Urteil vom 27.04.2021 -
BVerwG 1 C 2.21ECLI:DE:BVerwG:2021:270421U1C2.21.0

Voraussetzungen der Zuerkennung der Eigenschaft als ipso facto-Flüchtling

Leitsätze:

1. Einem Staatenlosen palästinensischer Herkunft wird im Sinne des § 3 Abs. 3 Satz 2 AsylG Schutz oder Beistand im Sinne des § 3 Abs. 3 Satz 1 AsylG nicht länger gewährt, wenn sich auf der Grundlage einer individuellen Beurteilung aller maßgeblichen Umstände herausstellt, dass er sich in einer sehr unsicheren persönlichen Lage befindet und es dem UNRWA, um dessen Beistand er ersucht hat, unmöglich ist, ihm Lebensverhältnisse zu gewährleisten, die mit der Aufgabe des UNRWA im Einklang stehen, so dass er sich aufgrund von Umständen, die von seinem Willen unabhängig sind, dazu gezwungen sieht, das Einsatzgebiet des UNRWA zu verlassen.

2. Bei der Beurteilung der Frage, ob das Verlassen des Einsatzgebiets des UNRWA unfreiwillig erfolgt ist, ist in räumlicher Hinsicht auf das gesamte - die fünf Operationsgebiete Gazastreifen, Westjordanland (einschließlich Ost-Jerusalem), Jordanien, Libanon und Syrien umfassende - Einsatzgebiet des UNRWA abzustellen.

3. Einem freiwilligen Verzicht auf den von dem UNRWA gewährten Beistand kommt die Entscheidung eines Staatenlosen palästinensischer Herkunft gleich, ein Operationsgebiet des UNRWA, in dem er sich nicht in einer sehr unsicheren Lage befindet und in dem er den Schutz oder Beistand des Hilfswerks in Anspruch nehmen könnte, zu verlassen, um sich in ein anderes Operationsgebiet des Einsatzgebiets zu begeben, in dem er auf der Grundlage konkreter Informationen, über die er hinsichtlich dieses Operationsgebiets verfügt, vernünftigerweise weder damit rechnen kann, durch das UNRWA Schutz oder Beistand zu erfahren, noch in absehbarer Zeit in das Operationsgebiet, aus dem er ausgereist ist, zurückkehren zu können.

4. Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft auf der Grundlage von § 3 Abs. 3 Satz 2 AsylG setzt - jedenfalls nach nationalem Asylverfahrensrecht - voraus, dass es dem Betroffenen auch noch im Zeitpunkt der Entscheidung nicht möglich oder zumutbar ist, sich dem Schutz oder Beistand des UNRWA durch Rückkehr in eines der fünf Operationsgebiete des Einsatzgebiets dieser Organisation erneut zu unterstellen.

  • Rechtsquellen
    GK Art. 1 Abschn. A und D
    RL 2011/95/EU Art. 2 Buchst. d, Art. 11 Abs. 1 Buchst. f, Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 2, Art. 14 Abs. 1
    RL 2013/32/EU Art. 46 Abs. 3
    AsylG § 3 Abs. 1 und 3 Satz 1 und 2, § 77 Abs. 1 Satz 1

  • VG Saarlouis - 24.11.2016 - AZ: VG 3 K 1529/16
    OVG Saarlouis - 18.12.2017 - AZ: OVG 2 A 541/17

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 27.04.2021 - 1 C 2.21 - [ECLI:DE:BVerwG:2021:270421U1C2.21.0]

Urteil

BVerwG 1 C 2.21

  • VG Saarlouis - 24.11.2016 - AZ: VG 3 K 1529/16
  • OVG Saarlouis - 18.12.2017 - AZ: OVG 2 A 541/17

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 27. April 2021
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Berlit, den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Fleuß,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Rudolph,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Böhmann und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Wittkopp
ohne mündliche Verhandlung für Recht erkannt:

  1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes vom 18. Dezember 2017 aufgehoben.
  2. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
  3. Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Gründe

I

1 Der Kläger begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, hier insbesondere als ipso facto -Flüchtling gemäß § 3 Abs. 3 Satz 2 AsylG.

2 Der eigenen Angaben zufolge im Oktober 1991 in Damaskus geborene Kläger ist staatenloser Palästinenser. Nach seinem Bekunden reiste er im Dezember 2015 auf dem Landweg in das Bundesgebiet ein. Anfang Februar 2016 stellte er einen Asylantrag. Im Rahmen seiner Anhörung führte er unter anderem aus, er habe sich im Oktober 2013 aus der Syrischen Arabischen Republik in die Libanesische Republik begeben und dort bis zum 20. November 2015 Gelegenheitsarbeiten verrichtet. Da er dort keine Aufenthaltsberechtigung erhalten habe und die libanesischen Sicherheitskräfte begonnen hätten, "sie" nach Syrien zurückzuschieben, sei er dorthin zurückgekehrt. Er habe Syrien aufgrund des Krieges verlassen; die dortigen Lebensverhältnisse seien sehr schlecht. Für den Fall einer Rückkehr nach Syrien befürchte er, verhaftet zu werden. Im August 2016 erkannte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge dem Kläger den subsidiären Schutzstatus zu; im Übrigen lehnte es dessen Asylantrag ab.

3 Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Im Berufungsverfahren hat dieser neuerlich die bereits anlässlich seiner Anhörung bei dem Bundesamt vorgelegte Ablichtung eines Registrierungsnachweises des Hilfswerks der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East, im Folgenden: UNRWA) eingereicht. Ausweislich der "Family Registration Card" wurde er als Familienangehöriger für (das im südlichen Teil von Damaskus belegene Lager) Jarmuk registriert.

4 Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, es bedürfe keiner Klärung, ob der Kläger aufgrund seines individuellen Vorbringens die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG beanspruchen könne. Denn als staatenloser palästinensischer Volkszugehöriger sei er Flüchtling im Sinne des § 3 Abs. 3 Satz 2 AsylG. Er habe sich bei seiner Ausreise aus Syrien in einer sehr unsicheren persönlichen Lage befunden. Seine Ausreise sei durch von seinem Willen unabhängige Zwänge veranlasst gewesen und daher nicht freiwillig erfolgt. Dies indiziere auch die Zuerkennung subsidiären Schutzes. Im Zeitpunkt seiner Ausreise habe ihm auch keine Möglichkeit offengestanden, den Schutz des UNRWA in anderen Teilen des Einsatzgebiets in Anspruch zu nehmen. Jordanien und der Libanon hätten bereits vor seiner Ausreise ihre Grenzen für in Syrien aufhältige palästinensische Flüchtlinge geschlossen.

5 Zur Begründung ihrer Revision hat die Beklagte geltend gemacht, das Berufungsgericht habe den Regelungsbereich des § 3 Abs. 3 AsylG fehlerhaft bestimmt sowie seine Sachaufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1 VwGO und den Überzeugungsgrundsatz nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO verletzt.

6 Auf den Aussetzungs- und Vorlagebeschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. Mai 2019 hat der Gerichtshof der Europäischen Union mit Urteil vom 13. Januar 2021 - C-507/19 - entschieden, dass Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 RL 2011/95/EU dahin auszulegen ist, dass 1. zur Feststellung, ob der Schutz oder Beistand des UNRWA nicht länger gewährt wird, im Rahmen einer individuellen Beurteilung aller maßgeblichen Umstände des fraglichen Sachverhalts alle Operationsgebiete des Einsatzgebiets des UNRWA zu berücksichtigen sind, in deren Gebiete ein Staatenloser palästinensischer Herkunft, der dieses Einsatzgebiet verlassen hat, eine konkrete Möglichkeit hat, einzureisen und sich dort in Sicherheit aufzuhalten, und 2. nicht angenommen werden kann, dass der Schutz oder Beistand des UNRWA nicht länger gewährt wird, wenn ein Staatenloser palästinensischer Herkunft das Einsatzgebiet des UNRWA ausgehend von einem Operationsgebiet dieses Einsatzgebiets, in dem er sich in einer sehr unsicheren persönlichen Lage befunden hat und in dem das UNRWA nicht imstande war, ihm seinen Schutz oder Beistand zu gewähren, verlassen hat, sofern er sich zum einen aus einem anderen Operationsgebiet dieses Einsatzgebiets, in dem er sich nicht in einer sehr unsicheren persönlichen Lage befunden hatte und in dem er den Schutz oder Beistand des UNRWA hatte in Anspruch nehmen können, freiwillig in dieses Operationsgebiet begeben hat und sofern er zum anderen auf der Grundlage ihm vorliegender konkreter Informationen vernünftigerweise nicht damit rechnen konnte, in dem Operationsgebiet, in das er eingereist ist, durch das UNRWA Schutz oder Beistand zu erfahren oder in absehbarer Zeit in das Operationsgebiet, aus dem er ausgereist ist, zurückkehren zu können, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.

7 Die Beklagte trägt im fortgesetzten Revisionsverfahren vor, weder sei evident, dass der Kläger im Zeitpunkt seiner geschilderten Ausreise aus dem Libanon tatsächlich gezwungen gewesen sei, diesen zu verlassen, noch sei offenkundig, dass Gleiches in Bezug auf das gesamte Einsatzgebiet des UNRWA anzunehmen gewesen sei. Ebenso wenig liege es nahe, dass dem Kläger vor der geschilderten Rückkehr nach Syrien nicht bewusst gewesen sei, dass er weder dort durch das UNRWA Schutz oder Beistand erfahren noch berechtigt sein würde, in absehbarer Zeit in den Libanon zurückzukehren.

8 Der Kläger trägt vor, unter Berücksichtigung seiner individuellen Umstände werde davon auszugehen sein, dass er im Zeitpunkt des Verlassens des Einsatzgebiets des UNRWA keinen Schutz oder Beistand in einem anderen Operationsgebiet des Hilfswerks gehabt habe. Im Libanon sei sein Aufenthalt im Herbst 2013 für eine Woche gestattet worden. Hiernach habe er sich dort illegal aufgehalten. Im April 2014 sei es ihm gelungen, erneut eine auf die Dauer von drei Monaten befristete Aufenthaltserlaubnis zu erhalten. Sein hiernach gestellter Antrag auf Verlängerung der Erlaubnis sei abgelehnt und ihm sei die Abschiebung angedroht worden. Fortan habe er sich wieder rechtswidrig und stetig in der Sorge, abgeschoben zu werden, im Libanon aufgehalten. Schließlich sei er nach Syrien zurückgekehrt, um von dort aus das Einsatzgebiet des UNRWA zu verlassen.

9 Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht hat mitgeteilt, sich an dem Verfahren nicht zu beteiligen.

II

10 Die Revision, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann (§ 101 Abs. 2 i.V.m. § 141 Satz 1 und § 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO), hat Erfolg. Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts beruht auf der Verletzung revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Im Revisionsverfahren ist allein die Entscheidung zur Stellung als ipso facto -Flüchtling zu überprüfen (1.). Das Berufungsgericht hat hier zwar zutreffend auf das Vorliegen der Voraussetzungen der Ausschlussklausel des § 3 Abs. 3 Satz 1 AsylG erkannt mit der Folge, dass er von der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (unmittelbar) nach § 3 Abs. 1 AsylG ausgeschlossen ist und sein Begehren nur unter den Voraussetzungen des § 3 Abs. 3 Satz 2 AsylG Erfolg haben könnte (2.). Nicht im Einklang mit Bundesrecht steht indes die Bejahung der Voraussetzungen auch der Einschlussklausel des § 3 Abs. 3 Satz 2 AsylG (3.). Das Bundesverwaltungsgericht kann über den Rechtsstreit in Ermangelung hinreichender tatsächlicher Feststellungen der Vorinstanz nicht abschließend entscheiden (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO), weshalb das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen ist (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO) (4.).

11 Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des Klagebegehrens ist das Asylgesetz (AsylG) in seiner aktuellen Fassung (derzeit: in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 2008 <BGBl. I S. 1798>, zuletzt geändert durch Art. 3 Abs. 1 des am 1. Januar 2021 in Kraft getretenen Neunundfünfzigsten Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches - Verbesserung des Persönlichkeitsschutzes bei Bildaufnahmen - vom 9. Oktober 2020 <BGBl. I S. 2075>). Rechtsänderungen, die nach der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz eintreten, sind im Revisionsverfahren zu berücksichtigen, wenn das Tatsachengericht - entschiede es anstelle des Revisionsgerichts - sie seinerseits zu berücksichtigen hätte (BVerwG, Urteil vom 11. September 2007 - 10 C 8.07 - BVerwGE 129, 251 Rn. 19). Da es sich vorliegend um eine asylrechtliche Streitigkeit handelt, bei der das Tatsachengericht nach § 77 Abs. 1 AsylG regelmäßig auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung abzustellen hat, müsste es seiner Entscheidung, wenn es diese nunmehr träfe, die aktuelle Fassung des Asylgesetzes zugrunde legen, soweit nicht hiervon eine Abweichung aus Gründen des materiellen Rechts oder vorrangigen Unionsrechts geboten ist (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 - 10 C 23.12 - BVerwGE 146, 67 Rn. 12).

12 1. Nach § 3 Abs. 3 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer nicht Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG, wenn er den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Art. 1 Abschn. D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (im Folgenden: GK) genießt. Wird ein solcher Schutz oder Beistand nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig geklärt worden ist, ist § 3 Abs. 1 und 2 AsylG gemäß § 3 Abs. 3 Satz 2 AsylG anwendbar. Das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) fällt derzeit als einzige Organisation in den Anwendungsbereich dieser Bestimmungen, die Art. 1 Abschn. D GK sowie Art. 12 Abs. 1 Buchst. a RL 2011/95/EU aufgreifen bzw. umsetzen und die gerade im Hinblick auf die besondere Lage der - regelmäßig staatenlosen - Palästinaflüchtlinge geschaffen worden sind, die den Beistand oder Schutz des UNRWA genießen (vgl. EuGH, Urteile vom 17. Juni 2010 - C-31/09 [ECLI:​EU:​C:​2010:​351], Bolbol - Rn. 44 und vom 19. Dezember 2012 - C-364/11 [ECLI:​EU:​C:​2012:​826], El Kott u.a. - Rn. 48). Sein gegenwärtiges Mandat endet am 30. Juni 2023 (Ziff. 7 der Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2019 - A/RES/74/83 S. 3). Die Anwendung des § 3 Abs. 3 Satz 2 AsylG, der an Satz 1 der Vorschrift anknüpft und mit diesem eine Einheit bildet, setzt nicht die Erfüllung der allgemeinen Flüchtlingsmerkmale (§ 3 Abs. 1 AsylG, Art. 1 Abschn. A GK, Art. 2 Buchst. d Richtlinie 2011/95/EU) voraus; er enthält vielmehr eine gegenüber § 3 Abs. 1 AsylG/Art. 1 Abschn. A Nr. 2 GK selbstständige Umschreibung der Flüchtlingseigenschaft (BVerwG, Urteil vom 4. Juni 1991 - 1 C 42.88 - BVerwGE 88, 254 <258 f.>). Liegen die Voraussetzungen dieser Regelung vor, ist einem Antragsteller auf seinen Antrag ipso facto die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, ohne dass dieser nachweisen muss, dass er in Bezug auf das Gebiet, in dem er seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, eine begründete Furcht vor Verfolgung hat (vgl. EuGH, Urteile vom 19. Dezember 2012 - C-364/11 - Rn. 67, 70 ff., 76 und vom 25. Juli 2018 - C-585/16 [ECLI:​EU:​C:​2018:​584], Alheto - Rn. 86).

13 2. Im Einklang mit § 3 Abs. 3 Satz 1 AsylG hat das Oberverwaltungsgericht angenommen, dass der Kläger die Voraussetzungen der Ausschlussklausel des § 3 Abs. 3 Satz 1 AsylG erfüllt. Er genoss Schutz und Beistand des UNRWA.

14 Die konkrete Bedeutung der alternativen Betreuungsformen "Schutz" und "Beistand" bestimmt sich nach der im Rahmen seines Auftrags wahrgenommenen Tätigkeit des UNRWA. Maßgebend ist, ob der Betroffene der Personengruppe angehört, deren Betreuung das UNRWA entsprechend seinem Mandat übernommen hat. Das ist jedenfalls bei denjenigen Personen der Fall, die - wie hier der Kläger - als Palästina-Flüchtlinge bei dem UNRWA (weiterhin) registriert sind. Dieses Verständnis entspricht Sinn und Zweck der Ausschlussklausel, die gewährleisten soll, dass sich in erster Linie das UNRWA und nicht die Vertragsstaaten, insbesondere nicht die arabischen Staaten, der palästinensischen Flüchtlinge annehmen. Die palästinensischen Flüchtlinge, deren Lage bislang nicht endgültig geklärt worden ist, wie insbesondere aus den Ziff. 1 und 3 der Resolution Nr. 66/72 der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 9. Dezember 2011 hervorgeht (EuGH, Urteil vom 19. Dezember 2012 - C-364/11 - Rn. 54), sind danach gehalten, vorrangig den Schutz oder Beistand des UNRWA in Anspruch zu nehmen (BVerwG, Urteile vom 4. Juni 1991 - 1 C 42.88 - BVerwGE 88, 254 <261> und vom 21. Januar 1992 - 1 C 21.87 - BVerwGE 89, 296 <305>). Von der Ausschlussklausel sind indes nur diejenigen Personen erfasst, die die Hilfe des UNRWA tatsächlich in Anspruch nehmen. Die betreffenden Bestimmungen sind eng auszulegen und erfassen daher nicht auch Personen, die lediglich berechtigt sind oder waren, den Schutz oder Beistand dieses Hilfswerks in Anspruch zu nehmen, ohne jedoch von diesem Recht Gebrauch zu machen. Als ausreichender Nachweis der tatsächlichen Inanspruchnahme des Schutzes oder Beistands ist die Registrierung bei dem UNRWA anzusehen (EuGH, Urteile vom 17. Juni 2010 - C-31/09 - Rn. 51 f. und vom 13. Januar 2021 - C-507/19 [ECLI:​EU:​C:​2021:​3], XT - Rn. 48). Der Grund für den Ausschluss von der Anerkennung als Flüchtling liegt nicht nur bei Personen vor, die zurzeit den Beistand des UNRWA genießen, sondern auch bei solchen, die diesen Beistand kurz vor Einreichung eines Asylantrags in einem Mitgliedstaat tatsächlich in Anspruch genommen haben (EuGH, Urteil vom 19. Dezember 2012 - C-364/11 - Rn. 52).

15 Nach diesen Maßstäben ist das Berufungsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger den Schutz oder Beistand des UNRWA kurz vor Einreichung seines Asylantrags grundsätzlich genoss, da er sich nach den berufungsgerichtlichen Feststellungen im Einsatzgebiet des UNRWA aufhielt und als Familienangehöriger für das Lager Jarmuk registriert war.

16 3. Bundesrecht verletzt der die angegriffene Entscheidung tragende Rechtssatz des Oberverwaltungsgerichts, staatenlose Palästinenser aus Syrien, die von dem UNRWA als Flüchtlinge registriert seien, seien schon dann als Flüchtlinge nach § 3 Abs. 3 Satz 2 AsylG anzuerkennen, wenn sie Syrien infolge des Bürgerkriegsgeschehens verlassen mussten und ihnen im Zeitpunkt ihrer Ausreise keine Möglichkeit offenstand, in anderen Teilen des Mandatsgebiets des UNRWA Schutz zu finden (UA S. 5 f.). Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (Urteil vom 13. Januar 2021 - C-507/19 -) kann der Feststellung eines unfreiwilligen Verlassens des Einsatzgebiets auch eine kurz vor dem endgültigen Verlassen dieses Gebiets erfolgte Aufenthaltsverlagerung von einem Operationsgebiet in ein anderes entgegenstehen, wenn und soweit dies als freiwillige Aufgabe des bislang durch den UNRWA gewährten Schutzes oder Beistands zu werten ist (3.1). Zudem genügt - jedenfalls nach nationalem Asylverfahrensrecht - für die Erfüllung der Voraussetzungen der Einschlussklausel des § 3 Abs. 3 Satz 2 AsylG nicht bereits der Umstand, dass dem Betroffenen im Zeitpunkt des Verlassens des Einsatzgebiets keine zumutbare Möglichkeit offenstand, im Einsatzgebiet des UNRWA Schutz oder Beistand zu finden; vielmehr darf eine Möglichkeit, sich dem Schutz oder Beistand des UNRWA durch Rückkehr in dessen Einsatzgebiet erneut zu unterstellen, auch im Zeitpunkt der Entscheidung (vgl. § 77 AsylG) nicht bestehen (3.2).

17 3.1 Einem Staatenlosen palästinensischer Herkunft wird im Sinne des § 3 Abs. 3 Satz 2 AsylG Schutz oder Beistand im Sinne des § 3 Abs. 3 Satz 1 AsylG nicht länger gewährt, wenn sich auf der Grundlage einer individuellen Beurteilung aller maßgeblichen Umstände herausstellt, dass er sich in einer sehr unsicheren persönlichen Lage befindet und es dem UNRWA, um dessen Beistand er ersucht hat, unmöglich ist, ihm Lebensverhältnisse zu gewährleisten, die mit der Aufgabe des UNRWA im Einklang stehen, sodass er sich aufgrund von Umständen, die von seinem Willen unabhängig sind, dazu gezwungen sieht, das Einsatzgebiet des UNRWA zu verlassen.

18 a) Die Feststellung eines Schutzwegfalls im Sinne von § 3 Abs. 3 Satz 2 AsylG setzt voraus, dass sich der Staatenlose bei Verlassen des Einsatzgebiets in einer sehr unsicheren persönlichen Lage befindet und es dem UNRWA unmöglich ist, ihm Lebensverhältnisse zu gewährleisten, die mit der Aufgabe des UNRWA in Einklang stehen. Die Ausschlussklausel des § 3 Abs. 3 Satz 1 AsylG verfolgt im Einklang mit Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 RL 2011/95/EU und Art. 1 Abschn. D Satz 1 GK das Ziel, alle diejenigen von der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft auszuschließen, die den Beistand des UNRWA genießen. Im Lichte dieser Zielsetzung genügen weder die bloße Abwesenheit von dem Einsatzgebiet des UNRWA noch das freiwillige Verlassen dieses Einsatzgebiets oder der freiwillige Verzicht auf Schutz und Beistand des Hilfswerks, um den in § 3 Abs. 3 Satz 1 AsylG vorgesehenen Ausschluss von der Anerkennung als Flüchtling gemäß Satz 2 der Vorschrift zu beenden (EuGH, Urteile vom 19. Dezember 2012 - C-364/11 - Rn. 49 ff. und vom 13. Januar 2021 - C-507/19 - Rn. 69 ff.). Die Entscheidung, das Einsatzgebiet zu verlassen, muss vielmehr durch Zwänge begründet sein, die von dem Willen des Betroffenen unabhängig sind (vgl. EuGH, Urteile vom 19. Dezember 2012 - C-364/11 - Rn. 59 und vom 13. Januar 2021 - C-507/19 - Rn. 51, 69 ff.).

19 b) Bei der Beurteilung der Frage, ob das Verlassen in diesem Sinne unfreiwillig erfolgt ist, ist in räumlicher Hinsicht auf das gesamte - die fünf Operationsgebiete Gazastreifen, Westjordanland (einschließlich Ost-Jerusalem), Jordanien, Libanon und Syrien umfassende - Einsatzgebiet des UNRWA abzustellen. Dies hat der Gerichtshof durch seine im vorliegenden Verfahren ergangene Vorabentscheidung geklärt (vgl. EuGH, Urteil vom 13. Januar 2021 - C-507/19 - Rn. 47, 53 f., 64-67). Hiervon ist auch das Berufungsgericht bereits im Ansatz zutreffend ausgegangen. Die Feststellung, Schutz oder Beistand des UNRWA würden im Sinne des § 3 Abs. 3 Satz 2 AsylG nicht länger gewährt, ist daher nicht schon dann gerechtfertigt, wenn sich der Staatenlose palästinensischer Herkunft aufgrund von Umständen, die von seinem Willen unabhängig sind, gezwungen sieht, ein bestimmtes Operationsgebiet des UNRWA zu verlassen. In diesem Fall bedarf es vielmehr zusätzlich der Feststellung, dass der Staatenlose auch in kein anderes Operationsgebiet einreisen kann, um den Schutz oder Beistand des UNRWA konkret in Anspruch zu nehmen; andernfalls ist seine Entscheidung, das Einsatzgebiet (insgesamt) zu verlassen, nicht unfreiwillig (vgl. EuGH, Urteil vom 13. Januar 2021 - C-507/19 - Rn. 72). Diese Feststellung ist auf der Grundlage einer individuellen Beurteilung sämtlicher Umstände des konkreten Einzelfalles zu treffen (EuGH, Urteile vom 25. Juli 2018 - C-585/16 - Rn. 134 f. und vom 13. Januar 2021 - C-507/19 - Rn. 63 und 67).

20 Ob ein Staatenloser palästinensischer Herkunft Zugang zu Schutz oder Beistand des UNRWA hat, hängt zum einen von der konkreten Möglichkeit dieses Staatenlosen ab, in ein Operationsgebiet des UNRWA einzureisen. Allein der Status "Palästina-Flüchtling im Nahen Osten" berechtigt die Inhaber nicht zur Einreise in andere Operationsgebiete ohne vorherige Einreiseerlaubnis des betreffenden Zielstaates. Schutz und Beistand des UNRWA setzen vielmehr notwendig voraus, dass die Aufnahmegebietskörperschaft nicht nur die Tätigkeit des UNRWA zulässt, sondern auch den von diesem betreuten Personen die Einreise und den Aufenthalt auf ihrem Territorium gestattet (BVerwG, Urteil vom 21. Januar 1992 - 1 C 21.87 - BVerwGE 89, 296 <304>). Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn der betroffene Staatenlose in einem Staat oder autonomen Gebiet, zu dem ein Operationsgebiet des UNRWA gehört, Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels hat. Besteht ein solcher Anspruch nicht, so können das Unterhalten familiärer Beziehungen oder das vormalige Bestehen eines tatsächlichen oder gewöhnlichen Aufenthalts in einem bestimmten Operationsgebiet des Einsatzgebiets des UNRWA eine entsprechende Einreisemöglichkeit nahelegen (vgl. EuGH, Urteil vom 13. Januar 2021 - C-507/19 - Rn. 60 f.). Zu berücksichtigen sind im Übrigen sämtliche Umstände, die - wie Erklärungen oder Praktiken der Behörden der genannten Staaten oder Gebiete - Aufschluss über die Haltung gegenüber Staatenlosen palästinensischer Herkunft geben, insbesondere, wenn durch diese Erklärungen und Praktiken die Absicht zum Ausdruck gebracht wird, die Anwesenheit dieser Staatenlosen in ihrem Gebiet nicht länger zu dulden, sofern diese über kein Aufenthaltsrecht verfügen (EuGH, Urteil vom 13. Januar 2021 - C-507/19 - Rn. 62).

21 Zum anderen muss es dem Staatenlosen möglich sein, sich in dem betreffenden Gebiet in Sicherheit und unter menschenwürdigen Lebensbedingungen aufzuhalten (vgl. EuGH, Urteile vom 25. Juli 2018 - C-585/16 - Rn. 134, 140 und vom 13. Januar 2021 - C-507/19 - Rn. 54 ff., 67; BVerwG, Urteil vom 25. April 2019 - 1 C 28.18 [ECLI:​DE:​BVerwG:​2019:​250419U1C28.18.0] - Buchholz 402.251 § 29 AsylG Nr. 7 Rn. 28).

22 c) Für die Freiwilligkeit des Verlassens ist nicht allein auf die Umstände im Operationsgebiet des letzten Aufenthalts abzustellen. Das Verlassen des Einsatzgebiets erfolgt auch dann nicht unfreiwillig, wenn sich der Betroffene durch eine kurz zuvor erfolgte Verlagerung seines Aufenthalts von einem Operationsgebiet in ein anderes der Sache nach freiwillig und vorhersehbar des Schutzes und Beistands durch das UNRWA begeben hat. Diesen - erst durch die Vorabentscheidung des Gerichtshofs geklärten - Gesichtspunkt hat das Berufungsgericht unter Verletzung von Bundesrecht nicht berücksichtigt und folgerichtig nicht die zur Beurteilung erforderlichen tatsächlichen Feststellungen getroffen.

23 Einem freiwilligen Verzicht auf den von dem UNRWA gewährten Beistand kommt die Entscheidung eines Staatenlosen palästinensischer Herkunft gleich, ein Operationsgebiet des UNRWA, in dem er sich nicht in einer sehr unsicheren Lage befindet und in dem er den Schutz oder Beistand des Hilfswerks in Anspruch nehmen könnte, zu verlassen, um sich in ein anderes Operationsgebiet des Einsatzgebiets zu begeben, in dem er auf der Grundlage konkreter Informationen, über die er hinsichtlich dieses Operationsgebiets verfügt, vernünftigerweise weder damit rechnen kann, durch das UNRWA Schutz oder Beistand zu erfahren, noch in absehbarer Zeit in das Operationsgebiet, aus dem er ausgereist ist, zurückkehren zu können. Eine solche freiwillige Ausreise aus dem ersten Operationsgebiet in das zweite Operationsgebiet lässt nicht die Annahme zu, dass dieser Staatenlose, wenn er später das zweite Operationsgebiet verlässt, um in das Unionsgebiet einzureisen, gezwungen war, das gesamte Einsatzgebiet des UNRWA zu verlassen (EuGH, Urteil vom 13. Januar 2021 - C-507/19 - Rn. 74). Über das Vorliegen der vorstehenden Voraussetzungen ist im Rahmen einer individuellen Beurteilung sämtlicher maßgeblicher Umstände des Einzelfalles zu befinden. Zu Letzteren zählen insbesondere in objektiver Hinsicht die schutz- und abschiebungsrelevante Lage in dem ersten wie auch in dem zweiten Operationsgebiet und in subjektiver Hinsicht die positive Kenntnis oder das Kennenmüssen von der schutz- und abschiebungsrelevanten Lage in dem zweiten Operationsgebiet (EuGH, Urteil vom 13. Januar 2021 - C-507/19 - Rn. 76 ff.).

24 3.2 Zusätzlich setzt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft auf der Grundlage von § 3 Abs. 3 Satz 2 AsylG - jedenfalls nach nationalem Asylverfahrensrecht - voraus, dass es dem Betroffenen auch noch im Zeitpunkt der Entscheidung nicht möglich oder zumutbar ist, sich dem Schutz oder Beistand des UNRWA durch Rückkehr in eines der fünf Operationsgebiete des Einsatzgebiets dieser Organisation erneut zu unterstellen. Die Einbeziehung des in § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG bezeichneten Zeitpunkts trägt dem Umstand Rechnung, dass die Flüchtlingseigenschaft des Betroffenen nach Art. 11 Abs. 1 Buchst. f i.V.m. Art. 14 Abs. 1 RL 2011/95/EU erlischt und abzuerkennen ist, wenn dieser - nach Wegfall der Umstände, aufgrund deren er als Flüchtling anerkannt worden ist, - in der Lage ist, in das Einsatzgebiet des UNRWA zurückzukehren (EuGH, Urteil vom 19. Dezember 2012 - C-364/11 - Rn. 77).

25 Diese Regelungen sind in der vorliegenden Fallkonstellation zwar nicht unmittelbar anwendbar, da sie eine bereits erfolgte Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft voraussetzen (siehe auch EuGH, Urteil vom 13. Januar 2021 - C-507/19 - Rn. 42). Es machte aber keinen Sinn, den Flüchtlingsstatus zuzuerkennen, um ihn sogleich wieder abzuerkennen (EuGH, Urteil vom 19. Dezember 2012 - C-364/11 - Rn. 77; Kraft, in: Hailbronner/Thym, EU Immigration and Asylum Law, Second Edition 2016, Part D III, Art. 12 Rn. 24). Dies spricht dafür, dem Betroffenen nachteilige Veränderungen der tatsächlichen Voraussetzungen der ipso facto- Flüchtlingseigenschaft, die zwischen dem Verlassen des Einsatzgebiets und dem Zeitpunkt der Entscheidung eintreten, in Anwendung der allgemeinen Regelung des § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG bereits bei der Entscheidung über die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu berücksichtigen (so bereits BVerwG, Urteil vom 25. April 2019 - 1 C 28.18 - Buchholz 402.251 § 29 AsylG Nr. 7 Rn. 26).

26 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist dies auch unionsrechtlich jedenfalls zulässig. Denn Art. 46 Abs. 3 RL 2013/32/EU eröffnet dem nationalen Gericht zumindest die Befugnis, die - wiederhergestellte - Möglichkeit, Schutz oder Beistand vom UNRWA gewährt zu bekommen, bereits im Rahmen der dort erwähnten umfassenden ex-nunc -Prüfung zum Zeitpunkt des Erlasses einer Entscheidung über die Zuerkennung dieser Eigenschaft zu beurteilen (vgl. EuGH, Urteil vom 13. Januar 2021 - C-507/19 - Rn. 40, 42 und 65). Ob dies unionsrechtlich auch geboten ist, bedarf hier keiner Entscheidung. Die Prüfung der Frage, ob der Schutz oder Beistand des UNRWA gemäß Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 RL 2011/95/EU auch in dem Zeitpunkt der gerichtlichen (oder behördlichen) Entscheidung ausgeschlossen ist, ist dabei nach denselben Kriterien vorzunehmen wie die auf den Verlassenszeitpunkt bezogene Prüfung (vgl. EuGH, Urteil vom 13. Januar 2021 - C-507/19 - Rn. 66).

27 4. Das Bundesverwaltungsgericht kann über den Rechtsstreit in Ermangelung hinreichender tatsächlicher Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts nicht abschließend entscheiden (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO), weshalb das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen ist (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

28 a) Das Oberverwaltungsgericht hat bislang keine tatsächlichen Feststellungen zu der Frage getroffen, ob der Voraufenthalt des Klägers von Oktober 2013 bis November 2015 im Libanon nach den von dem Gerichtshof der Europäischen Union konkretisierten Maßstäben einem unfreiwilligen Verlassen des Einsatzgebiets des UNRWA entgegensteht. Dies wäre der Fall, wenn sich der Kläger - erstens - im Libanon zuvor nicht in einer sehr unsicheren persönlichen Lage befunden hätte und dort den Schutz oder Beistand des UNRWA hätte in Anspruch nehmen können, und es - zweitens - für den Kläger bei der Verlegung seines Aufenthalts vom Libanon nach Syrien vernünftigerweise vorhersehbar gewesen wäre, dass er weder den Schutz oder Beistand des UNRWA in Syrien würde in Anspruch nehmen können noch in absehbarer Zeit in den Libanon würde zurückkehren können. Diese Fragen wird das Berufungsgericht nach Zurückverweisung unter Nachholung der erforderlichen Feststellungen zu prüfen haben. Dabei werden gegebenenfalls auch die vom Gerichtshof konkretisierten Kriterien zur Beurteilung der Vorhersehbarkeit zu berücksichtigen sein (vgl. EuGH, Urteil vom 13. Januar 2021 - C-507/19 - Rn. 78).

29 b) Tatrichterliche Feststellungen fehlen zudem zu der Frage, ob der Kläger in dem nach § 77 Abs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der Berufungsverhandlung in eines der fünf Operationsgebiete des UNRWA hätte einreisen, sich dort in Sicherheit und unter menschenwürdigen Lebensbedingungen aufhalten sowie dort Schutz oder Beistand des UNRWA hätte in Anspruch nehmen können. Diese Feststellungen werden nach Zurückverweisung in Bezug auf den dann maßgeblichen Zeitpunkt zu treffen sein.

30 5. Mit Blick auf die Aufhebung des angegriffenen Urteils bedarf es keiner Entscheidung über die von der Beklagten erhobenen Verfahrensrügen.

31 6. Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten. Der Gegenstandswert für das Revisionsverfahren ergibt sich aus § 30 RVG. Gründe für eine Abweichung gemäß § 30 Abs. 2 RVG liegen nicht vor.