzungsgespräch beim Jugendamt der beklagten Stadt statt. Als Ergebnis wurde festgehalten, der Kläger sei volljährig. Deshalb wurde seine Inobhutnahme abgelehnt. Stattdessen wurde der Kläger in eine Gemeinschaftsunterkunft für Erwachsene verlegt.


Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte verpflichtet, den Kläger vorläufig in Obhut zu nehmen und in einer geeigneten Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung unterzubringen. Die hiergegen gerichtete Berufung hat der Verwaltungsgerichtshof zurückgewiesen. Das Berufungsgericht vertritt anders als andere Oberverwaltungsgerichte die Auffassung, eine qualifizierte Inaugenscheinnahme durch Mitarbeiter eines Jugendamts nach § 42f Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 Sozialgesetzbuch Achtes Buch sei lediglich dann als zur Altersfeststellung geeignet anzusehen, wenn es darum gehe, für jedermann ohne Weiteres erkennbare (offensichtliche), gleichsam auf der Hand liegende, über jeden vernünftigen Zweifel erhabene Fälle eindeutiger Volljährigkeit auszuscheiden oder evidenter Minderjährigkeit festzustellen. In allen anderen Fällen - namentlich im Grenzbereich zwischen Volljährigkeit und Minderjährigkeit - sei hingegen regelmäßig vom Vorliegen eines Zweifelsfalls auszugehen, der zur Veranlassung einer ärztlichen Untersuchung zwinge. In sich widersprüchlicher Vortrag des Ausländers zu seinem Alter könne nicht zu dessen Nachteil gewertet werden. Eine Alterseinschätzung allein aufgrund bestimmter äußerlicher Merkmale stelle für sich genommen keine ausreichende Grundlage dar. Hiergegen wendet sich der Beklagte mit der vom Senat wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen Revision.


Beschluss vom 20.09.2017 -
BVerwG 5 B 15.17ECLI:DE:BVerwG:2017:200917B5B15.17.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 20.09.2017 - 5 B 15.17 - [ECLI:DE:BVerwG:2017:200917B5B15.17.0]

Beschluss

BVerwG 5 B 15.17

  • VG München - 07.12.2016 - AZ: VG M 18 K 16.4361
  • VGH München - 05.04.2017 - AZ: VGH 12 BV 17.185

In der Verwaltungsstreitsache hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 20. September 2017
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Vormeier,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Fleuß und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Harms
beschlossen:

  1. Die Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs über die Nichtzulassung der Revision gegen seinen Beschluss vom 5. April 2017 wird aufgehoben.
  2. Die Revision wird zugelassen.
  3. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt der Kostenentscheidung in der Hauptsache.

Gründe

1 Die Beschwerde der Beklagten ist zulässig und begründet. Die Revision ist nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.

2 Die Revision kann dem Senat Gelegenheit geben, rechtsgrundsätzliche Fragen der Auslegung des § 42f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII in Bezug auf das Merkmal "in Zweifelsfällen" zu klären.

Rechtsbehelfsbelehrung


Das Beschwerdeverfahren wird als Revisionsverfahren unter dem Aktenzeichen BVerwG 5 C 11.17 fortgesetzt. Der Einlegung einer Revision durch den Beschwerdeführer bedarf es nicht.
Die Revision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Beschlusses zu begründen. Die Begründung ist bei dem Bundesverwaltungsgericht, Simsonplatz 1, 04107 Leipzig, schriftlich oder in elektronischer Form (Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr beim Bundesverwaltungsgericht und beim Bundesfinanzhof vom 26. November 2004, BGBl. I S. 3091, zuletzt geändert durch die Verordnung vom 10. Dezember 2015, BGBl. I S. 2207) einzureichen.
Für die Beteiligten besteht Vertretungszwang; dies gilt auch für die Begründung der Revision. Die Beteiligten müssen sich durch Bevollmächtigte im Sinne von § 67 Abs. 4 Satz 3 bis 6 VwGO, § 5 Nr. 6 Alt. 2 RDGEG vertreten lassen.

Urteil vom 26.04.2018 -
BVerwG 5 C 11.17ECLI:DE:BVerwG:2018:260418U5C11.17.0

Die Monatsfrist des § 42b Abs. 4 Nr. 4 SGB VIII, innerhalb derer das Verfahren zur Verteilung unbegleitet eingereister ausländischer Kinder und Jugendlicher durchzuführen ist, beginnt mit der Feststellung der Minderjährigkeit zu laufen.

Leitsatz:

Die Monatsfrist des § 42b Abs. 4 Nr. 4 SGB VIII, innerhalb derer das Verfahren zur Verteilung unbegleitet eingereister ausländischer Kinder und Jugendlicher durchzuführen ist, beginnt (erst) mit der Feststellung der Minderjährigkeit und nicht bereits mit Beginn der vorläufigen Inobhutnahme zum Zwecke der Altersbestimmung zu laufen.

  • Rechtsquellen
    SGB VIII §§ 34, 42, 42a, 42b, 42f
    VwGO §§ 44a, 91, 113 Abs. 1 Satz 4, § 142

  • VG München - 07.12.2016 - AZ: VG M 18 K 16.4361
    VGH München - 05.04.2017 - AZ: VGH 12 BV 17.185

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 26.04.2018 - 5 C 11.17 - [ECLI:DE:BVerwG:2018:260418U5C11.17.0]

Urteil

BVerwG 5 C 11.17

  • VG München - 07.12.2016 - AZ: VG M 18 K 16.4361
  • VGH München - 05.04.2017 - AZ: VGH 12 BV 17.185

In der Verwaltungsstreitsache hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 26. April 2018
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Vormeier,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Stengelhofen-Weiß,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Störmer,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Harms und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Holtbrügge
für Recht erkannt:

  1. Es wird festgestellt, dass der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt ist.
  2. Der Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 5. April 2017 und das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 7. Dezember 2016 sind wirkungslos.
  3. Die Beklagte trägt die Kosten des gesamten Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I

1 Die Beteiligten haben im Ausgangsverfahren über die Verpflichtung der Beklagten gestritten, den Kläger vorläufig gemäß § 42a SGB VIII in Obhut zu nehmen.

2 Der unbegleitet in das Zuständigkeitsgebiet der Beklagten eingereiste Kläger wurde Anfang September 2016 von dieser vorläufig in Obhut genommen. Nachdem die Beklagte aufgrund eines Alterseinschätzungsgesprächs zu der Überzeugung gelangt war, dass der Kläger achtzehneinhalb Jahre alt und damit volljährig sei, wurde er aus der vorläufigen Inobhutnahme entlassen. Hiergegen erhob er Klage und stellte zugleich einen Eilrechtsschutzantrag. Das Verwaltungsgericht verpflichtete die Beklagte im Wege der einstweiligen Anordnung, den Kläger einstweilen wieder vorläufig in Obhut zu nehmen, da zur Altersbestimmung ein ärztliches Gutachten eingeholt werden müsse. Die Beklagte nahm daraufhin den Kläger wieder vorläufig nach § 42a SGB VIII in Obhut. Diese Maßnahme beendete sie zwei Tage später und nahm den Kläger noch vor der im Hauptsacheverfahren durchgeführten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht gemäß § 42 SGB VIII in Obhut.

3 Das Verwaltungsgericht und der Verwaltungsgerichtshof haben die Beklagte im Hauptsacheverfahren verpflichtet, den Kläger vorläufig nach § 42a SGB VIII in Obhut zu nehmen. Zur Begründung hat der Verwaltungsgerichtshof ausgeführt, dass das Alter des Klägers nicht allein aufgrund einer qualifizierten Inaugenscheinnahme festgestellt werden könne, vielmehr sei hier wie in allen Fällen, in denen die Minderjährigkeit nicht ohne Weiteres angenommen oder ausgeschlossen werden könne, ein ärztliches Gutachten einzuholen. Hiergegen richtet sich die Revision der Beklagten.

4 Zwischenzeitlich hat die Beklagte den Kläger aus der Inobhutnahme gemäß § 42 SGB VIII entlassen und ihm Hilfen zur Erziehung nach § 34 SGB VIII bewilligt.

5 Der Kläger hat einem Hinweis des Senats folgend die Hauptsache für erledigt erklärt.

6 Die Beklagte hat der Erledigungserklärung widersprochen und verfolgt ihr Revisionsbegehren weiter. Dazu macht sie geltend, sie habe wegen Wiederholungsgefahr und allgemein im Verhältnis zu anderen jungen Geflüchteten, die um ihre vorläufige Inobhutnahme bäten, ein Interesse an einer höchstrichterlichen Klärung, was unter einem "Zweifelsfall" im Sinne des § 42f SGB VIII zu verstehen und unter welchen Voraussetzungen demzufolge im Rahmen der Altersfeststellung ein ärztliches Gutachten einzuholen sei.

II

7 Der Feststellungsantrag ist zulässig und begründet.

8 Dies führt zur Feststellung der Erledigung in der Hauptsache und entsprechend § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO i.V.m. § 173 VwGO zur Feststellung der Wirkungslosigkeit der Urteile der Vorinstanzen (vgl. BVerwG, Urteil vom 1. September 2011 - 5 C 21.10 - juris Rn. 9).

9 1. Mit der einseitig gebliebenen Erledigungserklärung hat der Kläger von seinem ursprünglichen Antrag auf Verpflichtung der Beklagten zu seiner vorläufigen Inobhutnahme Abstand genommen und begehrt nunmehr in zulässiger Weise die Feststellung, dass die Hauptsache erledigt ist. Der Übergang vom ursprünglichen Klage- bzw. Rechtsmittelantrag zum Erledigungsfeststellungsantrag unterliegt nicht den Einschränkungen der §§ 91, 142 VwGO. Der Kläger durfte auch noch im Revisionsverfahren den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklären (stRspr; vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 1. September 2011 - 5 C 21.10 - juris Rn. 10 m.w.N.).

10 2. Die einseitig gebliebene Erledigungserklärung führt zur Erledigungsfeststellung, weil ausgehend von dem ursprünglichen Antrag objektiv ein erledigendes Ereignis eingetreten ist (2.1) und die Beklagte kein schutzwürdiges Interesse an einer Sachentscheidung hat (2.2).

11 2.1 Der Rechtsstreit hat sich in der Hauptsache erledigt.

12 Ein Rechtsstreit erledigt sich, wenn dem Klagebegehren nach Klageerhebung durch ein außerprozessuales Ereignis die Grundlage entzogen wird und die Klage aus diesem Grund für den Kläger gegenstandslos geworden ist (BVerwG, Urteil vom 31. Oktober 1990 - BVerwG 4 C 7.88 - BVerwGE 87, 62 <64 f.>). Der Begriff des Klagebegehrens deckt sich dabei mit dem des prozessualen Anspruchs, der zusammen mit dem tatsächlichen Lebenssachverhalt, aus dem der Kläger sein Begehren herleitet, den Streitgegenstand definiert (Rennert, in: Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 88 Rn. 7 und § 121 Rn. 23 ff.). Gemessen daran hat sich das Klagebegehren des Klägers erledigt.

13 Streitgegenstand ist der nach unbegleiteter Einreise geltend gemachte Anspruch des Klägers auf Verpflichtung der Beklagten, ihn gemäß § 42a SGB VIII vorläufig in Obhut zu nehmen. Der Kläger hat mit der von ihm persönlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Verwaltungsgerichts erhobenen Klage - entgegen der Auffassung der Beklagten - allein diese Verpflichtung begehrt. Das ergibt sich zwar noch nicht unmittelbar aus dem Wortlaut der protokollierten Erklärung des Klägers. Danach hat er unter Bezugnahme auf den die Inobhutnahme nach § 42 SGB VIII ablehnenden Bescheid der Beklagten vom 5. September 2016 beantragt, die Beklagte zu verpflichten, ihn in Obhut zu nehmen. Die Klagebegründung gibt aber eindeutig zu erkennen, dass der Kläger die aus seiner Sicht fehlerhafte Altersbestimmung angreift. Damit hat sich der Antrag auf die Verpflichtung der Beklagten zur vorläufigen Inobhutnahme gemäß § 42a SGB VIII bezogen, in deren Rahmen die Altersbestimmung zu erfolgen hat und zu klären ist, ob der Betreffende an der bundesweiten Verteilung teilnimmt und wohin er möglicherweise verteilt wird (§ 42a Abs. 5, § 42b SGB VIII). Allein dieses Verständnis entspricht auch der Konzeption des Gesetzes, wonach eine vorläufige Inobhutnahme ausländischer Kinder und Jugendlicher im Falle ihrer unbegleiteten Einreise ihrer späteren Inobhutnahme nach § 42 SGB VIII vorgeschaltet ist. Auf diesen Klageantrag hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Bezug genommen, das ihn ebenfalls allein als Antrag auf die Verpflichtung der Beklagten zur vorläufigen Inobhutnahme des Klägers aufgefasst hat. Zu keinem Zeitpunkt des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens hat der Kläger Anlass zu der Annahme gegeben, er könnte sein Klagebegehren geändert oder um die Verpflichtung der Beklagten zu seiner Inobhutnahme nach § 42 SGB VIII oder der Gewährung von Hilfen zur Erziehung nach §§ 27, 34 SGB VIII erweitert haben. Diese beiden Verpflichtungen sind im erstinstanzlichen Verfahren in keiner Weise thematisiert worden. Dementsprechend ist auch das Berufungsgericht nicht auf eine etwaige Klageänderung oder -erweiterung eingegangen, sondern hat antragsgemäß die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Dabei hat es sich eingehend mit den Voraussetzungen auseinandergesetzt, unter denen nach Maßgabe des § 42f SGB VIII zur Feststellung der Minderjährigkeit unbegleitet eingereister ausländischer Personen eine ärztliche Untersuchung zu veranlassen ist. Auch daraus ist zu folgern, dass das Berufungsgericht das Begehren des Klägers gleichsam als auf die vorläufige Inobhutnahme beschränkt verstanden hat. Denn § 42f SGB VIII befasst sich nach seinem unmissverständlichen Wortlaut in Absatz 1 Satz 1 mit der Altersfeststellung "im Rahmen der vorläufigen Inobhutnahme".

14 Dem so zu verstehenden Klagebegehren hat die Beklagte durch die Inobhutnahme des Klägers nach § 42 SGB VIII die Grundlage entzogen. Es ist demzufolge für den Kläger gegenstandslos geworden. Er kann, nachdem er durch die Inobhutnahme nach § 42 SGB VIII die nachfolgende Stufe der Schutzgewährung durch das Jugendamt erreicht hat, sinnvollerweise kein rechtlich schützenswertes Interesse daran haben, (nur) vorläufig in Obhut genommen zu werden.

15 Der Einwand der Beklagten, mit der Inobhutnahme des Klägers nach § 42 SGB VIII habe sie lediglich die notwendigen rechtlichen Konsequenzen aus dem Eilbeschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 17. Oktober 2016 (M 18 E 16.4362 ) gezogen, geht fehl. Dieser Beschluss hat die Beklagte im Wege der einstweiligen Anordnung lediglich verpflichtet, den Kläger vorläufig gemäß § 42a SGB VIII in Obhut zu nehmen und in einer geeigneten Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung unterzubringen. Mit ihrer Inobhutnahme des Klägers gemäß § 42 SGB VIII ist die Beklagte über diese Verpflichtung hinausgegangen. Die Gründe hierfür sind unerheblich.

16 2.2 Entgegen der Ansicht der Beklagten ist die Hauptsacheerledigung hier festzustellen, ohne dass noch zu prüfen ist, ob die ursprüngliche Klage begründet war.

17 Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts erfordert die Feststellung der Hauptsacheerledigung auf die einseitige Erledigungserklärung der Klägerseite hin zwar dann die Überprüfung der Zulässigkeit und der Begründetheit des ursprünglichen Klagebegehrens, wenn die Beklagtenseite sich für ihren Widerspruch gegen die Erledigungserklärung und ihr Festhalten an ihrem bisherigen Antrag auf ein nach den Maßstäben des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO schutzwürdiges Interesse an einer gerichtlichen Entscheidung berufen kann, dass die Klage vor ihrer Erledigung unzulässig oder unbegründet war (BVerwG, Urteil vom 1. September 2011 - 5 C 21.10 - juris Rn. 14 m.w.N.). Die Beklagte verfügt jedoch nicht über ein solches berechtigtes Interesse.

18 a) Die von ihr geltend gemachte Wiederholungsgefahr, der Kläger könne dasselbe Begehren in absehbarer Zeit erneut an sie herantragen, besteht nicht.

19 Eine Wiederholungsgefahr muss sich auf den Streitgegenstand des betreffenden Verfahrens beziehen. Die von der Beklagten angesprochene Möglichkeit der Aufhebung von Bescheiden über die Inobhutnahme nach § 42 SGB VIII oder die Bewilligung von Hilfen zur Erziehung nach §§ 27, 34 SGB VIII würde unter Umständen zu einem verwaltungsgerichtlichen Streitverfahren über die Rechtmäßigkeit einer solchen Aufhebungsentscheidung führen. Dies wäre aber selbst dann ein anderer als der vorliegende Streitgegenstand, wenn in diesen Verfahren auch das Alter des Klägers und die Modalitäten seiner Feststellung eine Rolle spielten. Insbesondere würden etwaige Aufhebungsentscheidungen aber den Kläger nicht in einen Zustand "vor" seiner vorläufigen Inobhutnahme zurückversetzen.

20 Dessen ungeachtet liegt die weitere Voraussetzung einer Wiederholungsgefahr nicht vor, dass sich eine solche aufgrund konkreter Umstände abzeichnen muss. Die Ausführungen der Beklagten zu einer etwaigen Aufhebung der den Kläger begünstigenden Verwaltungsakte bleiben völlig vage im Bereich des Ungefähren und abstrakt Möglichen. Derartige Spekulationen sind nicht geeignet, eine Wiederholungsgefahr zu begründen. So hat die Vertreterin der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat auch ausgeführt, dass eine "Wiederholungsgefahr" nicht in Bezug auf den Kläger, wohl aber hinsichtlich anderer (vermeintlich) minderjähriger ausländischer Personen bestehe.

21 b) Die Beklagte kann ihr Interesse an einer Sachentscheidung auch nicht damit begründen, dass sich die Rechtsfrage, unter welchen Voraussetzungen im Rahmen der Feststellung der Minderjährigkeit nach § 42f SGB VIII ein ärztliches Gutachten einzuholen sei, für die Gestaltung ihrer Rechtsbeziehung gegenüber anderen jungen ausländischen Flüchtlingen bedeutsam sei, die unbegleitet in ihren Zuständigkeitsbereich einreisen.

22 Das Interesse, eine bloße Rechtsfrage zu klären, die für die künftige Entstehung von Rechtsverhältnissen einer Partei mit anderen Personen (als dem aktuellen Prozessgegner) Bedeutung haben kann, ist in der Regel nicht schutzwürdig (BVerwG, Urteil vom 14. Januar 1965 - 1 C 68.61 - BVerwGE 20, 146 <155>). Von diesem Grundsatz hat das Bundesverwaltungsgericht eine Ausnahme anerkannt für den Fall, dass sich die Sachentscheidung auf bereits bestehende Rechtsverhältnisse zu Dritten auswirken und wegen der Eigenart der Materie eine Prüfung der klärungsbedürftigen Rechtsfrage durch das Bundesverwaltungsgericht nur in einem Revisionsverfahren erreicht werden kann, in dem sich die Hauptsache bereits vor der revisionsgerichtlichen Entscheidung erledigt hat. Denn in einem solchen Fall liefe die Vorenthaltung einer revisionsgerichtlichen Entscheidung unter Hinweis auf die eingetretene Erledigung der Sache nach auf eine Verweigerung des revisionsgerichtlichen Rechtsschutzes hinaus (BVerwG, Urteil vom 25. April 1989 - 9 C 61.88 - BVerwGE 82, 41 <44> m.w.N.). Die Voraussetzungen dieser Ausnahme liegen entgegen der Auffassung der Beklagten nicht vor.

23 Die Beklagte hat schon nicht konkret dargetan, dass sie derzeit mit einem Fall der vorläufigen Inobhutnahme befasst wäre, in dem eine Altersbestimmung vorgenommen werden müsse, bei der sich die Frage nach den Voraussetzungen einer ärztlichen Untersuchung in vergleichbarer Weise stellen würde. Die Darlegung des trotz Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache fortbestehenden Sachbescheidungsinteresses ist Sache desjenigen, der der Erledigung der Hauptsache unter Berufung auf ein solches Interesse widerspricht, ohne dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Aufklärungspflicht hinsichtlich eines möglichen Feststellungsinteresses obläge (BVerwG, Beschluss vom 25. März 2010 - 1 WB 42.09 - Buchholz 450.1 § 19 WBO Nr. 3 Rn. 20).

24 Darauf kommt es aber nicht entscheidend an. Denn es fehlt zudem an der weiteren Voraussetzung, dass die in Rede stehende Rechtsfrage nur in einem Rechtsstreit geklärt werden kann, der sich im Zeitpunkt der (revisions-)gerichtlichen Entscheidung bereits in der Hauptsache erledigt hat.

25 Die Beklagte geht - soweit in diesem Zusammenhang von Interesse - der Sache nach davon aus, dass die Monatsfrist des § 42b Abs. 4 Nr. 4 SGB VIII zur Durchführung des Verteilungsverfahrens bereits mit der vorläufigen Inobhutnahme zum Zwecke der Feststellung der Minderjährigkeit zu laufen beginne, das behördliche Verfahren zur Altersbestimmung nach § 42f SGB VIII aber in der Regel nicht in so kurzer Zeit abgeschlossen werden könne, dass es möglich sei, das Verteilungsverfahren fristgerecht durchzuführen. Daher sei sie gemäß § 42a Abs. 4 Satz 3 SGB VIII gehalten, gegenüber dem Bundesverwaltungsamt den Ausschluss der Verteilung anzuzeigen, was nach § 42a Abs. 6 SGB VIII zur Beendigung der vorläufigen Inobhutnahme führe. Mit Rücksicht auf diese Regelungssystematik nehme sie die betreffenden ausländischen Personen - und so auch den Kläger - (gewissermaßen vorsorglich) gemäß § 42 SGB VIII in Obhut. Das habe aber wiederum zur Folge, dass sich ein etwaiges verwaltungsgerichtliches Verfahren, in dem es um ihre Verpflichtung zur vorläufigen Inobhutnahme gemäß § 42a SGB VIII gehe, typischerweise erledige, bevor über die Frage, unter welchen Voraussetzungen im Rahmen der Altersfeststellung nach § 42f SGB VIII ein ärztliches Gutachten einzuholen sei, entschieden werden könne. Bereits die Grundannahme der Beklagten bezüglich des Zeitpunktes, zu dem die Monatsfrist im Sinne des § 42b Abs. 4 Nr. 4 SGB VIII in Lauf gesetzt wird, trifft nicht zu, sodass die daran anknüpfenden Ausführungen nicht zu überzeugen vermögen.

26 Aus der Gesamtschau von Wortlaut und Systematik des Gesetzes sowie seiner Entstehungsgeschichte unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der Altersfeststellung ergibt sich vielmehr hinreichend deutlich, dass die Monatsfrist (erst) mit der Feststellung der Minderjährigkeit zu laufen beginnt. Es ist daher nicht ausgeschlossen, dass die von der Beklagten in den Mittelpunkt ihres Interesses gerückte Frage nach den Voraussetzungen, unter denen im Rahmen der Altersbestimmung nach § 42f SGB VIII eine ärztliche Untersuchung zu veranlassen ist, in einem verwaltungsgerichtlichen (Revisions-)Verfahren beantwortet werden kann. Im Einzelnen:

27 Schon der Wortlaut des § 42b SGB VIII legt nahe, dass die Monatsfrist erst zu laufen beginnt, wenn die Minderjährigkeit des Betreffenden feststeht. Zwar lässt die Formulierung des § 42b Abs. 4 Nr. 4 SGB VIII, wonach die Durchführung eines Verteilungsverfahrens ausgeschlossen ist, wenn sie nicht innerhalb eines Monats "nach Beginn der vorläufigen Inobhutnahme" erfolgt, bei isolierter Betrachtung das Verständnis zu, dass die Monatsfrist an jedwede vorläufige Inobhutnahme unabhängig von ihrem Rechtsgrund anknüpft. Eine solche Auslegung würde jedoch ignorieren, dass das Verteilungsverfahren nach § 42b SGB VIII nach dem ausdrücklichen Wortlaut der Vorschrift in Absatz 1 Satz 1 sowie Absatz 4 ausschließlich "Kinder und Jugendliche", also Personen betrifft, die minderjährig sind (vgl. § 7 Abs. 1 Nr. 1 und 2 SGB VIII). Personen, die nicht minderjährig sind, werden nicht nach Maßgabe dieser Vorschrift verteilt.

28 Der durch den Wortlaut nahegelegte Befund wird durch den systematischen Zusammenhang des § 42b SGB VIII mit den weiteren Regelungen des Ersten Abschnitts des Dritten Kapitels des Achten Buches Sozialgesetzbuches unterstrichen. Die §§ 42c bis e SGB VIII beziehen sich auf das Verteilungsverfahren nach § 42b SGB VIII und setzen ebenfalls die Minderjährigkeit der betreffenden Person voraus. Des Weiteren ist die Minderjährigkeit Voraussetzung für die Inobhutnahme nach § 42 SGB VIII und die vorläufige Inobhutnahme nach § 42a SGB VIII. Eine (vorläufige) Inobhutnahme Volljähriger ist rechtlich nicht zulässig, sie ist gesetzlich vielmehr ausgeschlossen.

29 Von diesem Grundsatz macht lediglich § 42f Abs. 1 Satz 1 SGB VIII insoweit eine Ausnahme, als er die vorläufige Inobhutnahme für Zwecke der Altersbestimmung, bei der es sich um eine unselbstständige Verfahrenshandlung im Sinne von § 44a VwGO handelt, nicht nur für eindeutig Minderjährige, sondern darüber hinaus auch für solche Personen öffnet, bei denen die Minderjährigkeit nicht ohne Weiteres feststeht, aber auch nicht ausgeschlossen werden kann. Dies ergibt sich aus der Formulierung, dass die Minderjährigkeit "im Rahmen der vorläufigen Inobhutnahme" festzustellen ist. Nach der Konzeption des Gesetzes wird ausschließlich für die Zwecke und Dauer der Altersfeststellung in Kauf genommen, dass unter Umständen auch eine schon volljährige Person vorläufig in Obhut genommen wird. Dies spiegelt sich auch im weiteren Wortlaut der Vorschrift wider: Während alle anderen Vorschriften des Ersten Abschnitts des Dritten Kapitels des Achten Buchs Sozialgesetzbuch die Minderjährigkeit voraussetzen, indem sie sich ausdrücklich auf "Kinder und Jugendliche" beziehen, spricht allein § 42f Abs. 1 Satz 1 SGB VIII zurückhaltend und eine Volljährigkeit in Kauf nehmend von der "ausländischen Person".

30 Abgesehen von der Feststellung der Minderjährigkeit gemäß § 42f SGB VIII setzen somit alle anderen Maßnahmen der zuständigen Stellen im Zusammenhang mit der Inobhutnahme nach § 42 SGB VIII, der vorläufigen Inobhutnahme nach § 42a SGB VIII und der Verteilung nach § 42b bis e SGB VIII voraus, dass die Minderjährigkeit des Betreffenden feststeht. Minderjährigkeit ist m.a.W. eine Tatbestandsvoraussetzung, deren Vorliegen positiv festgestellt worden sein muss, entweder um daran anknüpfende Tatbestandsvoraussetzungen zu erfüllen oder um die in den betreffenden Vorschriften geregelten Rechtsfolgen auszulösen. Demzufolge setzt auch der Beginn der Inobhutnahme im Sinne des § 42b Abs. 4 Nr. 4 SGB VIII voraus, dass die Minderjährigkeit feststeht.

31 Für dieses Verständnis spricht auch die Gesetzeshistorie. Der Entwurf der Bundesregierung für ein Gesetz zur Verbesserung der Unterbringung, Versorgung und Betreuung ausländischer Kinder und Jugendlicher (BT-Drs. 18/5921) sah in Art. 1 Nr. 4 die Einfügung der §§ 42a bis 42e über die vorläufige Inobhutnahme in das Achte Buch Sozialgesetzbuch vor, enthielt aber keine Vorschrift zur Durchführung einer Altersbestimmung. Er setzte vielmehr voraus, dass es sich bei den betreffenden Personen um Kinder oder Jugendliche im Sinne des Gesetzes handele. Erst auf Anregung des Bundesrats (BT-Drs. 18/6289 S. 2) ist in den Ausschussberatungen die Vorschrift des § 42f SGB VIII zur Altersbestimmung eingefügt worden. Die Begründung der Beschlussempfehlung führt insoweit aus, dass eine Regelung zur Altersfeststellung erforderlich sei, um spätere Auseinandersetzungen über Altersfragen zu vermeiden (BT-Drs. 18/6392 S. 20). Dem ist zu entnehmen, dass der Gesetzgeber eine frühzeitige und endgültige Klärung von Altersfragen "im Rahmen der vorläufigen Inobhutnahme" vor Augen hatte.

32 Das Normverständnis wird durch teleologische Erwägungen getragen. Die Feststellung der Minderjährigkeit nach § 42f SGB VIII soll vermeiden, dass nachfolgende Maßnahmen der Jugendhilfe (Inobhutnahme gemäß § 42 SGB VIII oder Gewährung von Hilfen zur Erziehung) revidiert und rückabgewickelt werden müssen, weil sich nachträglich herausstellt, dass der Betreffende gar nicht minderjährig ist. Sie soll zudem weitestmöglich sicherstellen, dass in ihrer Persönlichkeit bereits weiter entwickelte junge Erwachsene in der fälschlichen Annahme ihrer Minderjährigkeit nicht gemeinsam mit Kindern und Jugendlichen in Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen untergebracht werden, die für einen dauerhaften Aufenthalt konzipiert sind.

33 Der Senat verkennt insoweit nicht, dass der mit §§ 42a ff. SGB VIII ebenfalls verbundene Zweck einer Verteilung des betreffenden Personenkreises im Bundesgebiet innerhalb recht kurzer Zeiträume möglicherweise nicht vollständig erreicht werden kann, wenn gegebenenfalls zunächst die verwaltungsgerichtlich inzident überprüfbare Altersbestimmung abgewartet werden muss. Dies ist aber eine unvermeidbare Folge dessen, dass auch die Verteilung nach Maßgabe der §§ 42b bis e SGB VIII an die Minderjährigkeit der betreffenden Personen anknüpft und das Gesetz damit selbst den mit ihm verbundenen Beschleunigungseffekt unter diesen Vorbehalt stellt.

34 Gegenteiliges ergibt sich schließlich auch nicht aus § 42f Abs. 3 Satz 1 SGB VIII. Nach dieser Vorschrift haben Widerspruch und Klage gegen die Entscheidung des Jugendamtes, aufgrund der Altersfeststellung nach § 42f SGB VIII die vorläufige Inobhutnahme nach § 42a SGB VIII oder die Inobhutnahme nach § 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB VIII abzulehnen oder zu beenden, keine aufschiebende Wirkung. Diese Vorschrift ändert nichts daran, dass alle Vorschriften des Ersten Abschnitts des Dritten Kapitels des Achten Buchs Sozialgesetzbuch mit Ausnahme der vorläufigen Inobhutnahme zum Zwecke der Altersbestimmung voraussetzen, dass die betreffende Person minderjährig ist.

35 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 188 Satz 2 Halbs. 1 VwGO. Die Beklagte ist in dem allein noch streitgegenständlichen kontradiktorischen Verfahren um die Feststellung der Hauptsacheerledigung unterlegen und hat deshalb die Kosten des Verfahrens zu tragen (§ 154 Abs. 1 VwGO). § 161 Abs. 2 VwGO, der eine Kostenverteilung nach Billigkeitsgesichtspunkten ermöglicht, bezieht sich nur auf die Beendigung des Verfahrens durch übereinstimmende Erledigungserklärungen und ist auf den vorliegenden Fall der einseitig gebliebenen Erledigungserklärung nicht anwendbar (vgl. u.a. BVerwG, Urteil vom 1. September 2011 - 5 C 21.10 - juris Rn. 18 m.w.N.).