Verfahrensinformation

Anforderungen an die Kausalität zwischen Krankheit und mangelnder Sicherung des Lebensunterhalts


Die Kläger, zwei miteinander verheiratete serbische Staatsangehörige, halten sich seit dem Jahr 1995 im Bundesgebiet auf. Die Klägerin des Verfahrens BVerwG 1 C 17.24 begehrt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach Abschnitt 5 des Kapitels 2 des Aufenthaltsgesetzes für einen zurückliegenden Zeitraum. Gemeinsam mit ihrem Ehemann sucht sie zudem in dem Verfahren BVerwG 1 C 16.24 um die Erteilung von Niederlassungserlaubnissen nach.


Mit den in den Revisionsverfahren angegriffenen Urteilen hat das Oberverwaltungsgericht den Beklagten verpflichtet, der Klägerin rückwirkend eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25b Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 bis 5 AufenthG zu erteilen und über den Antrag der Klägerin auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 Satz 1 und 2 AufenthG neu zu entscheiden, eine Verpflichtung des Beklagten, dem Kläger eine Niederlassungserlaubnis zu erteilen, hingegen abgelehnt.


Gegenstand der gegen diese Urteile eingelegten Revisionen sind unter anderem die Anforderungen an das in § 25b Abs. 3 und § 9 Abs. 2 Satz 3 AufenthG verankerte Kausalitätskriterium. Danach ist unter anderem von dem Erfordernis der Lebensunterhaltssicherung abzusehen, wenn der Ausländer dieses wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung nicht erfüllen kann. Das Bundesverwaltungsgericht wird zu klären haben, ob in der Vergangenheit liegende weitere (Mit-)Ursachen für die mangelnde Lebensunterhaltssicherung die Anwendung der Ausnahmeregelung auszuschließen vermögen oder es, wie es das Oberverwaltungsgericht entschieden hat, hinreichend ist, dass der Ausländer die Voraussetzung der Lebensunterhaltssicherung im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung nicht erfüllen kann.


Pressemitteilung Nr. 67/2025 vom 25.09.2025

Keine Einbeziehung weiterer Ursachen bei der Beurteilung der Unmöglichkeit der überwiegenden Lebensunterhaltssicherung wegen Krankheit

Ist von der Voraussetzung der überwiegenden Sicherung des Lebensunterhalts für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG wegen einer Erkrankung des Ausländers abzusehen, kommt es nicht darauf an, dass er den Lebensunterhalt auch aus anderen Gründen nicht sichern kann. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute entschieden.


Die Klägerin, eine serbische Staatsangehörige, ist vollständig und dauerhaft erwerbsgemindert. Ihren Antrag auf Verlängerung ihrer humanitären Aufenthaltserlaubnis nach § 25b Abs. 4 i. V. m. Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 bis 5 AufenthG für einen Zeitraum in der Vergangenheit hat der Beklagte abgelehnt. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen, da die mangelnde überwiegende Sicherung des Lebensunterhalts nicht maßgeblich auf die Erkrankung der Klägerin zurückzuführen sei. Das Oberverwaltungsgericht hat den Beklagten verpflichtet, der Klägerin eine Aufenthaltserlaubnis auf der genannten Grundlage zu erteilen. Der 1. Revisionssenat des Bundesverwaltungsgerichts hat der hiergegen eingelegten Revision des Beklagten stattgegeben.


Allerdings hat das Oberverwaltungsgericht im Einklang mit § 25b Abs. 4 Satz 2 i. V. m. Abs. 3 AufenthG festgestellt, dass von der Voraussetzung der überwiegenden Sicherung des Lebensunterhalts durch Erwerbstätigkeit im Sinne des § 25b Abs. 4 Satz 1 i. V. m. Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AufenthG abzusehen ist, wenn der Ausländer sie wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung oder aus Altersgründen nicht erfüllen kann. Die Kausalität im Sinne des § 25b Abs. 3 AufenthG ist nicht im Rahmen einer Gesamtbetrachtung unter Einbeziehung weiterer Ursachen einer gegenwärtigen oder früheren Unfähigkeit zur Sicherung des Lebensunterhalts zu bestimmen; entscheidend ist allein, ob die Krankheit, Behinderung oder Altersgründe bezogen auf den maßgeblichen Erteilungszeitraum ursächlich dafür sind, dass der Ausländer seinen Lebensunterhalt nicht überwiegend durch Erwerbstätigkeit sichern kann. Dieses durch Wortlaut und Zweck des § 25b Abs. 3 AufenthG geprägte Normverständnis steht im Einklang mit der Auslegung, die die in weiten Teilen wortgleichen Bestimmungen des § 10 Abs. 6 Satz 1 StAG und des § 9 Abs. 2 Satz 6 AufenthG in der höchst- und obergerichtlichen Rechtsprechung erfahren haben.


Unter Verstoß gegen § 25b Abs. 4 Satz 1 i. V. m. Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AufenthG ist das Oberverwaltungsgericht indessen davon ausgegangen, dass sich der Beklagte an der vormaligen Annahme des Besitzes von Grundkenntnissen der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet in Bezug auf die Klägerin festhalten lassen muss. Da das Bundesverwaltungsgericht als Revisionsgericht an der Feststellung des Vorliegens dieser Regelintegrationsvoraussetzung oder eines Absehens hiervon gehindert ist, hat es das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.


BVerwG 1 C 17.24 - Urteil vom 25. September 2025

Vorinstanzen:

VG Oldenburg, VG 11 A 1056/19 - Urteil vom 05. Juni 2023 -

OVG Lüneburg, OVG 13 LC 166/23 - Urteil vom 30. Mai 2024 -