Beschluss vom 28.10.2021 -
BVerwG 9 BN 2.21ECLI:DE:BVerwG:2021:281021B9BN2.21.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 28.10.2021 - 9 BN 2.21 - [ECLI:DE:BVerwG:2021:281021B9BN2.21.0]

Beschluss

BVerwG 9 BN 2.21

  • OVG Koblenz - 20.04.2021 - AZ: OVG 6 C 11111/20

In der Normenkontrollsache hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 28. Oktober 2021
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Bick und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Steinkühler und Dr. Dieterich
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Antragsteller gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 20. April 2021 wird zurückgewiesen.
  2. Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe

I

1 Die Antragsteller wandten sich mit zwei Normenkontrollanträgen gegen die jeweils unter dem 19. September 2019 ausgefertigte und öffentlich bekannt gemachte Satzung der Antragsgegnerin über die Erhebung wiederkehrender Beiträge für den Ausbau von Verkehrsanlagen in der Ortsgemeinde Saulheim (Beitragssatzung) sowie gegen die Satzung zur Verschonung im Abrechnungsgebiet "Ortslage Saulheim" gemäß § 12 der Satzung über die Erhebung wiederkehrender Beiträge für den Ausbau von Verkehrsanlagen in der Ortsgemeinde Saulheim (Verschonungssatzung). Das Oberverwaltungsgericht wies beide Normenkontrollanträge ab; das Urteil zur Beitragssatzung wurde rechtskräftig.

2 Die Beschwerde richtet sich gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil betreffend die Verschonungssatzung.

II

3 Die auf die Zulassungsgründe nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

4 1. Die Rüge, das Oberverwaltungsgericht habe den Normenkontrollantrag verfahrensfehlerhaft als unzulässig abgewiesen, greift nicht durch.

5 Zwar kann in der Entscheidung durch Prozessurteil statt durch Sachurteil ein Verfahrensmangel liegen. Das setzt aber voraus, dass ihr eine fehlerhafte Anwendung der prozessualen Vorschriften zugrunde liegt (vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 3. September 2010 - 6 B 29.10 - Buchholz 310 § 127 VwGO Nr. 16 Rn. 6 m.w.N.). Dies ist etwa der Fall, wenn die prozessuale Bedeutung der anzuwendenden Verfahrensbestimmungen fehlerhaft beurteilt wird und Begriffsinhalte oder die zugrunde zu legenden Maßstäbe verkannt werden. Keinen Verfahrensfehler stellt es demgegenüber dar, wenn das Gericht bei Anwendung der prozessualen Vorschrift eine materiellrechtliche Vorfrage fehlerhaft beurteilt, weil es etwa der einschlägigen Norm keine Rechte des Klägers entnommen hat. Eine inhaltliche Nachprüfung der materiellrechtlichen Auffassung der Vorinstanz kann mit der Verfahrensrüge nicht erreicht werden (BVerwG, Beschluss vom 19. November 2020 - 9 B 46.19 - Buchholz 424.01 § 34 FlurbG Nr. 6 Rn. 4 m.w.N.).

6 Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist die angefochtene Entscheidung nicht verfahrensfehlerhaft. Das Oberverwaltungsgericht hat die Antragsbefugnis der Antragsteller nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO mit der Begründung verneint, dass die mit der Normenkontrolle angegriffene Verschonungssatzung der Antragsgegnerin vom 19. September 2019 die Antragsteller nicht belaste, sondern - für den in der Satzung genannten Zeitraum bis Ende 2028 - ausschließlich begünstige. Die Möglichkeit einer Rechtsverletzung sei daher nicht hinreichend geltend gemacht.

7 Dem setzt die Beschwerde nichts Durchgreifendes entgegen. Soweit sie geltend macht, die Verneinung der Antragsbefugnis führe dazu, "dass den Beschwerdeführern die Möglichkeit einer Normenkontrolle trotz vorgetragener Satzungsmängel verweigert" werde, weil nach dem Jahr 2028 eine Normenkontrolle wegen Fristablaufs nicht mehr möglich sei, trifft dies zwar der Sache nach zu. Dies hängt allerdings damit zusammen, dass die Normenkontrolle nach § 47 VwGO nicht als Popular-, sondern als Verletztenklage ausgestaltet ist, sodass es nicht genügt, dass ein Antragsteller Satzungsmängel rügt. Vielmehr muss er stets geltend machen, in seinen Rechten verletzt zu sein (§ 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO). Hieran fehlt es bei einer - wie hier - den Antragsteller ausschließlich begünstigenden Satzung.

8 2. Aus den vorgenannten Gründen bedarf es keiner grundsätzlichen Klärung,
ob bei einer Verschonungssatzung für Erschließungsbeiträge die durch die Verschonung Begünstigten bei möglichen Rechtsverstößen erst den Ablauf der Verschonungszeit abwarten müssen und daher in der Regel innerhalb der 1-Jahresfrist des § 47 VwGO keinen Normenkontrollantrag stellen können, obwohl sie erhebliche Mängel der Satzung ausdrücklich geltend gemacht haben und der Rechtsschein einer rechtswidrigen Satzung aufrechterhalten wird.

9 Vielmehr ergibt sich bereits aus § 47 Abs. 1 Satz 2 VwGO, dass die durch eine Verschonungssatzung Begünstigten auch dann keinen Normenkontrollantrag stellen können, wenn sie ausdrücklich erhebliche Mängel der Satzung geltend machen. Denn durch eine Satzung ausschließlich Begünstigte können von vornherein nicht geltend machen, "durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden".

10 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.