Urteil vom 28.08.2024 -
BVerwG 2 WA 6.23ECLI:DE:BVerwG:2024:280824U2WA6.23.0

Teilweise erfolgreiche Entschädigungsklage wegen unangemessener Dauer eines wehrdisziplinargerichtlichen Verfahrens

Leitsätze:

1. Zeiten, in denen das Truppendienstgericht ein gerichtliches Disziplinarverfahren mit Blick auf ein vorgreifliches Strafverfahren förmlich oder faktisch aussetzt, sind auch dann nicht bei der Beurteilung der angemessenen Dauer des gerichtlichen Disziplinarverfahrens zu berücksichtigen, wenn das Strafverfahren zu lange andauert. Insoweit gelten die vom Bundesgerichtshof zu überlangen Pilotverfahren entwickelten Grundsätze (vgl. BGH, Urteil vom 9. März 2023 - III ZR 80/22 - NJW 2023, 2347 Rn. 17) entsprechend.

2. Die Entschädigung für die durch eine überlange Verfahrensdauer erlittenen materiellen Nachteile nach § 91 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 1 WDO i. V. m. § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG umfasst keine entgangene Besoldungsdifferenz.

  • Rechtsquellen
    BGB § 187 Abs. 1, §§ 249, 288 Abs. 1 Satz 2, § 291 Satz 1 und 2, §§ 839, 906 Abs. 2 Satz 2
    GG Art. 34
    GVG § 198 Abs. 1 Satz 1 und 2, Abs. 2 Satz 1, 2, 3 und 4, Abs. 4, Abs. 5 Satz 1 und 2, Abs. 6 Nr. 1 Halbs. 1, § 199 Abs. 3 Satz 1, § 201 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1, Abs. 4
    StPO § 153a Abs. 1 Satz 5, Abs. 2 Satz 2
    WDO § 16 Abs. 1 und 2, § 84 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, § 83 Abs. 3, § 91 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 1, § 97 Abs. 3 Satz 1, § 101 Abs. 1
    VwGO §§ 88, 90 Satz 2, § 101 Abs. 2, § 155 Abs. 1 Satz 1, §§ 156, 173 Satz 1 Halbs. 1
    ZPO § 307 Satz 1

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 28.08.2024 - 2 WA 6.23 - [ECLI:DE:BVerwG:2024:280824U2WA6.23.0]

Urteil

BVerwG 2 WA 6.23

In dem Entschädigungsverfahren hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts in der nichtöffentlichen Beratungssitzung am 28. August 2024, an der teilgenommen haben: Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Häußler, Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Burmeister, Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Henke, ehrenamtlicher Richter Oberst i.G. Nau und ehrenamtlicher Richter Major Renner, für Recht erkannt:

  1. Die Beklagte hat dem Kläger eine Entschädigung in Höhe von 3 377,42 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf den Betrag von 2 900 € ab dem 19. September 2023 und auf den Betrag von weiteren 477,42 € ab dem 25. Januar 2024 zu zahlen.
  2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
  3. Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger zu 7/8 und die Beklagte zu 1/8.

Gründe

I

1 Das Verfahren betrifft eine Entschädigung wegen unangemessener Dauer eines wehrdisziplinargerichtlichen Verfahrens.

2 1. Die Wehrdisziplinaranwaltschaft nahm am 15. Juni 2017 gegen den Kläger, einen damaligen Major, disziplinare Vorermittlungen wegen des Verdachts der sexuellen Belästigung einer Untergebenen auf. Der Disziplinarvorgesetzte gab die Sache an die Staatsanwaltschaft ab.

3 2. Am 17. August 2017 wurde gegen den Kläger ein gerichtliches Disziplinarverfahren eingeleitet. Es wurde nicht förmlich bis zur Beendigung des Strafverfahrens ausgesetzt. Am 3. April 2018 erhielt die Wehrdisziplinaranwaltschaft Mitteilung über einen Antrag der Staatsanwaltschaft auf Erlass eines Strafbefehls.

4 3. Am 8. Mai 2018 wurde der Kläger beim Truppendienstgericht angeschuldigt. Zwei der vier Anschuldigungspunkte umfassten die im Strafbefehlsantrag erhobenen Vorwürfe. Mit Beschluss vom 26. März 2021 stellte das Amtsgericht das Strafverfahren nach Zahlung einer Geldauflage gemäß § 153a Abs. 2 StPO ein. Der Kläger erhob am 2. November 2021 und 26. Oktober 2022 beim Truppendienstgericht Verzögerungsrügen und reichte am 7. August 2023 beim Bundesverwaltungsgericht eine Entschädigungsklage ein. Diese wurde der Beklagten am 19. September 2023 zugestellt.

5 4. Mit Urteil vom 13. Dezember 2023 sprach das Truppendienstgericht den Soldaten mangels Beweisen frei. Das Urteil ist seit dem 24. Januar 2024 rechtskräftig.

6 5. Der Kläger macht im Entschädigungsklageverfahren geltend, das Truppendienstgericht hätte das am 8. Mai 2018 begonnene Gerichtsverfahren binnen zwölf Monaten erledigen müssen. Es hätte nicht den Ausgang des teilweise sachgleichen Strafverfahrens abwarten dürfen. Die Sachaufklärung sei bereits bei Eingang der Anschuldigungsschrift beim Truppendienstgericht gesichert gewesen. Dies folge daraus, dass eine Anschuldigung gemäß § 97 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 1 WDO den Abschluss der Ermittlungen voraussetze und das Truppendienstgericht das gerichtliche Disziplinarverfahren nicht ausgesetzt habe. Folglich stehe ihm für den Zeitraum vom 1. Juni 2019 bis einschließlich 24. Januar 2024 eine Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer zu. Für die 22 Monate vom 1. Juni 2019 bis zum 31. März 2021 beanspruche er wegen immaterieller Nachteile mindestens die gesetzliche Pauschalentschädigung von 2 200 €, ferner einen zusätzlichen Entschädigungshöchstbetrag wegen materieller Nachteile von 9 108,69 €. Denn wäre das Verfahren binnen zwölf Monaten beendet worden, hätte er zum Juni 2019 zum Oberstleutnant befördert werden können. Daher habe er seither materielle Nachteile in Höhe des Unterschiedsbetrags zwischen der tatsächlichen Besoldung nach A13 (Major) und einer fiktiven Besoldung nach A14 (Oberstleutnant) erlitten. Für die 33 Monate und 24 Tage vom 1. April 2021 bis einschließlich 24. Januar 2024 beanspruche er neben der von der Beklagten insoweit anerkannten Entschädigung wegen immaterieller Nachteile von 3 377,42 € einen zusätzlichen Entschädigungshöchstbetrag von 12 323,92 € wegen materieller Nachteile in Form der entgangenen Gehaltsdifferenz. Auf den Entschädigungsbetrag seien Prozesszinsen zu leisten.

7 Der Kläger beantragt nach mehreren Antragsänderungen mit Schriftsatz vom 5. Juli 2024 sinngemäß,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn für den Zeitraum vom 1. Juni 2019 bis einschließlich 24. Januar 2024 eine Entschädigung von insgesamt jedenfalls 27 010,03 € nebst Prozesszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu zahlen.

8 Die Beklagte beantragt sinngemäß,
die Klage abzuweisen, soweit sie den von ihr anerkannten Betrag übersteigt.

9 Sie hat mit Schriftsatz vom 21. Februar 2024 für die Zeit vom 1. April 2021 bis einschließlich 24. Januar 2024 eine Entschädigung wegen immaterieller Nachteile in Höhe von 3 377,42 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 19. September 2023 auf den Betrag von 2 900 € und seit dem 2. Februar 2024 auf den weiteren Betrag von 477,42 € anerkannt. Sie erwidert im Wesentlichen, das Ausgangsverfahren weise nur vom 1. April 2021 bis einschließlich 24. Januar 2024 eine ungerechtfertigte Überlänge auf. Die Zeitspanne bis zur Kenntnis der Wehrdisziplinaranwaltschaft vom amtsgerichtlichen Einstellungsbeschluss vom 26. März 2021 sei nicht einzubeziehen, weil die Sachaufklärung nicht gesichert gewesen sei. Dem stehe die Anschuldigung im Mai 2018 nicht entgegen. Diese sei schon wegen der über den Strafbefehlsantrag hinausgehenden Vorwürfe möglich gewesen. Ein Zahlungsanspruch wegen eines fiktiven Beförderungsanspruchs scheide aus, weil die Entschädigung nach § 198 GVG keinen entgangenen Gewinn umfasse.

10 6. Wegen der Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Akten des truppendienstgerichtlichen Verfahrens S 5 VL 13/18 Bezug genommen, die Gegenstand der Beratung gewesen sind.

II

11 Die Entschädigungsklage, über die im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden kann (§ 91 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 1 WDO i. V. m. § 201 Abs. 2 Satz 1 GVG, § 101 Abs. 2 VwGO), ist zulässig, aber nur im tenorierten Umfang begründet.

12 1. Die Klage ist zulässig.

13 a) Sie ist als allgemeine Leistungsklage statthaft (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Juli 2018 - 2 WA 1.17 D - NJW 2019, 320 Rn. 15).

14 b) Die Wartefrist gemäß § 91 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 1 WDO i. V. m. § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG ist gewahrt. Die Entschädigungsklage wurde mit der Zustellung an die Beklagte am 19. September 2023 mehr als sechs Monate nach den wirksamen Verzögerungsrügen vom 2. November 2021 und 26. Oktober 2022 rechtshängig (§ 91 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 1 WDO i. V. m. § 201 Abs. 2 Satz 1 GVG, § 90 Satz 2 VwGO), wobei für die Fristwahrung der Zeitraum zwischen der ersten wirksamen Verzögerungsrüge und der Rechtshängigkeit der Entschädigungsklage maßgebend ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. August 2024 - 2 WA 1.24 - ‌Rn. 23 f.).

15 c) Die Klagefrist gemäß § 91 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 1 WDO i. V. m. § 198 Abs. 5 Satz 2 GVG ist ebenfalls eingehalten, weil die Entschädigungsklage nicht später als sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft des Urteils des Truppendienstgerichts erhoben worden ist. Unschädlich ist, dass dies vor Beendigung des Ausgangsverfahrens geschah (ebenso BSG, Urteil vom 21. März 2024 - B 10 ÜG 1/23 R - juris Rn. 18; BFH, Urteil vom 6. April 2022 - X K 5/21 - juris Rn. 20; BGH, Urteil vom 23. Januar 2014 - III ZR 37/13 - NJW 2014, 939 Rn. 29). Dies folgt insbesondere aus § 201 Abs. 3 Satz 1 GVG, wonach das Entschädigungsgericht das Entschädigungsklageverfahren aussetzen kann, wenn das Gerichtsverfahren, von dessen Dauer ein Anspruch nach § 198 GVG abhängt, noch andauert (siehe zudem BT-Drs. 17/3802 S. 22).

16 d) Der Kläger ist schließlich auch rechtsschutzbedürftig. Er hat keine ausreichende Wiedergutmachung auf andere Weise im Sinne des § 91 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 1 WDO i. V. m. § 198 Abs. 2 Satz 3, § 199 Abs. 3 Satz 1 GVG erhalten. Denn die Dauer des gerichtlichen Disziplinarverfahrens konnte nicht schon bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme berücksichtigt werden, weil der Kläger mangels Beweisen freigesprochen wurde (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. September 2017 - 2 WA 2.17 D - BVerwGE 159, 366 LS 2). Das Rechtsschutzbedürfnis entfällt ferner nicht deshalb, weil der Kläger - was in Betracht zu ziehen ist - sein Entschädigungsbegehren vor der Klageerhebung nicht zunächst gegenüber der Beklagten als haftender Rechtsträgerin (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Juli 2018 - 2 WA 1.17 D - NJW 2019, 320 Rn. 20) geltend gemacht hat (vgl. BT-Drs. 17/3802 S. 22 sowie BVerwG, Urteil vom 17. August 2017 - 5 A 2.17 D - ‌NVwZ 2018, 909 Rn. 17 m. w. N.).

17 2. Die Klage ist nur teilweise begründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte lediglich einen Anspruch auf Entschädigung in dem von ihr anerkannten Umfang von 3 377,42 €; allerdings gehen die darauf zu leistenden Prozesszinsen geringfügig über den anerkannten Zinsbetrag hinaus.

18 a) Soweit die Beklagte für den Zeitraum vom 1. April 2021 bis einschließlich 24. Januar 2024 eine Entschädigung wegen immaterieller Nachteile in Höhe von 3 377,42 € anerkannt hat, ist sie ihrem Teilanerkenntnis gemäß zu verurteilen (§ 91 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 1 WDO i. V. m. § 201 Abs. 2 Satz 1 GVG, § 173 Satz 1 Halbs. 1 VwGO, § 307 Satz 1 ZPO).

19 b) Ein Anspruch auf eine höhere Entschädigung besteht nicht.

20 Nach § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG kann jeder Verfahrensbeteiligte, der infolge einer unangemessenen Dauer eines Gerichtsverfahrens einen Nachteil erleidet, eine angemessene Entschädigung beanspruchen. Diese umfasst sowohl einen Ersatz für materielle Nachteile als auch einen Ausgleich für immaterielle Nachteile (BGH, Urteil vom 7. November 2019 - III ZR 17/19 - NJW 2020, 1364 Rn. 20). Beide Ansprüche stehen selbständig nebeneinander (vgl. BVerwG, Urteil vom 11. Juli 2013 - 5 C 27.12 D - juris Rn. 50 m. w. N.). Diese Regelung gilt gemäß § 91 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 1 WDO auch für Angeschuldigte eines gerichtlichen Wehrdisziplinarverfahrens. Der Kläger hat gegen die Beklagte indes weder wegen immaterieller Nachteile einen Anspruch auf eine höhere als die von ihr anerkannte Entschädigung noch einen Entschädigungsanspruch wegen materieller Nachteile.

21 aa) Das Ausgangsverfahren war nach den Kriterien des § 91 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 1 WDO i. V. m. § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG nicht über den dem Anerkenntnis zugrunde gelegten Zeitraum vom 1. April 2021 bis einschließlich 24. Januar 2024 hinaus unangemessen lang.

22 (1) Maßgeblicher Bezugsrahmen für die Bestimmung der auf ihre Angemessenheit zu überprüfenden Verfahrensdauer ist gemäß § 198 Abs. 6 Nr. 1 Halbs. 1 GVG der Zeitraum von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens. Hingegen scheidet der Zeitraum vor der Vorlage der Anschuldigungsschrift gemäß § 91 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 2 WDO aus. Diese Regelung ist jedenfalls für die ausgenommene Zeit zwischen der Einleitung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens und der Vorlage der Anschuldigungsschrift beim Truppendienstgericht wegen des einem Soldaten in diesem Zeitraum zustehenden Rechtsbehelfs nach § 101 Abs. 1 WDO, mit dem eine Verfahrensbeschleunigung bewirkt werden kann, verfassungs- und konventionskonform (vgl. BVerwG, Urteile vom 14. September 2017 - 2 WA 2.17 D - juris Rn. 13 m. w. N. und vom 12. Juli 2018 - 2 WA 1.17 D - UA Rn. 12). Ob § 91 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 2 WDO demgegenüber für das Vorermittlungsverfahren, während dessen dieser Rechtsbehelf nicht eröffnet ist, einer teleologischen Reduktion bedarf (offen gelassen in BVerwG, Beschluss vom 11. Juli 2024 - 2 WA 7.23 - juris Rn. 8), bedarf hier keiner Entscheidung, weil das knapp zweimonatige Vorermittlungsverfahren nicht überlang war (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Oktober 2020 ‌- 2 WD 1.20 - ‌BVerwGE 169, 388 Rn. 44).

23 (2) Das mit der Vorlage der Anschuldigungsschrift beim Truppendienstgericht am 8. Mai 2018 begonnene Gerichtsverfahren war, nicht über den von der Beklagten anerkannten Zeitraum hinaus unangemessen lang.

24 Ob die Verfahrensdauer unangemessen ist, bemisst sich gemäß § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Schwierigkeit und der Bedeutung des Verfahrens, dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter, sowie unter Berücksichtigung der Prozessförderung des Gerichts, ohne dass feste Zeitvorgaben oder abstrakte Orientierungs- bzw. Anhaltswerte zugrunde zu legen wären (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Juli 2018 - 2 WA 1.17 D - NJW 2019, 320 Rn. 26 m. w. N.).

25 (a) Das Ausgangsverfahren war von mittlerer Schwierigkeit. Die Sachfragen waren überschaubar. Zwar bedurfte es der Vernehmung von vier Sachzeugen durch das Truppendienstgericht. Die Sache konnte aber an einem Verhandlungstag entschieden werden. Die Beurteilung der Rechtslage war ebenfalls nicht überdurchschnittlich schwer. Der Fall warf keine ungeklärten Rechtsfragen auf. Insbesondere ist der Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen bei sexuellen Belästigungen Untergebener durch Vorgesetzte geklärt (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. April 2021 - 2 WD 15.20 - juris Rn. 35 m. w. N.).

26 (b) Auch die Bedeutung der Sache für den Kläger lag im mittleren Bereich. Es ging zwar nicht um seine berufliche Existenz, aber auch nicht um einen nur geringfügigen disziplinarischen Vorwurf. Zudem bestand für den Kläger während des gerichtlichen Disziplinarverfahrens ein Beförderungshemmnis.

27 (c) Weder der Kläger noch sein Verteidiger haben im Ausgangsverfahren prozessordnungswidrig agiert oder das Verfahren verzögert.

28 (d) Unter Berücksichtigung nur dieser Umstände hätte das Truppendienstgericht das Verfahren im regulären Geschäftslauf an sich binnen eines Jahres erledigen müssen. Nach diesen Maßstäben war von der Beklagten für die Zeit vom 1. April 2021 bis 24. Januar 2024 anerkannte Überlänge von 33,7742 Monaten nicht zu niedrig angesetzt.

29 (3) Denn das Gerichtsverfahren war für den Zeitraum vor dem 1. April 2021 nicht überlang. Verfahrenslaufzeiten, die durch die Verfahrensführung des Gerichts bedingt sind, führen nur dann zu einer unangemessenen Verfahrensdauer, wenn sie auch bei Berücksichtigung des gerichtlichen Gestaltungsspielraums sachlich nicht mehr zu rechtfertigen sind (BVerwG, Urteil vom 12. Juli 2018 - 2 WA 1.17 D - NJW 2019, 320 Rn. 32 m. w. N.). Hier war es indes vertretbar, dass das Truppendienstgericht den rechtskräftigen Abschluss des Strafverfahrens am 26. März 2021 (Eingang: 15. April 2021) abgewartet hat.

30 Denn das gerichtliche Disziplinarverfahren war bis dahin nicht entscheidungsreif. Dies folgt aus der Vorgreiflichkeit des Strafverfahrens für das disziplinargerichtliche Verfahren. Das Strafverfahren betraf zwei der vier Anschuldigungspunkte im gerichtlichen Disziplinarverfahren. Wie es ausgehen würde, war bis zum rechtskräftigen Abschluss des Strafverfahrens unklar. Der Ausgang eines ganz oder teilweise sachgleichen Strafverfahrens hat Folgen für das gerichtliche Disziplinarverfahren: Ist durch ein Strafgericht unanfechtbar eine Strafe verhängt worden oder kann eine Tat nach § 153a Abs. 1 Satz 5 oder Abs. 2 Satz 2 StPO nach Erfüllung von Auflagen und Weisungen nicht mehr als Vergehen verfolgt werden, dürfen nach § 16 Abs. 1 WDO wegen desselben Sachverhalts bestimmte Disziplinarmaßnahmen nicht und andere nur unter den dort genannten Voraussetzungen verhängt werden. Im Fall eines rechtskräftigen Freispruchs im Strafverfahren darf eine Disziplinarmaßnahme nur unter den Voraussetzungen des § 16 Abs. 2 WDO verhängt werden. Beim Erlass eines (hier beantragten) Strafbefehls können die darin getroffenen tatsächlichen Feststellungen nach § 84 Abs. 2 WDO im gerichtlichen Disziplinarverfahren zugrunde gelegt werden (BVerwG, Urteil vom 7. März 2019 - 2 WD 11.18 - BVerwGE 165, 53 Rn. 13). Wird gegen einen Strafbefehl Einspruch erhoben und ergeht daraufhin ein rechtskräftiges Strafurteil, sind die darin getroffenen tatsächlichen Feststellungen nach § 84 Abs. 1 Satz 1 WDO im gerichtlichen Disziplinarverfahren grundsätzlich bindend.

31 Wegen der fehlenden Entscheidungsreife des gerichtlichen Disziplinarverfahrens bis zum rechtskräftigen Abschluss des teilweise sachgleichen Strafverfahrens ist es im Ergebnis unerheblich, dass das Truppendienstgericht nicht von seinem durch § 83 Abs. 3 WDO eröffneten Ermessen Gebrauch gemacht hat, das gerichtliche Disziplinarverfahren förmlich auszusetzen, sondern es lediglich faktisch ausgesetzt hat. Zwar hätte der Kläger gegen einen förmlichen Aussetzungsbeschluss mit einer Beschwerde vorgehen können, um auf einen zügigeren Abschluss des gerichtlichen Disziplinarverfahrens hinzuwirken (siehe BVerwG, Beschluss vom 18. Juni 2024 - 2 WDB 6.24 - juris Rn. 12 m. w. N.). Da die Aussetzung hier aber aus den genannten Gründen geboten war, wäre eine solche Beschwerde offensichtlich nicht erfolgreich gewesen.

32 Etwas anderes folgt nicht aus der langen Dauer des Strafverfahrens. Zeiten, in denen das Truppendienstgericht ein gerichtliches Disziplinarverfahren mit Blick auf ein parallel anhängiges Strafverfahren, dessen Ergebnis für die Entscheidung im Ausgangsverfahren relevant ist, in vertretbarer Weise förmlich oder faktisch aussetzt, sind grundsätzlich auch dann nicht bei der Beurteilung der angemessenen Dauer des Ausgangsverfahrens zulasten des Ausgangsgerichts zu berücksichtigen, wenn das Strafverfahren länger andauert (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. November 2016 - 5 C 10.15 D - juris Rn. 155; Beschlüsse vom 2. Mai 2017 - 5 B 75.15 D - juris Rn. 8, vom 20. Februar 2018 - 5 B 13.17 D - juris Rn. 5, vom 22. Januar 2019 - 5 B 1.19 D - juris Rn. 4 und vom 30. Mai 2023 - 5 B 13.22 - juris Rn. 20 ff. m. w. N.; siehe auch BVerwG, Urteile vom 24. Oktober 2019 - 2 WD 25.18 - juris Rn. 25 und vom 4. März 2020 - 2 WD 3.19 - juris Rn. 42).

33 Insoweit gelten die vom Bundesgerichtshof zu überlangen Pilotverfahren angestellten Erwägungen entsprechend. Danach führen Verzögerungen, die durch die Überlänge eines Pilotverfahrens begründet sind, in den davon abhängigen, zurückgestellten Verfahren - jedenfalls bei Personenidentität auf Kläger- oder Beklagtenseite - regelmäßig nicht zu gesondert entschädigungspflichtigen immateriellen Nachteilen. Derartige Verzögerungen sind vielmehr bei der Prüfung einer Erhöhung des Regelsatzes nach § 198 Abs. 2 Satz 4 GVG in dem das Pilotverfahren betreffenden Entschädigungsverfahren zu berücksichtigen (vgl. BGH, Urteil vom 9. März 2023 - III ZR 80/22 - NJW 2023, 2347 Rn. 17). Von einer Entschädigungsklage wegen einer überlangen Dauer des Strafverfahrens, mit der wegen der Auswirkungen auf die Dauer des Disziplinarverfahrens eine Erhöhung der gesetzlichen Pauschalentschädigung für die Überlänge des Strafverfahrens hätte beansprucht werden können, hat der Kläger jedoch abgesehen.

34 Unerheblich ist entgegen seiner Annahme auch, dass die Wehrdisziplinaranwaltschaft bereits am 8. Mai 2018 die Anschuldigungsschrift beim Truppendienstgericht eingereicht hat. Denn dies ändert nichts daran, dass sich das Abwarten des strafgerichtlichen Verfahrens hier im Rahmen des gerichtlichen Gestaltungsspielraumes des Truppendienstgerichts bewegt hat.

35 bb) Für den Zeitraum vom 1. April 2021 bis einschließlich 24. Januar 2024 steht dem Kläger keine über das Anerkenntnis der Beklagten in Höhe von 3 377,42 € hinausgehende Entschädigung wegen immaterieller Nachteile zu.

36 Denn die von der Beklagten zugrunde gelegte gesetzliche Pauschalentschädigung ist für die vom 1. April 2021 bis einschließlich 24. Januar 2024 erlittenen immateriellen Nachteile angemessen.

37 Gemäß § 91 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 1 WDO i. V. m. § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG sind die durch die unangemessene Verfahrensdauer erlittenen immateriellen Nachteile in der Regel in Höhe von 1 200 € für jedes Jahr der Verzögerung zu entschädigen. Mit dieser Pauschalierung sollen Streitigkeiten über die Höhe der Entschädigung, die eine zusätzliche und unnötige Belastung für die Gerichte bedeuten würden, vermieden und zugleich eine zügige Erledigung der Entschädigungsansprüche im Interesse der Betroffenen ermöglicht werden, wobei hinsichtlich der Berechnungszeiträume unter einem Jahr eine zeitanteilige Berechnung erfolgt (vgl. BT-Drs. 17/3802 S. 20). Dem hat die Beklagte mit dem Entschädigungsbetrag von 3 377,42 € für die 33 Monate und 24 Tage vom 1. April 2921 bis einschließlich 24. Januar 2024 Rechnung getragen.

38 Zwar kann das Gericht nach § 91 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 1 WDO i. V. m. § 198 Abs. 2 Satz 4 GVG einen höheren (oder niedrigeren) Betrag festsetzen, wenn der Pauschalbetrag nach den Umständen des Einzelfalls unbillig ist. Im Hinblick auf den eine Verfahrensvereinfachung anstrebenden Gesetzeszweck ist das Entschädigungsgericht aber nur in Ausnahmefällen gehalten, aus Billigkeitserwägungen von dem normierten Pauschalsatz abzuweichen (vgl. BT-Drs. 17/3802 S. 20). Ein solcher Ausnahmefall ist hier weder dargetan noch ersichtlich.

39 cc) Die Klage ist auch unbegründet, soweit sie auf eine Entschädigung wegen materieller Nachteile in Höhe der Differenz zwischen der tatsächlichen A13- und einer fiktiven A14-Besoldung des Klägers gerichtet ist.

40 Denn die verschuldensunabhängig zu gewährende Entschädigung nach § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG erfasst - im Gegensatz zu dem verschuldensabhängigen, umfassenden Amtshaftungsanspruch nach Art. 34 GG i. V. m. § 839 BGB - keine Ansprüche auf entgangenen Gewinn. Mit der "Entschädigung" nach § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG wird kein Schadensersatz im Sinne des §§ 249 ff. BGB zugebilligt, sondern in Anlehnung an § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB lediglich ein Schadensausgleich nach enteignungs- und aufopferungsrechtlichen Grundsätzen anerkannt. Es findet nur ein Ausgleich für erlittene Vermögenseinbußen, aber grundsätzlich keine Naturalrestitution statt (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. September 2017 ‌- 2 WA 2.17 D - BVerwGE 159, 366 Rn. 18; BT-Drs. 17/7217 S. 27 f., BFH, Urteil vom 17. April 2013 - X K 3/12 - juris Rn. 21; Lückemann in Zöller, Zivilprozessordnung, 35. Aufl. 2024, § 198 Rn. 7).

41 Dieses Verständnis von einer "Entschädigung" im Sinne des § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG entspricht dem Willen des Gesetzgebers. Denn der Gesetzentwurf der Bundesregierung sah zunächst eine Regelung des vollen Ausgleichs materieller und immaterieller Nachteile nach den Regeln der §§ 249 ff. BGB unter Einbeziehung des entgangenen Gewinns ohne Beschränkung auf deren Angemessenheit vor (vgl. BT-Drs. 17/3802 S. 19). Demgegenüber schlug der Bundesrat in seiner diesbezüglichen Stellungnahme zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen mit der verschuldensabhängigen Amtshaftung vor, nur einen Anspruch auf "angemessene" Entschädigung zu gewähren (vgl. BT-Drs. 17/3802 S. 34). Der Bundestag ist diesem Vorschlag gefolgt (vgl. Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses, BT-Drs. 17/7217 S. 27 f.).

42 Der Senat hat bereits entschieden, dass daher der Anspruch auf Entschädigung eines Vermögensnachteils keinen Schadensersatz wegen einer entgangenen Auslandsverwendungszulage umfasst (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. September 2017 - 2 WA 2.17 D - BVerwGE 159, 366 Rn. 11 ff.). Entsprechendes gilt für einen Schadensersatz wegen einer entgangenen Besoldungsdifferenz.

43 c) Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf den Entschädigungsteilbetrag von 2 900 € ab dem 19. September 2023 und auf den Entschädigungsrestbetrag von 477,42 € ab dem 25. Januar 2024.

44 aa) Die Beklagte ist ihrem Anerkenntnis gemäß zu verurteilen, Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 19. September 2023 auf den Betrag von 2 900 € und seit dem 2. Februar 2024 auf den weiteren Betrag von 477,42 € zu zahlen (§ 91 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 1 WDO i. V. m. § 201 Abs. 2 Satz 1 GVG, § 173 Satz 1 Halbs. 1 VwGO, § 307 Satz 1 ZPO).

45 bb) Der Restbetrag von 477,42 € ist über das Anerkenntnis hinaus bereits ab dem 25. Januar 2024 entsprechend zu verzinsen.

46 Nach dem entsprechend anwendbaren § 291 Satz 1 BGB hat der Schuldner eine Geldschuld vom Eintritt der Rechtshängigkeit an zu verzinsen; wird die Schuld erst später fällig, ist sie von der Fälligkeit an zu verzinsen.

47 Der Entschädigungsanspruch wurde erst mit dem rechtskräftigen Abschluss des truppendienstgerichtlichen Verfahrens am 24. Januar 2024 fällig. Erst dann stand fest, ob und in welchem Umfang ein Entschädigungsanspruch in Geld besteht und ob eine ausreichende Wiedergutmachung auf andere Weise im Sinne des § 198 Abs. 2 Satz 2, § 199 Abs. 3 Satz 1 GVG im Rahmen der Maßnahmebemessung erfolgte. Denn in gerichtlichen Disziplinarverfahren wird entsprechend der in Strafverfahren von der Rechtsprechung praktizierten Kompensation (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Januar 2008 - GSSt 1/07 - BGHSt 52, 124 ff.) eine der Justiz zuzurechnende Verfahrensverzögerung durch Berücksichtigung zugunsten des Beschuldigten kompensiert (vgl. § 199 Abs. 3 Satz 1 GVG und BT-Drs. 17/3802 S. 19 f. zu Strafverfahren). Daher ist im Fall einer Erhebung der Entschädigungsklage vor Abschluss eines Straf- oder gerichtlichen Disziplinarverfahrens das Entschädigungsklageverfahren nach § 201 Abs. 3 Satz 2 GVG auszusetzen, solange das Ausgangsverfahren nicht abgeschlossen ist (vgl. BT-Drs. 17/3802 S. 26).

48 Der Lauf des Zinsanspruchs beginnt entsprechend § 187 Abs. 1 BGB an dem auf die Fälligkeit folgenden Tag. Analog § 291 Satz 2 i. V. m. § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB beträgt der Zinssatz für das Jahr 5 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz.

49 3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 1 WDO i. V. m. § 201 Abs. 2 Satz 1 GVG i. V. m § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Sie entspricht dem Obsiegens- bzw. Unterliegensanteil des Klägers bezogen auf einen Streitwert von 27 010,03 €. Ein sofortiges Teilanerkenntnis der Beklagten im Sinne des § 156 VwGO liegt nicht vor, weil die Beklagte zunächst eine vollumfängliche Klageabweisung beantragt hatte. Eine Billigkeitsentscheidung nach § 91 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 1 WDO i. V. m. § 201 Abs. 4 GVG ist nicht zu treffen, da keine Feststellung nach § 198 Abs. 4 GVG ausgesprochen worden ist (BVerwG, Urteil vom 17. August 2017 - 5 A 2/17 D - NVwZ 2018, 909 Rn. 42; BGH, Urteil vom 14. November 2013 - III ZR 376/12 - NJW 2014, 220 Rn. 50).