Beschluss vom 26.07.2022 -
BVerwG 2 B 40.21ECLI:DE:BVerwG:2022:260722B2B40.21.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 26.07.2022 - 2 B 40.21 - [ECLI:DE:BVerwG:2022:260722B2B40.21.0]

Beschluss

BVerwG 2 B 40.21

  • VG Wiesbaden - 21.11.2018 - AZ: 28 K 1477/15.WI.D
  • VGH Kassel - 24.06.2021 - AZ: 28 A 772/19.D

In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 26. Juli 2022
durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. von der Weiden,
Dr. Hartung und Dr. Hissnauer
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 24. Juni 2021 wird zurückgewiesen.
  2. Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1 1. Der 1972 geborene Beklagte ist Oberstudienrat im Dienst des klagenden Landes und unterrichtete an einem Gymnasium. Im Dezember 2013 wurde ein Disziplinarverfahren gegen den Beklagten eingeleitet, nachdem das Staatliche Schulamt die Mitteilung eines Bekannten der früheren Lebensgefährtin des Beklagten erhalten hatte, wonach der Beklagte dieser offenbart habe, mit einer Frau Oralverkehr gehabt zu haben, die zu diesem Zeitpunkt 17 Jahre alt und Schülerin der zwölften Klasse der Schule gewesen sei, an der auch der Beklagte unterrichtet habe. Im Juli 2014 stellte die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren ein; zwar sei nach dem Ergebnis der Ermittlungen davon auszugehen, dass der Beklagte sich vermutlich am 3. Februar 2010 mit der Schülerin getroffen habe und es in seiner Wohnung zum wechselseitigen oralen und zum vaginalen Geschlechtsverkehr gekommen sei; jedoch seien die Handlungen nicht strafbar, weil der Beklagte die Schülerin zu diesem Zeitpunkt nicht mehr unterrichtet und deshalb kein Obhutsverhältnis mehr bestanden habe.

2 Auf die im Oktober 2015 erhobene Disziplinarklage hat das Verwaltungsgericht den Beklagten aus dem Beamtenverhältnis entfernt. Die Berufung des Beklagten ist erfolglos geblieben. Der Verwaltungsgerichtshof, der wie bereits das Verwaltungsgericht die betroffene Schülerin als Zeugin vernommen hatte, hat zur Begründung insbesondere ausgeführt: Es stehe zu seiner Überzeugung fest, dass der Beklagte an einem Abend im Februar 2010 in seiner Wohnung Geschlechtsverkehr mit einer damaligen Schülerin seiner Schule gehabt habe. Die Angaben der Schülerin seien glaubhaft. Abweichungen in ihren Aussagen im Detail stünden dem nicht entgegen. Durch den Geschlechtsverkehr mit der Schülerin habe der Beklagte ein schweres Dienstvergehen begangen, durch das er das Vertrauen seines Dienstherrn oder der Allgemeinheit endgültig verloren habe.

3 2. Die Sache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung (§ 73 Hessisches Disziplinargesetz - HDG - i. V. m. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), die ihr die Beschwerde beimisst.

4 Grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine - vom Beschwerdeführer zu bezeichnende - grundsätzliche, bisher höchstrichterlich nicht beantwortete Rechtsfrage aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder einer Weiterentwicklung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf und die für die Entscheidung des Revisionsgerichts erheblich sein wird (stRspr, BVerwG, Beschluss vom 2. Oktober 1961 - 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91 f.>). Ein Klärungsbedarf besteht nicht, wenn die Rechtsfrage bereits geklärt ist oder auf der Grundlage der bestehenden bundesgerichtlichen Rechtsprechung mit Hilfe der anerkannten Auslegungsregelungen auch ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens eindeutig beantwortet werden kann (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 24. Januar 2011 - 2 B 2.11 - NVwZ-RR 2011, 329 Rn. 4, vom 9. April 2014 - 2 B 107.13 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 2 VwGO Nr. 20 Rn. 9 und vom 20. Juni 2017 - 2 B 84.16 - juris Rn. 9).

5 Die Beschwerde formuliert keine - ggf. in einem Revisionsverfahren zu klärende - Frage. Eine solche lässt sich dem Beschwerdevorbringen auch nicht im Wege einer rechtsschutzfreundlichen Auslegung entnehmen. Vielmehr rügt die Beschwerde - vermeintliche - Fehler der Beweiswürdigung beider Vorinstanzen.

6 3. Auch wenn man dem Beschwerdevorbringen im Wege rechtsschutzfreundlicher Auslegung die Verfahrensrüge eines Verstoßes gegen das Gebot fehlerfreier Überzeugungsbildung entnimmt (§ 108 VwGO), führt dies nicht zur Zulassung der Revision.

7 a) Gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Die Einhaltung der sich daraus ergebenden verfahrensmäßigen Verpflichtungen ist nicht schon dann in Frage gestellt, wenn ein Beteiligter eine aus seiner Sicht fehlerhafte Verwertung des vorliegenden Tatsachenmaterials rügt, aus dem er andere Schlüsse ziehen will als das angefochtene Urteil. Denn damit wird ein (vermeintlicher) Fehler in der Beweiswürdigung angesprochen. Solche Fehler sind revisionsrechtlich regelmäßig nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem sachlichen Recht zuzuordnen und können einen Verfahrensmangel i. S. v. § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO deshalb grundsätzlich nicht begründen.

8 Eine Ausnahme kommt nur bei Mängeln in Betracht, die allein die Tatsachenfeststellung und nicht auch die Subsumtion unter die materiell-rechtliche Norm betreffen. Das kommt bei einer aktenwidrigen, gegen die Denkgesetze verstoßenden oder sonst von objektiver Willkür geprägten Sachverhaltswürdigung in Betracht, etwa bei denkfehlerhaften, aus Gründen der Logik schlechterdings unmöglichen oder sonst willkürlichen Schlussfolgerungen von Indizien auf Haupttatsachen (stRspr, vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 19. Januar 1990 - 4 C 28.89 - BVerwGE 84, 271 <273 f.>; Beschlüsse vom 6. März 2008 - 7 B 13.08 - Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 54 S. 17 und vom 22. Mai 2008 - 9 B 34.07 - Buchholz 442.09 § 18 AEG Nr. 65 Rn. 22 f.). Ein Denkfehler in diesem Sinne liegt allerdings nicht bereits dann vor, wenn die tatrichterliche Würdigung auch anders hätte ausfallen können. Denkgesetze werden durch unrichtige Schlussfolgerungen nur dann verletzt, wenn nach dem gegebenen Sachverhalt nur eine einzige Folgerung gezogen werden kann, jede andere Folgerung aus Gründen der Logik schlechterdings unmöglich ist und das Gericht die allein mögliche Folgerung nicht gezogen hat (BVerwG, Beschlüsse vom 18. Februar 1972 - 8 B 3.72 u. a. - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 62 S. 28 und vom 6. März 2008 - 7 B 13.08 - Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 54 S. 17 Rn. 8).

9 Überprüft werden kann auch, ob das Tatsachengericht allgemeine Sachverhalts- und Beweiswürdigungsgrundsätze verletzt hat, etwa ob es gegen das Verbot selektiver Verwertung des Prozessstoffs (BVerwG, Urteil vom 20. März 1990 - 9 C 91.89 - BVerwGE 85, 92 <95> = juris Rn. 13 und Beschluss vom 20. August 2003 - 1 B 463.02 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 275 S. 100 = juris Rn. 5), ob es gegen das Gebot rationaler, um Objektivität bemühter Beurteilung verstoßen (BVerwG, Beschluss vom 2. November 1995 - 9 B 710.94 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 266 S. 20) oder ob es den ihm gezogenen Beurteilungsrahmen überschritten hat, sei es dadurch, dass es von einem zweifelsfrei unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt ausgegangen ist, insbesondere ob es in das Verfahren eingeführte Umstände übergangen hat, deren Entscheidungserheblichkeit sich aufdrängt (BVerwG, Urteile vom 2. Februar 1984 - 6 C 134.81 - BVerwGE 68, 338 <339 f.> und vom 5. Juli 1994 - 9 C 158.94 - BVerwGE 96, 200 <208 f.>), sei es, dass es gesetzliche Beweisregeln, allgemeine Erfahrungssätze, unumstrittene Geschichtstatsachen oder gar die Denkgesetze missachtet hat (stRspr, vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 2. November 1995 - 9 B 710.94 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 266 S. 20; vgl. zum Ganzen: BVerwG, Beschluss vom 1. Dezember 2021 - 2 B 37.21 - juris Rn. 14 ff.).

10 b) Dass im Streitfall die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts an einem derart qualifizierten Mangel leidet, zeigt die Beschwerdebegründung nicht auf.

11 Insgesamt ist die Beschwerdebegründung dadurch gekennzeichnet, dass sie ihre eigene Beweiswürdigung an die Stelle derjenigen des Berufungsgerichts setzt.

12 Auch die übergreifende Kritik der Beschwerde, das Beweisergebnis sei "nicht mehr aus der Gesamtsicht der für und gegen den Beklagten sprechenden Gesichtspunkte gewonnen (worden), sondern jeder (dieser Gesichtspunkte sei) für sich einzeln separiert und einer Einzelwürdigung unterzogen worden", ist nicht berechtigt. Soweit die Beschwerde insoweit auf ein nicht näher bezeichnetes Urteil des Bundesgerichtshofs verweist, kann ihr das nicht zum Erfolg verhelfen. Gemeint sein dürfte das Urteil vom 22. Mai 2007 - 1 StR 582/06 - (juris), in dem - zu Lasten des Angeklagten - unter Hinweis auf die ständige Rechtsprechung angenommen wurde, dass der Zweifelssatz, der eine Entscheidungs- und keine Beweisregel sei, nicht auf einzelne Indiztatsachen angewendet werden dürfe, sondern erst bei der Gesamtbetrachtung zum Tragen kommen könne. Das betrifft ersichtlich eine andere Fallkonstellation und zeigt keinen qualifizierten Fehler in der Beweiswürdigung auf.

13 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Festsetzung des Werts des Streitgegenstandes bedarf es nicht, weil die Gebühren für das gerichtliche Disziplinarverfahren gesetzlich festgelegt sind (§ 82 Abs. 1 Satz 1 HDG i. V. m. der zugehörigen Anlage <hier: Ziff. 62>).