Beschluss vom 28.11.2022 -
BVerwG 20 F 10.21ECLI:DE:BVerwG:2022:281122B20F10.21.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 28.11.2022 - 20 F 10.21 - [ECLI:DE:BVerwG:2022:281122B20F10.21.0]

Beschluss

BVerwG 20 F 10.21

  • OVG Hamburg - 10.12.2021 - AZ: 9 AS 12/21

In der Verwaltungsstreitsache hat der Fachsenat des Bundesverwaltungsgerichts
für Entscheidungen nach § 99 Abs. 2 VwGO
am 28. November 2022
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Häußler,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Burmeister und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Eppelt
beschlossen:

  1. Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts vom 10. Dezember 2021 geändert. Die Sperrerklärung der Beklagten vom 23. August 2021 ist auch insoweit rechtswidrig, als sie sich auf den vorletzten Absatz auf Seite 18 und den letzten Absatz auf Seite 92 mit Ausnahme des Aktenzeichens bezieht.
  2. Die weitergehende Beschwerde des Klägers wird zurückgewiesen.
  3. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

I

1 In dem diesem Zwischenverfahren zugrunde liegenden Hauptsacheverfahren begehrt der Kläger Auskunft über die beim Landesamt für Verfassungsschutz ... zu seiner Person gespeicherten Daten.

2 Im Hauptsacheverfahren hat das Verwaltungsgericht am 16. April 2021 beschlossen, Beweis darüber zu erheben, ob Tatsachen vorliegen, die im Falle einer vollständigen Auskunft über die bei dem Landesamt für Verfassungsschutz gespeicherten personenbezogenen Daten des Klägers Geheimhaltungsgründe im Sinne von § 23 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 2 und 4 HmbVerfSchG begründen. Beweis soll erhoben werden durch Beiziehung der vollständigen und ungeschwärzten Sachakte mit den zu der Person des Klägers gespeicherten Daten beim Landesamt für Verfassungsschutz. Daraufhin hat die Beklagte am 23. August 2021 eine Sperrerklärung in Gestalt eines Senatsbeschlusses im Verfügungswege abgegeben und die Vorlage der vollständigen, ungeschwärzten Akten verweigert.

3 Den Antrag des Klägers auf gerichtliche Entscheidung über die Sperrerklärung hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 27. September 2021 an das Oberverwaltungsgericht zur Durchführung eines Zwischenverfahrens abgegeben.

4 Dieses hat mit Beschluss vom 10. Dezember 2021 festgestellt, dass die Verweigerung der Vorlage ungeschwärzter vollständiger Akten rechtswidrig ist, soweit sie sich auf einzelne Passagen auf den Seiten 2, 6 und 49 der Akten bezieht, den Antrag im Übrigen aber abgelehnt.

5 Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Klägers.

II

6 Die zulässige Beschwerde ist nur zu einem geringen Teil begründet. Über die Feststellung des Fachsenats des Oberverwaltungsgerichts hinaus ist die Sperrerklärung nur insoweit rechtswidrig, als sie sich auf die im Tenor angeführten Passagen bezieht. Die weitergehende Beschwerde ist unbegründet.

7 1. Der Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts hat auf den - nach ordnungsgemäßer Verlautbarung der Entscheidungserheblichkeit der angeforderten Unterlagen durch Beweisbeschluss des Verwaltungsgerichts - zulässigen Antrag des Klägers das Vorliegen der mit der Sperrerklärung vom 23. August 2021 differenzierend auf die einzelnen Aktenbestandteile geltend gemachten Weigerungsgründe nach § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 und 3 VwGO unter Anlegung der zutreffenden rechtlichen Maßstäbe geprüft.

8 a) Danach ist ein Nachteil für das Wohl des Landes im Sinne von § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 VwGO unter anderem dann gegeben, wenn und soweit die Bekanntgabe des Akteninhalts die zukünftige Erfüllung der Aufgaben der Sicherheitsbehörden einschließlich deren Zusammenarbeit mit anderen Behörden erschweren oder Leben, Gesundheit und Freiheit von Personen gefährden würde (BVerwG, Beschlüsse vom 21. August 2012 - 20 F 5.12 - juris Rn. 4 m. w. N., vom 21. Januar 2014 - 20 F 1.13 - juris Rn. 18 f. m. w. N. und vom 12. September 2017 - 20 F 4.16 - juris Rn. 7). Die künftige Erfüllung der Aufgaben der Sicherheitsbehörden kann erschwert und damit dem Wohl eines Landes ein Nachteil bereitet werden, wenn sich aus einer vollständigen Offenlegung von Unterlagen vor allem im Rahmen einer umfangreichen Zusammenschau Rückschlüsse auf die gegenwärtige Organisation der Sicherheitsbehörden, die Art und Weise ihrer Informationsbeschaffung, aktuelle Ermittlungsmethoden oder die praktizierten Methoden ihrer Zusammenarbeit mit anderen Stellen ableiten lassen (BVerwG, Beschlüsse vom 4. März 2010 - 20 F 3.09 - juris Rn. 6 m. w. N. und vom 21. Januar 2014 - 20 F 1.13 - juris Rn. 19). Zu solchen Rückschlüssen grundsätzlich geeignet sind beispielsweise Vorgangsvorblätter, Aktenzeichen, Organisationskennzeichen und Arbeitstitel, Verfügungen und namentliche Hinweise auf Bearbeiter, Aktenvermerke, Arbeitshinweise, Randbemerkungen und Querverweise sowie Hervorhebungen und Unterstreichungen (BVerwG, Beschlüsse vom 23. März 2009 - 20 F 11.08 - juris Rn. 9 und vom 21. Januar 2014 - 20 F 1.13 - juris Rn. 19 m. w. N.). Nachrichtendienstliche Belange in diesem Sinne können zum Schutz der nachrichtendienstlichen Arbeitsweise und Aufklärungsarbeit der Verfassungsschutzbehörde die Weigerung rechtfertigen, Akten vollständig, insbesondere ungeschwärzt, vorzulegen.

9 Personenbezogene Daten sind grundsätzlich ihrem Wesen nach geheimhaltungsbedürftig im Sinne von § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3 VwGO. Bei solchen Daten besteht ein privates Interesse an der Geheimhaltung, das grundgesetzlich geschützt ist. Geschützt sind nicht nur personenbezogene Daten, die ohne Weiteres zur Identifikation der Person führen, sondern auch Äußerungen und Angaben zur Sache können geheimhaltungsbedürftig sein, wenn die Mitteilungen Rückschlüsse auf die Person erlauben und in Abwägung mit den Interessen der Klägerin ein berechtigtes Interesse an einer Geheimhaltung besteht (BVerwG, Beschluss vom 12. September 2017 - 20 F 4.16 - juris Rn. 7). Der Schutz persönlicher Daten gilt grundsätzlich auch für Behördenmitarbeiter (BVerwG, Beschluss vom 28. November 2013 - 20 F 11.12 - juris Rn. 13). Personenbezogene Angaben wie Name, Funktionsbezeichnungen, Telefonnummer und sonstige Angaben zu Telekommunikationsverbindungen werden vom Schutzbereich des informationellen Selbstbestimmungsrechts nach Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG erfasst. Daran ändert nichts, dass Behördenmitarbeiter in Wahrnehmung öffentlich-rechtlicher Aufgaben und somit in ihrer Eigenschaft als Amtswalter tätig werden. Denn auch insoweit bleiben sie Träger von Grundrechten. Der Schutz personenbezogener Daten begründet grundsätzlich auch im Fall von Personen, die einer Behörde Informationen zur Erfüllung ihrer Aufgaben geben, einen Weigerungsgrund (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 22. Juli 2010 - 20 F 11.10 - BVerwGE 137, 318 Rn. 9 f. und vom 24. Oktober 2018 - 20 F 15.16 - BVerwGE 163, 271 Rn. 14).

10 b) Hiernach ist die Weigerung der Beklagten, die Seiten 18 und 92 der Verwaltungsakte nicht vorzulegen, teilweise rechtswidrig. In Bezug auf diese Seiten kann den überwiegend berechtigten Geheimhaltungsinteressen durch Teilschwärzungen Rechnung getragen werden, sodass eine Entnahme dieser Seiten nicht erforderlich ist. Dass der Antragsteller zu einer Gruppe gehörte, aus der heraus am 14. September ... im ...-Park ein Landfriedensbruch in Verbindung mit gefährlichen Körperverletzungen begangen wurde, ist im Auskunftsschreiben der Beklagten vom 21. Juli 2016 und in den ungeschwärzten Passagen auf Seite 26 der Verwaltungsakte offengelegt. Daher bestehen bezüglich der auf diesen Vorfall bezogenen Passagen der genannten Seiten die geltend gemachten Geheimhaltungsgründe nicht. Dies betrifft auf Seite 18 den vorletzten Absatz, der mit den Worten "Eine Gruppe von ca. 30 Personen" beginnt und mit den Worten "habe sich gewehrt." endet. Im letzten Absatz auf Seite 92 betrifft es die Eintragungen in den Spalten "Ereignisart", "Bezeichnung", Ereignisdatum vom/am" und "Sachverhalt", aber nicht die aus den insoweit mit Recht geltend gemachten Gründen nicht offenzulegende Spalte "Aktenzeichen". Die weiteren Passagen der genannten Seiten können aus den zutreffend geltend gemachten Gründen geschwärzt werden.

11 Im Übrigen ist die Sperrerklärung, soweit sie Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist, rechtlich nicht zu beanstanden. Die Durchsicht der dem Senat im Original vorliegenden Unterlagen hat bestätigt, dass die vom Beklagten geltend gemachten Weigerungsgründe bestehen. Von einer weiteren Begründung wird nach § 99 Abs. 2 Satz 10 VwGO abgesehen. Weitere Teilschwärzungen, die über diejenigen, die dem Verwaltungsgericht bereits vorgelegten Aktenteile zu entnehmen sind, hinausgehen, kommen in Bezug auf diese Aktenbestandteile nicht in Betracht, weil sie nur zu inhaltsleeren und nichtssagenden Restbeständen führen würden (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 28. November 2013 - 20 F 11.12 - juris Rn. 18 und vom 29. November 2016 - 20 F 10.16 - juris Rn. 12).

12 c) Soweit die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Vorlageverweigerung erfüllt sind, ist auch die Ermessensausübung nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO nicht zu beanstanden. Der Beklagte hat in seiner Sperrerklärung die gegenläufigen privaten und öffentlichen Interessen bezogen auf die einzelnen Aktenstücke abgewogen, dabei die Möglichkeit von Teilschwärzungen geprüft und so eine Ermessensentscheidung getroffen, die den rechtlichen Anforderungen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 8. März 2010 - 20 F 11.09 - Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 56 Rn. 12 m. w. N.) genügt.

13 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Der Antragsteller obsiegt nur in geringem Umfang, weil über die vom Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts bereits als rechtswidrig erkannten Schwärzungen hinaus nur kurze Angaben zu einem bereits offengelegten Vorfall nicht durch Weigerungsgründe nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO gedeckt sind.