Verfahrensinformation

Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht für Zweitwohnungen


In den drei parallel gelagerten Verfahren begehrt jeweils ein Ehepartner eine Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht für seine Zweitwohnung, deren Inhaber er ist. Den Beitrag für die gemeinsame Hauptwohnung entrichtet stets der andere Ehepartner. Die Kläger stützen sich hierbei auf die vom Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 18. Juli 2018 - 1 BvR 1675/16, 745, 836, 981/17 - getroffene Übergangsregelung, wonach Personen, die nachweislich als Inhaber einer Wohnung ihrer Rundfunkbeitragspflicht nach § 2 Abs. 1 und 3 des Rundfunkbeitragsstaatsvertrags nachkommen, auf Antrag von einer Beitragspflicht für weitere Wohnungen zu befreien sind.


Den auf Befreiung gerichteten Klagen hat das Verwaltungsgericht Dresden in zwei Verfahren stattgegeben, das für das dritte Verfahren zuständige Verwaltungsgericht Chemnitz hat demgegenüber die Klage abgewiesen. In den jeweiligen Berufungsverfahren hat das Sächsische Oberverwaltungsgericht entschieden, dass den Klägern der geltend gemachte Befreiungsanspruch nicht zustehe. Aus dem Wortlaut sowie dem Sinn und Zweck der Überleitungsregelung folge, dass ein Ehegatte die Befreiung von dem Rundfunkbeitrag für eine von ihm gehaltene Nebenwohnung nicht verlangen könne, wenn nicht er, sondern der andere Ehegatte den Rundfunkbeitrag für die gemeinsame Hauptwohnung entrichte. Diese Auslegung sei mit Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes vereinbar. Ehepartner mit beruflich bedingter Zweitwohnung würden gegenüber Ledigen oder Partnern nichtehelicher Lebensgemeinschaften nicht benachteiligt. Auch das in Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes enthaltene Schutz- und Fördergebot werde hierdurch nicht verletzt. Die Ungleichbehandlung dieser Ehepartner gegenüber denjenigen Konstellationen, in denen ein Ehegatte sowohl die Haupt- als auch die Nebenwohnung auf seinen Namen angemeldet habe und deshalb nach der Übergangsregelung von dem Rundfunkbeitrag für die Zweitwohnung befreit werde, sei von Sachgründen getragen und verstoße nicht gegen Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes. Denn die Heranziehung nur eines Wohnungsinhabers diene Praktikabilitätserwägungen im Massenverfahren und dem verfassungsrechtlich legitimen Zweck der Datensparsamkeit.


Hiergegen wenden sich die Kläger mit der vom Oberverwaltungsgericht zugelassenen Revision.


Pressemitteilung Nr. 6/2023 vom 25.01.2023

Übergangsweise Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht für Zweitwohnungen

Zweitwohnungsinhaber sind aufgrund der Übergangsregelung im Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 2018 auf Antrag von der Rundfunkbeitragspflicht zu befreien. Unerheblich ist hierfür, auf welchen Namen das Beitragskonto einer von mehreren Wohnungsinhabern bewohnten Hauptwohnung bei der Rundfunkanstalt geführt wird. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute in drei Revisionsverfahren entschieden.


Mit Urteil vom 18. Juli 2018 hatte das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass der Rundfunkbeitragsstaatsvertrag (RBStV) mit Art. 3 Abs. 1 GG insoweit unvereinbar ist, als Inhaber mehrerer Wohnungen über den Beitrag für eine Wohnung hinaus zur Leistung von Rundfunkbeiträgen herangezogen werden. Zugleich hat es eine Übergangsregelung dahingehend getroffen, dass ab dem Tag der Verkündung dieses Urteils bis zum Inkrafttreten einer Neuregelung diejenigen Personen, die nachweislich als Inhaber einer Wohnung ihrer Rundfunkbeitragspflicht nach § 2 Abs. 1 und 3 RBStV nachkommen, auf Antrag von einer Beitragspflicht für weitere Wohnungen zu befreien sind.


Gestützt hierauf stellten die verheirateten Kläger der drei Verfahren für ihre Zweitwohnungen jeweils einen Antrag auf Befreiung bei der beklagten Rundfunkanstalt. Der Beklagte lehnte die Anträge mit der Begründung ab, dass das Beitragskonto der Hauptwohnung auf den Namen des jeweiligen Ehepartners geführt werde und die Voraussetzungen der richterrechtlichen Befreiungsregelung deshalb nicht gegeben seien. Den auf Befreiung gerichteten Klagen hat das Verwaltungsgericht Dresden in zwei Verfahren stattgegeben, das für das dritte Verfahren zuständige Verwaltungsgericht Chemnitz hat demgegenüber die Klage abgewiesen. In den Berufungsverfahren hat das Oberverwaltungsgericht Bautzen entschieden, dass den Klägern der geltend gemachte Befreiungsanspruch nicht zustehe.


Die hiergegen von den Klägern eingelegten Revisionen hatten Erfolg. Denn die Übergangsregelung ist wegen ihres Wortlauts und aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität weit zu verstehen. Darüber hinaus hängt es oft vom Zufall ab, auf wessen Namen das Beitragskonto für die Hauptwohnung geführt wird. Auf diese Weise gewährleistet die Übergangsregelung umfassend, dass Inhaber mehrerer Wohnungen nicht über einen vollen Beitrag in Anspruch genommen werden. Hiervon unberührt bleibt der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei einer Neuregelung, die dieser mittlerweile in § 4a RBStV getroffen hat.


BVerwG 6 C 6.21 - Urteil vom 25. Januar 2023

Vorinstanzen:

OVG Bautzen, OVG 5 A 376/20 - Urteil vom 05. Mai 2021 -

VG Dresden, VG 2 K 1721/19 - Urteil vom 17. März 2020 -

BVerwG 6 C 7.21 - Urteil vom 25. Januar 2023

Vorinstanzen:

OVG Bautzen, OVG 5 A 499/20 - Urteil vom 27. Mai 2021 -

VG Chemnitz, VG 3 K 2264/19 - Urteil vom 06. Mai 2020 -

BVerwG 6 C 9.21 - Urteil vom 25. Januar 2023

Vorinstanzen:

OVG Bautzen, OVG 5 A 370/20 - Urteil vom 27. Mai 2021 -

VG Dresden, VG 2 K 1301/19 - Urteil vom 17. März 2020 -


Urteil vom 25.01.2023 -
BVerwG 6 C 6.21ECLI:DE:BVerwG:2023:250123U6C6.21.0

Leitsatz:

Nach der Übergangsregelung im Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 2018 - 1 BvR 1675/16 u. a. - sind Inhaber weiterer Wohnungen auf Antrag von der Rundfunkbeitragspflicht zu befreien, wenn für ihre Hauptwohnung der Beitrag entrichtet wird. Unerheblich ist hierfür, auf welchen Inhaber das Beitragskonto für die Hauptwohnung bei der Rundfunkanstalt geführt wird.

  • Rechtsquellen
    GG Art. 3 Abs. 1
    RBStV § 2 Abs. 1 und 3, § 8 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3
    AO § 44 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 1

  • VG Dresden - 17.03.2020 - AZ: 2 K 1721/19
    OVG Bautzen - 05.05.2021 - AZ: 5 A 376/20

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 25.01.2023 - 6 C 6.21 - [ECLI:DE:BVerwG:2023:250123U6C6.21.0]

Urteil

BVerwG 6 C 6.21

  • VG Dresden - 17.03.2020 - AZ: 2 K 1721/19
  • OVG Bautzen - 05.05.2021 - AZ: 5 A 376/20

In der Verwaltungsstreitsache hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 25. Januar 2023
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Kraft,
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Möller, Hahn und Dr. Tegethoff sowie die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Gamp
für Recht erkannt:

  1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 5. Mai 2021 geändert und die Berufung zurückgewiesen.
  2. Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens.

Gründe

I

1 Der verheiratete Kläger begehrt die Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht für seine Nebenwohnung im Zeitraum vom 7. Oktober 2018 bis zum 31. Oktober 2019 vor dem Hintergrund der Übergangsregelung, die das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 18. Juli 2018 - 1 BvR 1675/16 u. a. - (BVerfGE 149, 222) zu § 2 Abs. 1 und 3 RBStV getroffen hat. Er wohnt mit seiner Ehefrau in einer Wohnung in D., die melderechtlich ihre gemeinsame Hauptwohnung ist. Diese Wohnung war im streitigen Zeitraum unter dem Namen seiner Ehefrau als Rundfunkbeitragspflichtige angemeldet. Nachdem der Kläger im Frühjahr 2018 auf eine Anfrage des Beklagten, ob für jene Wohnung der Rundfunkbeitrag entrichtet werde, nicht reagierte, meldete der Beklagte die Wohnung ab dem 1. März 2018 unter dem Namen des Klägers nochmals an. Der Kläger hält zudem eine Nebenwohnung in B., für die der Beklagte ihn ebenfalls ab dem 1. März 2018 als rundfunkbeitragspflichtig anmeldete.

2 In der Folge teilten die Eheleute dem Beklagten mit, dass für die gemeinsame Hauptwohnung bereits ein auf den Namen der Ehefrau laufendes Beitragskonto bestehe. Der Beklagte meldete daraufhin eines der beiden unter dem Namen des Klägers geführten Beitragskonten wieder ab, allerdings infolge eines Versehens dasjenige für die Nebenwohnung in B., und erstattete ihm teilweise die eingezogenen Beiträge. Als der Beklagte das Versehen bemerkte, stellte er das für die Hauptwohnung geführte Konto auf die Nebenwohnung des Klägers um. Der Kläger forderte in mehreren Schreiben die Erstattung der übrigen für die Nebenwohnung eingezogenen Beiträge sowie die Übernahme der Kosten für die Inanspruchnahme eines Rechtsanwalts in Höhe von 83,54 €. Die Übernahme der Rechtsanwaltskosten lehnte der Beklagte ab. Im Übrigen behandelte er die Erstattungsforderung des Klägers als Antrag auf Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht für die Nebenwohnung und lehnte diesen mit Bescheid vom 16. April 2019 ab. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 2018 enthalte die Voraussetzung, dass Haupt- und Nebenwohnung auf dieselbe Person angemeldet sein müssten. Dies sei beim Kläger nicht der Fall. Den hiergegen erhobenen Widerspruch des Klägers wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 28. August 2019 zurück.

3 Mit der am 12. September 2019 erhobenen Klage hat der Kläger zunächst begehrt, ihn unter Aufhebung der ablehnenden Bescheide des Beklagten von der Rundfunkbeitragspflicht für seine Nebenwohnung in B. zu befreien sowie den Beklagten zur Erstattung der vorgerichtlich entstandenen Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen zu verpflichten. Nachdem der Beklagte den Kläger im Hinblick auf die Änderung seiner Verwaltungspraxis im Vorgriff auf den 23. Rundfunkänderungsstaatsvertrag ab dem 1. November 2019 von der Rundfunkbeitragspflicht für die Nebenwohnung befreit hat, haben die Beteiligten den Rechtsstreit für den Zeitraum ab November 2019 übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt. Daraufhin hat der Kläger noch beantragt, den Bescheid vom 16. April 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. August 2019 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, den Kläger von der Rundfunkbeitragspflicht für die Wohnung in B. hinsichtlich des Zeitraums vom 7. Oktober 2018 bis Oktober 2019 zu befreien, sowie den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger einen Betrag in Höhe von 83,54 € nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

4 Mit Urteil vom 17. März 2020 hat das Verwaltungsgericht das Verfahren eingestellt, soweit die Beteiligten es übereinstimmend für erledigt erklärt haben, und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 16. April 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. August 2019 verpflichtet, den Kläger von der Rundfunkbeitragspflicht für die Nebenwohnung hinsichtlich des Zeitraums vom 7. Oktober 2018 bis Oktober 2019 zu befreien. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Das Oberverwaltungsgericht hat mit Urteil vom 5. Mai 2021 unter Änderung und Neufassung des erstinstanzlichen Urteils das Verfahren eingestellt, soweit die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt haben, und die Klage im Übrigen abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht und die Ablehnung der Befreiung verletze ihn nicht in seinen Rechten. Die Voraussetzungen der als Rechtsgrundlage einzig in Betracht kommenden Überleitungsregelung im Tenor des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 2018 - 1 BvR 1675/16 u. a. - lägen nicht vor. Aus deren Wortlaut sowie ihrem Sinn und Zweck folge, dass ein Ehegatte die Befreiung von dem Rundfunkbeitrag für eine von ihm gehaltene Nebenwohnung nicht verlangen könne, wenn nicht er, sondern der andere Ehepartner den Rundfunkbeitrag für die gemeinsame Hauptwohnung entrichte.

5 Der dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zugrundeliegende Fall habe einen abweichenden Sachverhalt betroffen. Dort sei das Beitragskonto für die Hauptwohnung auf den Namen der die Nebenwohnung bewohnenden Person geführt worden. Aus dem Wortlaut des Urteilstenors zu 1 ergäbe sich, dass derjenige seiner Rundfunkbeitragspflicht nachkomme, der "zur Leistung von Rundfunkbeiträgen herangezogen", mithin auf Zahlung in Anspruch genommen werde. Wer herangezogen werde, bestimmten die Inhaber der Wohnung durch ihre Anmeldung gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 RBStV selbst. Erst nach erfolgloser Inanspruchnahme des angemeldeten Wohnungsinhabers dürfe die Rundfunkanstalt die Daten weiterer Inhaber erheben und jene heranziehen. Bei Mehrpersonenhaushalten werde daher nur diejenige Person herangezogen, auf deren Namen das Beitragskonto geführt werde. Dem Urteil lasse sich weiter entnehmen, dass "Entrichten" gleichbedeutend sei mit "Nachkommen" und es sich hierbei um das perspektivische Gegenstück zur "Heranziehung" handele. Dabei sei nicht erforderlich, dass die herangezogene Person den Beitrag selbst entrichte. Ausreichend sei die Zahlung durch Dritte auf Rechnung der herangezogenen Person ("Fürzahler"), wobei es sich dann nach dem objektiven Empfängerhorizont um die Tilgung der Beitragsschuld der herangezogenen Person handele.

6 Auf das Rechtsverhältnis der in Mehrpersonenhaushalten lebenden Personen untereinander komme es nicht an. Es sei unerheblich, ob im Innenverhältnis Ausgleichsansprüche gemäß § 426 Abs. 1 BGB bestünden. Diese wirkten sich nicht auf die Frage aus, wer der Beitragspflicht nachkomme. Die gegenteilige Ansicht übersehe die Bedeutungsgleichheit von "nachkommen", "entrichten" und "herangezogen werden". Die Bezugnahme in der Überleitungsregelung auf § 2 Abs. 3 RBStV müsse so verstanden werden, dass sie sich nur auf einen gesamtschuldnerisch haftenden Beitragsschuldner beziehe, auf dessen Rechnung der Rundfunkbeitrag für die angemeldete Hauptwohnung entrichtet werde.

7 Hierfür sprächen auch Sinn und Zweck der Überleitungsregelung, die eine gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßende Belastung von Zweitwohnungsinhabern mit einem weiteren Rundfunkbeitrag abzuwenden suche. Der dem Vorteilsausgleich und der Kostendeckung für eine Inanspruchnahme öffentlicher Einrichtungen dienende Beitrag werde für die Möglichkeit erhoben, öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu empfangen. Wenn der Rundfunkbeitrag auf Rechnung des einen Ehegatten für die Hauptwohnung entrichtet werde, schöpfe dies allein bei ihm den Vorteil der Empfangsmöglichkeit in jener Wohnung ab. Entrichte der andere Ehepartner den Beitrag für die Nebenwohnung auf seine Rechnung, werde wiederum nur bei diesem der Vorteil abgeschöpft, dort öffentlichen Rundfunk zu empfangen. Deswegen fehle es an einer - verfassungswidrigen - mehrfachen Abschöpfung desselben Vorteils.

8 Zwar führe die Entrichtung eines Rundfunkbeitrags durch einen Beitragspflichtigen eines Mehrpersonenhaushalts im Außenverhältnis zur Rundfunkanstalt zum Erlöschen der Beitragspflicht der übrigen gemäß § 2 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 RBStV i. V. m. § 44 AO gesamtschuldnerisch haftenden Haushaltsmitglieder (§ 44 Abs. 2 Satz 1 AO). Es sei unerheblich, welcher Bewohner als Beitragsschuldner angemeldet sei, weil jeder bis zur vollständigen Bezahlung den Beitrag schulde. Da aber die Rundfunkanstalt erst nach erfolgloser Inanspruchnahme des angemeldeten Beitragsschuldners weitere Inhaber heranziehen dürfe, hätten die nicht leistenden Gesamtschuldner den Vorteil der Rundfunkempfangsmöglichkeit im Außenverhältnis unentgeltlich. Dieses Verständnis werde im Übrigen von § 4a RBStV n. F. bestätigt und sei mit Art. 6 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar.

9 Mit der von dem Oberverwaltungsgericht zugelassenen Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Er rügt ein unzutreffendes vorinstanzliches Verständnis der Übergangsregelung im Tenor des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 2018 - 1 BvR 1675/16 u. a. - sowie von Art. 6 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG. Die Belastung des Inhabers einer Nebenwohnung mit dem Rundfunkbeitrag sei unzulässig, wenn der Rundfunkbeitrag für dessen Hauptwohnung gezahlt werde. Der Wortlaut der Übergangsregelung stelle nicht darauf ab, welcher Inhaber der Hauptwohnung den Beitrag entrichte.

10 Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 5. Mai 2021 abzuändern und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 17. März 2020 zurückzuweisen.

11 Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

12 Er verteidigt das Berufungsurteil und führt ergänzend aus: Nach den Entscheidungsgründen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 2018 liege eine doppelte Inanspruchnahme nur vor, wenn dieselbe Person mehrfach zur Zahlung des Rundfunkbeitrags herangezogen werde. Der Kläger leiste jedoch für die Hauptwohnung keinen Rundfunkbeitrag. Art. 3 Abs. 1 GG sei nicht verletzt, weil der Kläger und seine Ehefrau auch getrennt voneinander jeweils in der Haupt- und der Nebenwohnung öffentlich-rechtlichen Rundfunk empfangen könnten. Auch eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 GG liege nicht vor, Eheleute würden gegenüber anderen Mehrpersonenhaushalten nicht benachteiligt. § 4a RBStV n. F. diene nicht der Beseitigung von Benachteiligungen von Ehepartnern, sondern setze das Fördergebot aus Art. 6 Abs. 1 GG um.

II

13 Die zulässige Revision des Klägers ist begründet. Das Berufungsurteil beruht auf einer Verletzung von revisiblem Recht im Sinne des § 137 Abs. 1 VwGO (1.). Es stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als im Ergebnis richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO). Da es für die Entscheidung in der Sache keiner weiteren tatsächlichen Feststellungen bedarf, kann sie der Senat gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO selbst treffen (2.).

14 1. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht die auf Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht gerichtete zulässige Verpflichtungsklage des Klägers als unbegründet angesehen. Die Ablehnung der Befreiung durch den Bescheid des Beklagten vom 16. April 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. August 2019 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Der Kläger hat einen Anspruch auf Befreiung von der Beitragspflicht für seine Zweitwohnung in B. im Zeitraum vom 7. Oktober 2018 bis zum 31. Oktober 2019. Dies hat bereits das Verwaltungsgericht im Ergebnis zutreffend erkannt. Der gegenteiligen Würdigung des Berufungsgerichts liegt ein zu enges Verständnis der - nach § 13 RBStV revisibles Recht betreffenden - Übergangsregelung im Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 2018 - 1 BvR 1675/16 u. a. - zugrunde. Hierauf beruht das angefochtene Urteil (§ 137 Abs. 1 VwGO).

15 Nach ständiger Rechtsprechung des Senats bestimmen Beginn und Ende der Beitragspflicht gemäß § 2 Abs. 1 und 2 Satz 1 RBStV den maßgeblichen Zeitpunkt für die Sach- und Rechtslage bei Rundfunkbeitragsbescheiden (BVerwG, Urteil vom 30. Oktober 2019 - 6 C 10.18 - BVerwGE 167, 20 Rn. 10 m. w. N.). Das ist hier der Zeitraum vom 7. Oktober 2018 bis zum 31. Oktober 2019. Entscheidend sind danach die Vorschriften des Rundfunkbeitragsstaatsvertrags vom 15. Dezember 2010 (SächsGVBl. 2011 S. 640 ff. und 2012 S. 62) in der Fassung des 21. Rundfunkänderungsstaatsvertrags (SächsGVBl. 2018 S. 159 ff. und S. 293), die vom 25. Mai 2018 bis zum 30. April 2019 galten, sowie des 22. Rundfunkänderungsstaatsvertrags (SächsGVBl. 2019 S. 211 ff. und S. 354), die zum 1. Mai 2019 in Kraft getreten sind - RBStV. Die danach anzuwendenden Bestimmungen des Rundfunkbeitragsstaatsvertrags enthalten keinen Befreiungstatbestand für Inhaber von Zweitwohnungen. Zutreffend hat das Berufungsgericht deshalb in der Übergangsregelung im Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 2018 - 1 BvR 1675/16 u. a. - (BVerfGE 149, 222) die einzig in Betracht kommende Anspruchsgrundlage für die vom Kläger begehrte Befreiung gesehen.

16 Das Bundesverfassungsgericht hat in diesem Urteil entschieden, dass die Zustimmungsgesetze und Zustimmungsbeschlüsse der Länder zu Art. 1 des 15. Staatsvertrags zur Änderung rundfunkrechtlicher Staatsverträge vom 15. Dezember 2010, soweit sie § 2 Abs. 1 RBStV in Landesrecht überführen, mit Art. 3 Abs. 1 GG insoweit unvereinbar sind, als Inhaber mehrerer Wohnungen über den Beitrag für eine Wohnung hinaus zur Leistung von Rundfunkbeiträgen herangezogen werden. Der Rundfunkbeitrag, der den Vorteil der individuellen Nutzungsmöglichkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks abgelte, werde zwar in grundsätzlich nicht zu beanstandender Weise anknüpfend an die Wohnungsinhaberschaft erhoben. Die dabei entstehenden Ungleichheiten erreichten nicht eine solche Qualität oder ein solches Ausmaß, dass sie verfassungsrechtlich zu beanstanden wären. Allerdings verstoße die Beitragsbemessung insoweit gegen den Grundsatz der Belastungsgleichheit, als ein Rundfunkbeitrag auch für die Inhaberschaft von Zweitwohnungen erhoben werde. Soweit Wohnungsinhaber nach dem zur Prüfung gestellten Regelungsgefüge für eine Wohnung schon zur Leistung eines Rundfunkbeitrags herangezogen worden seien, sei der Vorteil bereits abgegolten. Dieselbe Person dürfe für die Möglichkeit der privaten Rundfunknutzung nicht zu insgesamt mehr als einem vollen Beitrag herangezogen werden (BVerfG, Urteil vom 18. Juli 2018 - 1 BvR 1675/16 u. a. - BVerfGE 149, 222 Rn. 73 ff.).

17 Gleichwohl hat das Bundesverfassungsgericht angeordnet, dass das geltende Rundfunkbeitragsrecht vorübergehend fortgelten soll, allerdings in modifizierter Weise: Das bisherige Recht ist bis zu einer Neuregelung mit der Maßgabe weiter anwendbar, dass ab dem Tag der Verkündung jenes Urteils bis zum Inkrafttreten einer Neuregelung diejenigen Personen, die nachweislich als Inhaber einer Wohnung ihrer Rundfunkbeitragspflicht nach § 2 Abs. 1 und 3 RBStV nachkommen, auf Antrag von einer Beitragspflicht für weitere Wohnungen zu befreien sind. Ist über Rechtsbehelfe noch nicht abschließend entschieden, kann ein solcher Antrag rückwirkend für den Zeitraum gestellt werden, der Gegenstand des jeweils angegriffenen Festsetzungsbescheides ist. Die Gesetzgeber hat es verpflichtet, spätestens zum 30. Juni 2020 eine Neuregelung zu treffen (BVerfG, Urteil vom 18. Juli 2018 - 1 BvR 1675/16 u. a. - BVerfGE 149, 222 <224 im Tenor zu 2 und 3>).

18 Bei dieser Übergangsregelung handelt es sich um eine modifizierte Fortgeltungsanordnung, die das Bundesverfassungsgericht - obschon im Urteil nicht ausdrücklich so bezeichnet - auf der Grundlage von § 35 BVerfGG getroffen hat. Ihr kommt gemäß § 31 BVerfGG Bindungswirkung zu (a.). Der Inhalt der übergangsweise geltenden Regelung ist aus dem Urteil selbst zu bestimmen (b.). Ausgehend hiervon erweist sich die Annahme des Berufungsgerichts, die Anordnung gewähre einem Ehepartner, der eine Nebenwohnung innehat, keinen Anspruch auf Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht, wenn der andere Ehegatte den Rundfunkbeitrag für die gemeinsam bewohnte Hauptwohnung entrichte, als fehlerhaft. Vielmehr sind Inhaber weiterer Wohnungen auf Antrag von der Rundfunkbeitragspflicht zu befreien, ohne dass es darauf ankommt, auf welchen Namen das Beitragskonto einer von mehreren Wohnungsinhabern bewohnten Hauptwohnung bei der Rundfunkanstalt geführt wird (c.).

19 a. Das Bundesverfassungsgericht hat auf der Grundlage von § 35 BVerfGG die Befugnis, für eine Übergangszeit die Weitergeltung einer für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärten Norm - auch mit inhaltlichen Modifizierungen - anzuordnen. Es trifft von Amts wegen, somit unabhängig von Anträgen oder Anregungen, alle Anordnungen, die erforderlich sind, um seinen ein Verfahren abschließenden Sachentscheidungen Geltung zu verschaffen (BVerfG, Beschluss vom 21. März 1957 - 1 BvB 2/51 - BVerfGE 6, 300 <303>). Das Gericht ist insbesondere befugt, über die bloße Anordnung der Fortgeltung eines als verfassungswidrig erkannten Rechts hinaus die materielle Rechtslage jenseits einer kassatorischen Entscheidung übergangsweise positiv gestaltend zu regeln (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 5. März 1991 - 1 BvL 83/86, 24/88 - BVerfGE 84, 9 <21 ff.> und vom 24. Mai 1995 - 2 BvF 1/92 - BVerfGE 93, 37 <85>; Urteil vom 30. Juli 2008 - 1 BvR 3262/07 u. a. - BVerfGE 121, 317 <376 ff.>; Heusch, in: Burkiczak/Dollinger/Schorkopf, BVerfGG, 2. Aufl. 2022, § 31 Rn. 82; Burkiczak, in: ebd., § 35 Rn. 18 m. w. N.). Hiervon hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 18. Juli 2018 Gebrauch gemacht, indem es die um einen Befreiungstatbestand ergänzte befristete Fortgeltung der rundfunkbeitragsrechtlichen Regelungen angeordnet hat. Die bundesverfassungsgerichtliche Übergangsregelung entfaltet gemäß § 31 BVerfGG eine über den Einzelfall hinausgehende Bindungswirkung für alle Behörden und Gerichte (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 2006 - 6 A 3.05 - Buchholz 452.00 § 14 VAG Nr. 5 Rn. 26).

20 b. Der Inhalt einer Übergangsregelung ist aus dem bundesverfassungsgerichtlichen Urteil selbst zu bestimmen. Denn eine Vollstreckungsanordnung nach § 35 BVerfGG bleibt ein Akt der Rechtsprechung und wird nicht selbst zu einem Gesetz (vgl. Heusch, in: Burkiczak/Dollinger/Schorkopf, BVerfGG, 2. Aufl. 2022, § 31 Rn. 73). Die Heranziehung der für Rechtsnormen geltenden Auslegungsregeln kommt deswegen nicht in Betracht. Vielmehr sind Art, Maß und Inhalt einer Vollstreckungsanordnung abhängig vom Inhalt der zu vollstreckenden Sachentscheidung sowie von den konkreten Verhältnissen, unter denen diese umzusetzen ist (BVerfG, Beschlüsse vom 21. März 1957 - 1 BvB 2/51 - BVerfGE 6, 300 <303 f.> und vom 29. April 2021 - 2 BvR 1651/15, 2006/15 - BVerfGE 158, 89 Rn. 76).

21 Auch wenn eine Vollstreckungsanordnung ausschließlich auf die Durchsetzung der Sachentscheidung ausgerichtet ist und dadurch begrenzt wird (BVerfG, Beschlüsse vom 21. März 1957 - 1 BvB 2/51 - BVerfGE 6, 300 <303 f.> und vom 29. April 2021 - 2 BvR 1651/15, 2006/15 - BVerfGE 158, 89 Rn. 77 m. w. N.), schließt dies Pauschalierungen des Bundesverfassungsgerichts bei der Schaffung von Übergangsregelungen nicht aus. Eine typisierende Betrachtung ist dem Bundesverfassungsgericht im Rahmen des § 35 BVerfGG nicht verwehrt (vgl. BVerfG, Urteil vom 30. Juli 2008 - 1 BvR 3262/07 u. a. - BVerfGE 121, 317 <376 f.>). Dem Bundesverfassungsgericht ist auch unbenommen, bei der Schaffung einer Übergangsregelung an maßstabsbildende Entscheidungen des Gesetzgebers in ähnlichen Fallgestaltungen anzuknüpfen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. November 1998 - 2 BvL 26/91 u. a. - BVerfGE 99, 300 <304, 321 f., 331 f.> m. w. N.; BVerwG, Urteil vom 22. März 2018 - 2 C 20.16 - BVerwGE 161, 297 Rn. 23 ff.). Eine pauschalierende Übergangsregelung gewährleistet umfassend, den festgestellten Verfassungsverstoß zu vermeiden. Hinzu kommt weiter, dass Verwaltungspraktikabilitätserwägungen in dem Zeitraum bis zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber Rechnung getragen werden kann, wenn eine Zwischenregelung mit geringerem Verwaltungsaufwand umzusetzen ist. Überdies reduziert eine für die Verwaltung handhabbare und für die Bürger überschaubare Übergangslösung auch die Wahrscheinlichkeit, dass es in dem Interimszeitraum zu Fehlentscheidungen kommt, die den Anlass für neue Rechtsstreitigkeiten bieten könnten. Der daraus resultierende Übergriff auf den Kompetenzbereich des Gesetzgebers ist hinnehmbar, wenn die Übergangsregelungen - dem Verhältnismäßigkeitsprinzip folgend - erforderlich sind, namentlich um einen sonst drohenden noch verfassungswidrigeren Zustand abzuwenden (Burmeister, in: Barczak, BVerfGG, 2018, § 35 Rn. 13). Zudem wird der Übergriff dadurch abgemildert, dass das Bundesverfassungsgericht die Vollstreckungsanordnung unter größtmöglicher Schonung des aktuellen gesetzgeberischen Willens trifft und dessen Regelungskonzept so weit als möglich erhält (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. Mai 1995 - 2 BvF 1/92 - BVerfGE 93, 37 <85> und Urteil vom 30. Juli 2008 - 1 BvR 3262/07 u. a. - BVerfGE 121, 317 <376> m. w. N.).

22 c. In Anwendung dieses Maßstabs zur Bestimmung des Inhalts einer vom Bundesverfassungsgericht getroffenen Anordnung erweist sich das berufungsgerichtliche Verständnis des Befreiungstatbestands im Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 2018 - 1 BvR 1675/16 u. a. - als zu eng. Inhaber mehrerer Wohnungen sind aufgrund dieser Übergangsregelung auf Antrag von der Rundfunkbeitragspflicht zu befreien. Unerheblich ist hierfür, auf welchen Namen das Beitragskonto einer von mehreren Wohnungsinhabern bewohnten Hauptwohnung bei der Rundfunkanstalt geführt wird. Die verfassungsgerichtliche Übergangsregelung ist wegen ihres Wortlauts (aa.) und aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität (bb.) weit zu verstehen. Darüber hinaus hängt es oftmals vom Zufall ab, wer bei mehreren Wohnungsinhabern der Anzeigepflicht des § 8 Abs. 1 Satz 1 RBStV nachkommt, deren Erfüllung durch einen Beitragsschuldner gemäß § 8 Abs. 3 RBStV auch für die übrigen Beitragsschuldner der Wohnung wirkt (cc.). Wird ein weites Verständnis zugrundegelegt, gewährleistet die Übergangsregelung umfassend, dass Inhaber mehrerer Wohnungen nicht über einen vollen Beitrag hinaus in Anspruch genommen werden und damit der vom Bundesverfassungsgericht festgestellte Verstoß gegen den aus Art. 3 Abs. 1 GG abgeleiteten Grundsatz der Belastungsgleichheit vermieden wird.

23 Hiervon unberührt bleibt der Gestaltungsspielraum der Gesetzgeber bei einer Neuregelung, die diese mit den Änderungen des 23. Rundfunkänderungsstaatsvertrags zum 1. Juni 2020 in § 4a RBStV n. F. getroffen haben (SächsGVBl. 2020 S. 195 ff. und S. 329).

24 aa. Nach dem Wortlaut der Übergangsregelung sind diejenigen Personen auf Antrag von einer Beitragspflicht für weitere Wohnungen zu befreien, die nachweislich als Inhaber einer Wohnung ihrer Rundfunkbeitragspflicht nach § 2 Abs. 1 und 3 RBStV nachkommen. Das Verb "nachkommen" wird in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht näher erläutert. Nach seinem Wortsinn beschreibt "nachkommen" die Erfüllung oder Vollziehung desjenigen, was ein anderer von einem wünscht oder verlangt (Duden, Deutsches Universalwörterbuch, 9. Aufl. 2019). Das Gewünschte oder Verlangte wird in der übergangsweise geltenden Regelung klar bezeichnet: Es ist die "Rundfunkbeitragspflicht nach § 2 Absatz 1 und 3 des Rundfunkbeitragsstaatsvertrags", der nachweislich nachgekommen werden muss. Das Verb "nachkommen" wird allein auf die in § 2 Abs. 1 und 3 RBStV normierte Beitragspflicht bezogen.

25 Nach § 2 Abs. 1 RBStV ist im privaten Bereich für jede Wohnung von deren Inhaber (Beitragsschuldner) ein Rundfunkbeitrag zu entrichten. § 2 Abs. 3 Satz 1 RBStV bestimmt, dass mehrere Beitragsschuldner als Gesamtschuldner entsprechend § 44 der Abgabenordnung - AO - haften. Jeder schuldet den Rundfunkbeitrag in voller Höhe. Dieser ist insgesamt aber nur einmal zu bezahlen, weil jede Zahlung auch für die übrigen Beitragsschuldner wirkt (sogenannte Erfüllungswirkung, § 44 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 1 AO). Mit diesem Regelungssystem hat das Bundesverfassungsgericht die von ihm statuierte Befreiungsregelung verknüpft. Dagegen lassen seine Ausführungen nicht erkennen, dass es für die Inanspruchnahme der Befreiungsregelung für weitere Wohnungen auf die Frage ankommt, welcher Beitragsschuldner sich in einer von mehreren gemeinsam bewohnten Hauptwohnung bei der Rundfunkanstalt nach § 8 RBStV angemeldet hat.

26 Die Inbezugnahme des § 2 Abs. 3 RBStV lässt - anders als das Berufungsgericht meint - erkennen, dass das Bundesverfassungsgericht seine Übergangsregelung auch für Mehrpersonenhaushalte getroffen hat. Der konkrete Fall einer Einzelperson, die Inhaber einer Haupt- und einer Nebenwohnung ist, bot für die Nennung des § 2 Abs. 3 RBStV keinen Anlass. Die Verweisung auf § 2 Abs. 3 RBStV in der Übergangsregelung ist daher so zu verstehen, dass es dem Bundesverfassungsgericht insbesondere auch auf die Erfüllungswirkung im Gesamtschuldverhältnis ankam. Sie tritt unmittelbar mit der Erfüllung der Beitragsschuld durch einen Schuldner ein (vgl. § 44 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 1 AO). In Mehrpersonenhaushalten kommen die verschiedenen Beitragsschuldner ihrer jeweils bestehenden Beitragspflicht schon dadurch nach, indem sie dafür Sorge tragen, dass einer von ihnen die für die Wohnung geschuldete Beitragsschuld erfüllt. Mehr verlangt das Regelungsregime des § 2 Abs. 1 und 3 RBStV nicht von ihnen.

27 bb. Das nach dem Wortlaut der von dem Bundesverfassungsgericht getroffenen Anordnung naheliegende Verständnis wird durch Gründe der Verwaltungspraktikabilität gestützt.

28 Das Bundesverfassungsgericht hat ausgeführt, die Gesetzgeber könnten bei einer Neuregelung die gleichheitswidrige Beitragsbelastung von Inhabern mehrerer Wohnungen dadurch beseitigen, dass sie eine antragsgebundene Befreiung von der Beitragspflicht vorsähen oder auf andere Weise sicherstellten, dass Beitragspflichtige nicht mit insgesamt mehr als einem vollen Rundfunkbeitrag belastet würden, etwa durch eine Beschränkung der Beitragspflicht auf Erstwohnungen. In der erstgenannten Hinsicht stünden den Gesetzgebern zwei Modelle zur Verfügung. Sie könnten die Befreiung von einem Nachweis der Anmeldung von Erst- und Zweitwohnung als solche abhängig machen, um Verwaltungsschwierigkeiten zu vermeiden. Sie könnten sich aber auch im Sinne einer engeren Lösung dahingehend verständigen, für solche Zweitwohnungsinhaber von einer Befreiung abzusehen, die die Entrichtung eines vollen Rundfunkbeitrags für die Erstwohnung durch sie selbst nicht nachwiesen. Für die von ihm getroffene Anordnung ist das Bundesverfassungsgericht von einer antragsgebundenen Befreiung ausgegangen (BVerfG, Urteil vom 18. Juli 2018 - 1 BvR 1675/16 u. a. - BVerfGE 149, 222 Rn. 111, 155). Es drängt sich auf, dass es dabei dasjenige Modell im Blick gehabt hat, das in der Übergangszeit Verwaltungsschwierigkeiten vermeidet, weil nicht geprüft werden muss, durch wen der Beitrag für die Hauptwohnung gezahlt wird.

29 cc. Darüber hinaus kommt für das Verständnis der vom Bundesverfassungsgericht getroffenen Übergangsregelung auch dem Umstand Bedeutung zu, dass es oftmals vom Zufall abhängt, wer bei mehreren Wohnungsinhabern der Anzeigepflicht des § 8 Abs. 1 Satz 1 RBStV nachkommt, deren Erfüllung durch einen Beitragsschuldner gemäß § 8 Abs. 3 RBStV auch für die übrigen Beitragsschuldner der Wohnung wirkt. Denn es war bislang - abgesehen von Befreiungen und Ermäßigungen nach § 4 Abs. 1 und 2 RBStV, die sich auf bestimmte weitere Wohnungsinhaber erstrecken (§ 4 Abs. 3 RBStV) – rechtlich unerheblich, auf welchen Namen das Beitragskonto bei der Rundfunkanstalt geführt wird. Im Zusammenhang mit der Umstellung des Rundfunkgebührenrechts auf das Rundfunkbeitragsrecht im Jahre 2013 sind in großem Umfang frühere Gebührenkonten der Gebühreneinzugszentrale ohne inhaltliche Änderungen als Beitragskonten fortgeführt worden (vgl. § 14 Abs. 3 RBStV). In dem Massengeschäft des Rundfunkbeitragsrechts kam dem Umstand, wer von mehreren Bewohnern einer Wohnung nach außen gegenüber der Rundfunkanstalt auftritt, keine Bedeutung zu. Vor diesem Hintergrund wäre anzunehmen gewesen, dass das Bundesverfassungsgericht deutlich zu erkennen gegeben hätte, wenn diesem formalen Umstand bei der Übergangsregelung ausschlaggebendes Gewicht beizumessen wäre. Hierfür gibt es im Urteil keine Anhaltspunkte.

30 Soweit die Vertreter des Beklagten im Termin zur mündlichen Verhandlung erklärt haben, (auch) denjenigen Nebenwohnungsinhabern die Befreiung gewährt zu haben, die zumindest nach Erlass des Urteils des Bundesverfassungsgerichts eine Ummeldung des Beitragskontos der gemeinsam mit anderen bewohnten Hauptwohnung auf ihren Namen veranlasst hätten, führt auch dies nicht zu einer anderen Bewertung. Vielmehr verstärken sich die aufgezeigten Bedenken, weil ein solches Verständnis der Übergangsregelung dazu führen würde, dass die Gewährung der Befreiung allein davon abhängig gemacht würde, ob zumindest nach Erlass des Urteils von dieser formalen Gestaltungsmöglichkeit Gebrauch gemacht worden ist. Es erscheint ausgeschlossen, dass das Bundesverfassungsgericht ein solches Verständnis seiner Übergangsregelung beabsichtigt hat.

31 Der inzwischen geltende Befreiungstatbestand in § 4a RBStV n. F., mit dem der Gesetzgeber für die Rechtslage ab dem 1. Juni 2020 von seinem Gestaltungsspielraum Gebrauch gemacht hat, gibt für die Deutung der zuvor geltenden bundesverfassungsgerichtlichen Befreiungsregelung nichts her.

32 2. Das Urteil kann auch nicht nach § 144 Abs. 4 VwGO auf Grund anderer Erwägungen aufrecht erhalten bleiben. Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden (vgl. § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO). Nach den nicht angegriffenen tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts ist die Ehefrau des Klägers im streitgegenständlichen Zeitraum vom 7. Oktober 2018 bis zum 31. Oktober 2019 der Rundfunkbeitragspflicht für die gemeinsame Hauptwohnung in D. nachgekommen. Der Kläger erfüllt daher in Bezug auf seine Nebenwohnung in B. für diesen Zeitraum die tatbestandlichen Voraussetzungen der richterrechtlichen Befreiungsregelung. Er ist vom Beklagten insoweit von der Rundfunkbeitragspflicht zu befreien.

33 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Urteil vom 25.01.2023 -
BVerwG 6 C 7.21ECLI:DE:BVerwG:2023:250123U6C7.21.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 25.01.2023 - 6 C 7.21 - [ECLI:DE:BVerwG:2023:250123U6C7.21.0]

Urteil

BVerwG 6 C 7.21

  • VG Chemnitz - 06.05.2020 - AZ: 3 K 2264/19
  • OVG Bautzen - 27.05.2021 - AZ: 5 A 499/20

In der Verwaltungsstreitsache hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 25. Januar 2023
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Kraft, die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Möller, Hahn und Dr. Tegethoff sowie die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Gamp
für Recht erkannt:

  1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 27. Mai 2021 wie folgt geändert:
  2. "Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Chemnitz vom 6. Mai 2020 geändert und der Beklagte unter teilweiser Aufhebung seines entgegenstehenden Bescheides vom 28. Februar 2020 verpflichtet, die Klägerin im Zeitraum vom 18. Juli 2018 bis zum 30. April 2019 von der Rundfunkbeitragspflicht für ihre Zweitwohnung in L. zu befreien.
  3. Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens tragen die Klägerin zu 3/4 und der Beklagte zu 1/4."
  4. Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens.

Gründe

I

1 Die verheiratete Klägerin begehrt die Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht für ihre Nebenwohnung im Zeitraum vom 18. Juli 2018 bis zum 30. April 2019 vor dem Hintergrund der Übergangsregelung, die das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 18. Juli 2018 - 1 BvR 1675/16 u. a. - (BVerfGE 149, 222) zu § 2 Abs. 1 und 3 RBStV getroffen hat. Die Klägerin wohnt mit ihrem Ehemann in C., hierbei handelt es sich melderechtlich um ihre gemeinsame Hauptwohnung. Die Wohnung war im streitigen Zeitraum unter dem Namen ihres Ehemannes als Rundfunkbeitragspflichtigem angemeldet. Vom 15. Januar 2016 bis zum 30. April 2019 unterhielt die Klägerin außerdem eine Nebenwohnung in L., für die sie sich beim Beklagten als Rundfunkbeitragspflichtige anmeldete. Am 28. Juli 2018 beantragte sie unter Hinweis auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 2018 die rückwirkende Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht zum 1. Januar 2016. Mit Schreiben vom 9. November 2018 teilte ihr der Beitragsservice von ARD, ZDF und Deutschlandradio mit, die erforderlichen Voraussetzungen dafür lägen nicht vor. In der Folge wandte sich die Klägerin noch mehrfach vergeblich an den Beklagten.

2 Nachdem die Klägerin am 11. Dezember 2019 Klage mit dem Begehren erhoben hat, den Beklagten zu verpflichten, sie rückwirkend ab dem 1. Januar 2016 von der Rundfunkbeitragspflicht für ihre Nebenwohnung in L. zu befreien, ist der Beklagte dem mit Bescheid vom 28. Februar 2020 im Hinblick auf die Änderung seiner Verwaltungspraxis im Vorgriff auf den 23. Rundfunkänderungsstaatsvertrag ab dem 1. November 2019 nachgekommen. Eine Befreiung vor dem 1. November 2019 komme jedoch mangels Rechtsgrundlage nicht in Betracht. Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin am 9. März 2020 während des Klageverfahrens Widerspruch. Nach übereinstimmender Erklärung der Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache für den Zeitraum ab Mai 2019 hat die Klägerin ihren Klageantrag im Übrigen aufrechterhalten. Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 6. Mai 2020 das Verfahren eingestellt, soweit die Beteiligten es übereinstimmend für erledigt erklärt haben und die Klage im Übrigen abgewiesen.

3 Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung der Klägerin zugelassen, soweit die Vorinstanz die Klage auch für den Zeitraum vom 18. Juli 2018 bis 30. April 2019 abgewiesen hat, und sie mit Urteil vom 27. Mai 2021 zurückgewiesen. Soweit die Klage Gegenstand des Berufungsverfahrens sei, sei sie zwar zulässig, aber unbegründet. Für ihre Zulässigkeit könne dahinstehen, ob die Mitteilung des Beklagten im Schreiben vom 9. November 2018 einen Verwaltungsakt darstelle oder der Befreiungsantrag der Klägerin (erst) mit Bescheid vom 28. Februar 2020 abgelehnt worden sei. Im ersten Fall habe die Klägerin mit Schreiben vom 18. November 2018 und im zweiten Fall am 9. März 2020 fristgerecht Widerspruch eingelegt. Die Durchführung eines Vorverfahrens vor Klageerhebung sei gemäß § 75 Satz 1 Alt. 1 VwGO entbehrlich gewesen. Keiner der möglichen Ablehnungsbescheide verletze die Klägerin in ihren Rechten. Sie habe keinen Anspruch auf die begehrte Befreiung für den Zeitraum vom 18. Juli 2018 bis zum 30. April 2019. Die Voraussetzungen der einzig als Rechtsgrundlage in Betracht kommenden Überleitungsregelung im Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 2018 - 1 BvR 1675/16 u. a. - lägen nicht vor. Aus dem Wortlaut sowie dem Sinn und Zweck der Überleitungsregelung folge, dass ein Ehegatte die Befreiung von dem Rundfunkbeitrag für eine von ihm gehaltene Nebenwohnung nicht verlangen könne, wenn nicht er, sondern der andere Ehegatte den Rundfunkbeitrag für die gemeinsame Hauptwohnung entrichte.

4 Der dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zugrundeliegende Fall habe einen abweichenden Sachverhalt betroffen. Dort sei das Beitragskonto für die Hauptwohnung auf den Namen der die Nebenwohnung bewohnenden Person geführt worden. Aus dem Wortlaut des Urteilstenors zu 1 ergäbe sich, dass derjenige seiner Rundfunkbeitragspflicht nachkomme, der "zur Leistung von Rundfunkbeiträgen herangezogen", mithin auf Zahlung in Anspruch genommen werde. Wer herangezogen werde, bestimmten die Inhaber der Wohnung durch ihre Anmeldung gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 RBStV selbst. Erst nach erfolgloser Inanspruchnahme des angemeldeten Wohnungsinhabers dürfe die Rundfunkanstalt die Daten weiterer Inhaber erheben und jene heranziehen. Bei Mehrpersonenhaushalten werde daher nur diejenige Person herangezogen, auf deren Namen das Beitragskonto geführt werde. Dem Urteil lasse sich weiter entnehmen, dass "Entrichten" gleichbedeutend sei mit "Nachkommen" und es sich hierbei um das perspektivische Gegenstück zur "Heranziehung" handele. Dabei sei nicht erforderlich, dass die herangezogene Person den Beitrag selbst entrichte. Ausreichend sei die Zahlung durch Dritte auf Rechnung der herangezogenen Person ("Fürzahler"), wobei es sich dann nach dem objektiven Empfängerhorizont um die Tilgung der Beitragsschuld der herangezogenen Person handele.

5 Auf das Rechtsverhältnis der in Mehrpersonenhaushalten lebenden Personen untereinander komme es nicht an. Es sei unerheblich, ob im Innenverhältnis Ausgleichsansprüche gemäß § 426 Abs. 1 BGB bestünden. Diese wirkten sich nicht auf die Frage aus, wer der Beitragspflicht nachkomme. Die gegenteilige Ansicht übersehe die Bedeutungsgleichheit von "nachkommen", "entrichten" und "herangezogen werden". Die Bezugnahme in der Überleitungsregelung auf § 2 Abs. 3 RBStV müsse so verstanden werden, dass sie sich nur auf einen gesamtschuldnerisch haftenden Beitragsschuldner beziehe, auf dessen Rechnung der Rundfunkbeitrag für die angemeldete Hauptwohnung entrichtet werde. Hierfür sprächen auch Sinn und Zweck der Überleitungsregelung, die eine gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßende Belastung von Zweitwohnungsinhabern mit einem weiteren Rundfunkbeitrag abzuwenden suche. Der dem Vorteilsausgleich und der Kostendeckung für eine Inanspruchnahme öffentlicher Einrichtungen dienende Beitrag werde für die Möglichkeit erhoben, öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu empfangen. Wenn der Rundfunkbeitrag auf Rechnung des einen Ehegatten für die Hauptwohnung entrichtet werde, schöpfe dies allein bei ihm den Vorteil der Empfangsmöglichkeit in jener Wohnung ab. Entrichte der andere Ehepartner den Beitrag für die Nebenwohnung auf seine Rechnung, werde wiederum nur bei diesem der Vorteil abgeschöpft, dort öffentlichen Rundfunk zu empfangen. Deswegen fehle es an einer - verfassungswidrigen - mehrfachen Abschöpfung desselben Vorteils.

6 Zwar führe die Entrichtung eines Rundfunkbeitrags durch einen Beitragspflichtigen eines Mehrpersonenhaushalts im Außenverhältnis zur Rundfunkanstalt zum Erlöschen der Beitragspflicht der übrigen gemäß § 2 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 RBStV i. V. m. § 44 AO gesamtschuldnerisch haftenden Haushaltsmitglieder (§ 44 Abs. 2 Satz 1 AO). Es sei unerheblich, welcher Bewohner als Beitragsschuldner angemeldet sei, weil jeder bis zur vollständigen Bezahlung den Beitrag schulde. Da aber die Rundfunkanstalt erst nach erfolgloser Inanspruchnahme des angemeldeten Beitragsschuldners weitere Inhaber heranziehen dürfe, hätten die nicht leistenden Gesamtschuldner den Vorteil der Rundfunkempfangsmöglichkeit im Außenverhältnis unentgeltlich. Dieses Verständnis werde im Übrigen von § 4a RBStV n. F. bestätigt und sei mit Art. 6 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar.

7 Mit der von dem Oberverwaltungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Die Übergangsregelung im Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 2018 gelte entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts auch für Eheleute. Die Rundfunkanstalt lasse eine gemeinsame Anmeldung von Ehegatten nicht zu; dies könne nicht zu ihren Lasten gehen.

8 Die Klägerin beantragt,
unter Abänderung der Urteile des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 27. Mai 2021 und des Verwaltungsgerichts Chemnitz vom 6. Mai 2020 den Beklagten unter teilweiser Aufhebung des Bescheids vom 28. Februar 2020 zu verpflichten, die Klägerin in dem Zeitraum vom 18. Juli 2018 bis zum 30. April 2019 von der Rundfunkbeitragspflicht für die Zweitwohnung in L. zu befreien.

9 Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

10 Er verteidigt das Berufungsurteil und führt ergänzend aus: Die Anmeldung des Ehemannes der Klägerin gehe auf die Überleitungsregelung in § 14 Abs. 3 und 4 RBStV zurück, weil dieser bereits mit Rundfunkgeräten im Datenbestand der Gebühreneinzugszentrale angemeldet gewesen sei. Hieran habe er - der Beklagte - nichts geändert. Auch die Klägerin habe keine Bemühungen gezeigt, das Beitragskonto der Hauptwohnung auf ihren Namen umzumelden. Im Übrigen liege nach den Entscheidungsgründen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 2018 eine doppelte Inanspruchnahme zur Zahlung des Rundfunkbeitrags nur vor, wenn dieselbe Person mehrfach herangezogen werde. Die Klägerin leiste jedoch für die Hauptwohnung keinen Rundfunkbeitrag. Art. 3 Abs. 1 GG sei nicht verletzt, weil die Klägerin und ihr Ehemann auch getrennt voneinander jeweils in der Haupt- und der Nebenwohnung öffentlich-rechtlichen Rundfunk empfangen könnten. Auch eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 GG liege nicht vor, Eheleute würden gegenüber anderen Mehrpersonenhaushalten nicht benachteiligt. § 4a RBStV n. F. diene nicht der Beseitigung von Benachteiligungen von Ehepartnern, sondern setze das Fördergebot aus Art. 6 Abs. 1 GG um.

II

11 Die zulässige Revision der Klägerin ist begründet. Das Berufungsgericht hat die auf Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht gerichtete Klage im Ergebnis zu Recht für zulässig erachtet (1.). Allerdings beruht das angefochtene Urteil auf einer Verletzung revisiblen Rechts im Sinne des § 137 Abs. 1 VwGO, soweit es die Klage als unbegründet angesehen hat. Es stellt sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als im Ergebnis richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO). Da es für die Entscheidung in der Sache keiner weiteren tatsächlichen Feststellungen bedarf, kann sie der Senat gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO selbst treffen (2.).

12 1. Die Verpflichtungsklage ist zulässig. Abweichend von § 68 Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 Satz 1 VwGO bedurfte es nicht der vorherigen Durchführung eines Widerspruchsverfahrens, da ein Fall der behördlichen Untätigkeit gemäß § 75 Satz 1 Alt. 2 VwGO vorliegt.

13 Unzutreffend nimmt das Berufungsgericht zwar an, dass die Voraussetzungen des § 75 Satz 1 Alt. 1 VwGO erfüllt seien, d. h. der Beklagte über einen Widerspruch ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat. Entweder sei das Schreiben des Beklagten vom 9. November 2018 als Bescheid auszulegen, mit dem der auf Befreiung gerichtete Antrag der Klägerin abgelehnt worden sei, gegen den diese mit Schreiben vom 18. November 2018 rechtzeitig Widerspruch erhoben habe, oder liege die Ablehnung des Befreiungsantrags im Bescheid des Beklagten vom 28. Februar 2020, gegen den am 9. März 2020 Widerspruch erhoben worden sei. Dies ist mit Bundesrecht nicht vereinbar, weil der Beklagte bis zur Erhebung der Klage ohne zureichenden Grund innerhalb einer angemessenen Frist noch nicht einmal über den Antrag der Klägerin auf Befreiung entschieden hatte. Jedoch ist die Klage gemäß § 75 Satz 1 Alt. 2 VwGO zulässig.

14 Erst mit dem während des gerichtlichen Verfahrens ergangenen Bescheid vom 28. Februar 2020 hat der Beklagte der Klägerin die begehrte Befreiung ab dem 1. November 2019 gewährt und sie für den davorliegenden Zeitraum abgelehnt. Das vorprozessuale Schreiben des Beitragsservice von ARD, ZDF und Deutschlandradio vom 9. November 2018 stellt keine Ablehnung des Antrags der Klägerin in Gestalt eines Verwaltungsakts dar. Das Berufungsgericht hat diese Frage offengelassen, so dass der Senat den Inhalt des Schreibens selbständig auslegen kann (vgl. BVerwG, Urteile vom 16. Dezember 1971 - 2 C 36.69 - Buchholz 232 § 32 BBG Nr. 18 S. 4 sowie vom 9. Dezember 2015 - 9 C 28.14 - Buchholz 406.11 § 131 BauGB Nr. 126 Rn. 24 m. w. N.). Auszugehen ist hierbei von den Vorschriften des Gesetzes zur Regelung des Verwaltungsverfahrens- und des Verwaltungszustellungsrechts für den Freistaat Sachsen vom 19. Mai 2010 (SächsGVBl., S. 142 ff.), das durch Art. 3 des Gesetzes vom 12. Juli 2013 (SächsGVBl., S. 503 ff.) - SächsVwVfZG - geändert worden ist. Die in § 2 Abs. 3 dieses Gesetzes enthaltene Bereichsausnahme für die Tätigkeit des Mitteldeutschen Rundfunks greift nicht, da sie nach ständiger Rechtsprechung des Berufungsgerichts nur den Kernbereich der Rundfunkfreiheit umfasst, nicht aber Bereiche, in denen - wie hier - die Rundfunkanstalt typische Verwaltungstätigkeiten ausübt (OVG Bautzen, Urteil vom 17. Dezember 2015 - 3 A 582/14 - juris Rn. 13 ff. m. w. N.). An diese Auslegung des Landesrechts ist der Senat gebunden (§ 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 560 ZPO). Nach der gesetzlichen Definition des § 1 SächsVwVfZG i. V. m. § 35 Satz 1 VwVfG ist ein Verwaltungsakt jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Ob ein Verwaltungshandeln diese Merkmale erfüllt, hängt maßgeblich von der Ausgestaltung des zugrundeliegenden materiellen Rechts ab (BVerwG, Beschluss vom 9. Oktober 1998 - 1 B 95.98 - Buchholz 402.43 § 9 MRRG Nr. 1 S. 1 m. w. N.), das hier gemäß § 13 des Rundfunkbeitragsstaatsvertrags vom 15. Dezember 2010 in der für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen, vom 25. Mai 2018 bis zum 30. April 2019 geltenden Fassung des 21. Rundfunkänderungsstaatsvertrags (SächsGVBl. 2018, S. 159 ff. und S. 293) - RBStV - revisibel ist.

15 Bei dem vorprozessualen Schreiben vom 9. November 2018 handelt es sich um ein bloßes Mitteilungsschreiben, das keinen Regelungscharakter im Sinne des § 1 SächsVwVfZG i. V. m. § 35 Satz 1 VwVfG aufweist. Nach seinem Erklärungsgehalt ist das Schreiben nicht darauf gerichtet, eine verbindliche Rechtsfolge zu setzen (zu dieser Voraussetzung: BVerwG, Urteile vom 29. April 1988 - 9 C 54.87 - BVerwGE 79, 291 <293> und vom 5. November 2009 - 4 C 3.09 - BVerwGE 135, 209 Rn. 15). Dafür müsste es für den Betroffenen rechtsverbindlich Rechte oder Pflichten begründen, inhaltlich ausgestalten, ändern, aufheben, feststellen oder einen derartigen Ausspruch rechtsverbindlich ablehnen (BVerwG, Urteil vom 21. Juni 2017 - 6 C 3.16 - BVerwGE 159, 148 Rn. 12 m. w. N.). Hingegen beinhaltet das Schreiben nach dem objektivierten Maßstab des Empfängerhorizonts lediglich eine rechtliche Einschätzung zum Fehlen der tatbestandlichen Voraussetzungen des Befreiungsanspruchs. Eine Aussage dazu, dass aus diesem Grund die beantragte Befreiung - als Rechtsfolge - abgelehnt wird, trifft das Schreiben nicht. Dies bestätigt die äußere Form dieses Schreibens, das weder als "Bescheid" bezeichnet wird noch eine Rechtsbehelfsbelehrung enthält.

16 Ist danach die Klage zum Zeitpunkt der Klageerhebung im Dezember 2019 gemäß § 75 Satz 1 Alt. 2 VwGO zulässig gewesen, bleibt der Klägerin diese Vergünstigung erhalten, ohne dass der verspätet ergangene Ablehnungsbescheid vom 28. Februar 2020 hieran etwas ändert. Der während des Verfahrens erlassene Bescheid ist in das Verfahren einbezogen worden. Weiterer Verfahrenshandlungen der von der Ablehnung betroffenen Klägerin bedurfte es nicht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 27. September 2021 - 10 B 4.20 - Buchholz 310 § 138 Ziff. 1 VwGO Nr. 55 Rn. 8 m. w. N.). Wenn das Verwaltungsgericht bei einer Untätigkeitsklage - wie hier - nicht nach § 75 Satz 3 VwGO verfährt, mithin keine Frist für eine Bescheidung festsetzt und das gerichtliche Verfahren solange aussetzt, ist die Klage ohne Rücksicht darauf zulässig, ob gegen den nachträglich erlassenen Ablehnungsbescheid Widerspruch eingelegt worden ist. Nur bei einer (ablehnenden) Bescheidung innerhalb einer vom Gericht bestimmten Frist nach § 75 Satz 3 VwGO ist eine gerichtliche Sachentscheidung erst nach der Durchführung des Widerspruchsverfahrens zulässig (BVerwG, Urteile vom 13. Januar 1983 - 5 C 114.81 - BVerwGE 66, 342 <344>, vom 4. Juni 1991 - 1 C 42.88 - BVerwGE 88, 254 <255 f.> und vom 21. Dezember 1995 - 3 C 24.94 - BVerwGE 100, 221 <224> m. w. N.).

17 2. Allerdings geht das angefochtene Urteil zu Unrecht davon aus, dass die Verpflichtungsklage unbegründet ist. Vielmehr ist die Ablehnung der Befreiung vor dem 1. November 2019 durch den Bescheid des Beklagten vom 28. Februar 2020 rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Die Klägerin hat einen Anspruch auf Befreiung von der Beitragspflicht für ihre Zweitwohnung in L. im Zeitraum vom 18. Juli 2018 bis zum 30. April 2019. Der gegenteiligen Würdigung des Berufungsgerichts liegt ein zu enges Verständnis der - nach § 13 RBStV revisibles Recht betreffenden - Übergangsregelung im Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 2018 - 1 BvR 1675/16 u. a. - zugrunde. Hierauf beruht das angefochtene Urteil (§ 137 Abs. 1 VwGO).

18 Die zum maßgeblichen Zeitpunkt der Sach- und Rechtslage geltenden Bestimmungen des Rundfunkbeitragsstaatsvertrags enthalten keinen Befreiungstatbestand für Inhaber von Zweitwohnungen. Zutreffend hat das Berufungsgericht deshalb in der Übergangsregelung im Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 2018 - 1 BvR 1675/16 u. a. - (BVerfGE 149, 222) die einzig in Betracht kommende Anspruchsgrundlage für die von der Klägerin begehrte Befreiung gesehen.

19 Das Bundesverfassungsgericht hat in diesem Urteil entschieden, dass die Zustimmungsgesetze und Zustimmungsbeschlüsse der Länder zu Art. 1 des 15. Staatsvertrags zur Änderung rundfunkrechtlicher Staatsverträge vom 15. Dezember 2010, soweit sie § 2 Abs. 1 RBStV in Landesrecht überführen, mit Art. 3 Abs. 1 GG insoweit unvereinbar sind, als Inhaber mehrerer Wohnungen über den Beitrag für eine Wohnung hinaus zur Leistung von Rundfunkbeiträgen herangezogen werden. Der Rundfunkbeitrag, der den Vorteil der individuellen Nutzungsmöglichkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks abgelte, werde zwar in grundsätzlich nicht zu beanstandender Weise anknüpfend an die Wohnungsinhaberschaft erhoben. Die dabei entstehenden Ungleichheiten erreichten nicht eine solche Qualität oder ein solches Ausmaß, dass sie verfassungsrechtlich zu beanstanden wären. Allerdings verstoße die Beitragsbemessung insoweit gegen den Grundsatz der Belastungsgleichheit, als ein Rundfunkbeitrag auch für die Inhaberschaft von Zweitwohnungen erhoben werde. Soweit Wohnungsinhaber nach dem zur Prüfung gestellten Regelungsgefüge für eine Wohnung schon zur Leistung eines Rundfunkbeitrags herangezogen worden seien, sei der Vorteil bereits abgegolten. Dieselbe Person dürfe für die Möglichkeit der privaten Rundfunknutzung nicht zu insgesamt mehr als einem vollen Beitrag herangezogen werden (BVerfG, Urteil vom 18. Juli 2018 - 1 BvR 1675/16 u. a. - BVerfGE 149, 222 Rn. 73 ff.).

20 Gleichwohl hat das Bundesverfassungsgericht angeordnet, dass das geltende Rundfunkbeitragsrecht vorübergehend fortgelten soll, allerdings in modifizierter Weise: Das bisherige Recht ist bis zu einer Neuregelung mit der Maßgabe weiter anwendbar, dass ab dem Tag der Verkündung jenes Urteils bis zum Inkrafttreten einer Neuregelung diejenigen Personen, die nachweislich als Inhaber einer Wohnung ihrer Rundfunkbeitragspflicht nach § 2 Abs. 1 und 3 RBStV nachkommen, auf Antrag von einer Beitragspflicht für weitere Wohnungen zu befreien sind. Ist über Rechtsbehelfe noch nicht abschließend entschieden, kann ein solcher Antrag rückwirkend für den Zeitraum gestellt werden, der Gegenstand des jeweils angegriffenen Festsetzungsbescheides ist. Die Gesetzgeber hat es verpflichtet, spätestens zum 30. Juni 2020 eine Neuregelung zu treffen (BVerfG, Urteil vom 18. Juli 2018 - 1 BvR 1675/16 u. a. - BVerfGE 149, 222 <224 im Tenor zu 2 und 3>).

21 Bei dieser Übergangsregelung handelt es sich um eine modifizierte Fortgeltungsanordnung, die das Bundesverfassungsgericht - obschon im Urteil nicht ausdrücklich so bezeichnet - auf der Grundlage von § 35 BVerfGG getroffen hat. Ihr kommt gemäß § 31 BVerfGG Bindungswirkung zu (a.). Der Inhalt der übergangsweise geltenden Regelung ist aus dem Urteil selbst zu bestimmen (b.). Ausgehend hiervon erweist sich die Annahme des Berufungsgerichts, die Anordnung gewähre einem Ehepartner, der eine Nebenwohnung innehat, keinen Anspruch auf Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht, wenn der andere Ehegatte den Rundfunkbeitrag für die gemeinsam bewohnte Hauptwohnung entrichte, als fehlerhaft. Vielmehr sind Inhaber weiterer Wohnungen auf Antrag von der Rundfunkbeitragspflicht zu befreien, ohne dass es darauf ankommt, auf welchen Namen das Beitragskonto einer von mehreren Wohnungsinhabern bewohnten Hauptwohnung bei der Rundfunkanstalt geführt wird (c.).

22 a. Das Bundesverfassungsgericht hat auf der Grundlage von § 35 BVerfGG die Befugnis, für eine Übergangszeit die Weitergeltung einer für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärten Norm - auch mit inhaltlichen Modifizierungen - anzuordnen. Es trifft von Amts wegen, somit unabhängig von Anträgen oder Anregungen, alle Anordnungen, die erforderlich sind, um seinen ein Verfahren abschließenden Sachentscheidungen Geltung zu verschaffen (BVerfG, Beschluss vom 21. März 1957 - 1 BvB 2/51 - BVerfGE 6, 300 <303>). Das Gericht ist insbesondere befugt, über die bloße Anordnung der Fortgeltung eines als verfassungswidrig erkannten Rechts hinaus die materielle Rechtslage jenseits einer kassatorischen Entscheidung übergangsweise positiv gestaltend zu regeln (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 5. März 1991 - 1 BvL 83/86, 24/88 - BVerfGE 84, 9 <21 ff.> und vom 24. Mai 1995 - 2 BvF 1/92 - BVerfGE 93, 37 <85>; Urteil vom 30. Juli 2008 - 1 BvR 3262/07 u. a. - BVerfGE 121, 317 <376 ff.>; Heusch, in: Burkiczak/Dollinger/Schorkopf, BVerfGG, 2. Aufl. 2022, § 31 Rn. 82; Burkiczak, in: ebd., § 35 Rn. 18 m. w. N.). Hiervon hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 18. Juli 2018 Gebrauch gemacht, indem es die um einen Befreiungstatbestand ergänzte befristete Fortgeltung der rundfunkbeitragsrechtlichen Regelungen angeordnet hat. Die bundesverfassungsgerichtliche Übergangsregelung entfaltet gemäß § 31 BVerfGG eine über den Einzelfall hinausgehende Bindungswirkung für alle Behörden und Gerichte (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 2006 - 6 A 3.05 - Buchholz 452.00 § 14 VAG Nr. 5 Rn. 26).

23 b. Der Inhalt einer Übergangsregelung ist aus dem bundesverfassungsgerichtlichen Urteil selbst zu bestimmen. Denn eine Vollstreckungsanordnung nach § 35 BVerfGG bleibt ein Akt der Rechtsprechung und wird nicht selbst zu einem Gesetz (vgl. Heusch, in: Burkiczak/Dollinger/Schorkopf, BVerfGG, 2. Aufl. 2022, § 31 Rn. 73). Die Heranziehung der für Rechtsnormen geltenden Auslegungsregeln kommt deswegen nicht in Betracht. Vielmehr sind Art, Maß und Inhalt einer Vollstreckungsanordnung abhängig vom Inhalt der zu vollstreckenden Sachentscheidung sowie von den konkreten Verhältnissen, unter denen diese umzusetzen ist (BVerfG, Beschlüsse vom 21. März 1957 - 1 BvB 2/51 - BVerfGE 6, 300 <303 f.> und vom 29. April 2021 - 2 BvR 1651/15, 2006/15 - BVerfGE 158, 89 Rn. 76).

24 Auch wenn eine Vollstreckungsanordnung ausschließlich auf die Durchsetzung der Sachentscheidung ausgerichtet ist und dadurch begrenzt wird (BVerfG, Beschlüsse vom 21. März 1957 - 1 BvB 2/51 - BVerfGE 6, 300 <303 f.> und vom 29. April 2021 - 2 BvR 1651/15, 2006/15 - BVerfGE 158, 89 Rn. 77 m. w. N.), schließt dies Pauschalierungen des Bundesverfassungsgerichts bei der Schaffung von Übergangsregelungen nicht aus. Eine typisierende Betrachtung ist dem Bundesverfassungsgericht im Rahmen des § 35 BVerfGG nicht verwehrt (vgl. BVerfG, Urteil vom 30. Juli 2008 - 1 BvR 3262/07 u. a. - BVerfGE 121, 317 <376 f.>). Dem Bundesverfassungsgericht ist auch unbenommen, bei der Schaffung einer Übergangsregelung an maßstabsbildende Entscheidungen des Gesetzgebers in ähnlichen Fallgestaltungen anzuknüpfen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. November 1998 - 2 BvL 26/91 u. a. - BVerfGE 99, 300 <304, 321 f., 331 f.> m. w. N.; BVerwG, Urteil vom 22. März 2018 - 2 C 20.16 - BVerwGE 161, 297 Rn. 23 ff.). Eine pauschalierende Übergangsregelung gewährleistet umfassend, den festgestellten Verfassungsverstoß zu vermeiden. Hinzu kommt weiter, dass Verwaltungspraktikabilitätserwägungen in dem Zeitraum bis zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber Rechnung getragen werden kann, wenn eine Zwischenregelung mit geringerem Verwaltungsaufwand umzusetzen ist. Überdies reduziert eine für die Verwaltung handhabbare und für die Bürger überschaubare Übergangslösung auch die Wahrscheinlichkeit, dass es in dem Interimszeitraum zu Fehlentscheidungen kommt, die den Anlass für neue Rechtsstreitigkeiten bieten könnten. Der daraus resultierende Übergriff auf den Kompetenzbereich des Gesetzgebers ist hinnehmbar, wenn die Übergangsregelungen - dem Verhältnismäßigkeitsprinzip folgend - erforderlich sind, namentlich um einen sonst drohenden noch verfassungswidrigeren Zustand abzuwenden (Burmeister, in: Barczak, BVerfGG, 2018, § 35 Rn. 13). Zudem wird der Übergriff dadurch abgemildert, dass das Bundesverfassungsgericht die Vollstreckungsanordnung unter größtmöglicher Schonung des aktuellen gesetzgeberischen Willens trifft und dessen Regelungskonzept so weit als möglich erhält (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. Mai 1995 - 2 BvF 1/92 - BVerfGE 93, 37 <85> und Urteil vom 30. Juli 2008 - 1 BvR 3262/07 u. a. - BVerfGE 121, 317 <376> m. w. N.).

25 c. In Anwendung dieses Maßstabs zur Bestimmung des Inhalts einer vom Bundesverfassungsgericht getroffenen Anordnung erweist sich das berufungsgerichtliche Verständnis des Befreiungstatbestandes im Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 2018 - 1 BvR 1675/16 u. a. - als zu eng. Inhaber mehrerer Wohnungen sind aufgrund dieser Übergangsregelung auf Antrag von der Rundfunkbeitragspflicht zu befreien. Unerheblich ist hierfür, auf welchen Namen das Beitragskonto einer von mehreren Wohnungsinhabern bewohnten Hauptwohnung bei der Rundfunkanstalt geführt wird. Die verfassungsgerichtliche Übergangsregelung ist wegen ihres Wortlauts (aa.) und aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität (bb.) weit zu verstehen. Darüber hinaus hängt es oftmals vom Zufall ab, wer bei mehreren Wohnungsinhabern der Anzeigepflicht des § 8 Abs. 1 Satz 1 RBStV nachkommt, deren Erfüllung durch einen Beitragsschuldner gemäß § 8 Abs. 3 RBStV auch für die übrigen Beitragsschuldner der Wohnung wirkt (cc.). Wird ein weites Verständnis zugrundegelegt, gewährleistet die Übergangsregelung umfassend, dass Inhaber mehrerer Wohnungen nicht über einen vollen Beitrag hinaus in Anspruch genommen werden und damit der vom Bundesverfassungsgericht festgestellte Verstoß gegen den aus Art. 3 Abs. 1 GG abgeleiteten Grundsatz der Belastungsgleichheit vermieden wird.

26 Hiervon unberührt bleibt der Gestaltungsspielraum der Gesetzgeber bei einer Neuregelung, die diese mit den Änderungen des 23. Rundfunkänderungsstaatsvertrags zum 1. Juni 2020 in § 4a RBStV n. F. getroffen haben (SächsGVBl. 2020 S. 195 ff. und S. 329).

27 aa. Nach dem Wortlaut der Übergangsregelung sind diejenigen Personen auf Antrag von einer Beitragspflicht für weitere Wohnungen zu befreien, die nachweislich als Inhaber einer Wohnung ihrer Rundfunkbeitragspflicht nach § 2 Abs. 1 und 3 RBStV nachkommen. Das Verb "nachkommen" wird in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht näher erläutert. Nach seinem Wortsinn beschreibt "nachkommen" die Erfüllung oder Vollziehung desjenigen, was ein anderer von einem wünscht oder verlangt (Duden, Deutsches Universalwörterbuch, 9. Aufl. 2019). Das Gewünschte oder Verlangte wird in der übergangsweise geltenden Regelung klar bezeichnet: Es ist die "Rundfunkbeitragspflicht nach § 2 Absatz 1 und 3 des Rundfunkbeitragsstaatsvertrags", der nachweislich nachgekommen werden muss. Das Verb "nachkommen" wird allein auf die in § 2 Abs. 1 und 3 RBStV normierte Beitragspflicht bezogen.

28 Nach § 2 Abs. 1 RBStV ist im privaten Bereich für jede Wohnung von deren Inhaber (Beitragsschuldner) ein Rundfunkbeitrag zu entrichten. § 2 Abs. 3 Satz 1 RBStV bestimmt, dass mehrere Beitragsschuldner als Gesamtschuldner entsprechend § 44 der Abgabenordnung - AO - haften. Jeder schuldet den Rundfunkbeitrag in voller Höhe. Dieser ist insgesamt aber nur einmal zu bezahlen, weil jede Zahlung auch für die übrigen Beitragsschuldner wirkt (sogenannte Erfüllungswirkung, § 44 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 1 AO). Mit diesem Regelungssystem hat das Bundesverfassungsgericht die von ihm statuierte Befreiungsregelung verknüpft. Dagegen lassen seine Ausführungen nicht erkennen, dass es für die Inanspruchnahme der Befreiungsregelung für weitere Wohnungen auf die Frage ankommt, welcher Beitragsschuldner sich in einer von mehreren gemeinsam bewohnten Hauptwohnung bei der Rundfunkanstalt nach § 8 RBStV angemeldet hat.

29 Die Inbezugnahme des § 2 Abs. 3 RBStV lässt - anders als das Berufungsgericht meint - erkennen, dass das Bundesverfassungsgericht seine Übergangsregelung auch für Mehrpersonenhaushalte getroffen hat. Der konkrete Fall einer Einzelperson, die Inhaber einer Haupt- und einer Nebenwohnung ist, bot für die Nennung des § 2 Abs. 3 RBStV keinen Anlass. Die Verweisung auf § 2 Abs. 3 RBStV in der Übergangsregelung ist daher so zu verstehen, dass es dem Bundesverfassungsgericht insbesondere auch auf die Erfüllungswirkung im Gesamtschuldverhältnis ankam. Sie tritt unmittelbar mit der Erfüllung der Beitragsschuld durch einen Schuldner ein (vgl. § 44 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 1 AO). In Mehrpersonenhaushalten kommen die verschiedenen Beitragsschuldner ihrer jeweils bestehenden Beitragspflicht schon dadurch nach, indem sie dafür Sorge tragen, dass einer von ihnen die für die Wohnung geschuldete Beitragsschuld erfüllt. Mehr verlangt das Regelungsregime des § 2 Abs. 1 und 3 RBStV nicht von ihnen.

30 bb. Das nach dem Wortlaut der von dem Bundesverfassungsgericht getroffenen Anordnung naheliegende Verständnis wird durch Gründe der Verwaltungspraktikabilität gestützt.

31 Das Bundesverfassungsgericht hat ausgeführt, die Gesetzgeber könnten bei einer Neuregelung die gleichheitswidrige Beitragsbelastung von Inhabern mehrerer Wohnungen dadurch beseitigen, dass sie eine antragsgebundene Befreiung von der Beitragspflicht vorsähen oder auf andere Weise sicherstellten, dass Beitragspflichtige nicht mit insgesamt mehr als einem vollen Rundfunkbeitrag belastet würden, etwa durch eine Beschränkung der Beitragspflicht auf Erstwohnungen. In der erstgenannten Hinsicht stünden den Gesetzgebern zwei Modelle zur Verfügung. Sie könnten die Befreiung von einem Nachweis der Anmeldung von Erst- und Zweitwohnung als solche abhängig machen, um Verwaltungsschwierigkeiten zu vermeiden. Sie könnten sich aber auch im Sinne einer engeren Lösung dahingehend verständigen, für solche Zweitwohnungsinhaber von einer Befreiung abzusehen, die die Entrichtung eines vollen Rundfunkbeitrags für die Erstwohnung durch sie selbst nicht nachwiesen. Für die von ihm getroffene Anordnung ist das Bundesverfassungsgericht von einer antragsgebundenen Befreiung ausgegangen (BVerfG, Urteil vom 18. Juli 2018 - 1 BvR 1675/16 u. a. - BVerfGE 149, 222 Rn. 111, 155). Es drängt sich auf, dass es dabei dasjenige Modell im Blick gehabt hat, das in der Übergangszeit Verwaltungsschwierigkeiten vermeidet, weil nicht geprüft werden muss, durch wen der Beitrag für die Hauptwohnung gezahlt wird.

32 cc. Darüber hinaus kommt für das Verständnis der vom Bundesverfassungsgericht geschaffenen Übergangsregelung auch dem Umstand Bedeutung zu, dass es oftmals vom Zufall abhängt, wer bei mehreren Wohnungsinhabern der Anzeigepflicht des § 8 Abs. 1 Satz 1 RBStV nachkommt, deren Erfüllung durch einen Beitragsschuldner gemäß § 8 Abs. 3 RBStV auch für die übrigen Beitragsschuldner der Wohnung wirkt. Denn es war bislang - abgesehen von Befreiungen und Ermäßigungen nach § 4 Abs. 1 und 2 RBStV, die sich auf bestimmte weitere Wohnungsinhaber erstrecken (§ 4 Abs. 3 RBStV) – rechtlich unerheblich, auf welchen Namen das Beitragskonto bei der Rundfunkanstalt geführt wird. Im Zusammenhang mit der Umstellung des Rundfunkgebührenrechts auf das Rundfunkbeitragsrecht im Jahre 2013 sind in großem Umfang frühere Gebührenkonten der Gebühreneinzugszentrale ohne inhaltliche Änderungen als Beitragskonten fortgeführt worden (vgl. § 14 Abs. 3 RBStV). In dem Massengeschäft des Rundfunkbeitragsrechts kam dem Umstand, wer von mehreren Bewohnern einer Wohnung nach außen gegenüber der Rundfunkanstalt auftritt, keine Bedeutung zu. Vor diesem Hintergrund wäre anzunehmen gewesen, dass das Bundesverfassungsgericht deutlich zu erkennen gegeben hätte, wenn diesem formalen Umstand bei der Übergangsregelung ausschlaggebendes Gewicht beizumessen wäre. Hierfür gibt es im Urteil keine Anhaltspunkte.

33 Soweit die Vertreter des Beklagten im Termin zur mündlichen Verhandlung erklärt haben, (auch) denjenigen Nebenwohnungsinhabern die Befreiung gewährt zu haben, die zumindest nach Erlass des Urteils des Bundesverfassungsgerichts eine Ummeldung des Beitragskontos der gemeinsam mit anderen bewohnten Hauptwohnung auf ihren Namen veranlasst hätten, führt auch dies nicht zu einer anderen Bewertung. Vielmehr verstärken sich die aufgezeigten Bedenken, weil ein solches Verständnis der Übergangsregelung dazu führen würde, dass die Gewährung der Befreiung allein davon abhängig gemacht würde, ob zumindest nach Erlass des Urteils von dieser formalen Gestaltungsmöglichkeit Gebrauch gemacht worden ist. Es erscheint ausgeschlossen, dass das Bundesverfassungsgericht ein solches Verständnis seiner Übergangsregelung beabsichtigt hat.

34 Der inzwischen geltende Befreiungstatbestand in § 4a RBStV n. F., mit dem der Gesetzgeber für die Rechtslage ab dem 1. Juni 2020 von seinem Gestaltungsspielraum Gebrauch gemacht hat, gibt für die Deutung der zuvor geltenden bundesverfassungsgerichtlichen Befreiungsregelung nichts her.

35 Das Urteil kann auch nicht nach § 144 Abs. 4 VwGO auf Grund anderer Erwägungen aufrecht erhalten bleiben. Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden (vgl. § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO). Nach den nicht angegriffenen tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts ist der Ehemann der Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum vom 18. Juli 2018 bis zum 30. April 2019 der Rundfunkbeitragspflicht für die gemeinsame Hauptwohnung in C. nachgekommen. Die Klägerin erfüllt daher in Bezug auf ihre Nebenwohnung in L. für diesen Zeitraum die tatbestandlichen Voraussetzungen der richterrechtlichen Befreiungsregelung. Sie ist vom Beklagten insoweit von der Rundfunkbeitragspflicht zu befreien.

36 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Urteil vom 25.01.2023 -
BVerwG 6 C 9.21ECLI:DE:BVerwG:2023:250123U6C9.21.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 25.01.2023 - 6 C 9.21 - [ECLI:DE:BVerwG:2023:250123U6C9.21.0]

Urteil

BVerwG 6 C 9.21

  • VG Dresden - 17.03.2020 - AZ: 2 K 1301/19
  • OVG Bautzen - 27.05.2021 - AZ: 5 A 370/20

In der Verwaltungsstreitsache hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 25. Januar 2023
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Kraft, die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Möller, Hahn und Dr. Tegethoff sowie die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Gamp
für Recht erkannt:

  1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 27. Mai 2021 teilweise geändert:
  2. "Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden vom 17. März 2020 wie folgt geändert und neu gefasst:
  3. Das Verfahren wird eingestellt, soweit die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt haben.
  4. Der Beklagte wird unter Aufhebung seines entgegenstehenden Bescheides vom 1. Oktober 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Juni 2019 verpflichtet, den Kläger im Zeitraum vom 20. Juli 2018 bis zum 31. Oktober 2019 von der Rundfunkbeitragspflicht für seine Zweitwohnung in O. zu befreien. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
  5. Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens tragen der Kläger zu 1/10 und der Beklagte zu 9/10.
  6. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
  7. Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Kläger zu 1/6 und der Beklagte zu 5/6."
  8. Die weitergehende Revision wird zurückgewiesen.
  9. Die Kosten des Revisionsverfahrens tragen der Kläger zu 1/6 und der Beklagte zu 5/6.

Gründe

I

1 Der verheiratete Kläger begehrt die Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht für seine Nebenwohnung im Zeitraum vom 20. Juli 2018 bis zum 31. Oktober 2019 vor dem Hintergrund der Übergangsregelung, die das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 18. Juli 2018 - 1 BvR 1675/16 u. a. - (BVerfGE 149, 222) zu § 2 Abs. 1 und 3 RBStV getroffen hat. Zugleich erstrebt er die Aufhebung des Bescheides, mit dem der Beklagte für die Nebenwohnung Rundfunkbeiträge für den Zeitraum vom 1. Juli bis zum 30. September 2018 festgesetzt hat. Er wohnt mit seiner Ehefrau in einer Wohnung in D., die melderechtlich ihre gemeinsame Hauptwohnung ist. Diese Wohnung war im streitigen Zeitraum unter dem Namen seiner Ehefrau als Rundfunkbeitragspflichtige angemeldet. Der Kläger hält zudem eine Nebenwohnung in O., für die er sich als rundfunkbeitragspflichtig angemeldet hatte. Mit Schreiben vom 19. Juli 2018 beantragte er seine Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht für die Nebenwohnung und forderte eine Erstattung gezahlter Rundfunkbeiträge in Höhe von 420 €. Die weitere Beitragszahlung für die Nebenwohnung stellte er zunächst ein. Der Beklagte forderte den Kläger daraufhin unter dem 24. Juli 2018 vergeblich zur Zahlung von Rundfunkbeiträgen für die Nebenwohnung für den Zeitraum von Juli bis September 2018 auf. Mit Schreiben vom 1. Oktober 2018 teilte der Beitragsservice von ARD, ZDF und Deutschlandradio dem Kläger mit, dass die Voraussetzungen für eine Befreiung des Klägers von der Beitragspflicht für die Nebenwohnung nicht vorlägen. Der Beklagte setzte gegen den Kläger mit Bescheid vom 2. Oktober 2018 für die Nebenwohnung Rundfunkbeiträge für den Zeitraum vom 1. Juli bis zum 30. September 2018 in Höhe von 52,50 € und einen Säumniszuschlag in Höhe von 8 € Euro fest.

2 Der Kläger teilte dem Beitragsservice unter dem 9. Oktober 2018 mit, dass er den Rundfunkbeitrag für die Nebenwohnung nicht mehr bezahlen werde, und legte mit Schreiben vom 12. Oktober 2018 Widerspruch gegen den Beitragsfestsetzungsbescheid vom 2. Oktober 2018 ein. Der Beklagte behandelte das Schreiben vom 9. Oktober 2018 als Widerspruch gegen sein als Bescheid gewertetes Schreiben vom 1. Oktober 2018 und wies diesen mit Widerspruchsbescheid vom 17. Juni 2019 zurück. Der Kläger habe nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts keinen Anspruch auf Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht für die Nebenwohnung, weil er nicht auch als Beitragsschuldner für die Hauptwohnung angemeldet sei. Mit weiterem Widerspruchsbescheid vom 17. Juni 2019 wies der Beklagte den Widerspruch gegen den Beitragsfestsetzungsbescheid vom 2. Oktober 2018 zurück. Der Festsetzungsbescheid sei rechtmäßig, da der Kläger die fälligen Beiträge nicht gezahlt habe. In der Folge zahlte der Kläger die rückständigen Rundfunkbeiträge und die Rundfunkbeiträge bis einschließlich Dezember 2019.

3 Mit der am 5. Juli 2019 erhobenen Klage hat sich der Kläger gegen den Festsetzungsbescheid des Beklagten vom 2. Oktober 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Juni 2019 gewandt und unter Aufhebung entgegenstehender Bescheide die Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht für seine Nebenwohnung begehrt. Nachdem der Beklagte dem Befreiungsbegehren mit Bescheid vom 6. März 2020 im Hinblick auf die Änderung seiner Verwaltungspraxis im Vorgriff auf den 23. Rundfunkänderungsstaatsvertrag ab dem 1. November 2019 nachgekommen ist, haben die Beteiligten insoweit übereinstimmend den Rechtsstreit in der Hauptsache teilweise für erledigt erklärt. Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 17. März 2020 das Verfahren eingestellt, soweit der Kläger die Befreiung ab November 2019 beantragt hat, die Bescheide vom 1. und 2. Oktober 2018 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 17. Juni 2018 (gemeint: 2019) aufgehoben und den Beklagten verpflichtet, den Kläger von der Rundfunkbeitragspflicht hinsichtlich der Zweitwohnung in O. ab dem 20. Juni (gemeint: Juli) 2018 bis Oktober 2019 zu befreien.

4 Das Oberverwaltungsgericht hat mit Urteil vom 27. Mai 2021 unter Änderung und Neufassung des erstinstanzlichen Urteils das Verfahren eingestellt, soweit die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt haben, und die Klage abgewiesen. Die Berufung des Beklagten sei begründet.

5 Dem Kläger stehe kein Anspruch auf Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht für seine Nebenwohnung für den genannten Zeitraum zu und die Ablehnung der Befreiung sowie der Festsetzungsbescheid verletzten ihn nicht in seinen Rechten. Die Voraussetzungen der als Anspruchsgrundlage einzig in Betracht kommenden Überleitungsregelung im Tenor des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 2018 - 1 BvR 1675/16 u. a. - lägen nicht vor. Aus deren Wortlaut sowie ihrem Sinn und Zweck folge, dass ein Ehegatte die Befreiung von dem Rundfunkbeitrag für eine von ihm gehaltene Nebenwohnung nicht verlangen könne, wenn nicht er, sondern der andere Ehepartner den Rundfunkbeitrag für die gemeinsame Hauptwohnung entrichte.

6 Der dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zugrundeliegende Fall habe einen abweichenden Sachverhalt betroffen. Dort sei das Beitragskonto für die Hauptwohnung auf den Namen der die Nebenwohnung bewohnenden Person geführt worden. Aus dem Wortlaut des Urteilstenors zu 1 ergäbe sich, dass derjenige seiner Rundfunkbeitragspflicht nachkomme, der "zur Leistung von Rundfunkbeiträgen herangezogen", mithin auf Zahlung in Anspruch genommen werde. Wer herangezogen werde, bestimmten die Inhaber der Wohnung durch ihre Anmeldung gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 RBStV selbst. Erst nach erfolgloser Inanspruchnahme des angemeldeten Wohnungsinhabers dürfe die Rundfunkanstalt die Daten weiterer Inhaber erheben und jene heranziehen. Bei Mehrpersonenhaushalten werde daher nur diejenige Person herangezogen, auf deren Namen das Beitragskonto geführt werde. Dem Urteil lasse sich weiter entnehmen, dass "Entrichten" gleichbedeutend sei mit "Nachkommen" und es sich hierbei um das perspektivische Gegenstück zur "Heranziehung" handele. Dabei sei nicht erforderlich, dass die herangezogene Person den Beitrag selbst entrichte. Ausreichend sei die Zahlung durch Dritte auf Rechnung der herangezogenen Person ("Fürzahler"), wobei es sich dann nach dem objektiven Empfängerhorizont um die Tilgung der Beitragsschuld der herangezogenen Person handele.

7 Auf das Rechtsverhältnis der in Mehrpersonenhaushalten lebenden Personen untereinander komme es nicht an. Es sei unerheblich, ob im Innenverhältnis Ausgleichsansprüche gemäß § 426 Abs. 1 BGB bestünden. Diese wirkten sich nicht auf die Frage aus, wer der Beitragspflicht nachkomme. Die gegenteilige Ansicht übersehe die Bedeutungsgleichheit von "nachkommen", "entrichten" und "herangezogen werden". Die Bezugnahme in der Überleitungsregelung auf § 2 Abs. 3 RBStV müsse so verstanden werden, dass sie sich nur auf einen gesamtschuldnerisch haftenden Beitragsschuldner beziehe, auf dessen Rechnung der Rundfunkbeitrag für die angemeldete Hauptwohnung entrichtet werde.

8 Hierfür sprächen auch Sinn und Zweck der Überleitungsregelung, die eine gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßende Belastung von Zweitwohnungsinhabern mit einem weiteren Rundfunkbeitrag abzuwenden suche. Der dem Vorteilsausgleich und der Kostendeckung für eine Inanspruchnahme öffentlicher Einrichtungen dienende Beitrag werde für die Möglichkeit erhoben, öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu empfangen. Wenn der Rundfunkbeitrag auf Rechnung des einen Ehegatten für die Hauptwohnung entrichtet werde, schöpfe dies allein bei ihm den Vorteil der Empfangsmöglichkeit in jener Wohnung ab. Entrichte der andere Ehepartner den Beitrag für die Nebenwohnung auf seine Rechnung, werde wiederum nur bei diesem der Vorteil abgeschöpft, dort öffentlichen Rundfunk zu empfangen. Deswegen fehle es an einer - verfassungswidrigen - mehrfachen Abschöpfung desselben Vorteils.

9 Zwar führe die Entrichtung eines Rundfunkbeitrags durch einen Beitragspflichtigen eines Mehrpersonenhaushalts im Außenverhältnis zur Rundfunkanstalt zum Erlöschen der Beitragspflicht der übrigen gemäß § 2 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 RBStV i. V. m. § 44 AO gesamtschuldnerisch haftenden Haushaltsmitglieder (§ 44 Abs. 2 Satz 1 AO). Es sei unerheblich, welcher Bewohner als Beitragsschuldner angemeldet sei, weil jeder bis zur vollständigen Bezahlung den Beitrag schulde. Da aber die Rundfunkanstalt erst nach erfolgloser Inanspruchnahme des angemeldeten Beitragsschuldners weitere Inhaber heranziehen dürfe, hätten die nicht leistenden Gesamtschuldner den Vorteil der Rundfunkempfangsmöglichkeit im Außenverhältnis unentgeltlich. Dieses Verständnis werde im Übrigen von § 4a RBStV n. F. bestätigt und sei mit Art. 6 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar.

10 Ferner sei der Beitragsfestsetzungsbescheid des Beklagten vom 2. Oktober 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Juni 2019 rechtmäßig. Der Kläger habe für den Zeitraum vom 1. Juli bis zum 30. September 2018 die für diesen Zeitraum fälligen Rundfunkbeiträge in Höhe von 52,50 € sowie - mangels rechtzeitiger Zahlung - auch den Säumniszuschlag in Höhe von 8 € geschuldet. Er sei nicht von der Rundfunkbeitragspflicht befreit gewesen, ihm habe auch kein Anspruch auf Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht zugestanden.

11 Mit der vom Oberverwaltungsgericht zugelassenen Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Das berufungsgerichtliche Verständnis der Übergangsregelung im Tenor des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 2018 - 1 BvR 1675/16 u. a. - sei fehlerhaft. Er, der Kläger, komme seiner Rundfunkbeitragspflicht über seine Ehefrau nach und entrichte so den Rundfunkbeitrag für die Hauptwohnung. Darauf, wer die Wohnung bei dem Beklagten angemeldet habe, komme es nicht an. Er sei als Wohnungsinhaber für die Hauptwohnung zusammen mit seiner Ehefrau Beitragsschuldner in Gesamtschuld und werde deshalb mit einem vollen Rundfunkbeitrag für die Hauptwohnung sowie einem weiteren Beitrag für die Nebenwohnung "belastet". Zum Rundfunkbeitrag werde er somit mehrfach herangezogen. Das Bundesverfassungsgericht differenziere nicht, welcher der Bewohner den Beitrag entrichte. Der Rundfunkbeitrag werde wohnungsbezogen erhoben und sei als abstrakt zu bestimmender personenbezogener Vorteil für alle Wohnungsinhaber als Adressaten des Rundfunkangebotes gleich. Das Innehaben einer Nebenwohnung erhöhe diesen Vorteil nicht, und zwar unabhängig von der Zahl der in der Wohnung lebenden Personen. Das Berufungsurteil verletze Art. 3 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 GG. Es sei Eheleuten überlassen, wer den Rundfunkbeitrag entrichte.

12 Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 27. Mai 2021 abzuändern und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 17. März 2020 zurückzuweisen.

13 Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

14 Er verteidigt das Berufungsurteil und führt ergänzend aus: Nach den Entscheidungsgründen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 2018 liege eine doppelte Inanspruchnahme nur vor, wenn dieselbe Person mehrfach zur Zahlung des Rundfunkbeitrags herangezogen werde. Dem stehe der vom Kläger verwendete Begriff der Belastung gleich. Die Ehefrau des Klägers sei Beitragsschuldnerin für die Hauptwohnung. Ihre Zahlung wirke nur als Erfüllung der gegen sie gerichteten Forderung und habe für den Kläger lediglich schuldbefreiende Wirkung. Da der Kläger für die Wohnung in D. keinen Rundfunkbeitrag leiste, führe § 2 Abs. 3 Satz 1 RBStV in Bezug auf die vom Kläger genutzte Zweitwohnung in O. zu keiner weiteren Entlastung. Soweit das Bundesverfassungsgericht von einer wohnungsbezogenen Erhebung des Rundfunkbeitrags spreche, meine dies nur, dass der Rundfunkbeitrag nicht "pro Kopf" erhoben werde, sondern die typisierende Erfassung des mit dem Rundfunkbeitrag abzugeltenden Vorteils an das Innehaben einer Wohnung anknüpfe. Art. 3 Abs. 1 GG sei nicht verletzt, weil der Kläger und seine Ehefrau auch getrennt voneinander jeweils in der Haupt- und der Nebenwohnung öffentlich-rechtlichen Rundfunk empfangen könnten. Auch eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 GG liege nicht vor, Eheleute würden gegenüber anderen Mehrpersonenhaushalten nicht benachteiligt. § 4a RBStV n. F. diene nicht der Beseitigung von Benachteiligungen von Ehepartnern, sondern setze das Fördergebot aus Art. 6 Abs. 1 GG um.

II

15 Die zulässige Revision des Klägers ist überwiegend begründet. Zu Recht hat das Berufungsgericht die auf Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht gerichtete Verpflichtungsklage sowie die gegen den Festsetzungsbescheid erhobene Anfechtungsklage als zulässig angesehen (1.). Das angefochtene Urteil beruht jedoch auf einer Verletzung revisiblen Rechts im Sinne des § 137 Abs. 1 VwGO, soweit es die Verpflichtungsklage als unbegründet erachtet hat (2.). Demgegenüber hat das Anfechtungsbegehren des Klägers in der Sache keinen Erfolg. Insoweit ist die Revision unbegründet und nach § 144 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen (3.).

16 1. Der Kläger macht in gemäß § 44 VwGO zulässiger objektiver Klagehäufung zwei Begehren gegen die beklagte Rundfunkanstalt geltend: Soweit es ihm auf die Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht für seine Zweitwohnung ankommt, handelt es sich um eine statthafte und auch sonst zulässige Verpflichtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO). Die Befreiung ist ihm gegenüber mit Schreiben des Beitragsservice von ARD, ZDF und Deutschlandradio vom 1. Oktober 2018 abgelehnt worden. Infolge des Widerspruchsbescheides des Beklagten vom 17. Juni 2019 ist jenes Schreiben als Verwaltungsakt anzusehen, weil es darin mehrfach als "Bescheid" bezeichnet und überdies der Widerspruch nicht als unstatthaft, sondern als unbegründet zurückgewiesen worden ist. Der Beklagte hat das Schreiben damit selbst als Bescheid aufgefasst. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann ein Widerspruchsbescheid eine schlichte Willenserklärung in einen Verwaltungsakt umgestalten (vgl. BVerwG, Urteile vom 26. Juni 1987 - 8 C 21.86 - BVerwGE 78, 3 <4 f.>, vom 15. Dezember 1993 - 10 A 1.91 - Buchholz 232 § 87 BBG Nr. 65 S. 6, vom 19. Dezember 1995 - 10 A 1.94 - BVerwGE 100, 206 <207 f.> und vom 23. August 2011 - 9 C 2.11 - BVerwGE 140, 245 Rn. 20). Daneben begehrt der Kläger die Aufhebung des Festsetzungsbescheides vom 2. Oktober 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Juni 2019. Insoweit ist die Anfechtungsklage zulässig (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO).

17 2. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht die Verpflichtungsklage des Klägers als unbegründet angesehen. Die Ablehnung der Befreiung durch den Bescheid des Beklagten vom 1. Oktober 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Juni 2019 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Der Kläger hat einen Anspruch auf Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht für seine Zweitwohnung in O. im Zeitraum vom 20. Juli 2018 bis zum 31. Oktober 2019. Dies hat bereits das Verwaltungsgericht im Ergebnis zutreffend erkannt. Der gegenteiligen Würdigung des Berufungsgerichts liegt ein zu enges Verständnis der - nach § 13 RBStV revisibles Recht betreffenden - Übergangsregelung im Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 2018 - 1 BvR 1675/16 u. a. - zugrunde. Hierauf beruht das angefochtene Urteil (§ 137 Abs. 1 VwGO).

18 Nach ständiger Rechtsprechung des Senats bestimmen Beginn und Ende der Beitragspflicht gemäß § 2 Abs. 1 und 2 Satz 1 RBStV den maßgeblichen Zeitpunkt für die Sach- und Rechtslage bei Rundfunkbeitragsbescheiden (BVerwG, Urteil vom 30. Oktober 2019 - 6 C 10.18 - BVerwGE 167, 20 Rn. 10 m. w. N.). Das ist hier der Zeitraum vom 20. Juli 2018 bis zum 31. Oktober 2019. Entscheidend sind danach die Vorschriften des Rundfunkbeitragsstaatsvertrags vom 15. Dezember 2010 (SächsGVBl. 2011 S. 640 ff. und 2012 S. 62) in der Fassung des 21. Rundfunkänderungsstaatsvertrags (SächsGVBl. 2018 S. 159 ff. und S. 293), die vom 25. Mai 2018 bis zum 30. April 2019 galten, sowie des 22. Rundfunkänderungsstaatsvertrags (SächsGVBl. 2019 S. 211 ff. und S. 354), die zum 1. Mai 2019 in Kraft getreten sind - RBStV. Die danach anzuwendenden Bestimmungen des Rundfunkbeitragsstaatsvertrags enthalten keinen Befreiungstatbestand für Inhaber von Zweitwohnungen. Zutreffend hat das Berufungsgericht deshalb in der Übergangsregelung im Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 2018 - 1 BvR 1675/16 u. a. - (BVerfGE 149, 222) die einzig in Betracht kommende Anspruchsgrundlage für die vom Kläger begehrte Befreiung gesehen.

19 Das Bundesverfassungsgericht hat in diesem Urteil entschieden, dass die Zustimmungsgesetze und Zustimmungsbeschlüsse der Länder zu Art. 1 des 15. Staatsvertrags zur Änderung rundfunkrechtlicher Staatsverträge vom 15. Dezember 2010, soweit sie § 2 Abs. 1 RBStV in Landesrecht überführen, mit Art. 3 Abs. 1 GG insoweit unvereinbar sind, als Inhaber mehrerer Wohnungen über den Beitrag für eine Wohnung hinaus zur Leistung von Rundfunkbeiträgen herangezogen werden. Der Rundfunkbeitrag, der den Vorteil der individuellen Nutzungsmöglichkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks abgelte, werde zwar in grundsätzlich nicht zu beanstandender Weise anknüpfend an die Wohnungsinhaberschaft erhoben. Die dabei entstehenden Ungleichheiten erreichten nicht eine solche Qualität oder ein solches Ausmaß, dass sie verfassungsrechtlich zu beanstanden wären. Allerdings verstoße die Beitragsbemessung insoweit gegen den Grundsatz der Belastungsgleichheit, als ein Rundfunkbeitrag auch für die Inhaberschaft von Zweitwohnungen erhoben werde. Soweit Wohnungsinhaber nach dem zur Prüfung gestellten Regelungsgefüge für eine Wohnung schon zur Leistung eines Rundfunkbeitrags herangezogen worden seien, sei der Vorteil bereits abgegolten. Dieselbe Person dürfe für die Möglichkeit der privaten Rundfunknutzung nicht zu insgesamt mehr als einem vollen Beitrag herangezogen werden (BVerfG, Urteil vom 18. Juli 2018 - 1 BvR 1675/16 u. a. - BVerfGE 149, 222 Rn. 73 ff.).

20 Gleichwohl hat das Bundesverfassungsgericht angeordnet, dass das geltende Rundfunkbeitragsrecht vorübergehend fortgelten soll, allerdings in modifizierter Weise: Das bisherige Recht ist bis zu einer Neuregelung mit der Maßgabe weiter anwendbar, dass ab dem Tag der Verkündung jenes Urteils bis zum Inkrafttreten einer Neuregelung diejenigen Personen, die nachweislich als Inhaber einer Wohnung ihrer Rundfunkbeitragspflicht nach § 2 Abs. 1 und 3 RBStV nachkommen, auf Antrag von einer Beitragspflicht für weitere Wohnungen zu befreien sind. Ist über Rechtsbehelfe noch nicht abschließend entschieden, kann ein solcher Antrag rückwirkend für den Zeitraum gestellt werden, der Gegenstand des jeweils angegriffenen Festsetzungsbescheides ist. Die Gesetzgeber hat es verpflichtet, spätestens zum 30. Juni 2020 eine Neuregelung zu treffen (BVerfG, Urteil vom 18. Juli 2018 - 1 BvR 1675/16 u. a. - BVerfGE 149, 222 <224 im Tenor zu 2 und 3>).

21 Bei dieser Übergangsregelung handelt es sich um eine modifizierte Fortgeltungsanordnung, die das Bundesverfassungsgericht - obschon im Urteil nicht ausdrücklich so bezeichnet - auf der Grundlage von § 35 BVerfGG getroffen hat. Ihr kommt gemäß § 31 BVerfGG Bindungswirkung zu (a.). Der Inhalt der übergangsweise geltenden Regelung ist aus dem Urteil selbst zu bestimmen (b.). Ausgehend hiervon erweist sich die Annahme des Berufungsgerichts, die Anordnung gewähre einem Ehepartner, der eine Nebenwohnung innehat, keinen Anspruch auf Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht, wenn der andere Ehegatte den Rundfunkbeitrag für die gemeinsam bewohnte Hauptwohnung entrichte, als fehlerhaft. Vielmehr sind Inhaber weiterer Wohnungen auf Antrag von der Rundfunkbeitragspflicht zu befreien, ohne dass es darauf ankommt, auf welchen Namen das Beitragskonto einer von mehreren Wohnungsinhabern bewohnten Hauptwohnung bei der Rundfunkanstalt geführt wird (c.).

22 a. Das Bundesverfassungsgericht hat auf der Grundlage von § 35 BVerfGG die Befugnis, für eine Übergangszeit die Weitergeltung einer für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärten Norm - auch mit inhaltlichen Modifizierungen - anzuordnen. Es trifft von Amts wegen, somit unabhängig von Anträgen oder Anregungen, alle Anordnungen, die erforderlich sind, um seinen ein Verfahren abschließenden Sachentscheidungen Geltung zu verschaffen (BVerfG, Beschluss vom 21. März 1957 - 1 BvB 2/51 - BVerfGE 6, 300 <303>). Das Gericht ist insbesondere befugt, über die bloße Anordnung der Fortgeltung eines als verfassungswidrig erkannten Rechts hinaus die materielle Rechtslage jenseits einer kassatorischen Entscheidung übergangsweise positiv gestaltend zu regeln (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 5. März 1991 - 1 BvL 83/86, 24/88 - BVerfGE 84, 9 <21 ff.> und vom 24. Mai 1995 - 2 BvF 1/92 - BVerfGE 93, 37 <85>; Urteil vom 30. Juli 2008 - 1 BvR 3262/07 u. a. - BVerfGE 121, 317 <376 ff.>; Heusch, in: Burkiczak/Dollinger/Schorkopf, BVerfGG, 2. Aufl. 2022, § 31 Rn. 82; Burkiczak, in: ebd., § 35 Rn. 18 m. w. N.). Hiervon hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 18. Juli 2018 Gebrauch gemacht, indem es die um einen Befreiungstatbestand ergänzte befristete Fortgeltung der rundfunkbeitragsrechtlichen Regelungen angeordnet hat. Die bundesverfassungsgerichtliche Übergangsregelung entfaltet gemäß § 31 BVerfGG eine über den Einzelfall hinausgehende Bindungswirkung für alle Behörden und Gerichte (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 2006 - 6 A 3.05 - Buchholz 452.00 § 14 VAG Nr. 5 Rn. 26).

23 b. Der Inhalt einer Übergangsregelung ist aus dem bundesverfassungsgerichtlichen Urteil selbst zu bestimmen. Denn eine Vollstreckungsanordnung nach § 35 BVerfGG bleibt ein Akt der Rechtsprechung und wird nicht selbst zu einem Gesetz (vgl. Heusch, in: Burkiczak/Dollinger/Schorkopf, BVerfGG, 2. Aufl. 2022, § 31 Rn. 73). Die Heranziehung der für Rechtsnormen geltenden Auslegungsregeln kommt deswegen nicht in Betracht. Vielmehr sind Art, Maß und Inhalt einer Vollstreckungsanordnung abhängig vom Inhalt der zu vollstreckenden
Sachentscheidung sowie von den konkreten Verhältnissen, unter denen diese umzusetzen ist (BVerfG, Beschlüsse vom 21. März 1957 - 1 BvB 2/51 - BVerfGE 6, 300 <303 f.> und vom 29. April 2021 - 2 BvR 1651/15, 2006/15 - BVerfGE 158, 89 Rn. 76).

24 Auch wenn eine Vollstreckungsanordnung ausschließlich auf die Durchsetzung der Sachentscheidung ausgerichtet ist und dadurch begrenzt wird (BVerfG, Beschlüsse vom 21. März 1957 - 1 BvB 2/51 - BVerfGE 6, 300 <303 f.> und vom 29. April 2021 - 2 BvR 1651/15, 2006/15 - BVerfGE 158, 89 Rn. 77 m. w. N.), schließt dies Pauschalierungen des Bundesverfassungsgerichts bei der Schaffung von Übergangsregelungen nicht aus. Eine typisierende Betrachtung ist dem Bundesverfassungsgericht im Rahmen des § 35 BVerfGG nicht verwehrt (vgl. BVerfG, Urteil vom 30. Juli 2008 - 1 BvR 3262/07 u. a. - BVerfGE 121, 317 <376 f.>). Dem Bundesverfassungsgericht ist auch unbenommen, bei der Schaffung einer Übergangsregelung an maßstabsbildende Entscheidungen des Gesetzgebers in ähnlichen Fallgestaltungen anzuknüpfen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. November 1998 - 2 BvL 26/91 u. a. - BVerfGE 99, 300 <304, 321 f., 331 f.> m. w. N.; BVerwG, Urteil vom 22. März 2018 - 2 C 20.16 - BVerwGE 161, 297 Rn. 23 ff.). Eine pauschalierende Übergangsregelung gewährleistet umfassend, den festgestellten Verfassungsverstoß zu vermeiden. Hinzu kommt weiter, dass Verwaltungspraktikabilitätserwägungen in dem Zeitraum bis zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber Rechnung getragen werden kann, wenn eine Zwischenregelung mit geringerem Verwaltungsaufwand umzusetzen ist. Überdies reduziert eine für die Verwaltung handhabbare und für die Bürger überschaubare Übergangslösung auch die Wahrscheinlichkeit, dass es in dem Interimszeitraum zu Fehlentscheidungen kommt, die den Anlass für neue Rechtsstreitigkeiten bieten könnten. Der daraus resultierende Übergriff auf den Kompetenzbereich des Gesetzgebers ist hinnehmbar, wenn die Übergangsregelungen - dem Verhältnismäßigkeitsprinzip folgend - erforderlich sind, namentlich um einen sonst drohenden noch verfassungswidrigeren Zustand abzuwenden (Burmeister, in: Barczak, BVerfGG, 2018, § 35 Rn. 13). Zudem wird der Übergriff dadurch abgemildert, dass das Bundesverfassungsgericht die Vollstreckungsanordnung unter größtmöglicher Schonung des aktuellen gesetzgeberischen Willens trifft und dessen Regelungskonzept so weit als möglich erhält (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. Mai 1995 - 2 BvF 1/92 - BVerfGE 93, 37 <85> und Urteil vom 30. Juli 2008 - 1 BvR 3262/07 u. a. - BVerfGE 121, 317 <376> m. w. N.).

25 c. In Anwendung dieses Maßstabs zur Bestimmung des Inhalts einer vom Bundesverfassungsgericht getroffenen Anordnung erweist sich das berufungsgerichtliche Verständnis des Befreiungstatbestandes im Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 2018 - 1 BvR 1675/16 u. a. - als zu eng. Inhaber mehrerer Wohnungen sind aufgrund dieser Übergangsregelung auf Antrag von der Rundfunkbeitragspflicht zu befreien. Unerheblich ist hierfür, auf welchen Namen das Beitragskonto einer von mehreren Wohnungsinhabern bewohnten Hauptwohnung bei der Rundfunkanstalt geführt wird. Die verfassungsgerichtliche Übergangsregelung ist wegen ihres Wortlauts (aa.) und aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität (bb.) weit zu verstehen. Darüber hinaus hängt es oftmals vom Zufall ab, wer bei mehreren Wohnungsinhabern der Anzeigepflicht des § 8 Abs. 1 Satz 1 RBStV nachkommt, deren Erfüllung durch einen Beitragsschuldner gemäß § 8 Abs. 3 RBStV auch für die übrigen Beitragsschuldner der Wohnung wirkt (cc.). Wird ein weites Verständnis zugrundegelegt, gewährleistet die Übergangsregelung umfassend, dass Inhaber mehrerer Wohnungen nicht über einen vollen Beitrag hinaus in Anspruch genommen werden und damit der vom Bundesverfassungsgericht festgestellte Verstoß gegen den aus Art. 3 Abs. 1 GG abgeleiteten Grundsatz der Belastungsgleichheit vermieden wird.

26 Hiervon unberührt bleibt der Gestaltungsspielraum der Gesetzgeber bei einer Neuregelung, die diese mit den Änderungen des 23. Rundfunkänderungsstaatsvertrags zum 1. Juni 2020 in § 4a RBStV n. F. getroffen haben (SächsGVBl. 2020 S. 195 ff. und S. 329).

27 aa. Nach dem Wortlaut der Übergangsregelung sind diejenigen Personen auf Antrag von einer Beitragspflicht für weitere Wohnungen zu befreien, die nachweislich als Inhaber einer Wohnung ihrer Rundfunkbeitragspflicht nach § 2 Abs. 1 und 3 RBStV nachkommen. Das Verb "nachkommen" wird in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht näher erläutert. Nach seinem Wortsinn beschreibt "nachkommen" die Erfüllung oder Vollziehung desjenigen, was ein anderer von einem wünscht oder verlangt (Duden, Deutsches Universalwörterbuch, 9. Aufl. 2019). Das Gewünschte oder Verlangte wird in der übergangsweise geltenden Regelung klar bezeichnet: Es ist die "Rundfunkbeitragspflicht nach § 2 Absatz 1 und 3 des Rundfunkbeitragsstaatsvertrags", der nachweislich nachgekommen werden muss. Das Verb "nachkommen" wird allein auf die in § 2 Abs. 1 und 3 RBStV normierte Beitragspflicht bezogen.

28 Nach § 2 Abs. 1 RBStV ist im privaten Bereich für jede Wohnung von deren Inhaber (Beitragsschuldner) ein Rundfunkbeitrag zu entrichten. § 2 Abs. 3 Satz 1 RBStV bestimmt, dass mehrere Beitragsschuldner als Gesamtschuldner entsprechend § 44 der Abgabenordnung - AO - haften. Jeder schuldet den Rundfunkbeitrag in voller Höhe. Dieser ist insgesamt aber nur einmal zu bezahlen, weil jede Zahlung auch für die übrigen Beitragsschuldner wirkt (sogenannte Erfüllungswirkung, § 44 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 1 AO). Mit diesem Regelungssystem hat das Bundesverfassungsgericht die von ihm statuierte Befreiungsregelung verknüpft. Dagegen lassen seine Ausführungen nicht erkennen, dass es für die Inanspruchnahme der Befreiungsregelung für weitere Wohnungen auf die Frage ankommt, welcher Beitragsschuldner sich in einer von mehreren gemeinsam bewohnten Hauptwohnung bei der Rundfunkanstalt nach § 8 RBStV angemeldet hat.

29 Die Inbezugnahme des § 2 Abs. 3 RBStV lässt - anders als das Berufungsgericht meint - erkennen, dass das Bundesverfassungsgericht seine Übergangsregelung auch für Mehrpersonenhaushalte getroffen hat. Der konkrete Fall einer Einzelperson, die Inhaber einer Haupt- und einer Nebenwohnung ist, bot für die Nennung des § 2 Abs. 3 RBStV keinen Anlass. Die Verweisung auf § 2 Abs. 3 RBStV in der Übergangsregelung ist daher so zu verstehen, dass es dem Bundesverfassungsgericht insbesondere auch auf die Erfüllungswirkung im Gesamtschuldverhältnis ankam. Sie tritt unmittelbar mit der Erfüllung der Beitragsschuld durch einen Schuldner ein (vgl. § 44 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 1 AO). In Mehrpersonenhaushalten kommen die verschiedenen Beitragsschuldner ihrer jeweils bestehenden Beitragspflicht schon dadurch nach, indem sie dafür Sorge tragen, dass einer von ihnen die für die Wohnung geschuldete Beitragsschuld erfüllt. Mehr verlangt das Regelungsregime des § 2 Abs. 1 und 3 RBStV nicht von ihnen.

30 bb. Das nach dem Wortlaut der von dem Bundesverfassungsgericht getroffenen Anordnung naheliegende Verständnis wird durch Gründe der Verwaltungspraktikabilität gestützt.

31 Das Bundesverfassungsgericht hat ausgeführt, die Gesetzgeber könnten bei einer Neuregelung die gleichheitswidrige Beitragsbelastung von Inhabern mehrerer Wohnungen dadurch beseitigen, dass sie eine antragsgebundene Befreiung von der Beitragspflicht vorsähen oder auf andere Weise sicherstellten, dass Beitragspflichtige nicht mit insgesamt mehr als einem vollen Rundfunkbeitrag belastet würden, etwa durch eine Beschränkung der Beitragspflicht auf Erstwohnungen. In der erstgenannten Hinsicht stünden den Gesetzgebern zwei Modelle zur Verfügung. Sie könnten die Befreiung von einem Nachweis der Anmeldung von Erst- und Zweitwohnung als solche abhängig machen, um Verwaltungsschwierigkeiten zu vermeiden. Sie könnten sich aber auch im Sinne einer engeren Lösung dahingehend verständigen, für solche Zweitwohnungsinhaber von einer Befreiung abzusehen, die die Entrichtung eines vollen Rundfunkbeitrags für die Erstwohnung durch sie selbst nicht nachwiesen. Für die von ihm getroffene Anordnung ist das Bundesverfassungsgericht von einer antragsgebundenen Befreiung ausgegangen (BVerfG, Urteil vom 18. Juli 2018 - 1 BvR 1675/16 u. a. - BVerfGE 149, 222 Rn. 111, 155). Es drängt sich auf, dass es dabei dasjenige Modell im Blick gehabt hat, das in der Übergangszeit Verwaltungsschwierigkeiten vermeidet, weil nicht geprüft werden muss, durch wen der Beitrag für die Hauptwohnung gezahlt wird.

32 cc. Darüber hinaus kommt für das Verständnis der vom Bundesverfassungsgericht geschaffenen Übergangsregelung auch dem Umstand Bedeutung zu, dass es oftmals vom Zufall abhängt, wer bei mehreren Wohnungsinhabern der Anzeigepflicht des § 8 Abs. 1 Satz 1 RBStV nachkommt, deren Erfüllung durch einen Beitragsschuldner gemäß § 8 Abs. 3 RBStV auch für die übrigen Beitragsschuldner der Wohnung wirkt. Denn es war bislang - abgesehen von Befreiungen und Ermäßigungen nach § 4 Abs. 1 und 2 RBStV, die sich auf bestimmte weitere Wohnungsinhaber erstrecken (§ 4 Abs. 3 RBStV) – rechtlich unerheblich, auf welchen Namen das Beitragskonto bei der Rundfunkanstalt geführt wird. Im Zusammenhang mit der Umstellung des Rundfunkgebührenrechts auf das Rundfunkbeitragsrecht im Jahre 2013 sind in großem Umfang frühere Gebührenkonten der Gebühreneinzugszentrale ohne inhaltliche Änderungen als Beitragskonten fortgeführt worden (vgl. § 14 Abs. 3 RBStV). In dem Massengeschäft des Rundfunkbeitragsrechts kam dem Umstand, wer von mehreren Bewohnern einer Wohnung nach außen gegenüber der Rundfunkanstalt auftritt, keine Bedeutung zu. Vor diesem Hintergrund wäre anzunehmen gewesen, dass das Bundesverfassungsgericht deutlich zu erkennen gegeben hätte, wenn diesem formalen Umstand bei der Übergangsregelung ausschlaggebendes Gewicht beizumessen wäre. Hierfür gibt es im Urteil keine Anhaltspunkte.

33 Soweit die Vertreter des Beklagten im Termin zur mündlichen Verhandlung erklärt haben, (auch) denjenigen Nebenwohnungsinhabern die Befreiung gewährt zu haben, die zumindest nach Erlass des Urteils des Bundesverfassungsgerichts eine Ummeldung des Beitragskontos der gemeinsam mit anderen bewohnten Hauptwohnung auf ihren Namen veranlasst hätten, führt auch dies nicht zu einer anderen Bewertung. Vielmehr verstärken sich die aufgezeigten Bedenken, weil ein solches Verständnis der Übergangsregelung dazu führen würde, dass die Gewährung der Befreiung allein davon abhängig gemacht würde, ob zumindest nach Erlass des Urteils von dieser formalen Gestaltungsmöglichkeit Gebrauch gemacht worden ist. Es erscheint ausgeschlossen, dass das Bundesverfassungsgericht ein solches Verständnis seiner Übergangsregelung beabsichtigt hat.

34 Der inzwischen geltende Befreiungstatbestand in § 4a RBStV n. F., mit dem der Gesetzgeber für die Rechtslage ab dem 1. Juni 2020 von seinem Gestaltungsspielraum Gebrauch gemacht hat, gibt für die Deutung der zuvor geltenden bundesverfassungsgerichtlichen Befreiungsregelung nichts her.

35 Das Urteil kann insoweit auch nicht nach § 144 Abs. 4 VwGO auf Grund anderer Erwägungen aufrecht erhalten bleiben. Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden (vgl. § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO). Nach den nicht angegriffenen tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts ist die Ehefrau des Klägers im streitgegenständlichen Zeitraum vom 20. Juli 2018 bis zum 31. Oktober 2019 der Rundfunkbeitragspflicht für die gemeinsame Hauptwohnung in D. nachgekommen. Der Kläger erfüllt daher in Bezug auf seine Nebenwohnung in O. für diesen Zeitraum die tatbestandlichen Voraussetzungen der richterrechtlichen Befreiungsregelung. Er ist vom Beklagten insoweit von der Rundfunkbeitragspflicht zu befreien.

36 3. Hingegen ist die Anfechtungsklage unbegründet. Der Beitragsfestsetzungsbescheid des Beklagten vom 2. Oktober 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Juni 2019 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

37 Ermächtigungsgrundlage für die Festsetzung des Rundfunkbeitrags im Zeitraum vom 1. Juli bis zum 30. September 2018 sind § 2 Abs. 1, § 7 Abs. 3 Satz 1 und 2 i. V. m. § 10 Abs. 5 Satz 1 und Abs. 6 Satz 1 RBStV. Nach § 2 Abs. 1 RBStV ist im privaten Bereich für jede Wohnung von deren Inhaber (Beitragsschuldner) ein Rundfunkbeitrag zu entrichten. Gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 RBStV ist Inhaber einer Wohnung jede volljährige Person, die die Wohnung selbst bewohnt. Nach Satz 2 wird als Inhaber jede Person vermutet, die dort nach dem Melderecht gemeldet oder im Mietvertrag für die Wohnung als Mieter genannt ist. Der Rundfunkbeitrag ist monatlich geschuldet und für jeweils drei Monate zu leisten (§ 7 Abs. 3 Satz 1 und 2 RBStV). Rückständige Beiträge werden durch die zuständige Landesrundfunkanstalt festgesetzt; die Festsetzungsbescheide werden im Verwaltungsvollstreckungsverfahren vollstreckt (§ 10 Abs. 5 Satz 1 und Abs. 6 Satz 1 RBStV). Der Beklagte hat Änderungen der maßgeblichen Sach- und Rechtslage (nur) bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens zu berücksichtigen. Dies gilt insbesondere für Befreiungen von der Rundfunkbeitragspflicht, die auf Antrag des Beitragsschuldners nach Erlass des Festsetzungsbescheides und vor Abschluss des Widerspruchsverfahrens erteilt werden (BVerwG, Urteil vom 30. Oktober 2019 - 6 C 10.18 - BVerwGE 167, 20 Rn. 10).

38 Die Voraussetzungen für die Beitragspflicht des Klägers im Zeitraum von 1. Juli bis zum 30. September 2018 lagen vor. Er war als Inhaber seiner Nebenwohnung Beitragsschuldner (§ 2 Abs. 1 und 2 Satz 1 RBStV). Der Rundfunkbeitrag betrug im maßgeblichen Zeitraum monatlich 17,50 €. Die festgesetzten Beiträge für die drei Monate i. H. v. insgesamt 52,50 € waren rückständig (§ 10 Abs. 5 Satz 1 RBStV). Der Kläger war auch nicht aufgrund eines von dem Beklagten vor Abschluss des Verwaltungsverfahrens erlassenen Bescheides von der Beitragspflicht befreit.

39 Unerheblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Beitragsfestsetzung ist, ob dem Kläger nach der letzten Verwaltungsentscheidung über die Festsetzung ein Anspruch auf Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht zuerkannt wird. Erstreckt sich in diesem Fall die Befreiung rückwirkend ganz oder teilweise auf den Zeitraum des Beitragsfestsetzungsbescheides, wird die ursprünglich rechtmäßige Festsetzung rückständiger Rundfunkbeiträge unrichtig, weil eine Befreiung die Beitragspflicht für den von ihr erfassten Zeitraum entfallen lässt. Der Festsetzungsbescheid wird im Umfang der zeitlichen Übereinstimmung von Festsetzung und Befreiung rechtswidrig, so dass er insoweit von der Rundfunkanstalt aufzuheben ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Oktober 2019 - 6 C 10.18 - BVerwGE 167, 20 Rn. 13 m. w. N.). Mit der Erteilung der Befreiung ist der Beklagte deshalb verpflichtet, den Festsetzungsbescheid des Klägers aufzuheben.

40 Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 VwGO.