Beschluss vom 28.06.2023 -
BVerwG 8 B 53.22ECLI:DE:BVerwG:2023:280623B8B53.22.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 28.06.2023 - 8 B 53.22 - [ECLI:DE:BVerwG:2023:280623B8B53.22.0]

Beschluss

BVerwG 8 B 53.22

  • VG Frankfurt (Oder) - 30.09.2022 - AZ: 4 K 1180/15

In der Verwaltungsstreitsache hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 28. Juni 2023
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Held-Daab und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Meister und Dr. Naumann
beschlossen:

  1. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt (Oder) vom 30. September 2022 wird aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.
  2. Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
  3. Der Wert des Streitgegenstands wird für das Beschwerdeverfahren auf 1 672,63 € festgesetzt.

Gründe

1 Der Kläger ist Mitglied der ungeteilten Erbengemeinschaft nach M. (im Folgenden: Erblasser) und gesetzlicher Vertreter der unbekannten Erben des Erblassers. Der Beigeladene war vom Beklagten bestellter gesetzlicher Vertreter der unbekannten Erben des Erblassers. Unter dem 31. Juli 2012 erließ der Beklagte einen Kostenfestsetzungsbescheid über 1 672,63 € zu Gunsten des Beigeladenen für dessen Tätigkeit als gesetzlicher Vertreter. Der Beigeladene sei berechtigt, die durch die gesetzliche Vertretung entstandenen Kosten aus dem vorhandenen Guthaben oder Verkaufserlös zu entnehmen. Die hiergegen im Hauptantrag auf Feststellung der Nichtigkeit und in den Hilfsanträgen auf Aufhebung des Kostenfestsetzungsbescheids und Wiederaufgreifen des Kostenfestsetzungsverfahrens gerichtete Klage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen. Der Bescheid sei nicht nichtig. Er sei zwar rechtswidrig, weil die Kostenfestsetzung auf Art. 233 § 2 Abs. 3 EGBGB gestützt worden sei, während die Bestellung des Beigeladenen zum gesetzlichen Vertreter auf § 11b VermG beruhe. Die Angabe der Rechtsgrundlage sei hier nicht bloß austauschbares Begründungselement, sondern Teil der Regelung. Unabhängig davon sei der Kostenfestsetzungsbescheid außerdem rechtswidrig, weil dem Beigeladenen kein Anspruch gegen die Vertretenen hätte zugesprochen werden dürfen. Beide Fehler wögen indes nicht so schwer, dass sie die Nichtigkeit des Bescheids zur Folge hätten. Auch die Hilfsanträge hätten keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen.

2 Die dagegen erhobene Beschwerde des Klägers ist statthaft. Gemäß § 135 Satz 1 VwGO steht den Beteiligten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts die Revision zu, wenn durch Bundesgesetz die Berufung ausgeschlossen ist. Die Revision kann nur eingelegt werden, wenn das Verwaltungsgericht oder auf die Beschwerde gegen die Nichtzulassung das Bundesverwaltungsgericht sie zugelassen hat (§ 135 Satz 2 VwGO). Für die Zulassung gelten die §§ 132, 133 VwGO entsprechend (§ 135 Satz 3 VwGO).

3 Der Ausschluss der Berufung folgt hier aus § 37 Abs. 2 VermG. Er erfasst gerichtliche Entscheidungen aller Art, die in vermögensrechtlichen Streitigkeiten ergangen sind (BVerwG, Urteil vom 21. März 2005 - 7 C 13.04 - Buchholz 303 § 767 ZPO Nr. 8 S. 10). Dazu zählt das angegriffene Urteil, weil es die unter anderem auf vermögensrechtliche Vorschriften gegründete Klage gestützt auf vermögensrechtliche Normen - insbesondere des § 11b VermG - abgewiesen hat.

4 Die Beschwerde ist auch begründet. Zu Recht rügt der Kläger, dass das Urteil des Verwaltungsgerichts den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) verletzt. Auf diesem Verfahrensmangel kann das angegriffene Urteil beruhen (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).

5 Ein als Verfahrensfehler einzuordnender Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 VwGO) liegt vor, wenn das Verwaltungsgericht aktenwidrige Feststellungen getroffen, den Prozessstoff selektiv verwertet oder Schlüsse gezogen hat, die nicht nur unwahrscheinlich, fernliegend oder nach Auffassung des Beschwerdeführers unrichtig, sondern aus Gründen der Logik schlechthin ausgeschlossen sind (BVerwG, Beschluss vom 25. Januar 2018 - 8 B 19.17 - Buchholz 428 § 1 Abs. 6 VermG Nr. 58 Rn. 22 m. w. N.).

6 Auf einer selektiven Verwertung des Prozessstoffs beruht die Annahme des Verwaltungsgerichts, der Beigeladene sei gemäß § 11b VermG zum gesetzlichen Vertreter bestellt worden. Das Verwaltungsgericht hat - wie in der Beschwerdebegründung beanstandet und in seinem Nichtabhilfebeschluss vom 14. Oktober 2022 eingeräumt - übersehen, dass eine weitere, auf frühere Bestellungen nach § 11b VermG folgende Bestallungsurkunde vom 24. Januar 2007 existiert, mit welcher der Beigeladene gemäß Art. 233 § 2 Abs. 3 EGBGB zum gesetzlichen Vertreter der unbekannten Erben des Erblassers bestellt wurde.

7 Entgegen der vom Verwaltungsgericht in seinem Nichtabhilfebeschluss vertretenen Auffassung kann die Entscheidung auf diesem Verfahrensfehler beruhen. Das Verwaltungsgericht wäre bei Berücksichtigung der Bestallungsurkunde vom 24. Januar 2007 zwar nicht zu dem Ergebnis gekommen, dass der angegriffene Bescheid schon wegen der Angabe einer falschen Rechtsgrundlage rechtswidrig ist. Bei der weiteren Prüfung des Verwaltungsgerichts, ob sich die Nichtigkeit des Bescheids aus dem Umstand ergibt, dass der Kostenfestsetzungsbescheid entgegen der gesetzlichen Regelung zu Lasten der Vertretenen erlassen wurde, erscheint jedoch bei Berücksichtigung der Bestallungsurkunde vom 24. Januar 2007 ein anderes Ergebnis möglich. Das Verwaltungsgericht hat bei seiner Prüfung dieser Frage allein die (vermeintliche) Vertretung nach § 11b VermG in den Blick genommen. Nicht ausgeschlossen ist, dass es bei Zugrundelegen der Vertretung nach Art. 233 § 2 Abs. 3 EGBGB wegen des von § 11b VermG verschiedenen Zwecks dieser gesetzlichen Vertretung in Verbindung mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Gesetzesvorbehalts zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre. Die Entscheidungsgründe enthalten keine selbständig tragenden Alternativerwägungen, die eine Nichtigkeit des angegriffenen Bescheides auch für den Fall einer Bestellung nach Art. 233 § 2 Abs. 3 EGBGB verneinten. Nachträgliche Erwägungen im Nichtabhilfebeschluss können keine Urteilserwägungen ersetzen.

8 Im Interesse der Verfahrensbeschleunigung macht der Senat von der Möglichkeit Gebrauch, das angegriffene Urteil durch Beschluss aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung gegebenenfalls auch über die Zulassung der Berufung im Fall einer Heranziehung des Art. 233 § 2 Abs. 3 EGBGB statt des § 11b VermG, an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen (§ 133 Abs. 6 VwGO).

9 Die Kostenentscheidung muss der Schlussentscheidung vorbehalten bleiben. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 3 GKG.