Verfahrensinformation

Die Klägerinnen der beiden Verfahren erbringen öffentlich zugängliche Internetzugangsdienste, die Klägerin in dem Verfahren BVerwG 6 C 13.18 außerdem Telefondienste für Endnutzer. Sie wenden sich gegen die ihnen durch § 113a Abs. 1 i.V.m. § 113b TKG in der Fassung des Gesetzes vom 10. Dezember 2015 (BGBI. I S. 2218 ff.) auferlegte Pflicht, ab dem 1. Juli 2017 Telekommunikationsverkehrsdaten ihrer Kunden auf Vorrat zu speichern.


Das Verwaltungsgericht hat auf die Klagen jeweils festgestellt, dass die Klägerinnen nicht verpflichtet sind, die in § 113b Abs. 3 TKG aufgeführten Telekommunikations-Verkehrsdaten ihrer Kunden, denen sie den Internetzugang vermitteln, zu speichern. In dem Verfahren BVerwG 6 C 13.18 hat das Verwaltungsgericht zusätzlich festgestellt, dass die dortige Klägerin nicht verpflichtet ist, die in § 113b Abs. 2 TKG genannten Telekommunikations-Verkehrsdaten ihrer Kunden zu speichern, denen sie den Zugang zu öffentlichen Telefondiensten vermittelt.


Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht jeweils ausgeführt, die Speicherpflicht verstoße gegen Unionsrecht und sei daher in den Fällen der Klägerinnen unanwendbar. Die grundsätzlichen Rechtsfragen zur Reichweite und zu den materiellrechtlichen Anforderungen des im vorliegenden Zusammenhang maßgeblichen Unionsrechts seien durch das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) vom 21. Dezember 2016 in den verbundenen Rechtssachen C-203/15 (Tele2 Sverige) und C-698/15 (Watson) geklärt. Danach stehe fest, dass die in § 113a Abs. 1 TKG i.V.m. § 113b TKG geregelte Pflicht zur Speicherung von Telekommunikationsverkehrsdaten mit Art. 15 Abs. 1 der Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation (Richtlinie 2002/58/EG) im Lichte der Grundrechte aus Art. 7, 8 und 11 sowie Art. 52 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EuGRCh) unvereinbar sei. Die Klägerinnen würden durch die ihnen auferlegte Speicherpflicht in ihrer durch Art. 16 EuGRCh garantierten unternehmerischen Freiheit verletzt.


Die Beklagte hat in beiden Verfahren die vom Verwaltungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassene Sprungrevision eingelegt. Sie macht u.a. geltend, der EuGH habe nicht die generelle Unzulässigkeit einer anlasslosen Speicherung von Verkehrsdaten festgestellt. Die Regelungen in § 113a i.V.m. § 113b TKG unterschieden sich hinsichtlich des Umfangs der Speicherpflichten und der Eingriffsintensität erheblich von den Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung in Schweden und Großbritannien, die Gegenstand der Entscheidung des EuGH waren. Die Speicherpflicht werde durch strikte Anforderungen an die Zugriffsbefugnisse der Strafverfolgungsbehörden ausgeglichen.


Pressemitteilung Nr. 66/2019 vom 25.09.2019

EuGH soll Vereinbarkeit der deutschen Regelung zur Vorratsdatenspeicherung mit dem Unionsrecht klären

Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat heute entschieden, dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) eine Frage zur Auslegung der Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation (Richtlinie 2002/58/EG) vorzulegen. Von der Klärung dieser Frage hängt die Anwendbarkeit der im Telekommunikationsgesetz enthaltenen Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung ab.


Die Klägerinnen der beiden Ausgangsverfahren erbringen öffentlich zugängliche Internetzugangsdienste bzw. Telefondienste für Endnutzer. Sie wenden sich gegen die ihnen durch § 113a Abs. 1 i.V.m. § 113b TKG in der Fassung des Gesetzes vom 10. Dezember 2015 auferlegte Pflicht, Telekommunikationsverkehrsdaten ihrer Kunden auf Vorrat zu speichern. Die für eine Dauer von zehn Wochen zu speichernden Daten umfassen u.a. die Rufnummern der beteiligten Anschlüsse, Beginn und Ende der Verbindung oder der Internetnutzung bzw. die Zeitpunkte der Versendung und des Empfangs einer Kurznachricht, zugewiesene Internetprotokoll-Adressen und Benutzerkennungen sowie Kennungen der Anschlüsse und Endgeräte. Für eine Dauer von vier Wochen zu speichern sind zudem Standortdaten, d.h. im Wesentlichen die Bezeichnung der bei Beginn der Verbindung genutzten Funkzelle. Der Inhalt der Kommunikation, Daten über aufgerufene Internetseiten, Daten von E-Mail-Diensten sowie Daten, die den Verbindungen zu oder von bestimmten Anschlüssen in sozialen oder kirchlichen Bereichen zugrunde liegen, dürfen hingegen nicht gespeichert werden. Mit Ausnahme der Internetprotokoll-Adresse dürfen die auf Vorrat gespeicherten Daten von den zuständigen Behörden nur zur Verfolgung besonders schwerer Straftaten oder zur Abwehr einer konkreten Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person oder für den Bestand des Bundes oder eines Landes verwendet werden.


Das Verwaltungsgericht hat auf die Klagen festgestellt, dass die Klägerinnen nicht verpflichtet sind, die im Gesetz genannten Telekommunikations-Verkehrsdaten ihrer Kunden, denen sie den Internetzugang bzw. den Zugang zu öffentlichen Telefondiensten vermitteln, zu speichern. Die Speicherpflicht verstoße gegen Unionsrecht und sei daher in den Fällen der Klägerinnen unanwendbar. Die grundsätzlichen Rechtsfragen zur Reichweite und zu den materiellrechtlichen Anforderungen des im vorliegenden Zusammenhang maßgeblichen Unionsrechts seien durch das Urteil des  EuGH vom 21. Dezember 2016 in den verbundenen Rechtssachen C-203/15 (Tele2 Sverige) und C-698/15 (Watson) geklärt. Gegen die erstinstanzlichen Entscheidungen hat die Beklagte, vertreten durch die Bundesnetzagentur, jeweils Sprungrevision eingelegt.


Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts hängt davon ab, ob der durch die gesetzliche Speicherpflicht bewirkte Eingriff in die durch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2002/58/EG geschützte Vertraulichkeit der elektronischen Kommunikation auf der Grundlage der Erlaubnisnorm des Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie gerechtfertigt ist. Zwar hat der EuGH abschließend geklärt, dass die Richtlinie auf nationale Regelungen der Vorratsspeicherung anwendbar ist und dass Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie im Licht der Art. 7, 8 und 11 sowie des Art. 52 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die für Zwecke der Bekämpfung von Straftaten eine allgemeine und unterschiedslose Vorratsspeicherung sämtlicher Verkehrs- und Standortdaten aller Teilnehmer und registrierten Nutzer in Bezug auf alle elektronischen Kommunikationsmittel vorsieht.


Klärungsbedarf verbleibt jedoch in Bezug auf die Frage, ob eine nationale Regelung, die - wie § 113a i.V.m. § 113b TKG - eine Pflicht zur anlasslosen Vorratsdatenspeicherung vorsieht, unter keinen Umständen auf Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie gestützt werden kann. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass der Kreis der von der Speicherpflicht erfassten Kommunikationsmittel und die Speicherdauer gegenüber den schwedischen und britischen Regelungen, über die der EuGH zu entscheiden hatte, reduziert ist. Ferner enthalten die deutschen Regelungen strenge Beschränkungen im Hinblick auf den Schutz der gespeicherten Daten und den Zugang hierzu. Außerdem besteht angesichts des mit den neuen Telekommunikationsmitteln verbundenen spezifischen Gefahrenpotenzials ein Spannungsverhältnis zwischen den in den Art. 7 und 8 GRC verankerten Grundrechten auf Achtung der Privatsphäre und auf Schutz personenbezogener Daten einerseits und der aus Art. 6 GRC folgenden Pflicht der Mitgliedstaaten, die Sicherheit der sich in ihrem Hoheitsgebiet aufhaltenden Personen zu gewährleisten, andererseits. Ein ausnahmsloses Verbot der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung würde den Handlungsspielraum der nationalen Gesetzgeber in einem Bereich der Strafverfolgung und der öffentlichen Sicherheit, der nach Art. 4 Abs. 2 Satz 3 EUV jedenfalls grundsätzlich weiterhin in die alleinige Verantwortung der einzelnen Mitgliedstaaten fällt, erheblich einschränken und sich damit tendenziell auch von der neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention entfernen. Schließlich geht aus verschiedenen beim EuGH bereits anhängigen Vorabentscheidungsersuchen aus anderen Mitgliedstaaten hervor, dass die vorlegenden Gerichte insbesondere im Hinblick auf Art. 6 GRC und Art. 4 EUV Zweifel daran haben, ob die Ausführungen des EuGH im Urteil vom 21. Dezember 2016 als generelles Verbot einer anlasslosen Vorratsdatenspeicherung zu verstehen sind, das weder im Hinblick auf die Erheblichkeit der zu bekämpfenden Gefahren für die öffentliche Sicherheit noch im Rahmen einer „Kompensation“ durch restriktive Zugriffsregelungen und hohe Sicherheitsanforderungen überwunden werden kann.


Führt das Vorabentscheidungsverfahren zu dem Ergebnis, dass § 113a i.V.m. § 113b TKG unionsrechtswidrig ist, sind die Klägerinnen auch in ihren Rechten verletzt. Denn die Speicherpflicht stellt einen Eingriff in die durch Art. 16 GRC garantierte unternehmerische Freiheit der Klägerinnen dar. Verstoßen diese Regelungen gegen Unionsrecht, dürfen sie wegen des Grundsatzes des Vorrangs des Unionsrechts nicht angewendet werden. Dann ist diese Grundrechtseinschränkung nicht i.S.d. Art. 52 Abs. 1 Satz 1 GRC „gesetzlich vorgesehen“.


Bis zur Entscheidung des Gerichtshofs hat das Bundesverwaltungsgericht die Revisionsverfahren ausgesetzt.


BVerwG 6 C 12.18 - Beschluss vom 25. September 2019

Vorinstanz:

VG Köln, 9 K 3859/16 - Urteil vom 20. April 2018 -

BVerwG 6 C 13.18 - Beschluss vom 25. September 2019

Vorinstanz:

VG Köln, 9 K 7417/17 - Urteil vom 20. April 2018 -


Beschluss vom 25.09.2019 -
BVerwG 6 C 12.18ECLI:DE:BVerwG:2019:250919B6C12.18.0

Vorabentscheidungsersuchen zur Klärung der Vereinbarkeit der Pflicht zur anlasslosen Speicherung von Telekommunikations-Verkehrsdaten mit dem Unionsrecht

Leitsatz:

Ob die in § 113a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 113b TKG geregelte Pflicht der Erbringer öffentlich zugänglicher Telekommunikationsdienste, im Einzelnen bezeichnete Verkehrs- und Standortdaten anlasslos für eine Dauer von zehn bzw. vier Wochen auf Vorrat zu speichern, angesichts der im Gesetz geregelten Vorgaben zur Datensicherheit und zum Datenabruf auf Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58/EG gestützt werden kann, bedarf der Klärung durch den Gerichtshof der Europäischen Union.

  • Rechtsquellen
    EUV Art. 4
    AEUV Art. 267
    GRC Art. 6, 7, 8, 16, 52
    Richtlinie 2002/58/EG Art. 5 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1, Art. 9 Abs. 1, Art. 15 Abs. 1
    EMRK Art. 8
    StPO §§ 53, 100g, 101a
    TKG § 99 Abs. 2, §§ 113, 113a, 113b, 113c, 113d, 113e, 113f

  • VG Köln - 20.04.2018 - AZ: VG 9 K 3859/16

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 25.09.2019 - 6 C 12.18 - [ECLI:DE:BVerwG:2019:250919B6C12.18.0]

Beschluss

BVerwG 6 C 12.18

  • VG Köln - 20.04.2018 - AZ: VG 9 K 3859/16

In der Verwaltungsstreitsache hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung am 25. September 2019
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Kraft und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Heitz, Dr. Möller, Hahn sowie die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Steiner
beschlossen:

  1. Das Verfahren wird ausgesetzt.
  2. Es wird eine Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu folgender Frage eingeholt:
  3. Ist Art. 15 der Richtlinie 2002/58/EG im Licht der Art. 7, 8 und 11 sowie des Art. 52 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union einerseits und des Art. 6 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sowie des Art. 4 des Vertrags über die Europäische Union andererseits dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, welche die Betreiber öffentlich zugänglicher elektronischer Kommunikationsdienste verpflichtet, Verkehrs- und Standortdaten der Endnutzer dieser Dienste auf Vorrat zu speichern, wenn diese Verpflichtung
  4. - keinen spezifischen Anlass in örtlicher, zeitlicher oder räumlicher Hinsicht voraussetzt,
  5. - Gegenstand der Pflicht zur Speicherung bei der Erbringung öffentlich zugänglicher Telefondienste - einschließlich der Übermittlung von Kurz-, Multimedia- oder ähnlichen Nachrichten sowie unbeantworteter oder erfolgloser Anrufe - folgende Daten sind:
  6. - die Rufnummer oder eine andere Kennung des anrufenden und des angerufenen Anschlusses sowie bei Um- oder Weiterschaltungen jedes weiteren beteiligten Anschlusses,
  7. - Datum und Uhrzeit von Beginn und Ende der Verbindung bzw. - bei der Übermittlung einer Kurz-, Multimedia- oder ähnlichen Nachricht - die Zeitpunkte der Versendung und des Empfangs der Nachricht unter Angabe der zugrunde liegenden Zeitzone,
  8. - Angaben zu dem genutzten Dienst, wenn im Rahmen des Telefondienstes unterschiedliche Dienste genutzt werden können,
  9. - im Fall mobiler Telefondienste ferner
  10. - die internationale Kennung mobiler Teilnehmer für den anrufenden und den angerufenen Anschluss,
  11. - die internationale Kennung des anrufenden und des angerufenen Endgerätes,
  12. - Datum und Uhrzeit der ersten Aktivierung des Dienstes unter Angabe der zugrunde liegenden Zeitzone, wenn Dienste im Voraus bezahlt wurden,
  13. - die Bezeichnungen der Funkzellen, die durch den anrufenden und den angerufenen Anschluss bei Beginn der Verbindung genutzt wurden,
  14. - im Fall von Internet-Telefondiensten auch die Internetprotokoll-Adressen des anrufenden und des angerufenen Anschlusses und zugewiesene Benutzerkennungen,
  15. - Gegenstand der Pflicht zur Speicherung bei der Erbringung öffentlich zugänglicher Internetzugangsdienste folgende Daten sind:
  16. - die dem Teilnehmer für eine Internetnutzung zugewiesene Internetprotokoll-Adresse,
  17. - eine eindeutige Kennung des Anschlusses, über den die Internetnutzung erfolgt, sowie eine zugewiesene Benutzerkennung,
  18. - Datum und Uhrzeit von Beginn und Ende der Internetnutzung unter der zugewiesenen Internetprotokoll-Adresse unter Angabe der zugrunde liegenden Zeitzone,
  19. - im Fall der mobilen Nutzung die Bezeichnung der bei Beginn der Internetverbindung genutzten Funkzelle,
  20. - folgende Daten nicht gespeichert werden dürfen:
  21. - der Inhalt der Kommunikation,
  22. - Daten über aufgerufene Internetseiten,
  23. - Daten von Diensten der elektronischen Post,
  24. - Daten, die den Verbindungen zu oder von bestimmten Anschlüssen von Personen, Behörden und Organisationen in sozialen oder kirchlichen Bereichen zugrunde liegen,
  25. - die Dauer der Speicherung auf Vorrat für Standortdaten, d.h. die Bezeichnung der genutzten Funkzelle, vier Wochen und für die übrigen Daten zehn Wochen beträgt,
  26. - ein wirksamer Schutz der auf Vorrat gespeicherten Daten vor Missbrauchsrisiken sowie vor jedem unberechtigten Zugang gewährleistet ist, und
  27. - die auf Vorrat gespeicherten Daten nur zur Verfolgung besonders schwerer Straftaten und zur Abwehr einer konkreten Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person oder für den Bestand des Bundes oder eines Landes, verwendet werden dürfen, mit Ausnahme der dem Teilnehmer für eine Internetnutzung zugewiesenen Internetprotokoll-Adresse, deren Verwendung im Rahmen einer Bestandsdatenauskunft zur Verfolgung jeglicher Straftaten, zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung sowie zur Erfüllung der Aufgaben der Nachrichtendienste zulässig ist?

Gründe

I

1 Die Klägerin erbringt öffentlich zugängliche Internetzugangsdienste. Sie wendet sich mit der Feststellungsklage gegen die ihr durch § 113a Abs. 1 in Verbindung mit § 113b des Telekommunikationsgesetzes (TKG) in der Fassung des Gesetzes vom 10. Dezember 2015 auferlegte Pflicht, ab dem 1. Juli 2017 Telekommunikations-Verkehrsdaten ihrer Kunden auf Vorrat zu speichern.

2 Mit Urteil vom 20. April 2018 hat das Verwaltungsgericht auf die Klage festgestellt, dass die Klägerin nicht verpflichtet ist, die in § 113b Abs. 3 TKG aufgeführten Telekommunikations-Verkehrsdaten ihrer Kunden, denen sie den Internetzugang vermittelt, zu speichern. Die Speicherpflicht verstoße gegen Unionsrecht und sei daher im Fall der Klägerin unanwendbar. Die grundsätzlichen Rechtsfragen zur Reichweite und zu den materiellrechtlichen Anforderungen des im vorliegenden Zusammenhang maßgeblichen Unionsrechts seien durch das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 21. Dezember 2016 in den verbundenen Rechtssachen C-203/15 (Tele2 Sverige) und C-698/15 (Watson u.a.) [ECLI:​EU:​C:​2016:​970] geklärt.

3 Gegen die erstinstanzliche Entscheidung hat die Beklagte die vom Verwaltungsgericht zugelassene (Sprung-)Revision eingelegt. Sie beantragt, das angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichts abzuändern und die Klage abzuweisen.

II

4 Der Rechtsstreit ist auszusetzen, weil sein Ausgang von einer vorab einzuholenden Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über die Auslegung der Verträge abhängt (Art. 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union <AEUV>).

5 1. Die Revision der Beklagten gegen das Feststellungsurteil des Verwaltungsgerichts ist nur dann begründet, wenn die Regelung in § 113a Abs. 1 Satz 1, § 113b TKG mit den vorrangigen Vorschriften des Unionsrechts vereinbar ist. Anderenfalls ist die Revision zurückzuweisen. Verstößt die in § 113a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 113b TKG angeordnete Pflicht der Erbringer öffentlich zugänglicher Telekommunikationsdienste zur Speicherung von Telekommunikations-Verkehrsdaten auf Vorrat gegen Unionsrecht, kann die Revision auch nicht aus dem Grund Erfolg haben, dass keine Rechte der Klägerin verletzt sind (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Dabei kommt es nicht darauf an, ob sich die Klägerin in ihrer Eigenschaft als Telekommunikationsunternehmen - und damit nicht als Teilnehmer, sondern lediglich als Übermittler der Kommunikation - auch auf die in den Art. 7 und 8 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) verankerten Grundrechte auf Achtung der Privatsphäre und auf Schutz personenbezogener Daten berufen kann. Denn die Speicherpflicht stellt angesichts des damit verbundenen technischen und finanziellen Aufwandes jedenfalls einen Eingriff in die durch Art. 16 GRC garantierte unternehmerische Freiheit der Klägerin dar. Ist die Regelung in § 113a Abs. 1 Satz 1, § 113b TKG mit dem Unionsrecht nicht vereinbar, darf sie - da eine unionsrechtskonforme Auslegung nicht in Betracht kommt - wegen des Grundsatzes des Vorrangs des Unionsrechts nicht angewendet werden (ständige Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union, vgl. EuGH, Urteile vom 9. März 1978 - Rs. 106/77 [ECLI:​EU:​C:​1978:​49], Simmenthal - Rn. 24, vom 3. Mai 2005 - C-387/02, C-391/02 und C-403/02 [ECLI:​EU:​C:​2005:​270], Berlusconi u.a. - Rn. 72, vom 22. Juni 2010 - C-188/10 und C-189/10 [ECLI:​EU:​C:​2010:​363], Melki und Abdeli - Rn. 43, sowie vom 18. September 2014 - C-487/12 [ECLI:​EU:​C:​2014:​2232], Vueling Airlines - Rn. 48). Die Unanwendbarkeit der Regelung hat zur Folge, dass die Grundrechtseinschränkung nicht im Sinne des Art. 52 Abs. 1 Satz 1 GRC "gesetzlich vorgesehen" ist.

6 Zwar wäre die Revision auch dann zurückzuweisen, wenn die gesetzlichen Vorschriften mit dem Unionsrecht vereinbar wären, aber gegen Grundrechte des Grundgesetzes verstießen und deshalb nichtig wären. In diesem Fall stellte sich die Entscheidung des Verwaltungsgerichts aus anderen Gründen als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO). Diese Möglichkeit kann hier jedoch außer Betracht bleiben. Denn die Feststellung der Nichtigkeit von § 113a Abs. 1 Satz 1 und § 113b TKG würde voraussetzen, dass der Senat das Verfahren aussetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage der Vereinbarkeit mit den Grundrechten des Grundgesetzes gemäß Art. 100 Abs. 1 GG zur Entscheidung vorlegt. Die damit verbundene Verzögerung der Klärung der im vorliegenden Verfahren - auch aus Sicht der Beteiligten - im Vordergrund stehenden Vereinbarkeit der gesetzlichen Regelung mit dem Unionsrecht widerspräche der Prozessökonomie. Zudem kann eine nationale Verfahrensvorschrift nicht das Recht der nationalen Gerichte in Frage stellen, dem Gerichtshof ein Vorabentscheidungsersuchen vorzulegen, wenn sie Zweifel an der Auslegung des Unionsrechts haben (EuGH, Urteil vom 4. Juni 2015 - C-5/14 [ECLI:​EU:​C:​2015:​354], Kernkraftwerke Lippe-Ems - Rn. 37 mit weiteren Nachweisen).

7 2. Die Pflicht der Telekommunikationsanbieter, bestimmte Verkehrsdaten für eine beschränkte Zeit zu speichern, ist durch das Gesetz zur Einführung einer Speicherpflicht und einer Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten vom 10. Dezember 2015 (BGBI. I S. 2218 ff.) neu geregelt worden, nachdem das Bundesverfassungsgericht die §§ 113a und 113b TKG sowie § 100g Abs. 1 Satz 1 der Strafprozessordnung (StPO), soweit danach Verkehrsdaten nach § 113a TKG erhoben werden durften, in der Fassung des Gesetzes vom 21. Dezember 2007 (BGBl. I S. 3198) wegen Verstoßes gegen Art. 10 Abs. 1 GG für nichtig erklärt hatte (BVerfG, Urteil vom 2. März 2010 - 1 BvR 256, 263, 586/08 [ECLI:​DE:​BVerfG:​2010:​rs20100302.1bvr025608] - BVerfGE 125, 260). Der Neuregelung vorausgegangen war ferner das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 8. April 2014, mit dem die auch dem Gesetz vom 21. Dezember 2007 zugrunde liegende Richtlinie 2006/24/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 über die Vorratsspeicherung von Daten, die bei der Bereitstellung öffentlich zugänglicher elektronischer Kommunikationsdienste oder öffentlicher Kommunikationsnetze erzeugt oder verarbeitet werden, und zur Änderung der Richtlinie 2002/58/EG für ungültig erklärt worden ist (EuGH, Urteil vom 8. April 2014 - C-293/12 und C-594/12 [ECLI:​EU:​C:​2014:​238], Digital Rights Ireland Ltd u.a. -). Das Gesetz vom 10. Dezember 2015 soll Lücken bei der Strafverfolgung und bei der Gefahrenabwehr schließen und zugleich den sich aus den genannten Gerichtsentscheidungen ergebenden verfassungs- und europarechtlichen Vorgaben Rechnung tragen (vgl. BT-Drs. 18/5088 S. 1, 21 ff.). Es enthält u.a. die folgenden geänderten Vorschriften des Telekommunikationsgesetzes (TKG) und der Strafprozessordnung (StPO):

8 § 113a Abs. 1 Satz 1 TKG lautet:
Die Verpflichtungen zur Speicherung von Verkehrsdaten, zur Verwendung der Daten und zur Datensicherheit nach den §§ 113b bis 113g beziehen sich auf Erbringer öffentlich zugänglicher Telekommunikationsdienste für Endnutzer.

9 § 113b lautet:
(1) Die in § 113a Absatz 1 Genannten sind verpflichtet, Daten wie folgt im Inland zu speichern:
1. Daten nach den Absätzen 2 und 3 für zehn Wochen,
2. Standortdaten nach Absatz 4 für vier Wochen.
(2) Die Erbringer öffentlich zugänglicher Telefondienste speichern
1. die Rufnummer oder eine andere Kennung des anrufenden und des angerufenen Anschlusses sowie bei Um- oder Weiterschaltungen jedes weiteren beteiligten Anschlusses,
2. Datum und Uhrzeit von Beginn und Ende der Verbindung
unter Angabe der zugrunde liegenden Zeitzone,
3. Angaben zu dem genutzten Dienst, wenn im Rahmen des Telefondienstes unterschiedliche Dienste genutzt werden können,
4. im Fall mobiler Telefondienste ferner
a) die internationale Kennung mobiler Teilnehmer für den anrufenden und den angerufenen Anschluss,
b) die internationale Kennung des anrufenden und des angerufenen Endgerätes,
c) Datum und Uhrzeit der ersten Aktivierung des Dienstes unter Angabe der zugrunde liegenden Zeitzone, wenn Dienste im Voraus bezahlt wurden,
5. im Fall von Internet-Telefondiensten auch die Internetprotokoll-Adressen des anrufenden und des angerufenen Anschlusses und zugewiesene Benutzerkennungen.
Satz 1 gilt entsprechend
1. bei der Übermittlung einer Kurz-, Multimedia- oder ähnlichen Nachricht; hierbei treten an die Stelle der Angaben nach Satz 1 Nummer 2 die Zeitpunkte der Versendung und des Empfangs der Nachricht;
2. für unbeantwortete oder wegen eines Eingriffs des Netzwerkmanagements erfolglose Anrufe, soweit der Erbringer öffentlich zugänglicher Telefondienste die in Satz 1 genannten Verkehrsdaten für die in § 96 Absatz 1 Satz 2 genannten Zwecke speichert oder protokolliert.
(3) Die Erbringer öffentlich zugänglicher Internetzugangsdienste
speichern
1. die dem Teilnehmer für eine Internetnutzung zugewiesene Internetprotokoll-Adresse,
2. eine eindeutige Kennung des Anschlusses, über den die Internetnutzung erfolgt, sowie eine zugewiesene Benutzerkennung,
3. Datum und Uhrzeit von Beginn und Ende der Internetnutzung unter der zugewiesenen Internetprotokoll-Adresse unter Angabe der zugrunde liegenden Zeitzone.
(4) Im Fall der Nutzung mobiler Telefondienste sind die Bezeichnungen der Funkzellen zu speichern, die durch den anrufenden und den angerufenen Anschluss bei Beginn der Verbindung genutzt wurden. Bei öffentlich zugänglichen Internetzugangsdiensten ist im Fall der mobilen Nutzung die Bezeichnung der bei Beginn der Internetverbindung genutzten Funkzelle zu speichern. Zusätzlich sind die Daten vorzuhalten, aus denen sich die geografische Lage und die Hauptstrahlrichtungen der die jeweilige Funkzelle versorgenden Funkantennen ergeben.
(5) Der Inhalt der Kommunikation, Daten über aufgerufene Internetseiten und Daten von Diensten der elektronischen Post dürfen auf Grund dieser Vorschrift nicht gespeichert werden.
(6) Daten, die den in § 99 Absatz 2 genannten Verbindungen zugrunde liegen, dürfen auf Grund dieser Vorschrift nicht gespeichert werden. Dies gilt entsprechend für Telefonverbindungen, die von den in § 99 Absatz 2 genannten Stellen ausgehen. § 99 Absatz 2 Satz 2 bis 7 gilt entsprechend.
(...)

10 Bei den in § 99 Abs. 2 TKG genannten Verbindungen, auf die § 113b Abs. 6 TKG Bezug nimmt, handelt es sich um Verbindungen zu Anschlüssen von Personen, Behörden und Organisationen in sozialen oder kirchlichen Bereichen, die grundsätzlich anonym bleibenden Anrufern ganz oder überwiegend telefonische Beratung in seelischen oder sozialen Notlagen anbieten und die selbst oder deren Mitarbeiter insoweit besonderen Verschwiegenheitsverpflichtungen unterliegen. Voraussetzung für die Ausnahme ist nach § 99 Abs. 2 Satz 2 und 4 TKG, dass die Bundesnetzagentur die angerufenen Anschlüsse auf Antrag in eine Liste aufgenommen hat, nachdem die Inhaber der Anschlüsse ihre Aufgabenbestimmung durch Bescheinigung einer Behörde oder Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts nachgewiesen haben.

11 § 113c TKG lautet:
(1) Die auf Grund des § 113b gespeicherten Daten dürfen
1. an eine Strafverfolgungsbehörde übermittelt werden, soweit diese die Übermittlung unter Berufung auf eine gesetzliche Bestimmung, die ihr eine Erhebung der in § 113b genannten Daten zur Verfolgung besonders schwerer Straftaten erlaubt, verlangt;
2. an eine Gefahrenabwehrbehörde der Länder übermittelt werden, soweit diese die Übermittlung unter Berufung auf eine gesetzliche Bestimmung, die ihr eine Erhebung der in § 113b genannten Daten zur Abwehr einer konkreten Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person oder für den Bestand des Bundes oder eines Landes erlaubt, verlangt;
3. durch den Erbringer öffentlich zugänglicher Telekommunikationsdienste für eine Auskunft nach § 113 Absatz 1 Satz 3 verwendet werden.
(2) Für andere Zwecke als die in Absatz 1 genannten dürfen die auf Grund des § 113b gespeicherten Daten von den nach § 113a Absatz 1 Verpflichteten nicht verwendet werden.
(...)

12 Nach der in § 113c Abs. 1 Nr. 3 TKG erwähnten Bestimmung des § 113 Abs. 1 Satz 3 TKG dürfen die in eine Auskunft an eine der in § 113 Abs. 3 TKG genannten Stellen aufzunehmenden (Bestands-)Daten auch anhand einer zu einem bestimmten Zeitpunkt zugewiesenen Internetprotokoll-Adresse bestimmt werden; hierfür dürfen Verkehrsdaten auch automatisiert ausgewertet werden. Die Auskunft darf nach § 113 Abs. 2 Satz 1 TKG nur erteilt werden, soweit eine in Abs. 3 genannte Stelle dies in Textform im Einzelfall zum Zweck der Verfolgung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten, zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung oder für die Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben der in Abs. 3 Nr. 3 genannten Stellen (Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, Militärischer Abschirmdienst und Bundesnachrichtendienst) unter Angabe einer gesetzlichen Bestimmung verlangt, die ihr eine Erhebung der in Abs. 1 in Bezug genommenen Daten erlaubt.

13 § 113d TKG lautet:
Der nach § 113a Absatz 1 Verpflichtete hat sicherzustellen, dass die auf Grund der Speicherpflicht nach § 113b Absatz 1 gespeicherten Daten durch technische und organisatorische Maßnahmen nach dem Stand der Technik gegen unbefugte Kenntnisnahme und Verwendung geschützt werden. Die Maßnahmen umfassen insbesondere
1. den Einsatz eines besonders sicheren Verschlüsselungsverfahrens,
2. die Speicherung in gesonderten, von den für die üblichen betrieblichen Aufgaben getrennten Speichereinrichtungen,
3. die Speicherung mit einem hohen Schutz vor dem Zugriff aus dem Internet auf vom Internet entkoppelten Datenverarbeitungssystemen,
4. die Beschränkung des Zutritts zu den Datenverarbeitungsanlagen
auf Personen, die durch den Verpflichteten besonders ermächtigt sind, und
5. die notwendige Mitwirkung von mindestens zwei Personen beim Zugriff auf die Daten, die dazu durch den Verpflichteten besonders ermächtigt worden sind.

14 § 113e TKG lautet:
(1) Der nach § 113a Absatz 1 Verpflichtete hat sicherzustellen, dass für Zwecke der Datenschutzkontrolle jeder Zugriff, insbesondere das Lesen, Kopieren, Ändern, Löschen und Sperren der auf Grund der Speicherpflicht nach § 113b Absatz 1 gespeicherten Daten protokolliert wird. Zu protokollieren sind
1. der Zeitpunkt des Zugriffs,
2. die auf die Daten zugreifenden Personen,
3. Zweck und Art des Zugriffs.
(2) Für andere Zwecke als die der Datenschutzkontrolle dürfen die Protokolldaten nicht verwendet werden.
(3) Der nach § 113a Absatz 1 Verpflichtete hat sicherzustellen, dass die Protokolldaten nach einem Jahr gelöscht werden.

15 Zur Gewährleistung eines besonders hohen Standards der Datensicherheit und Datenqualität erstellt die Bundesnetzagentur nach § 113f Abs. 1 TKG einen Anforderungskatalog, der fortlaufend zu überprüfen und ggf. anzupassen ist (§ 113f Abs. 2 TKG). § 113g TKG verlangt die Aufnahme spezifischer Schutzmaßnahmen in das von dem Verpflichteten vorzulegende Sicherheitskonzept.

16 § 100g StPO lautet:
(...)
(2) Begründen bestimmte Tatsachen den Verdacht, dass jemand als Täter oder Teilnehmer eine der in Satz 2 bezeichneten besonders schweren Straftaten begangen hat oder in Fällen, in denen der Versuch strafbar ist, eine solche Straftat zu begehen versucht hat, und wiegt die Tat auch im Einzelfall besonders schwer, dürfen die nach § 113b des Telekommunikationsgesetzes gespeicherten Verkehrsdaten erhoben werden, soweit die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes des Beschuldigten auf andere Weise wesentlich erschwert oder aussichtslos wäre und die Erhebung der Daten in einem angemessenen Verhältnis zur Bedeutung der Sache steht.
(...)
(4) Die Erhebung von Verkehrsdaten nach Absatz 2, auch in Verbindung mit Absatz 3 Satz 2, die sich gegen eine der in § 53 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 bis 5 genannten Personen richtet und die voraussichtlich Erkenntnisse erbringen würde, über die diese das Zeugnis verweigern dürfte, ist unzulässig. (...)

17 § 101a Abs. 1 StPO regelt für die Erhebung von Verkehrsdaten nach § 100g StPO durch Bezugnahme auf § 100b Abs. 1 StPO (nunmehr § 100e Abs. 1 StPO in der Fassung des Gesetzes vom 17. August 2017 <BGBl. I S. 3202>) einen Richtervorbehalt sowie Anforderungen an die Gestaltung der Entscheidungsformel. Die Begründung des Beschlusses muss nach § 101a Abs. 2 StPO einzelfallbezogen die wesentlichen Erwägungen zur Erforderlichkeit und Angemessenheit der Maßnahme darlegen. § 101a Abs. 6 StPO sieht eine Pflicht zur Benachrichtigung der Beteiligten der betroffenen Telekommunikation vor.

18 3. Ob der entscheidungstragende Rechtssatz des Verwaltungsgerichts, dass die in § 113a Abs. 1 i.V.m. § 113b TKG angeordnete Speicherpflicht gegen Unionsrecht verstößt, mit revisiblem Recht vereinbar ist, hängt von der Auslegung der Richtlinie 2002/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Juli 2002 über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation (Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation) (ABl. L 201 S. 37) ab und lässt sich ohne eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union nicht abschließend klären. Der beschließende Senat geht hierbei von folgenden Erwägungen aus:

19 a) Das Verwaltungsgericht hat die Richtlinie 2002/58/EG zu Recht für anwendbar gehalten und daher als Prüfungsmaßstab für die in § 113a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 113b TKG getroffene Regelung herangezogen. Dass nationale Regelungen über die Vorratsspeicherung von Verkehrs-und Standortdaten sowie den Zugang der nationalen Behörden grundsätzlich in den Geltungsbereich dieser Richtlinie fallen, hat der Gerichtshof abschließend geklärt (EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2016 - C-203/15 und C-698/15 - Rn. 65 ff., 81).

20 b) Die in § 113a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 113b TKG geregelte Pflicht zur Speicherung der Telekommunikations-Verkehrsdaten beschränkt die Rechte gemäß Art. 5 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1 und Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58/EG. Sie stellt einen Eingriff in die durch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie geschützte Vertraulichkeit der elektronischen Kommunikation dar und widerspricht dem Grundsatz, dass es jeder anderen Person als dem Nutzer grundsätzlich untersagt ist, ohne dessen Einwilligung mit elektronischen Kommunikationen verbundene Verkehrsdaten zu speichern. Zudem hält sie nicht die in Art. 6 der Richtlinie geregelte Vorgabe ein, dass Verkehrsdaten nur zur Gebührenabrechnung für die Dienste, zu deren Vermarktung und zur Bereitstellung von Diensten mit Zusatznutzen im dazu erforderlichen Maß und innerhalb des dazu erforderlichen Zeitraums verarbeitet und gespeichert werden dürfen. Für den Fall, dass andere Standortdaten als Verkehrsdaten in Bezug auf die Nutzer oder Teilnehmer von öffentlichen Kommunikationsnetzen oder öffentlich zugänglichen Kommunikationsdiensten verarbeitet werden können, bestimmt Art. 9 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2002/58/EG, dass diese Daten nur im zur Bereitstellung von Diensten mit Zusatznutzen erforderlichen Maß und innerhalb des dafür erforderlichen Zeitraums verarbeitet werden dürfen, wenn sie anonymisiert wurden oder wenn die Nutzer oder Teilnehmer ihre Einwilligung gegeben haben. Auch von dieser Vorgabe weicht die gesetzliche Regelung ab, soweit nach § 113b Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. Abs. 4 TKG auch die dort genannten Standortdaten zu speichern sind.

21 c) Die Beschränkung der Rechte gemäß Art. 5 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1 und Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58/EG ist nur dann gerechtfertigt, wenn die Regelung des § 113a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 113b TKG auf die Ermächtigungsnorm des Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58/EG gestützt werden kann. Danach können die Mitgliedstaaten Rechtsvorschriften erlassen, die die Rechte und Pflichten gemäß Art. 5, 6, 8 Abs. 1, 2, 3 und 4 sowie Art. 9 dieser Richtlinie beschränken, sofern eine solche Beschränkung gemäß Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 95/46/EG für die nationale Sicherheit, (d.h. die Sicherheit des Staates), die Landesverteidigung, die öffentliche Sicherheit sowie die Verhütung, Ermittlung, Feststellung und Verfolgung von Straftaten oder des unzulässigen Gebrauchs von elektronischen Kommunikationssystemen in einer demokratischen Gesellschaft notwendig, angemessen und verhältnismäßig ist. Zu diesem Zweck können die Mitgliedstaaten unter anderem durch Rechtsvorschriften vorsehen, dass Daten aus den in diesem Absatz aufgeführten Gründen während einer begrenzten Zeit aufbewahrt werden. Alle in diesem Absatz genannten Maßnahmen müssen den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts einschließlich den in Art. 6 Abs. 1 und 2 des Vertrags über die Europäische Union niedergelegten Grundsätzen entsprechen (Art. 15 Abs. 1 Satz 2 der Richtlinie 2002/58/EG).

22 aa) Nach der erwähnten Entscheidung des Gerichtshofs vom 21. Dezember 2016 ist Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58/EG im Licht der Art. 7, 8 und 11 sowie des Art. 52 Abs. 1 GRC dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die für Zwecke der Bekämpfung von Straftaten eine allgemeine und unterschiedslose Vorratsspeicherung sämtlicher Verkehrs- und Standortdaten aller Teilnehmer und registrierten Nutzer in Bezug auf alle elektronischen Kommunikationsmittel vorsieht (EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2016 - C-203/15 und C-698/15 - Rn. 82 ff.).

23 Der Gerichtshof hat in der genannten Entscheidung, welche die auf der Richtlinie 2006/24/EG beruhenden Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung in Schweden und im Vereinigten Königreich zum Gegenstand hat, zugleich Anforderungen für die Zulässigkeit einer auf Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58/EG gestützten nationalen Rechtsvorschrift aufgestellt (EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2016 - C-203/15 und C-698/15 - Rn. 108 ff.). Danach untersagt Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58/EG im Licht der Art. 7, 8 und 11 sowie des Art. 52 Abs. 1 GRC einem Mitgliedstaat nicht, eine Regelung zu erlassen, die zur Bekämpfung schwerer Straftaten vorbeugend die gezielte Vorratsspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten ermöglicht, sofern die Vorratsdatenspeicherung hinsichtlich der Kategorien der zu speichernden Daten, der erfassten elektronischen Kommunikationsmittel, der betroffenen Personen und der vorgesehenen Dauer der Vorratsspeicherung auf das absolut Notwendige beschränkt ist. Um diesen Erfordernissen zu genügen, muss die betreffende nationale Regelung jedoch erstens klare und präzise Regeln über die Tragweite und die Anwendung einer solchen Maßnahme der Vorratsdatenspeicherung vorsehen und Mindesterfordernisse aufstellen, so dass die Personen, deren Daten auf Vorrat gespeichert wurden, über ausreichende Garantien verfügen, die einen wirksamen Schutz ihrer personenbezogenen Daten vor Missbrauchsrisiken ermöglichen. Sie muss insbesondere angeben, unter welchen Umständen und unter welchen Voraussetzungen eine Maßnahme der Vorratsdatenspeicherung vorbeugend getroffen werden darf, um so zu gewährleisten, dass eine derartige Maßnahme auf das absolut Notwendige beschränkt wird. Zweitens können sich die materiellen Voraussetzungen, die eine nationale Regelung, die im Rahmen der Bekämpfung von Straftaten vorbeugend die Vorratsspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten ermöglicht, erfüllen muss, um zu gewährleisten, dass sie auf das absolut Notwendige beschränkt wird, zwar je nach den zur Verhütung, Ermittlung, Feststellung und Verfolgung schwerer Straftaten getroffenen Maßnahmen unterscheiden, doch muss die Vorratsspeicherung der Daten stets objektiven Kriterien genügen, die einen Zusammenhang zwischen den zu speichernden Daten und dem verfolgten Ziel herstellen. Diese Voraussetzungen müssen auch in der Praxis geeignet sein, den Umfang der Maßnahme und infolgedessen die betroffenen Personenkreise wirksam zu begrenzen. Bei der Begrenzung einer solchen Maßnahme im Hinblick auf die potenziell betroffenen Personenkreise und Situationen muss sich die nationale Regelung auf objektive Anknüpfungspunkte stützen, die es ermöglichen, Personenkreise zu erfassen, deren Daten geeignet sind, einen zumindest mittelbaren Zusammenhang mit schweren Straftaten sichtbar zu machen, auf irgendeine Weise zur Bekämpfung schwerer Kriminalität beizutragen oder eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit zu verhindern. Eine solche Begrenzung lässt sich durch ein geografisches Kriterium gewährleisten, wenn die zuständigen nationalen Behörden aufgrund objektiver Anhaltspunkte annehmen, dass in einem oder mehreren geografischen Gebieten ein erhöhtes Risiko besteht, dass solche Taten vorbereitet oder begangen werden.

24 Nach dem Wortlaut der zitierten Ausführungen des Gerichtshofs setzt die Zulässigkeit einer nationalen Regelung der Vorratsdatenspeicherung nach Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58/EG mithin voraus, dass ein ausreichender Anlass besteht, dass nur diejenigen Personen erfasst werden, die einen Anhaltspunkt für einen Bezug zu schweren Straftaten bieten, dass eine Begrenzung auf diejenige Region, denjenigen Zeitraum sowie diejenigen Kommunikationsmittel erfolgt, die für den Anlass relevant sind, und dass nur diejenigen Daten erfasst werden, die für die Aufklärung der bezeichneten Straftaten unerlässlich sind. Die Ansicht der Beklagten, schon der Umstand der Nutzung von Internetzugangs- oder Telefondiensten sei als hinreichender Anlass für die Speicherung zu werten, steht mit diesen Vorgaben offensichtlich nicht in Einklang. Die in den Ausführungen des Gerichtshofs zum Ausdruck kommende Annahme einer generellen Unionsrechtswidrigkeit jeder anlasslosen Vorratsdatenspeicherung wird auch nicht durch den Hinweis der Beklagten auf das - später ergangene - Gutachten des Gerichtshofs vom 26. Juli 2017 zu dem Abkommen zwischen Kanada und der Europäischen Union über die Übermittlung von Fluggastdatensätzen in Frage gestellt. Zwar hat der Gerichtshof im Rahmen der Erforderlichkeit der mit dem Abkommen verbundenen Eingriffe in die Grundrechte auf Achtung des Privatlebens (Art. 7 GRC) sowie auf Schutz personenbezogener Daten (Art. 8 GRC) hervorgehoben, dass die sog. PNR-Daten (Passenger Name Records) an Kanada unabhängig davon übermittelt werden, ob objektive Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass von den Fluggästen eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit in Kanada ausgeht (EuGH, Gutachten vom 26. Juli 2017 - 1/15 [ECLI:​EU:​C:​2017:​592] - Rn. 186). Um eine anlasslose Vorratsdatenspeicherung handelt es sich dabei jedoch deshalb nicht, weil die Speicherung und Übermittlung im Zusammenhang mit den Grenzkontrollen steht, denen sämtliche Fluggäste, die nach Kanada einreisen oder aus Kanada ausreisen möchten, nach den Vorschriften des geltenden kanadischen Rechts unterliegen (EuGH, Gutachten vom 26. Juli 2017 - 1/15 - Rn. 188). Mit der Ausreise der Fluggäste entfällt dieser Anlass für die Speicherung. Wie Nr. 3 Buchst. d des Tenors des Gutachtens zu entnehmen ist, setzt die weitere Speicherung nach diesem Zeitpunkt deshalb - als neuen Anlass - voraus, dass objektive Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass von den betreffenden Fluggästen eine Gefahr im Zusammenhang mit der Bekämpfung des Terrorismus und grenzübergreifender schwerer Kriminalität ausgehen könnte.

25 bb) Ist die Rechtsprechung des Gerichtshofs so zu verstehen, dass eine anlasslose Vorratsdatenspeicherung unter keinen Umständen mit dem Unionsrecht vereinbar ist, kann die Revision der Beklagten gegen das angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichts keinen Erfolg haben. Denn ebenso wie die schwedischen und britischen Vorratsdatenspeicherungsregelungen, die Gegenstand des Urteils des Gerichtshofs vom 21. Dezember 2016 waren, verlangt § 113a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 113b TKG weder einen - über die bloße Nutzung von Internetzugangs- oder Telefondiensten hinausgehenden - Anlass für die Speicherung noch einen Zusammenhang zwischen den gespeicherten Daten und einer Straftat bzw. einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit. Vielmehr handelt es sich um eine Regelung, die eine anlasslose, flächendeckende und personell, zeitlich und geografisch undifferenzierte Speicherung eines Großteils aller relevanten Telekommunikations-Verkehrsdaten vorschreibt.

26 cc) Der Senat hält es jedoch ungeachtet der genannten Formulierungen in dem Urteil des Gerichtshofs vom 21. Dezember 2016 nicht für ausgeschlossen, dass die in § 113a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 113b TKG geregelte Pflicht zur anlasslosen Vorratsdatenspeicherung von Telekommunikations-Verkehrsdaten auf Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58/EG gestützt werden kann. Diese Einschätzung beruht auf den folgenden Erwägungen:

27 (1) Zunächst ist festzustellen, dass die Regelung des § 113a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 113b TKG nicht die Speicherung sämtlicher Telekommunikations-Verkehrsdaten aller Teilnehmer und registrierten Nutzer in Bezug auf alle elektronischen Kommunikationsmittel im Sinne der auf die frühere Richtlinie 2006/24/EG und die hierauf gestützten schwedischen und britischen Regelungen bezogenen Rechtsprechung des Gerichtshofs fordert. Von der Speicherpflicht ausgenommen ist nicht nur der Inhalt der Kommunikation, sondern es dürfen auch Daten über aufgerufene Internetseiten, Daten von E-Mail-Diensten sowie Daten, die den Verbindungen zu oder von bestimmten Anschlüssen in sozialen oder kirchlichen Bereichen zugrunde liegen, nicht gespeichert werden (vgl. § 113b Abs. 5 und 6 TKG). Der Ansicht des Verwaltungsgerichts, die Unterschiede zu den schwedischen und britischen Regelungen, die Gegenstand der erwähnten Entscheidung des Gerichtshofs vom 21. Dezember 2016 waren, fielen in Anbetracht der durch den Gerichtshof dargelegten Anforderungen an die Zulässigkeit nationaler Vorschriften betreffend die Vorratsspeicherung von Telekommunikations-Verkehrsdaten nicht entscheidend ins Gewicht, vermag der beschließende Senat nicht ohne weiteres zu folgen. Denn der Gerichtshof hat zur Begründung seiner Entscheidung hervorgehoben, dass eine allgemeine und unterschiedslose Vorratsspeicherung sämtlicher Verkehrs- und Standortdaten aller Teilnehmer und registrierten Nutzer in Bezug auf alle elektronischen Kommunikationsmittel sehr genaue Schlüsse auf das Privatleben derjenigen Personen zulässt, deren Daten auf Vorrat gespeichert wurden, etwa auf Gewohnheiten des täglichen Lebens, ständige oder vorübergehende Aufenthaltsorte, tägliche oder in anderem Rhythmus erfolgende Ortsveränderungen, ausgeübte Tätigkeiten, soziale Beziehungen dieser Personen und das soziale Umfeld, in dem sie verkehren. Ermöglicht wird mithin die Erstellung des Profils der betroffenen Personen, das im Hinblick auf das Recht auf Achtung der Privatsphäre eine genauso sensible Information darstellt wie der Inhalt der Kommunikationen selbst (EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2016 - C-203/15 und C-698/15 - Rn. 99). Werden insbesondere bestimmte Kommunikationsmittel oder Datenkategorien von der Speicherpflicht ausgenommen, kann dies das Risiko der Erstellung eines umfassenden Profils der betroffenen Personen zwar nicht beseitigen, aber zumindest erheblich reduzieren.

28 (2) Ein noch gewichtigerer Unterschied zwischen der Regelung des § 113a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 113b TKG einerseits und der früheren Richtlinie 2006/24/EG andererseits, auf die die schwedischen und britischen Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung gestützt waren, besteht darin, dass die Speicherungsfrist von sechs Monaten bis zu zwei Jahren (vgl. Art. 6 der Richtlinie 2006/24/EG) gemäß § 113b Abs. 1 TKG auf vier bzw. zehn Wochen deutlich verkürzt ist. Die vom Gerichtshof hervorgehobene Gefahr der Erstellung eines umfassenden Profils der betroffenen Personen ist jedoch als umso geringer anzusehen, je kürzer die Zeiträume sind, während derer die Verkehrsdaten gespeichert werden. Erst die Zusammenführung der unterschiedlichen Daten über einen längeren Zeitraum ermöglicht im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs hinreichend zuverlässige Schlüsse auf Gewohnheiten, Aufenthaltsorte, Ortsveränderungen, ausgeübte Tätigkeiten, soziale Beziehungen und das soziale Umfeld der betroffenen Personen. Je kürzer der Speicherzeitraum ist, desto lückenhafter wird zwangsläufig das Persönlichkeitsprofil und desto geringer die Intensität des Grundrechtseingriffs.

29 (3) Weiter ist zu berücksichtigen, dass die durch das Gesetz vom 10. Dezember 2015 eingeführten Regelungen strenge Beschränkungen im Hinblick auf den Schutz der gespeicherten Daten und den Zugang hierzu enthalten. Zum einen wird durch die Vorgaben der §§ 113d ff. TKG ein wirksamer Schutz der auf Vorrat gespeicherten Daten vor Missbrauchsrisiken sowie vor jedem unberechtigten Zugang gewährleistet. Zum anderen dürfen die auf Vorrat gespeicherten Daten nach § 113c Abs. 1 TKG nur zur Bekämpfung schwerer Straftaten oder zur Abwehr einer konkreten Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person oder für den Bestand des Bundes oder eines Landes verwendet werden. Die Erhebung der Verkehrsdaten zu Strafverfolgungszwecken setzt nach § 100g Abs. 2 StPO voraus, dass der Verdacht einer der im Gesetz abschließend bezeichneten besonders schweren Straftaten besteht, die Tat auch im Einzelfall besonders schwer wiegt, die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes des Beschuldigten auf andere Weise wesentlich erschwert oder aussichtslos wäre und die Erhebung der Daten in einem angemessenen Verhältnis zur Bedeutung der Sache steht. Die Erhebung oder Verwendung von Verkehrsdaten der in § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 5 StPO genannten Berufsgeheimnisträger, zu denen z.B. Rechtsanwälte, Ärzte oder Journalisten gehören, ist nach § 100g Abs. 4 StPO unzulässig. § 101a Abs. 1 StPO regelt zudem einen Richtervorbehalt für die Erhebung von Verkehrsdaten nach § 100g StPO sowie besondere Anforderungen an die Gestaltung der Entscheidungsformel. Die Begründung des Beschlusses muss nach § 101a Abs. 2 StPO einzelfallbezogen die wesentlichen Erwägungen zur Erforderlichkeit und Angemessenheit der Maßnahme darlegen. § 101a Abs. 6 StPO sieht eine Pflicht zur Benachrichtigung der Beteiligten der betroffenen Telekommunikation vor.

30 Diese einschränkenden Zugangsregelungen gelten zwar nicht in Bezug auf die dem Teilnehmer für eine Internetnutzung zugewiesene Internetprotokoll-Adresse; denn diese darf nach § 113c Abs. 1 Nr. 3 TKG auch im Rahmen einer Bestandsdatenauskunft zur Verfolgung jeglicher Straftaten, zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung sowie generell zur Erfüllung der Aufgaben der Nachrichtendienste verwendet werden. Allerdings ist davon auszugehen, dass die Auskunft, welcher Anschlussinhaber unter einer bereits bekannten Internetprotokoll-Adresse im Internet angemeldet war, nicht die Erstellung von Persönlichkeits- und Bewegungsprofilen zulässt (vgl. BVerfG, Urteil vom 2. März 2010 - 1 BvR 256, 263, 586/08 - BVerfGE 125, 260 <340 ff.>). Selbst wenn der Klägerin folgend unterstellt wird, dass zunehmend technische Verfahren zum Einsatz kommen, bei denen eine Internetprotokoll-Adresse nicht mehr eindeutig auf einen bestimmten Telekommunikationsanschluss, sondern lediglich auf eine größere Gruppe von Anschlüssen zurückgeführt werden kann und sich die Bestandsdatenauskunft daher zu einer Maßnahme mit beträchtlicher Streubreite entwickelt hat, bleibt die Eingriffsintensität einer solchen Bestandsdatenauskunft weiterhin deutlich hinter derjenigen zurück, die bei der Abfrage und Verwendung der Telekommunikations-Verkehrsdaten selbst besteht.

31 (4) Für die Annahme, dass die in § 113a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 113b TKG geregelte Pflicht zur anlasslosen Vorratsdatenspeicherung von Telekommunikations-Verkehrsdaten angesichts der dargelegten Beschränkungen auf Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58/EG gestützt werden kann, spricht im Rahmen einer Gesamtbetrachtung neben den einschränkenden Regelungen zu den erfassten Kommunikationsmitteln, Datenkategorien und Speicherzeiträumen sowie den strengen Vorgaben zur Datensicherheit und zum Datenabruf ferner auch der Umstand, dass der nationale Gesetzgeber damit den Handlungspflichten nachgekommen ist, die sich für die Mitgliedstaaten aus dem durch Art. 6 GRC garantierten Recht auf Sicherheit ergeben.

32 In seinem Urteil vom 8. April 2014 betreffend die Gültigkeit der Richtlinie 2006/24/EG hat der Gerichtshof Art. 6 GRC ausdrücklich erwähnt und in diesem Zusammenhang unter Bezugnahme auf seine Rechtsprechung darauf hingewiesen, dass die Bekämpfung des internationalen Terrorismus zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit eine dem Gemeinwohl dienende Zielsetzung der Union darstellt und dass das Gleiche für die Bekämpfung schwerer Kriminalität zur Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit gilt (EuGH, Urteil vom 8. April 2014 - C-293/12 und C-594/12 - Rn. 42). Weiter hat der Gerichtshof allerdings ausgeführt, dass zwar die Bekämpfung schwerer Kriminalität, insbesondere der organisierten Kriminalität und des Terrorismus, von größter Bedeutung für die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit sei und dass ihre Wirksamkeit in hohem Maß von der Nutzung moderner Ermittlungstechniken abhängen könne. Eine solche dem Gemeinwohl dienende Zielsetzung könne jedoch, so grundlegend sie auch sein möge, für sich genommen die Erforderlichkeit einer Speicherungsmaßnahme - wie sie die Richtlinie 2006/24/EG vorsah - für die Kriminalitätsbekämpfung nicht rechtfertigen (EuGH, Urteile vom 8. April 2014 - C-293/12 und C-594/12 - Rn. 51, 60 und vom 21. Dezember 2016 - C-203/15 und C-698/15 - Rn. 102 f.).

33 Der beschließende Senat hat im Hinblick auf die sich aus Art. 6 GRC ergebende Handlungspflicht der Mitgliedstaaten Zweifel, ob diese Aussage des Gerichtshofs so verstanden werden muss, dass eine anlasslose Vorratsdatenspeicherung nicht nur in der konkreten Ausgestaltung, die sie in der Richtlinie 2006/24/EG und den hierauf gestützten schwedischen und britischen Regelungen gefunden hat, sondern generell nicht auf Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58/EG gestützt werden kann. Denn das Grundkonzept der Vorratsdatenspeicherung ist mit der einschränkungslos formulierten Forderung des Gerichtshofs, bei den zu speichernden Daten nach Personen, Zeiträumen und geografischen Gebieten zu differenzieren, kaum in Einklang zu bringen (vgl. in diesem Sinne auch bereits die Schlussanträge des Generalanwalts Saugmandsgaard Øe vom 19. Juli 2016 in den verb. Rs. C-203/15 und C-698/15 [ECLI:​EU:​C:​2016:​572] - Rn. 213 ff.). Eine solche Differenzierung kann naturgemäß nur zukunftsgerichtet erfolgen, soweit bereits Erkenntnisse vorliegen. Zweck der Vorratsdatenspeicherung ist jedoch gerade die Rekonstruktion zurückliegender Vorgänge auf der Grundlage solcher Telekommunikations-Verkehrsdaten, die zum Zeitpunkt des Anlasses bereits vorhanden sind. Dieser Zweck dürfte nicht erreicht werden können, wenn etwa danach differenziert werden muss, welchen Personen - z.B. aufgrund der Beobachtung des Kommunikationsverhaltens in sozialen Netzwerken - schwere Straftaten zugetraut werden, oder in geografischer Hinsicht lediglich solche Funkzellen erfasst werden dürfen, in denen Einrichtungen liegen, bei denen aufgrund konkreter Erkenntnisse eine erhöhte Anschlagsgefahr oder ein hohes Schadenspotenzial gegeben ist. So ist eine geografische Einschränkung gerade bei Straftaten, die mittels elektronischer Telekommunikationsdienste begangen werden, kaum geeignet.

34 Gegen die Annahme, eine anlasslose Speicherung von Verkehrsdaten sei per se mit der Grundrechtecharta unvereinbar, spricht aus Sicht des Senats zudem das Erfordernis, ein Gleichgewicht herzustellen zwischen einerseits der Pflicht der Mitgliedstaaten, die Sicherheit der sich in ihrem Hoheitsgebiet aufhaltenden Personen zu gewährleisten, und andererseits der Wahrung der in den Art. 7 und 8 GRC verankerten Grundrechte auf Achtung der Privatsphäre und auf Schutz personenbezogener Daten (vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Saugmandsgaard Øe vom 19. Juli 2016 in den verb. Rs. C-203/15 und C-698/15 - Rn. 5, 163). Der Senat vermag der Rechtsprechung des Gerichtshofs daher nicht eindeutig zu entnehmen, dass die nationalen Gesetzgeber keine Möglichkeit mehr haben sollen, aufgrund einer Gesamtabwägung eine - ggf. durch strenge Zugangsregelungen ergänzte - anlasslose Vorratsdatenspeicherung einzuführen, um dem spezifischen Gefahrenpotenzial, das sich mit den neuen Telekommunikationsmitteln verbindet (vgl. hierzu BVerfG, Urteil vom 2. März 2010 - 1 BvR 256, 263, 586/08 - BVerfGE 125, 260 <322 f.>), Rechnung zu tragen.

35 (5) Wäre die erwähnte Rechtsprechung des Gerichtshofs so zu verstehen, dass eine anlasslose Vorratsdatenspeicherung generell nicht auf Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58/EG gestützt werden kann und es auf die konkreten Regelungen zu den erfassten Kommunikationsmitteln, zu den Kategorien der zu speichernden Daten, zur Speicherdauer, zu den Voraussetzungen für den Zugang zu den gespeicherten Daten und zum Schutz vor Missbrauchsrisiken folglich nicht ankommt, wäre zudem der Handlungsspielraum der nationalen Gesetzgeber in einem Bereich der Strafverfolgung und der öffentlichen Sicherheit, der nach Art. 4 Abs. 2 Satz 3 EUV jedenfalls grundsätzlich weiterhin in die alleinige Verantwortung der einzelnen Mitgliedstaaten fällt, erheblich eingeschränkt. In diesem Bereich haben die nationalen Gesetzgeber die Aufgabe, - wie ausgeführt - ein Gleichgewicht zwischen den Grundrechten auf Achtung der Privatsphäre und auf Schutz personenbezogener Daten einerseits und der Pflicht der Mitgliedstaaten, die Sicherheit der Bevölkerung zu gewährleisten, andererseits herzustellen. Dass den demokratisch legitimierten Gesetzgebern der Mitgliedstaaten die Möglichkeit, im Bereich der Strafverfolgung und der öffentlichen Sicherheit auf der Grundlage des Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58/EG eine für erforderlich gehaltene Ermittlungstechnik wie die anlasslose Vorratsdatenspeicherung einzuführen, unabhängig von der Art der Gefahrenlage und der konkreten Ausgestaltung der Regelungen vollständig verwehrt sein soll, vermag der beschließende Senat der Entscheidung des Gerichtshofs vom 21. Dezember 2016 nicht hinreichend sicher zu entnehmen.

36 (6) Ob die Ausführungen des Gerichtshofs in dem Urteil vom 21. Dezember 2016 als an die Mitgliedstaaten gerichtetes Verbot zu verstehen sind, die Einführung einer Pflicht zur anlasslosen Vorratsdatenspeicherung von Telekommunikations-Verkehrsdaten auf Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58/EG zu stützen, erscheint dem Senat auch vor dem Hintergrund der neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nicht abschließend geklärt. Denn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat zuletzt in einem Urteil vom 19. Juni 2018 entschieden, dass die schwedischen Rechtsvorschriften über die Massenüberwachung des grenzüberschreitenden Datenverkehrs mit Art. 8 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) in Einklang stehen. Angesichts der Bedrohungen, denen Staaten zur Zeit ausgesetzt seien einschließlich der Geißel des globalen Terrorismus und anderer schwerer Verbrechen, wie Drogenhandel, Menschenhandel, sexuelle Ausbeutung von Kindern und Internetkriminalität, sowie wegen des technischen Fortschritts, der es Terroristen und Kriminellen erleichtere, ihre Entdeckung im Internet zu vermeiden, und der Unvorhersehbarkeit der Übertragungswege elektronischer Daten, falle die Entscheidung, ein System der Massenüberwachung einzurichten, um bisher unbekannte Bedrohungen der nationalen Sicherheit zu erkennen, weiterhin in den Ermessensspielraum des Staates (EGMR, Urteil vom 19. Juni 2018 - Nr. 35252/08 [ECLI:​CE:​ECHR:​2018:​0619JUD003525208], Centrum för Rättvisa/Schweden - Rn. 112). Soweit der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte auf die Unvorhersehbarkeit der Übertragungswege elektronischer Daten sowie den technischen Fortschritt verweist, der es Terroristen und Kriminellen erleichtere, ihre Entdeckung im Internet zu vermeiden, betont er stärker als der Gerichtshof der Europäischen Union das spezifische Gefahrenpotenzial, das sich mit den neuen Telekommunikationsmitteln verbindet.

37 Die anders akzentuierte Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte kann nach Ansicht des beschließenden Senats hier nicht außer Betracht bleiben. Denn zum einen wird in Erwägungsgrund 11 der Richtlinie 2002/58/EG hervorgehoben, dass Maßnahmen nach Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie im Einklang mit der EMRK in ihrer Auslegung durch die Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu erfolgen haben. Zum anderen hat der Gerichtshof der Europäischen Union wiederholt darauf hingewiesen, dass mit Art. 52 Abs. 3 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, soweit diese Rechte enthält, die den durch die EMRK garantierten Rechten entsprechen, die notwendige Kohärenz zwischen den in der Charta verankerten Rechten und den entsprechenden durch die EMRK garantierten Rechten geschaffen werden soll, ohne dass dadurch die Eigenständigkeit des Unionsrechts und des Gerichtshofs der Europäischen Union berührt wird (vgl. EuGH, Urteil vom 29. Juli 2019 - C-469/17 [ECLI:​EU:​C:​2019:​623], Funke Medien NRW GmbH - Rn. 73 und die dort angeführte Rechtsprechung).

38 (7) Schließlich geht aus verschiedenen beim Gerichtshof bereits anhängigen Vorabentscheidungsersuchen aus anderen Mitgliedstaaten hervor, dass die vorlegenden Gerichte insbesondere im Hinblick auf Art. 6 GRC und Art. 4 EUV Zweifel daran haben, ob die Ausführungen des Gerichtshofs im Urteil vom 21. Dezember 2016 als generelles Verbot einer anlasslosen Vorratsdatenspeicherung zu verstehen sind, das weder im Hinblick auf die Erheblichkeit der zu bekämpfenden Gefahren für die öffentliche Sicherheit noch im Rahmen einer "Kompensation" durch restriktive Zugriffsregelungen und hohe Sicherheitsanforderungen überwunden werden kann. Der beschließende Senat nimmt insoweit Bezug auf das Vorabentscheidungsersuchen des Investigatory Powers Tribunal - London (Vereinigtes Königreich), das als Rechtssache C-623/17 beim Gerichtshof anhängig ist (ABl. C 22 vom 22. Januar 2018, S. 29), die beiden Vorabentscheidungsersuchen des Conseil d’État (Frankreich), die als Rechtssachen C-511/18 und C-512/18 anhängig sind (ABl. C 392 vom 29. Oktober 2018, S. 7 f.) sowie das Vorabentscheidungsersuchen des Belgischen Verfassungsgerichtshofs, das als Rechtssache C-520/18 anhängig ist (ABl. C 408 vom 12. November 2018, S. 39).

Beschluss vom 25.09.2019 -
BVerwG 6 C 13.18ECLI:DE:BVerwG:2019:250919B6C13.18.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 25.09.2019 - 6 C 13.18 - [ECLI:DE:BVerwG:2019:250919B6C13.18.0]

Beschluss

BVerwG 6 C 13.18

  • VG Köln - 20.04.2018 - AZ: VG 9 K 7417/17

In der Verwaltungsstreitsache hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung am 25. September 2019
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Kraft und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Heitz, Dr. Möller, Hahn sowie die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Steiner
beschlossen:

  1. Das Verfahren wird ausgesetzt.
  2. Es wird eine Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu folgender Frage eingeholt:
  3. Ist Art. 15 der Richtlinie 2002/58/EG im Licht der Art. 7, 8 und 11 sowie des Art. 52 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union einerseits und des Art. 6 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sowie des Art. 4 des Vertrags über die Europäische Union andererseits dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, welche die Betreiber öffentlich zugänglicher elektronischer Kommunikationsdienste verpflichtet, Verkehrs- und Standortdaten der Endnutzer dieser Dienste auf Vorrat zu speichern, wenn diese Verpflichtung
  4. - keinen spezifischen Anlass in örtlicher, zeitlicher oder räumlicher Hinsicht voraussetzt,
  5. - Gegenstand der Pflicht zur Speicherung bei der Erbringung öffentlich zugänglicher Telefondienste - einschließlich der Übermittlung von Kurz-, Multimedia- oder ähnlichen Nachrichten sowie unbeantworteter oder erfolgloser Anrufe - folgende Daten sind:
  6. - die Rufnummer oder eine andere Kennung des anrufenden und des angerufenen Anschlusses sowie bei Um- oder Weiterschaltungen jedes weiteren beteiligten Anschlusses,
  7. - Datum und Uhrzeit von Beginn und Ende der Verbindung bzw. - bei der Übermittlung einer Kurz-, Multimedia- oder ähnlichen Nachricht - die Zeitpunkte der Versendung und des Empfangs der Nachricht unter Angabe der zugrunde liegenden Zeitzone,
  8. - Angaben zu dem genutzten Dienst, wenn im Rahmen des Telefondienstes unterschiedliche Dienste genutzt werden können,
  9. - im Fall mobiler Telefondienste ferner
  10. - die internationale Kennung mobiler Teilnehmer für den anrufenden und den angerufenen Anschluss,
  11. - die internationale Kennung des anrufenden und des angerufenen Endgerätes,
  12. - Datum und Uhrzeit der ersten Aktivierung des Dienstes unter Angabe der zugrunde liegenden Zeitzone, wenn Dienste im Voraus bezahlt wurden,
  13. - die Bezeichnungen der Funkzellen, die durch den anrufenden und den angerufenen Anschluss bei Beginn der Verbindung genutzt wurden,
  14. - im Fall von Internet-Telefondiensten auch die Internetprotokoll-Adressen des anrufenden und des angerufenen Anschlusses und zugewiesene Benutzerkennungen,
  15. - Gegenstand der Pflicht zur Speicherung bei der Erbringung öffentlich zugänglicher Internetzugangsdienste folgende Daten sind:
  16. - die dem Teilnehmer für eine Internetnutzung zugewiesene Internetprotokoll-Adresse,
  17. - eine eindeutige Kennung des Anschlusses, über den die Internetnutzung erfolgt, sowie eine zugewiesene Benutzerkennung,
  18. - Datum und Uhrzeit von Beginn und Ende der Internetnutzung unter der zugewiesenen Internetprotokoll-Adresse unter Angabe der zugrunde liegenden Zeitzone,
  19. - im Fall der mobilen Nutzung die Bezeichnung der bei Beginn der Internetverbindung genutzten Funkzelle,
  20. - folgende Daten nicht gespeichert werden dürfen:
  21. - der Inhalt der Kommunikation,
  22. - Daten über aufgerufene Internetseiten,
  23. - Daten von Diensten der elektronischen Post,
  24. - Daten, die den Verbindungen zu oder von bestimmten Anschlüssen von Personen, Behörden und Organisationen in sozialen oder kirchlichen Bereichen zugrunde liegen,
  25. - die Dauer der Speicherung auf Vorrat für Standortdaten, d.h. die Bezeichnung der genutzten Funkzelle, vier Wochen und für die übrigen Daten zehn Wochen beträgt,
  26. - ein wirksamer Schutz der auf Vorrat gespeicherten Daten vor Missbrauchsrisiken sowie vor jedem unberechtigten Zugang gewährleistet ist, und
  27. - die auf Vorrat gespeicherten Daten nur zur Verfolgung besonders schwerer Straftaten und zur Abwehr einer konkreten Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person oder für den Bestand des Bundes oder eines Landes, verwendet werden dürfen, mit Ausnahme der dem Teilnehmer für eine Internetnutzung zugewiesenen Internetprotokoll-Adresse, deren Verwendung im Rahmen einer Bestandsdatenauskunft zur Verfolgung jeglicher Straftaten, zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung sowie zur Erfüllung der Aufgaben der Nachrichtendienste zulässig ist?

Gründe

I

1 Die Klägerin erbringt öffentlich zugängliche Telefondienste und Internetzugangsdienste. Sie wendet sich mit der Feststellungsklage gegen die ihr durch § 113a Abs. 1 in Verbindung mit § 113b des Telekommunikationsgesetzes (TKG) in der Fassung des Gesetzes vom 10. Dezember 2015 auferlegte Pflicht, ab dem 1. Juli 2017 Telekommunikations-Verkehrsdaten ihrer Kunden auf Vorrat zu speichern.

2 Mit Urteil vom 20. April 2018 hat das Verwaltungsgericht auf die Klage festgestellt, dass die Klägerin nicht verpflichtet ist, die in § 113b Abs. 3 Nr. 1 bis 3 TKG genannten Telekommunikations-Verkehrsdaten ihrer Kunden, denen sie den Internetzugang vermittelt, zu speichern und die in § 113b Abs. 2 Satz 1 und 2 TKG genannten Telekommunikations-Verkehrsdaten ihrer Kunden, denen sie den Zugang zu öffentlichen Telefondiensten vermittelt, zu speichern. Die Speicherpflicht verstoße gegen Unionsrecht und sei daher im Fall der Klägerin unanwendbar. Die grundsätzlichen Rechtsfragen zur Reichweite und zu den materiellrechtlichen Anforderungen des im vorliegenden Zusammenhang maßgeblichen Unionsrechts seien durch das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 21. Dezember 2016 in den verbundenen Rechtssachen C-203/15 (Tele2 Sverige) und C-698/15 (Watson u.a.) [ECLI:​EU:​C:​2016:​970] geklärt.

3 Gegen die erstinstanzliche Entscheidung hat die Beklagte die vom Verwaltungsgericht zugelassene (Sprung-)Revision eingelegt. Sie beantragt, das angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichts abzuändern und die Klage abzuweisen.

II

4 Der Rechtsstreit ist auszusetzen, weil sein Ausgang von einer vorab einzuholenden Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über die Auslegung der Verträge abhängt (Art. 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union <AEUV>).

5 1. Die Revision der Beklagten gegen das Feststellungsurteil des Verwaltungsgerichts ist nur dann begründet, wenn die Regelung in § 113a Abs. 1 Satz 1, § 113b TKG mit den vorrangigen Vorschriften des Unionsrechts vereinbar ist. Anderenfalls ist die Revision zurückzuweisen. Verstößt die in § 113a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 113b TKG angeordnete Pflicht der Erbringer öffentlich zugänglicher Telekommunikationsdienste zur Speicherung von Telekommunikations-Verkehrsdaten auf Vorrat gegen Unionsrecht, kann die Revision auch nicht aus dem Grund Erfolg haben, dass keine Rechte der Klägerin verletzt sind (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Dabei kommt es nicht darauf an, ob sich die Klägerin in ihrer Eigenschaft als Telekommunikationsunternehmen - und damit nicht als Teilnehmer, sondern lediglich als Übermittler der Kommunikation - auch auf die in den Art. 7 und 8 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) verankerten Grundrechte auf Achtung der Privatsphäre und auf Schutz personenbezogener Daten berufen kann. Denn die Speicherpflicht stellt angesichts des damit verbundenen technischen und finanziellen Aufwandes jedenfalls einen Eingriff in die durch Art. 16 GRC garantierte unternehmerische Freiheit der Klägerin dar. Ist die Regelung in § 113a Abs. 1 Satz 1, § 113b TKG mit dem Unionsrecht nicht vereinbar, darf sie - da eine unionsrechtskonforme Auslegung nicht in Betracht kommt - wegen des Grundsatzes des Vorrangs des Unionsrechts nicht angewendet werden (ständige Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union, vgl. EuGH, Urteile vom 9. März 1978 - Rs. 106/77 [ECLI:​EU:​C:​1978:​49], Simmenthal - Rn. 24, vom 3. Mai 2005 - C-387/02, C-391/02 und C-403/02 [ECLI:​EU:​C:​2005:​270], Berlusconi u.a. - Rn. 72, vom 22. Juni 2010 - C-188/10 und C-189/10 [ECLI:​EU:​C:​2010:​363], Melki und Abdeli - Rn. 43, sowie vom 18. September 2014 - C-487/12 [ECLI:​EU:​C:​2014:​2232], Vueling Airlines - Rn. 48). Die Unanwendbarkeit der Regelung hat zur Folge, dass die Grundrechtseinschränkung nicht im Sinne des Art. 52 Abs. 1 Satz 1 GRC "gesetzlich vorgesehen" ist.

6 Zwar wäre die Revision auch dann zurückzuweisen, wenn die gesetzlichen Vorschriften mit dem Unionsrecht vereinbar wären, aber gegen Grundrechte des Grundgesetzes verstießen und deshalb nichtig wären. In diesem Fall stellte sich die Entscheidung des Verwaltungsgerichts aus anderen Gründen als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO). Diese Möglichkeit kann hier jedoch außer Betracht bleiben. Denn die Feststellung der Nichtigkeit von § 113a Abs. 1 Satz 1 und § 113b TKG würde voraussetzen, dass der Senat das Verfahren aussetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage der Vereinbarkeit mit den Grundrechten des Grundgesetzes gemäß Art. 100 Abs. 1 GG zur Entscheidung vorlegt. Die damit verbundene Verzögerung der Klärung der im vorliegenden Verfahren - auch aus Sicht der Beteiligten - im Vordergrund stehenden Vereinbarkeit der gesetzlichen Regelung mit dem Unionsrecht widerspräche der Prozessökonomie. Zudem kann eine nationale Verfahrensvorschrift nicht das Recht der nationalen Gerichte in Frage stellen, dem Gerichtshof ein Vorabentscheidungsersuchen vorzulegen, wenn sie Zweifel an der Auslegung des Unionsrechts haben (EuGH, Urteil vom 4. Juni 2015 - C-5/14 [ECLI:​EU:​C:​2015:​354], Kernkraftwerke Lippe-Ems - Rn. 37 mit weiteren Nachweisen).

7 2. Die Pflicht der Telekommunikationsanbieter, bestimmte Verkehrsdaten für eine beschränkte Zeit zu speichern, ist durch das Gesetz zur Einführung einer Speicherpflicht und einer Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten vom 10. Dezember 2015 (BGBI. I S. 2218 ff.) neu geregelt worden, nachdem das Bundesverfassungsgericht die §§ 113a und 113b TKG sowie § 100g Abs. 1 Satz 1 der Strafprozessordnung (StPO), soweit danach Verkehrsdaten nach § 113a TKG erhoben werden durften, in der Fassung des Gesetzes vom 21. Dezember 2007 (BGBl. I S. 3198) wegen Verstoßes gegen Art. 10 Abs. 1 GG für nichtig erklärt hatte (BVerfG, Urteil vom 2. März 2010 - 1 BvR 256, 263, 586/08 [ECLI:​DE:​BVerfG:​2010:​rs20100302.1bvr025608] - BVerfGE 125, 260). Der Neuregelung vorausgegangen war ferner das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 8. April 2014, mit dem die auch dem Gesetz vom 21. Dezember 2007 zugrunde liegende Richtlinie 2006/24/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 über die Vorratsspeicherung von Daten, die bei der Bereitstellung öffentlich zugänglicher elektronischer Kommunikationsdienste oder öffentlicher Kommunikationsnetze erzeugt oder verarbeitet werden, und zur Änderung der Richtlinie 2002/58/EG für ungültig erklärt worden ist (EuGH, Urteil vom 8. April 2014 - C-293/12 und C-594/12 [ECLI:​EU:​C:​2014:​238], Digital Rights Ireland Ltd u.a. -). Das Gesetz vom 10. Dezember 2015 soll Lücken bei der Strafverfolgung und bei der Gefahrenabwehr schließen und zugleich den sich aus den genannten Gerichtsentscheidungen ergebenden verfassungs- und europarechtlichen Vorgaben Rechnung tragen (vgl. BT-Drs. 18/5088 S. 1, 21 ff.). Es enthält u.a. die folgenden geänderten Vorschriften des Telekommunikationsgesetzes (TKG) und der Strafprozessordnung (StPO):

8 § 113a Abs. 1 Satz 1 TKG lautet:
Die Verpflichtungen zur Speicherung von Verkehrsdaten, zur Verwendung der Daten und zur Datensicherheit nach den §§ 113b bis 113g beziehen sich auf Erbringer öffentlich zugänglicher Telekommunikationsdienste für Endnutzer.

9 § 113b lautet:
(1) Die in § 113a Absatz 1 Genannten sind verpflichtet, Daten wie folgt im Inland zu speichern:
1. Daten nach den Absätzen 2 und 3 für zehn Wochen,
2. Standortdaten nach Absatz 4 für vier Wochen.
(2) Die Erbringer öffentlich zugänglicher Telefondienste speichern
1. die Rufnummer oder eine andere Kennung des anrufenden und des angerufenen Anschlusses sowie bei Um- oder Weiterschaltungen jedes weiteren beteiligten Anschlusses,
2. Datum und Uhrzeit von Beginn und Ende der Verbindung
unter Angabe der zugrunde liegenden Zeitzone,
3. Angaben zu dem genutzten Dienst, wenn im Rahmen des Telefondienstes unterschiedliche Dienste genutzt werden können,
4. im Fall mobiler Telefondienste ferner
a) die internationale Kennung mobiler Teilnehmer für den anrufenden und den angerufenen Anschluss,
b) die internationale Kennung des anrufenden und des angerufenen Endgerätes,
c) Datum und Uhrzeit der ersten Aktivierung des Dienstes unter Angabe der zugrunde liegenden Zeitzone, wenn Dienste im Voraus bezahlt wurden,
5. im Fall von Internet-Telefondiensten auch die Internetprotokoll-Adressen des anrufenden und des angerufenen Anschlusses und zugewiesene Benutzerkennungen.
Satz 1 gilt entsprechend
1. bei der Übermittlung einer Kurz-, Multimedia- oder ähnlichen Nachricht; hierbei treten an die Stelle der Angaben nach Satz 1 Nummer 2 die Zeitpunkte der Versendung und des Empfangs der Nachricht;
2. für unbeantwortete oder wegen eines Eingriffs des Netzwerkmanagements erfolglose Anrufe, soweit der Erbringer öffentlich zugänglicher Telefondienste die in Satz 1 genannten Verkehrsdaten für die in § 96 Absatz 1 Satz 2 genannten Zwecke speichert oder protokolliert.
(3) Die Erbringer öffentlich zugänglicher Internetzugangsdienste
speichern
1. die dem Teilnehmer für eine Internetnutzung zugewiesene Internetprotokoll-Adresse,
2. eine eindeutige Kennung des Anschlusses, über den die Internetnutzung erfolgt, sowie eine zugewiesene Benutzerkennung,
3. Datum und Uhrzeit von Beginn und Ende der Internetnutzung unter der zugewiesenen Internetprotokoll-Adresse unter Angabe der zugrunde liegenden Zeitzone.
(4) Im Fall der Nutzung mobiler Telefondienste sind die Bezeichnungen der Funkzellen zu speichern, die durch den anrufenden und den angerufenen Anschluss bei Beginn der Verbindung genutzt wurden. Bei öffentlich zugänglichen Internetzugangsdiensten ist im Fall der mobilen Nutzung die Bezeichnung der bei Beginn der Internetverbindung genutzten Funkzelle zu speichern. Zusätzlich sind die Daten vorzuhalten, aus denen sich die geografische Lage und die Hauptstrahlrichtungen der die jeweilige Funkzelle versorgenden Funkantennen ergeben.
(5) Der Inhalt der Kommunikation, Daten über aufgerufene Internetseiten und Daten von Diensten der elektronischen Post dürfen auf Grund dieser Vorschrift nicht gespeichert werden.
(6) Daten, die den in § 99 Absatz 2 genannten Verbindungen zugrunde liegen, dürfen auf Grund dieser Vorschrift nicht gespeichert werden. Dies gilt entsprechend für Telefonverbindungen, die von den in § 99 Absatz 2 genannten Stellen ausgehen. § 99 Absatz 2 Satz 2 bis 7 gilt entsprechend.
(...)

10 Bei den in § 99 Abs. 2 TKG genannten Verbindungen, auf die § 113b Abs. 6 TKG Bezug nimmt, handelt es sich um Verbindungen zu Anschlüssen von Personen, Behörden und Organisationen in sozialen oder kirchlichen Bereichen, die grundsätzlich anonym bleibenden Anrufern ganz oder überwiegend telefonische Beratung in seelischen oder sozialen Notlagen anbieten und die selbst oder deren Mitarbeiter insoweit besonderen Verschwiegenheitsverpflichtungen unterliegen. Voraussetzung für die Ausnahme ist nach § 99 Abs. 2 Satz 2 und 4 TKG, dass die Bundesnetzagentur die angerufenen Anschlüsse auf Antrag in eine Liste aufgenommen hat, nachdem die Inhaber der Anschlüsse ihre Aufgabenbestimmung durch Bescheinigung einer Behörde oder Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts nachgewiesen haben.

11 § 113c TKG lautet:
(1) Die auf Grund des § 113b gespeicherten Daten dürfen
1. an eine Strafverfolgungsbehörde übermittelt werden, soweit diese die Übermittlung unter Berufung auf eine gesetzliche Bestimmung, die ihr eine Erhebung der in § 113b genannten Daten zur Verfolgung besonders schwerer Straftaten erlaubt, verlangt;
2. an eine Gefahrenabwehrbehörde der Länder übermittelt werden, soweit diese die Übermittlung unter Berufung auf eine gesetzliche Bestimmung, die ihr eine Erhebung der in § 113b genannten Daten zur Abwehr einer konkreten Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person oder für den Bestand des Bundes oder eines Landes erlaubt, verlangt;
3. durch den Erbringer öffentlich zugänglicher Telekommunikationsdienste für eine Auskunft nach § 113 Absatz 1 Satz 3 verwendet werden.
(2) Für andere Zwecke als die in Absatz 1 genannten dürfen die auf Grund des § 113b gespeicherten Daten von den nach § 113a Absatz 1 Verpflichteten nicht verwendet werden.
(...)

12 Nach der in § 113c Abs. 1 Nr. 3 TKG erwähnten Bestimmung des § 113 Abs. 1 Satz 3 TKG dürfen die in eine Auskunft an eine der in § 113 Abs. 3 TKG genannten Stellen aufzunehmenden (Bestands-)Daten auch anhand einer zu einem bestimmten Zeitpunkt zugewiesenen Internetprotokoll-Adresse bestimmt werden; hierfür dürfen Verkehrsdaten auch automatisiert ausgewertet werden. Die Auskunft darf nach § 113 Abs. 2 Satz 1 TKG nur erteilt werden, soweit eine in Abs. 3 genannte Stelle dies in Textform im Einzelfall zum Zweck der Verfolgung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten, zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung oder für die Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben der in Abs. 3 Nr. 3 genannten Stellen (Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, Militärischer Abschirmdienst und Bundesnachrichtendienst) unter Angabe einer gesetzlichen Bestimmung verlangt, die ihr eine Erhebung der in Abs. 1 in Bezug genommenen Daten erlaubt.

13 § 113d TKG lautet:
Der nach § 113a Absatz 1 Verpflichtete hat sicherzustellen, dass die auf Grund der Speicherpflicht nach § 113b Absatz 1 gespeicherten Daten durch technische und organisatorische Maßnahmen nach dem Stand der Technik gegen unbefugte Kenntnisnahme und Verwendung geschützt werden. Die Maßnahmen umfassen insbesondere
1. den Einsatz eines besonders sicheren Verschlüsselungsverfahrens,
2. die Speicherung in gesonderten, von den für die üblichen betrieblichen Aufgaben getrennten Speichereinrichtungen,
3. die Speicherung mit einem hohen Schutz vor dem Zugriff aus dem Internet auf vom Internet entkoppelten Datenverarbeitungssystemen,
4. die Beschränkung des Zutritts zu den Datenverarbeitungsanlagen
auf Personen, die durch den Verpflichteten besonders ermächtigt sind, und
5. die notwendige Mitwirkung von mindestens zwei Personen beim Zugriff auf die Daten, die dazu durch den Verpflichteten besonders ermächtigt worden sind.

14 § 113e TKG lautet:
(1) Der nach § 113a Absatz 1 Verpflichtete hat sicherzustellen, dass für Zwecke der Datenschutzkontrolle jeder Zugriff, insbesondere das Lesen, Kopieren, Ändern, Löschen und Sperren der auf Grund der Speicherpflicht nach § 113b Absatz 1 gespeicherten Daten protokolliert wird. Zu protokollieren sind
1. der Zeitpunkt des Zugriffs,
2. die auf die Daten zugreifenden Personen,
3. Zweck und Art des Zugriffs.
(2) Für andere Zwecke als die der Datenschutzkontrolle dürfen die Protokolldaten nicht verwendet werden.
(3) Der nach § 113a Absatz 1 Verpflichtete hat sicherzustellen, dass die Protokolldaten nach einem Jahr gelöscht werden.

15 Zur Gewährleistung eines besonders hohen Standards der Datensicherheit und Datenqualität erstellt die Bundesnetzagentur nach § 113f Abs. 1 TKG einen Anforderungskatalog, der fortlaufend zu überprüfen und ggf. anzupassen ist (§ 113f Abs. 2 TKG). § 113g TKG verlangt die Aufnahme spezifischer Schutzmaßnahmen in das von dem Verpflichteten vorzulegende Sicherheitskonzept.

16 § 100g StPO lautet:
(...)
(2) Begründen bestimmte Tatsachen den Verdacht, dass jemand als Täter oder Teilnehmer eine der in Satz 2 bezeichneten besonders schweren Straftaten begangen hat oder in Fällen, in denen der Versuch strafbar ist, eine solche Straftat zu begehen versucht hat, und wiegt die Tat auch im Einzelfall besonders schwer, dürfen die nach § 113b des Telekommunikationsgesetzes gespeicherten Verkehrsdaten erhoben werden, soweit die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes des Beschuldigten auf andere Weise wesentlich erschwert oder aussichtslos wäre und die Erhebung der Daten in einem angemessenen Verhältnis zur Bedeutung der Sache steht.
(...)
(4) Die Erhebung von Verkehrsdaten nach Absatz 2, auch in Verbindung mit Absatz 3 Satz 2, die sich gegen eine der in § 53 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 bis 5 genannten Personen richtet und die voraussichtlich Erkenntnisse erbringen würde, über die diese das Zeugnis verweigern dürfte, ist unzulässig. (...)

17 § 101a Abs. 1 StPO regelt für die Erhebung von Verkehrsdaten nach § 100g StPO durch Bezugnahme auf § 100b Abs. 1 StPO (nunmehr § 100e Abs. 1 StPO in der Fassung des Gesetzes vom 17. August 2017 <BGBl. I S. 3202>) einen Richtervorbehalt sowie Anforderungen an die Gestaltung der Entscheidungsformel. Die Begründung des Beschlusses muss nach § 101a Abs. 2 StPO einzelfallbezogen die wesentlichen Erwägungen zur Erforderlichkeit und Angemessenheit der Maßnahme darlegen. § 101a Abs. 6 StPO sieht eine Pflicht zur Benachrichtigung der Beteiligten der betroffenen Telekommunikation vor.

18 3. Ob der entscheidungstragende Rechtssatz des Verwaltungsgerichts, dass die in § 113a Abs. 1 i.V.m. § 113b TKG angeordnete Speicherpflicht gegen Unionsrecht verstößt, mit revisiblem Recht vereinbar ist, hängt von der Auslegung der Richtlinie 2002/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Juli 2002 über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation (Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation) (ABl. L 201 S. 37) ab und lässt sich ohne eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union nicht abschließend klären. Der beschließende Senat geht hierbei von folgenden Erwägungen aus:

19 a) Das Verwaltungsgericht hat die Richtlinie 2002/58/EG zu Recht für anwendbar gehalten und daher als Prüfungsmaßstab für die in § 113a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 113b TKG getroffene Regelung herangezogen. Dass nationale Regelungen über die Vorratsspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten sowie den Zugang der nationalen Behörden grundsätzlich in den Geltungsbereich dieser Richtlinie fallen, hat der Gerichtshof abschließend geklärt (EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2016 - C-203/15 und C-698/15 - Rn. 65 ff., 81).

20 b) Die in § 113a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 113b TKG geregelte Pflicht zur Speicherung der Telekommunikations-Verkehrsdaten beschränkt die Rechte gemäß Art. 5 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1 und Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58/EG. Sie stellt einen Eingriff in die durch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie geschützte Vertraulichkeit der elektronischen Kommunikation dar und widerspricht dem Grundsatz, dass es jeder anderen Person als dem Nutzer grundsätzlich untersagt ist, ohne dessen Einwilligung mit elektronischen Kommunikationen verbundene Verkehrsdaten zu speichern. Zudem hält sie nicht die in Art. 6 der Richtlinie geregelte Vorgabe ein, dass Verkehrsdaten nur zur Gebührenabrechnung für die Dienste, zu deren Vermarktung und zur Bereitstellung von Diensten mit Zusatznutzen im dazu erforderlichen Maß und innerhalb des dazu erforderlichen Zeitraums verarbeitet und gespeichert werden dürfen. Für den Fall, dass andere Standortdaten als Verkehrsdaten in Bezug auf die Nutzer oder Teilnehmer von öffentlichen Kommunikationsnetzen oder öffentlich zugänglichen Kommunikationsdiensten verarbeitet werden können, bestimmt Art. 9 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2002/58/EG, dass diese Daten nur im zur Bereitstellung von Diensten mit Zusatznutzen erforderlichen Maß und innerhalb des dafür erforderlichen Zeitraums verarbeitet werden dürfen, wenn sie anonymisiert wurden oder wenn die Nutzer oder Teilnehmer ihre Einwilligung gegeben haben. Auch von dieser Vorgabe weicht die gesetzliche Regelung ab, soweit nach § 113b Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. Abs. 4 TKG auch die dort genannten Standortdaten zu speichern sind.

21 c) Die Beschränkung der Rechte gemäß Art. 5 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1 und Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58/EG ist nur dann gerechtfertigt, wenn die Regelung des § 113a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 113b TKG auf die Ermächtigungsnorm des Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58/EG gestützt werden kann. Danach können die Mitgliedstaaten Rechtsvorschriften erlassen, die die Rechte und Pflichten gemäß Art. 5, 6, 8 Abs. 1, 2, 3 und 4 sowie Art. 9 dieser Richtlinie beschränken, sofern eine solche Beschränkung gemäß Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 95/46/EG für die nationale Sicherheit, (d.h. die Sicherheit des Staates), die Landesverteidigung, die öffentliche Sicherheit sowie die Verhütung, Ermittlung, Feststellung und Verfolgung von Straftaten oder des unzulässigen Gebrauchs von elektronischen Kommunikationssystemen in einer demokratischen Gesellschaft notwendig, angemessen und verhältnismäßig ist. Zu diesem Zweck können die Mitgliedstaaten unter anderem durch Rechtsvorschriften vorsehen, dass Daten aus den in diesem Absatz aufgeführten Gründen während einer begrenzten Zeit aufbewahrt werden. Alle in diesem Absatz genannten Maßnahmen müssen den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts einschließlich den in Art. 6 Abs. 1 und 2 des Vertrags über die Europäische Union niedergelegten Grundsätzen entsprechen (Art. 15 Abs. 1 Satz 2 der Richtlinie 2002/58/EG).

22 aa) Nach der erwähnten Entscheidung des Gerichtshofs vom 21. Dezember 2016 ist Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58/EG im Licht der Art. 7, 8 und 11 sowie des Art. 52 Abs. 1 GRC dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die für Zwecke der Bekämpfung von Straftaten eine allgemeine und unterschiedslose Vorratsspeicherung sämtlicher Verkehrs- und Standortdaten aller Teilnehmer und registrierten Nutzer in Bezug auf alle elektronischen Kommunikationsmittel vorsieht (EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2016 - C-203/15 und C-698/15 - Rn. 82 ff.).

23 Der Gerichtshof hat in der genannten Entscheidung, welche die auf der Richtlinie 2006/24/EG beruhenden Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung in Schweden und im Vereinigten Königreich zum Gegenstand hat, zugleich Anforderungen für die Zulässigkeit einer auf Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58/EG gestützten nationalen Rechtsvorschrift aufgestellt (EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2016 - C-203/15 und C-698/15 - Rn. 108 ff.). Danach untersagt Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58/EG im Licht der Art. 7, 8 und 11 sowie des Art. 52 Abs. 1 GRC einem Mitgliedstaat nicht, eine Regelung zu erlassen, die zur Bekämpfung schwerer Straftaten vorbeugend die gezielte Vorratsspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten ermöglicht, sofern die Vorratsdatenspeicherung hinsichtlich der Kategorien der zu speichernden Daten, der erfassten elektronischen Kommunikationsmittel, der betroffenen Personen und der vorgesehenen Dauer der Vorratsspeicherung auf das absolut Notwendige beschränkt ist. Um diesen Erfordernissen zu genügen, muss die betreffende nationale Regelung jedoch erstens klare und präzise Regeln über die Tragweite und die Anwendung einer solchen Maßnahme der Vorratsdatenspeicherung vorsehen und Mindesterfordernisse aufstellen, so dass die Personen, deren Daten auf Vorrat gespeichert wurden, über ausreichende Garantien verfügen, die einen wirksamen Schutz ihrer personenbezogenen Daten vor Missbrauchsrisiken ermöglichen. Sie muss insbesondere angeben, unter welchen Umständen und unter welchen Voraussetzungen eine Maßnahme der Vorratsdatenspeicherung vorbeugend getroffen werden darf, um so zu gewährleisten, dass eine derartige Maßnahme auf das absolut Notwendige beschränkt wird. Zweitens können sich die materiellen Voraussetzungen, die eine nationale Regelung, die im Rahmen der Bekämpfung von Straftaten vorbeugend die Vorratsspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten ermöglicht, erfüllen muss, um zu gewährleisten, dass sie auf das absolut Notwendige beschränkt wird, zwar je nach den zur Verhütung, Ermittlung, Feststellung und Verfolgung schwerer Straftaten getroffenen Maßnahmen unterscheiden, doch muss die Vorratsspeicherung der Daten stets objektiven Kriterien genügen, die einen Zusammenhang zwischen den zu speichernden Daten und dem verfolgten Ziel herstellen. Diese Voraussetzungen müssen auch in der Praxis geeignet sein, den Umfang der Maßnahme und infolgedessen die betroffenen Personenkreise wirksam zu begrenzen. Bei der Begrenzung einer solchen Maßnahme im Hinblick auf die potenziell betroffenen Personenkreise und Situationen muss sich die nationale Regelung auf objektive Anknüpfungspunkte stützen, die es ermöglichen, Personenkreise zu erfassen, deren Daten geeignet sind, einen zumindest mittelbaren Zusammenhang mit schweren Straftaten sichtbar zu machen, auf irgendeine Weise zur Bekämpfung schwerer Kriminalität beizutragen oder eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit zu verhindern. Eine solche Begrenzung lässt sich durch ein geografisches Kriterium gewährleisten, wenn die zuständigen nationalen Behörden aufgrund objektiver Anhaltspunkte annehmen, dass in einem oder mehreren geografischen Gebieten ein erhöhtes Risiko besteht, dass solche Taten vorbereitet oder begangen werden.

24 Nach dem Wortlaut der zitierten Ausführungen des Gerichtshofs setzt die Zulässigkeit einer nationalen Regelung der Vorratsdatenspeicherung nach Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58/EG mithin voraus, dass ein ausreichender Anlass besteht, dass nur diejenigen Personen erfasst werden, die einen Anhaltspunkt für einen Bezug zu schweren Straftaten bieten, dass eine Begrenzung auf diejenige Region, denjenigen Zeitraum sowie diejenigen Kommunikationsmittel erfolgt, die für den Anlass relevant sind, und dass nur diejenigen Daten erfasst werden, die für die Aufklärung der bezeichneten Straftaten unerlässlich sind. Die Ansicht der Beklagten, schon der Umstand der Nutzung von Internetzugangs- oder Telefondiensten sei als hinreichender Anlass für die Speicherung zu werten, steht mit diesen Vorgaben offensichtlich nicht in Einklang. Die in den Ausführungen des Gerichtshofs zum Ausdruck kommende Annahme einer generellen Unionsrechtswidrigkeit jeder anlasslosen Vorratsdatenspeicherung wird auch nicht durch den Hinweis der Beklagten auf das - später ergangene - Gutachten des Gerichtshofs vom 26. Juli 2017 zu dem Abkommen zwischen Kanada und der Europäischen Union über die Übermittlung von Fluggastdatensätzen in Frage gestellt. Zwar hat der Gerichtshof im Rahmen der Erforderlichkeit der mit dem Abkommen verbundenen Eingriffe in die Grundrechte auf Achtung des Privatlebens (Art. 7 GRC) sowie auf Schutz personenbezogener Daten (Art. 8 GRC) hervorgehoben, dass die sog. PNR-Daten (Passenger Name Records) an Kanada unabhängig davon übermittelt werden, ob objektive Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass von den Fluggästen eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit in Kanada ausgeht (EuGH, Gutachten vom 26. Juli 2017 - 1/15 [ECLI:​EU:​C:​2017:​592] - Rn. 186). Um eine anlasslose Vorratsdatenspeicherung handelt es sich dabei jedoch deshalb nicht, weil die Speicherung und Übermittlung im Zusammenhang mit den Grenzkontrollen steht, denen sämtliche Fluggäste, die nach Kanada einreisen oder aus Kanada ausreisen möchten, nach den Vorschriften des geltenden kanadischen Rechts unterliegen (EuGH, Gutachten vom 26. Juli 2017 - 1/15 - Rn. 188). Mit der Ausreise der Fluggäste entfällt dieser Anlass für die Speicherung. Wie Nr. 3 Buchst. d des Tenors des Gutachtens zu entnehmen ist, setzt die weitere Speicherung nach diesem Zeitpunkt deshalb - als neuen Anlass - voraus, dass objektive Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass von den betreffenden Fluggästen eine Gefahr im Zusammenhang mit der Bekämpfung des Terrorismus und grenzübergreifender schwerer Kriminalität ausgehen könnte.

25 bb) Ist die Rechtsprechung des Gerichtshofs so zu verstehen, dass eine anlasslose Vorratsdatenspeicherung unter keinen Umständen mit dem Unionsrecht vereinbar ist, kann die Revision der Beklagten gegen das angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichts keinen Erfolg haben. Denn ebenso wie die schwedischen und britischen Vorratsdatenspeicherungsregelungen, die Gegenstand des Urteils des Gerichtshofs vom 21. Dezember 2016 waren, verlangt § 113a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 113b TKG weder einen - über die bloße Nutzung von Internetzugangs- oder Telefondiensten hinausgehenden - Anlass für die Speicherung noch einen Zusammenhang zwischen den gespeicherten Daten und einer Straftat bzw. einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit. Vielmehr handelt es sich um eine Regelung, die eine anlasslose, flächendeckende und personell, zeitlich und geografisch undifferenzierte Speicherung eines Großteils aller relevanten Telekommunikations-Verkehrsdaten vorschreibt.

26 cc) Der Senat hält es jedoch ungeachtet der genannten Formulierungen in dem Urteil des Gerichtshofs vom 21. Dezember 2016 nicht für ausgeschlossen, dass die in § 113a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 113b TKG geregelte Pflicht zur anlasslosen Vorratsdatenspeicherung von Telekommunikations-Verkehrsdaten auf Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58/EG gestützt werden kann. Diese Einschätzung beruht auf den folgenden Erwägungen:

27 (1) Zunächst ist festzustellen, dass die Regelung des § 113a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 113b TKG nicht die Speicherung sämtlicher Telekommunikations-Verkehrsdaten aller Teilnehmer und registrierten Nutzer in Bezug auf alle elektronischen Kommunikationsmittel im Sinne der auf die frühere Richtlinie 2006/24/EG und die hierauf gestützten schwedischen und britischen Regelungen bezogenen Rechtsprechung des Gerichtshofs fordert. Von der Speicherpflicht ausgenommen ist nicht nur der Inhalt der Kommunikation, sondern es dürfen auch Daten über aufgerufene Internetseiten, Daten von E-Mail-Diensten sowie Daten, die den Verbindungen zu oder von bestimmten Anschlüssen in sozialen oder kirchlichen Bereichen zugrunde liegen, nicht gespeichert werden (vgl. § 113b Abs. 5 und 6 TKG). Der Ansicht des Verwaltungsgerichts, die Unterschiede zu den schwedischen und britischen Regelungen, die Gegenstand der erwähnten Entscheidung des Gerichtshofs vom 21. Dezember 2016 waren, fielen in Anbetracht der durch den Gerichtshof dargelegten Anforderungen an die Zulässigkeit nationaler Vorschriften betreffend die Vorratsspeicherung von Telekommunikations-Verkehrsdaten nicht entscheidend ins Gewicht, vermag der beschließende Senat nicht ohne weiteres zu folgen. Denn der Gerichtshof hat zur Begründung seiner Entscheidung hervorgehoben, dass eine allgemeine und unterschiedslose Vorratsspeicherung sämtlicher Verkehrs- und Standortdaten aller Teilnehmer und registrierten Nutzer in Bezug auf alle elektronischen Kommunikationsmittel sehr genaue Schlüsse auf das Privatleben derjenigen Personen zulässt, deren Daten auf Vorrat gespeichert wurden, etwa auf Gewohnheiten des täglichen Lebens, ständige oder vorübergehende Aufenthaltsorte, tägliche oder in anderem Rhythmus erfolgende Ortsveränderungen, ausgeübte Tätigkeiten, soziale Beziehungen dieser Personen und das soziale Umfeld, in dem sie verkehren. Ermöglicht wird mithin die Erstellung des Profils der betroffenen Personen, das im Hinblick auf das Recht auf Achtung der Privatsphäre eine genauso sensible Information darstellt wie der Inhalt der Kommunikationen selbst (EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2016 - C-203/15 und C-698/15 - Rn. 99). Werden insbesondere bestimmte Kommunikationsmittel oder Datenkategorien von der Speicherpflicht ausgenommen, kann dies das Risiko der Erstellung eines umfassenden Profils der betroffenen Personen zwar nicht beseitigen, aber zumindest erheblich reduzieren.

28 (2) Ein noch gewichtigerer Unterschied zwischen der Regelung des § 113a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 113b TKG einerseits und der früheren Richtlinie 2006/24/EG andererseits, auf die die schwedischen und britischen Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung gestützt waren, besteht darin, dass die Speicherungsfrist von sechs Monaten bis zu zwei Jahren (vgl. Art. 6 der Richtlinie 2006/24/EG) gemäß § 113b Abs. 1 TKG auf vier bzw. zehn Wochen deutlich verkürzt ist. Die vom Gerichtshof hervorgehobene Gefahr der Erstellung eines umfassenden Profils der betroffenen Personen ist jedoch als umso geringer anzusehen, je kürzer die Zeiträume sind, während derer die Verkehrsdaten gespeichert werden. Erst die Zusammenführung der unterschiedlichen Daten über einen längeren Zeitraum ermöglicht im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs hinreichend zuverlässige Schlüsse auf Gewohnheiten, Aufenthaltsorte, Ortsveränderungen, ausgeübte Tätigkeiten, soziale Beziehungen und das soziale Umfeld der betroffenen Personen. Je kürzer der Speicherzeitraum ist, desto lückenhafter wird zwangsläufig das Persönlichkeitsprofil und desto geringer die Intensität des Grundrechtseingriffs.

29 (3) Weiter ist zu berücksichtigen, dass die durch das Gesetz vom 10. Dezember 2015 eingeführten Regelungen strenge Beschränkungen im Hinblick auf den Schutz der gespeicherten Daten und den Zugang hierzu enthalten. Zum einen wird durch die Vorgaben der §§ 113d ff. TKG ein wirksamer Schutz der auf Vorrat gespeicherten Daten vor Missbrauchsrisiken sowie vor jedem unberechtigten Zugang gewährleistet. Zum anderen dürfen die auf Vorrat gespeicherten Daten nach § 113c Abs. 1 TKG nur zur Bekämpfung schwerer Straftaten oder zur Abwehr einer konkreten Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person oder für den Bestand des Bundes oder eines Landes verwendet werden. Die Erhebung der Verkehrsdaten zu Strafverfolgungszwecken setzt nach § 100g Abs. 2 StPO voraus, dass der Verdacht einer der im Gesetz abschließend bezeichneten besonders schweren Straftaten besteht, die Tat auch im Einzelfall besonders schwer wiegt, die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes des Beschuldigten auf andere Weise wesentlich erschwert oder aussichtslos wäre und die Erhebung der Daten in einem angemessenen Verhältnis zur Bedeutung der Sache steht. Die Erhebung oder Verwendung von Verkehrsdaten der in § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 5 StPO genannten Berufsgeheimnisträger, zu denen z.B. Rechtsanwälte, Ärzte oder Journalisten gehören, ist nach § 100g Abs. 4 StPO unzulässig. § 101a Abs. 1 StPO regelt zudem einen Richtervorbehalt für die Erhebung von Verkehrsdaten nach § 100g StPO sowie besondere Anforderungen an die Gestaltung der Entscheidungsformel. Die Begründung des Beschlusses muss nach § 101a Abs. 2 StPO einzelfallbezogen die wesentlichen Erwägungen zur Erforderlichkeit und Angemessenheit der Maßnahme darlegen. § 101a Abs. 6 StPO sieht eine Pflicht zur Benachrichtigung der Beteiligten der betroffenen Telekommunikation vor.

30 Diese einschränkenden Zugangsregelungen gelten zwar nicht in Bezug auf die dem Teilnehmer für eine Internetnutzung zugewiesene Internetprotokoll-Adresse; denn diese darf nach § 113c Abs. 1 Nr. 3 TKG auch im Rahmen einer Bestandsdatenauskunft zur Verfolgung jeglicher Straftaten, zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung sowie generell zur Erfüllung der Aufgaben der Nachrichtendienste verwendet werden. Allerdings ist davon auszugehen, dass die Auskunft, welcher Anschlussinhaber unter einer bereits bekannten Internetprotokoll-Adresse im Internet angemeldet war, nicht die Erstellung von Persönlichkeits- und Bewegungsprofilen zulässt (vgl. BVerfG, Urteil vom 2. März 2010 - 1 BvR 256, 263, 586/08 - BVerfGE 125, 260 <340 ff.>). Selbst wenn der Klägerin folgend unterstellt wird, dass zunehmend technische Verfahren zum Einsatz kommen, bei denen eine Internetprotokoll-Adresse nicht mehr eindeutig auf einen bestimmten Telekommunikationsanschluss, sondern lediglich auf eine größere Gruppe von Anschlüssen zurückgeführt werden kann und sich die Bestandsdatenauskunft daher zu einer Maßnahme mit beträchtlicher Streubreite entwickelt hat, bleibt die Eingriffsintensität einer solchen Bestandsdatenauskunft weiterhin deutlich hinter derjenigen zurück, die bei der Abfrage und Verwendung der Telekommunikations-Verkehrsdaten selbst besteht.

31 (4) Für die Annahme, dass die in § 113a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 113b TKG geregelte Pflicht zur anlasslosen Vorratsdatenspeicherung von Telekommunikations-Verkehrsdaten angesichts der dargelegten Beschränkungen auf Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58/EG gestützt werden kann, spricht im Rahmen einer Gesamtbetrachtung neben den einschränkenden Regelungen zu den erfassten Kommunikationsmitteln, Datenkategorien und Speicherzeiträumen sowie den strengen Vorgaben zur Datensicherheit und zum Datenabruf ferner auch der Umstand, dass der nationale Gesetzgeber damit den Handlungspflichten nachgekommen ist, die sich für die Mitgliedstaaten aus dem durch Art. 6 GRC garantierten Recht auf Sicherheit ergeben.

32 In seinem Urteil vom 8. April 2014 betreffend die Gültigkeit der Richtlinie 2006/24/EG hat der Gerichtshof Art. 6 GRC ausdrücklich erwähnt und in diesem Zusammenhang unter Bezugnahme auf seine Rechtsprechung darauf hingewiesen, dass die Bekämpfung des internationalen Terrorismus zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit eine dem Gemeinwohl dienende Zielsetzung der Union darstellt und dass das Gleiche für die Bekämpfung schwerer Kriminalität zur Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit gilt (EuGH, Urteil vom 8. April 2014 - C-293/12 und C-594/12 - Rn. 42). Weiter hat der Gerichtshof allerdings ausgeführt, dass zwar die Bekämpfung schwerer Kriminalität, insbesondere der organisierten Kriminalität und des Terrorismus, von größter Bedeutung für die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit sei und dass ihre Wirksamkeit in hohem Maß von der Nutzung moderner Ermittlungstechniken abhängen könne. Eine solche dem Gemeinwohl dienende Zielsetzung könne jedoch, so grundlegend sie auch sein möge, für sich genommen die Erforderlichkeit einer Speicherungsmaßnahme - wie sie die Richtlinie 2006/24/EG vorsah - für die Kriminalitätsbekämpfung nicht rechtfertigen (EuGH, Urteile vom 8. April 2014 - C-293/12 und C-594/12 - Rn. 51, 60 und vom 21. Dezember 2016 - C-203/15 und C-698/15 - Rn. 102 f.).

33 Der beschließende Senat hat im Hinblick auf die sich aus Art. 6 GRC ergebende Handlungspflicht der Mitgliedstaaten Zweifel, ob diese Aussage des Gerichtshofs so verstanden werden muss, dass eine anlasslose Vorratsdatenspeicherung nicht nur in der konkreten Ausgestaltung, die sie in der Richtlinie 2006/24/EG und den hierauf gestützten schwedischen und britischen Regelungen gefunden hat, sondern generell nicht auf Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58/EG gestützt werden kann. Denn das Grundkonzept der Vorratsdatenspeicherung ist mit der einschränkungslos formulierten Forderung des Gerichtshofs, bei den zu speichernden Daten nach Personen, Zeiträumen und geografischen Gebieten zu differenzieren, kaum in Einklang zu bringen (vgl. in diesem Sinne auch bereits die Schlussanträge des Generalanwalts Saugmandsgaard Øe vom 19. Juli 2016 in den verb. Rs. C-203/15 und C-698/15 [ECLI:​EU:​C:​2016:​572] - Rn. 213 ff.). Eine solche Differenzierung kann naturgemäß nur zukunftsgerichtet erfolgen, soweit bereits Erkenntnisse vorliegen. Zweck der Vorratsdatenspeicherung ist jedoch gerade die Rekonstruktion zurückliegender Vorgänge auf der Grundlage solcher Telekommunikations-Verkehrsdaten, die zum Zeitpunkt des Anlasses bereits vorhanden sind. Dieser Zweck dürfte nicht erreicht werden können, wenn etwa danach differenziert werden muss, welchen Personen - z.B. aufgrund der Beobachtung des Kommunikationsverhaltens in sozialen Netzwerken - schwere Straftaten zugetraut werden, oder in geografischer Hinsicht lediglich solche Funkzellen erfasst werden dürfen, in denen Einrichtungen liegen, bei denen aufgrund konkreter Erkenntnisse eine erhöhte Anschlagsgefahr oder ein hohes Schadenspotenzial gegeben ist. So ist eine geografische Einschränkung gerade bei Straftaten, die mittels elektronischer Telekommunikationsdienste begangen werden, kaum geeignet.

34 Gegen die Annahme, eine anlasslose Speicherung von Verkehrsdaten sei per se mit der Grundrechtecharta unvereinbar, spricht aus Sicht des Senats zudem das Erfordernis, ein Gleichgewicht herzustellen zwischen einerseits der Pflicht der Mitgliedstaaten, die Sicherheit der sich in ihrem Hoheitsgebiet aufhaltenden Personen zu gewährleisten, und andererseits der Wahrung der in den Art. 7 und 8 GRC verankerten Grundrechte auf Achtung der Privatsphäre und auf Schutz personenbezogener Daten (vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Saugmandsgaard Øe vom 19. Juli 2016 in den verb. Rs. C-203/15 und C-698/15 - Rn. 5, 163). Der Senat vermag der Rechtsprechung des Gerichtshofs daher nicht eindeutig zu entnehmen, dass die nationalen Gesetzgeber keine Möglichkeit mehr haben sollen, aufgrund einer Gesamtabwägung eine - ggf. durch strenge Zugangsregelungen ergänzte - anlasslose Vorratsdatenspeicherung einzuführen, um dem spezifischen Gefahrenpotenzial, das sich mit den neuen Telekommunikationsmitteln verbindet (vgl. hierzu BVerfG, Urteil vom 2. März 2010 - 1 BvR 256, 263, 586/08 - BVerfGE 125, 260 <322 f.>), Rechnung zu tragen.

35 (5) Wäre die erwähnte Rechtsprechung des Gerichtshofs so zu verstehen, dass eine anlasslose Vorratsdatenspeicherung generell nicht auf Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58/EG gestützt werden kann und es auf die konkreten Regelungen zu den erfassten Kommunikationsmitteln, zu den Kategorien der zu speichernden Daten, zur Speicherdauer, zu den Voraussetzungen für den Zugang zu den gespeicherten Daten und zum Schutz vor Missbrauchsrisiken folglich nicht ankommt, wäre zudem der Handlungsspielraum der nationalen Gesetzgeber in einem Bereich der Strafverfolgung und der öffentlichen Sicherheit, der nach Art. 4 Abs. 2 Satz 3 EUV jedenfalls grundsätzlich weiterhin in die alleinige Verantwortung der einzelnen Mitgliedstaaten fällt, erheblich eingeschränkt. In diesem Bereich haben die nationalen Gesetzgeber die Aufgabe, - wie ausgeführt - ein Gleichgewicht zwischen den Grundrechten auf Achtung der Privatsphäre und auf Schutz personenbezogener Daten einerseits und der Pflicht der Mitgliedstaaten, die Sicherheit der Bevölkerung zu gewährleisten, andererseits herzustellen. Dass den demokratisch legitimierten Gesetzgebern der Mitgliedstaaten die Möglichkeit, im Bereich der Strafverfolgung und der öffentlichen Sicherheit auf der Grundlage des Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58/EG eine für erforderlich gehaltene Ermittlungstechnik wie die anlasslose Vorratsdatenspeicherung einzuführen, unabhängig von der Art der Gefahrenlage und der konkreten Ausgestaltung der Regelungen vollständig verwehrt sein soll, vermag der beschließende Senat der Entscheidung des Gerichtshofs vom 21. Dezember 2016 nicht hinreichend sicher zu entnehmen.

36 (6) Ob die Ausführungen des Gerichtshofs in dem Urteil vom 21. Dezember 2016 als an die Mitgliedstaaten gerichtetes Verbot zu verstehen sind, die Einführung einer Pflicht zur anlasslosen Vorratsdatenspeicherung von Telekommunikations-Verkehrsdaten auf Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58/EG zu stützen, erscheint dem Senat auch vor dem Hintergrund der neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nicht abschließend geklärt. Denn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat zuletzt in einem Urteil vom 19. Juni 2018 entschieden, dass die schwedischen Rechtsvorschriften über die Massenüberwachung des grenzüberschreitenden Datenverkehrs mit Art. 8 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) in Einklang stehen. Angesichts der Bedrohungen, denen Staaten zur Zeit ausgesetzt seien einschließlich der Geißel des globalen Terrorismus und anderer schwerer Verbrechen, wie Drogenhandel, Menschenhandel, sexuelle Ausbeutung von Kindern und Internetkriminalität, sowie wegen des technischen Fortschritts, der es Terroristen und Kriminellen erleichtere, ihre Entdeckung im Internet zu vermeiden, und der Unvorhersehbarkeit der Übertragungswege elektronischer Daten, falle die Entscheidung, ein System der Massenüberwachung einzurichten, um bisher unbekannte Bedrohungen der nationalen Sicherheit zu erkennen, weiterhin in den Ermessensspielraum des Staates (EGMR, Urteil vom 19. Juni 2018 - Nr. 35252/08 [ECLI:​CE:​ECHR:​2018:​0619JUD003525208], Centrum för Rättvisa/Schweden -Rn. 112). Soweit der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte auf die Unvorhersehbarkeit der Übertragungswege elektronischer Daten sowie den technischen Fortschritt verweist, der es Terroristen und Kriminellen erleichtere, ihre Entdeckung im Internet zu vermeiden, betont er stärker als der Gerichtshof der Europäischen Union das spezifische Gefahrenpotenzial, das sich mit den neuen Telekommunikationsmitteln verbindet.

37 Die anders akzentuierte Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte kann nach Ansicht des beschließenden Senats hier nicht außer Betracht bleiben. Denn zum einen wird in Erwägungsgrund 11 der Richtlinie 2002/58/EG hervorgehoben, dass Maßnahmen nach Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie im Einklang mit der EMRK in ihrer Auslegung durch die Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu erfolgen haben. Zum anderen hat der Gerichtshof der Europäischen Union wiederholt darauf hingewiesen, dass mit Art. 52 Abs. 3 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, soweit diese Rechte enthält, die den durch die EMRK garantierten Rechten entsprechen, die notwendige Kohärenz zwischen den in der Charta verankerten Rechten und den entsprechenden durch die EMRK garantierten Rechten geschaffen werden soll, ohne dass dadurch die Eigenständigkeit des Unionsrechts und des Gerichtshofs der Europäischen Union berührt wird (vgl. EuGH, Urteil vom 29. Juli 2019 - C-469/17 [ECLI:​EU:​C:​2019:​623], Funke Medien NRW GmbH - Rn. 73 und die dort angeführte Rechtsprechung).

38 (7) Schließlich geht aus verschiedenen beim Gerichtshof bereits anhängigen Vorabentscheidungsersuchen aus anderen Mitgliedstaaten hervor, dass die vorlegenden Gerichte insbesondere im Hinblick auf Art. 6 GRC und Art. 4 EUV Zweifel daran haben, ob die Ausführungen des Gerichtshofs im Urteil vom 21. Dezember 2016 als generelles Verbot einer anlasslosen Vorratsdatenspeicherung zu verstehen sind, das weder im Hinblick auf die Erheblichkeit der zu bekämpfenden Gefahren für die öffentliche Sicherheit noch im Rahmen einer "Kompensation" durch restriktive Zugriffsregelungen und hohe Sicherheitsanforderungen überwunden werden kann. Der beschließende Senat nimmt insoweit Bezug auf das Vorabentscheidungsersuchen des Investigatory Powers Tribunal - London (Vereinigtes Königreich), das als Rechtssache C-623/17 beim Gerichtshof anhängig ist (ABl. C 22 vom 22. Januar 2018, S. 29), die beiden Vorabentscheidungsersuchen des Conseil d’État (Frankreich), die als Rechtssachen C-511/18 und C-512/18 anhängig sind (ABl. C 392 vom 29. Oktober 2018, S. 7 f.) sowie das Vorabentscheidungsersuchen des Belgischen Verfassungsgerichtshofs, das als Rechtssache C-520/18 anhängig ist (ABl. C 408 vom 12. November 2018, S. 39).

Urteil vom 14.08.2023 -
BVerwG 6 C 6.22ECLI:DE:BVerwG:2023:140823U6C6.22.0

Unionsrechtswidrigkeit der im Telekommunikationsgesetz geregelten Verpflichtungen zur Vorratsspeicherung von Telekommunikations-Verkehrsdaten

Leitsätze:

1. Die in § 175 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 176 TKG (§ 113a Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 113b TKG a. F.) geregelte Verpflichtung der Anbieter öffentlich zugänglicher Telekommunikationsdienste zur Speicherung der dort genannten Telekommunikations-Verkehrsdaten ist in vollem Umfang unvereinbar mit Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58/EG und daher nicht anwendbar, weil eine anlasslose, flächendeckende und personell, zeitlich und geografisch undifferenzierte Vorratsspeicherung eines Großteils der Verkehrs- und Standortdaten vorgeschrieben wird und - soweit das Unionsrecht einer eingeschränkten Vorratsdatenspeicherung nicht von vornherein entgegensteht - die Voraussetzungen hinsichtlich der Bestimmtheit und Normenklarheit der Regelung, der zulässigen Zwecke sowie der weiteren inhaltlichen und verfahrensmäßigen Anforderungen nicht vorliegen (vgl. EuGH, Urteil vom 20. September 2022 - C-793/19 und C-794/19 [ECLI:EU:C:2022:702], SpaceNet u. a. -).

2. Soweit sich die in § 175 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 176 Abs. 3 und 4 Satz 2 und 3 TKG (§ 113a Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 113b Abs. 3 und 4 Satz 2 und 3 TKG a. F.) geregelte Pflicht zur allgemeinen und unterschiedslosen Vorratsspeicherung auf die Bereitstellung von Internetzugangsdiensten und in diesem Rahmen u. a. auf die dem Teilnehmer zugewiesene IP-Adresse bezieht, fehlt es jedenfalls an der unionsrechtlich gebotenen Beschränkung der Speicherungszwecke auf den Schutz der nationalen Sicherheit, der Bekämpfung schwerer Kriminalität oder der Verhütung schwerer Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit.

  • Rechtsquellen
    AEUV Art. 267
    GRC Art. 3, 4, 6, 7, 8, 11, 52
    Richtlinie 2002/58/EG Art. 5, 6, 9, 15
    TKG a. F. §§ 113, 113a, 113b, 113c, 115
    TKG §§ 3, 174, 175, 176, 177, 183

  • VG Köln - 20.04.2018 - AZ: 9 K 3859/16

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 14.08.2023 - 6 C 6.22 - [ECLI:DE:BVerwG:2023:140823U6C6.22.0]

Urteil

BVerwG 6 C 6.22

  • VG Köln - 20.04.2018 - AZ: 9 K 3859/16

In der Verwaltungsstreitsache hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 14. August 2023
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Kraft, die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Möller, Hahn und Dr. Tegethoff sowie die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Gamp
ohne mündliche Verhandlung für Recht erkannt:

  1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 20. April 2018 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Feststellungsausspruch dahingehend gefasst wird, dass die Klägerin nicht verpflichtet ist, die in § 176 Abs. 3 TKG aufgeführten Telekommunikations-Verkehrsdaten ihrer Kunden zu speichern, denen sie den Internet-Zugang vermittelt.
  2. Die Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

Gründe

I

1 Die Klägerin erbringt öffentlich zugängliche Internetzugangsdienste. Sie wendet sich mit der Feststellungsklage gegen die ihr durch § 113a Abs. 1 in Verbindung mit § 113b Abs. 3 des Telekommunikationsgesetzes vom 22. Juni 2004 (TKG a. F.) in der Fassung des Gesetzes zur Einführung einer Speicherpflicht und einer Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten vom 10. Dezember 2015 (BGBI. I S. 2218 ff.) auferlegte Pflicht, ab dem 1. Juli 2017 Telekommunikations-Verkehrsdaten ihrer Kunden auf Vorrat zu speichern.

2 Mit Urteil vom 20. April 2018 hat das Verwaltungsgericht auf die Klage festgestellt, dass die Klägerin nicht verpflichtet ist, die in § 113b Abs. 3 TKG a. F. aufgeführten Telekommunikations-Verkehrsdaten ihrer Kunden, denen sie den Internetzugang vermittelt, zu speichern. Die Speicherpflicht verstoße gegen Unionsrecht und sei daher im Fall der Klägerin unanwendbar. Die grundsätzlichen Rechtsfragen zur Reichweite und zu den materiellrechtlichen Anforderungen des im vorliegenden Zusammenhang maßgeblichen Unionsrechts seien durch das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) vom 21. Dezember 2016 in den verbundenen Rechtssachen - C-203/15 (Tele2 Sverige) und C-698/15 (Watson u. a.) [ECLI:​EU:​C:​2016:​970] - geklärt.

3 Auf die (Sprung-)Revision der Beklagten, mit der diese die Abweisung der Klage unter Änderung des Urteils des Verwaltungsgerichts erstrebt, hat der Senat das Verfahren mit Beschluss vom 25. September 2019 (BVerwG 6 C 12.18 ) ausgesetzt und eine Vorabentscheidung des EuGH gemäß Art. 267 AEUV eingeholt.

4 Mit Urteil vom 20. September 2022 (verbundene Rechtssachen C-793/19 und C-794/19 [ECLI:​EU:​C:​2022:​702], berichtigt durch Beschluss vom 27. Oktober 2022) hat der EuGH die Vorlage wie folgt beschieden:
"Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Juli 2002 über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation (Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation) in der durch die Richtlinie 2009/136/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2009 geänderten Fassung ist im Licht der Art. 7, 8 und 11 sowie von Art. 52 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union
dahin auszulegen, dass
er nationalen Rechtsvorschriften entgegensteht, die präventiv zur Bekämpfung schwerer Kriminalität und zur Verhütung schwerer Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit eine allgemeine und unterschiedslose Vorratsspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten vorsehen;
er nationalen Rechtsvorschriften nicht entgegensteht, die
- es zum Schutz der nationalen Sicherheit gestatten, den Betreibern elektronischer Kommunikationsdienste aufzugeben, Verkehrs- und Standortdaten allgemein und unterschiedslos auf Vorrat zu speichern, wenn sich der betreffende Mitgliedstaat einer als real und aktuell oder vorhersehbar einzustufenden ernsten Bedrohung für die nationale Sicherheit gegenübersieht, sofern diese Anordnung Gegenstand einer wirksamen, zur Prüfung des Vorliegens einer solchen Situation sowie der Beachtung der vorzusehenden Bedingungen und Garantien dienenden Kontrolle durch ein Gericht oder eine unabhängige Verwaltungsstelle sein kann, deren Entscheidung bindend ist, und sofern die Anordnung nur für einen auf das absolut Notwendige begrenzten, aber im Fall des Fortbestands der Bedrohung verlängerbaren Zeitraum ergeht;
- zum Schutz der nationalen Sicherheit, zur Bekämpfung schwerer Kriminalität und zur Verhütung schwerer Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit auf der Grundlage objektiver und nicht diskriminierender Kriterien anhand von Kategorien betroffener Personen oder mittels eines geografischen Kriteriums für einen auf das absolut Notwendige begrenzten, aber verlängerbaren Zeitraum eine gezielte Vorratsspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten vorsehen;
- zum Schutz der nationalen Sicherheit, zur Bekämpfung schwerer Kriminalität und zur Verhütung schwerer Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit für einen auf das absolut Notwendige begrenzten Zeitraum eine allgemeine und unterschiedslose Vorratsspeicherung der IP-Adressen, die der Quelle einer Verbindung zugewiesen sind, vorsehen;
- zum Schutz der nationalen Sicherheit, zur Bekämpfung der Kriminalität und zum Schutz der öffentlichen Sicherheit eine allgemeine und unterschiedslose Vorratsspeicherung der die Identität der Nutzer elektronischer Kommunikationsmittel betreffenden Daten vorsehen;
- es zur Bekämpfung schwerer Kriminalität und,a fortiori, zum Schutz der nationalen Sicherheit gestatten, den Betreibern elektronischer Kommunikationsdienste mittels einer Entscheidung der zuständigen Behörde, die einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle unterliegt, aufzugeben, während eines festgelegten Zeitraums die ihnen zur Verfügung stehenden Verkehrs- und Standortdaten umgehend zu sichern.
Diese Rechtsvorschriften müssen durch klare und präzise Regeln sicherstellen, dass bei der Speicherung der fraglichen Daten die für sie geltenden materiellen und prozeduralen Voraussetzungen eingehalten werden und dass die Betroffenen über wirksame Garantien zum Schutz vor Missbrauchsrisiken verfügen."

5 Die Beklagte hat sich in dem fortgeführten Revisionsverfahren nicht mehr zur Sache geäußert.

6 Die Klägerin tritt der Revision entgegen. Sie verteidigt das Urteil des Verwaltungsgerichts und führt ergänzend aus: Aus dem Urteil des EuGH vom 20. September 2022 ergebe sich, dass die in ihrem Fall maßgeblichen Regelungen zur Bevorratung von IP-Zuordnungsdaten Art. 15 der Richtlinie 2002/58/EG i. V. m. Art. 7, 8, 11 und 52 Abs. 1 GRC verletzten. Zwar sei die nunmehr in § 176 Abs. 3 TKG geregelte Bevorratungspflicht - anders als die Bevorratungspflichten in § 176 Abs. 2 und 4 TKG - nicht schon im konzeptionellen Ausgangspunkt einer allgemeinen und unterschiedslosen Datenspeicherung mit dem Unionsrecht unvereinbar. Die in § 177 Abs. 1 Nr. 3 i. V. m. § 174 Abs. 1 Satz 3 und Abs. 5 TKG enthaltenen Verwendungsregelungen, die zugleich die Zwecke der Datenbevorratung mitdefinierten, genügten jedoch nicht in vollem Umfang den strengen Anforderungen, die der EuGH an die Bevorratung von IP-Zuordnungsdaten herausgearbeitet habe.

7 Dem Bevorratungszweck des Schutzes der nationalen Sicherheit ließen sich zwar die in § 174 Abs. 5 Nr. 5 Buchst. a und Nr. 7 Buchst. a TKG beschriebenen nachrichtendienstlichen Verwendungszwecke zuordnen. Während jedoch der unionsrechtliche Begriff der nationalen Sicherheit eng zu interpretieren sei, seien die Aufgabenkreise der deutschen Nachrichtendienste deutlich weiter gefasst. Der tatbestandlich nicht eingegrenzte Verweis auf den Beobachtungsauftrag des Verfassungsschutzes in § 174 Abs. 5 Nr. 5 Buchst. a TKG erfasse auch Bestrebungen und Tätigkeiten, denen das vom EuGH hervorgehobene Destabilisierungspotenzial fehle und die sich mit terroristischen Bedrohungen nicht vergleichen ließen. Da die Vorschrift weder Anhaltspunkte für eine begangene oder drohende Straftat noch für eine schwerwiegende Bedrohung der öffentlichen Sicherheit voraussetze, könne die Verwendungsregelung auch nicht auf der Grundlage dieser Bevorratungszwecke gerechtfertigt werden. Der in § 174 Abs. 5 Nr. 7 Buchst. a TKG geregelte Bevorratungszweck, Informationen von außen- und sicherheitspolitischer Bedeutung zu erlangen, lasse sich nicht generell unter den engen unionsrechtlichen Begriff der nationalen Sicherheit subsumieren, da für die außenpolitische Handlungsfähigkeit der Bundesregierung neben Informationen zur äußeren Sicherheit auch etwa auslandsbezogene Informationen aus dem kulturellen oder wirtschaftlichen Bereich bedeutsam sein könnten.

8 Die auf die Bekämpfung von Straftaten bezogenen Regelungen in § 174 Abs. 5 Nr. 1 und 2 Buchst. a TKG gingen über den Bevorratungszweck der Bekämpfung schwerwiegender Kriminalität deutlich hinaus. Denn sie öffneten die bevorrateten IP-Zuordnungsdaten für Verwendungen zum Zweck der Verfolgung beziehungsweise Verhütung jeglicher Straftaten. Das Erfordernis der Bekämpfung gerade schwerwiegender Kriminalität würde bedeutungslos, wenn alle Straftaten hierunter gefasst werden könnten. Schließlich sei auch der in dem Bevorratungszweck der Verhütung schwerer Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit enthaltene Begriff der öffentlichen Sicherheit deutlich enger als der gleichlautende Begriff des deutschen Rechts, da er sich auf wesentliche Sicherheitsinteressen beschränke. Jedenfalls ergebe sich aus dem weiteren Erfordernis einer Beschränkung auf schwere Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit, dass sich der Zweck einer Bevorratung von IP-Zuordnungsdaten auf den Schutz besonders bedeutsamer Rechtsgüter beschränken müsse. Der in § 174 Abs. 5 Nr. 2 Buchst. a TKG genannte Schutz nicht unerheblicher Sachwerte genüge diesem Erfordernis nicht, da er eine Datenverwendung lediglich bei drohenden Bagatellschäden sperre und ansonsten jede Verletzung des Sacheigentums ausreichen lasse.

9 Unionsrechtswidrig und folglich unanwendbar seien nicht nur die genannten Datenverwendungsregelungen, sondern auch die gesetzliche Pflicht zur Datenbevorratung selbst. Blieben lediglich die überschießenden Verwendungsregelungen - und die ihnen korrespondierenden Datenerhebungsermächtigungen im Fachrecht der verschiedenen Sicherheitsbehörden - insoweit unangewendet, als sie die unionsrechtlichen Anforderungen verfehlten, würde dies zu nicht hinnehmbarer Rechtsunsicherheit führen. In ihrer Folge müssten für jeden Verwendungszweck ungeschriebene unionsrechtskonforme Verwendungsvoraussetzungen bestimmt werden, die zu den gesetzlichen Tatbestandsmerkmalen der Verwendungsregelungen hinzuträten bzw. diese "überschrieben" und deren genaue Reichweite sich nicht trennscharf bestimmen ließe. Die trennscharfe Formulierung der Verwendungsvoraussetzungen sei gerade für die Verwendung von IP-Zuordnungsdaten besonders bedeutsam, weil eine Vorabkontrolle der Datenverwendung durch eine neutrale Stelle in den fachrechtlichen Verwendungsermächtigungen in der Regel nicht vorgesehen sei. Die Reichweite der unionsrechtlich gebotenen Tatbestandsreduktion bleibe damit einer normativ nicht näher angeleiteten Einschätzung der zuständigen Behörden überlassen. Um den unionsrechtlichen Anforderungen an die Bevorratungszwecke zu genügen, müsse der mitgliedstaatliche Gesetzgeber zusammen mit der Pflicht zur Bevorratung von IP-Zuordnungsdaten hinreichend trennscharfe und restriktive Datenverwendungsregelungen schaffen.

II

10 Die Revision der Beklagten, über die der Senat mit Einverständnis der Verfahrensbeteiligten ohne weitere mündliche Verhandlung entscheidet (§ 141 Satz 1, § 125 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 101 Abs. 2 VwGO), ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 144 Abs. 2 VwGO), wobei der Feststellungsausspruch durch die Bezugnahme auf die nunmehr maßgeblichen Vorschriften zu modifizieren ist. Das angefochtene Urteil beruht nicht auf der Verletzung revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO). Das Verwaltungsgericht hat die Feststellungsklage nach § 43 VwGO zutreffend als zulässig (1.) und begründet (2.) erachtet.

11 1. Nach § 43 VwGO kann durch Klage die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat (§ 43 Abs. 1 VwGO) und soweit er seine Rechte nicht durch Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann oder hätte verfolgen können (§ 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO). Diese Voraussetzungen sind, wovon der Senat bereits in seinem Vorlagebeschluss vom 25. September 2019 (BVerwG 6 C 12.18 ) implizit ausgegangen ist, für die von der Klägerin erhobene Klage erfüllt.

12 a) Zwischen den Beteiligten steht ein konkretes und damit feststellungsfähiges Rechtsverhältnis in Streit. Die Klägerin hat ursprünglich die Feststellung begehrt, dass sie nicht verpflichtet ist, ab dem 1. Juli 2017 die in § 113b Abs. 3 des Telekommunikationsgesetzes vom 22. Juni 2004 (TKG a. F.) in der Fassung des Gesetzes zur Einführung einer Speicherpflicht und einer Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten vom 10. Dezember 2015 (BGBI. I S. 2218 ff.) aufgeführten Telekommunikations-Verkehrsdaten ihrer Kunden zu speichern, denen sie den Internetzugang vermittelt. Da das Feststellungsbegehren der Klägerin erkennbar auf die Klärung ihrer künftigen Handlungspflichten zielt, ist zu berücksichtigen, dass das Telekommunikationsgesetz vom 22. Juni 2004 gemäß Art. 61 Abs. 1 des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2018/1972 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2018 über den europäischen Kodex für die elektronische Kommunikation (Neufassung) und zur Modernisierung des Telekommunikationsrechts (Telekommunikationsmodernisierungsgesetz) vom 23. Juni 2021 (BGBl. I S. 1858) am 1. Dezember 2021 außer Kraft getreten ist. Abgesehen von einigen sprachlichen Anpassungen aufgrund geänderter Begriffsbestimmungen in § 3 TKG (vgl. hierzu BT-Drs. 19/26108 S. 369 f. zu den §§ 174 ff. in der Fassung des Gesetzentwurfs) sind die Vorschriften der bisherigen §§ 113a bis 113g TKG a. F. jedoch inhaltlich weitestgehend unverändert in den nunmehr geltenden §§ 175 bis 181 TKG übernommen worden.

13 Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts ist die Klägerin ein Unternehmen, das Internetdienstleistungen einschließlich Internetzugangsleistungen für Geschäftskunden aus Deutschland und anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union erbringt. Sie unterfällt daher nunmehr gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 TKG als Anbieter öffentlich zugänglicher Telekommunikationsdienste für Endnutzer, bei denen es sich nicht um nummernunabhängige interpersonelle Telekommunikationsdienste handelt, – ebenso wie zuvor nach § 113a Abs. 1 Satz 1 TKG a. F. als Erbringer öffentlich zugänglicher Telekommunikationsdienste für Endnutzer - den inhaltlich unveränderten Verpflichtungen zur Speicherung von Verkehrsdaten, zur Verwendung der Daten und zur Datensicherheit nach den §§ 176 bis 181 TKG (zuvor §§ 113b bis 113g TKG a. F.). Denn der Begriff der Telekommunikationsdienste umfasst gemäß § 3 Nr. 61 Buchst. a TKG insbesondere auch Internetzugangsdienste. Ob die Klägerin darüber hinaus auch solche Internetdienstleistungen anbietet, die als - von den Verpflichtungen nach § 175 Abs. 1 Satz 1 TKG ausgenommene - nummernunabhängige interpersonelle Telekommunikationsdienste i. S. d. § 3 Nr. 40 TKG, also insbesondere über das Internet angebotene sog. Over-The-Top (OTT)-Dienste zu qualifizieren sind (vgl. Körber, in: Säcker/Körber, TKG-TTDSG, 4. Aufl. 2023, § 3 TKG Rn. 59), ist nicht entscheidungsrelevant.

14 Gegenstand des Rechtsverhältnisses ist das Bestehen der Verpflichtung der Klägerin, als Anbieterin öffentlich zugänglicher Internetzugangsdienste gemäß § 176 Abs. 3 Nr. 1 bis 3 TKG (§ 113b Abs. 3 Nr. 1 bis 3 TKG a. F.) die dem Teilnehmer bzw. Endnutzer für eine Internetnutzung zugewiesene Internetprotokoll-Adresse (im Folgenden: IP-Adresse), eine eindeutige Kennung des Anschlusses, über den die Internetnutzung erfolgt, eine zugewiesene Benutzerkennung sowie Datum und Uhrzeit von Beginn und Ende der Internetnutzung unter der zugewiesenen IP-Adresse unter Angabe der zugrunde liegenden Zeitzone zu speichern. Im Hinblick auf diese unmittelbar durch das Gesetz begründeten Speicherpflichten werden nicht lediglich abstrakte Rechtsfragen in Bezug auf möglicherweise eintretende Beeinträchtigungen im Wege der Feststellungsklage zur gerichtlichen Klärung gestellt. Eine weitere Verdichtung der Rechtsbeziehungen ist nicht erforderlich. Die Annahme eines konkreten und damit feststellungsfähigen Rechtsverhältnisses setzt insbesondere keine Aktualisierung der gesetzlichen Speicherpflichten durch einen behördlichen Vollzugsakt voraus. Ein Verwaltungsvollzug durch die Bundesnetzagentur ist zwar auf der Grundlage der gesetzlichen Befugnisnormen zur Kontrolle und Durchsetzung der Verpflichtungen möglich (vgl. § 183 TKG). Entscheidend ist jedoch, dass es sich bei den Regelungen der §§ 175, 176 TKG (§§ 113a, 113b TKG a. F.) um sog. "self-executing" Normen handelt, die von den betroffenen Unternehmen unmittelbar beachtet werden müssen und nicht auf eine Vollziehung durch die Verwaltung angewiesen sind.

15 Das in Rede stehende konkrete Rechtsverhältnis ist zwischen den Verfahrensbeteiligten streitig. Hierfür genügt es, dass die Bundesnetzagentur als normanwendende Behörde die von der Klägerin mit Schreiben vom 25. Februar 2016 begehrte Bestätigung, wegen der von ihr angenommenen Verfassungs- und Unionsrechtswidrigkeit der Vorschriften des § 113a Abs. 1 i. V. m. § 113b TKG a. F. auch nach dem 1. Juli 2017 nicht zur Vorratsdatenspeicherung verpflichtet zu sein, mit Schreiben vom 24. März 2016 abgelehnt hat. Dass die Beklagte von ihren Befugnissen nach § 183 TKG keinen Gebrauch machen würde, wenn die Klägerin die Verpflichtung zur Vorratsspeicherung der Telekommunikations-Verkehrsdaten missachtet, kann nicht angenommen werden (vgl. zu diesem Gesichtspunkt BVerwG, Urteil vom 23. August 2007 - 7 C 2.07 - BVerwGE 129, 199 Rn. 28). Nichts anderes folgt aus dem Umstand, dass die Bundesnetzagentur, nachdem das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss vom 22. Juni 2017 dem Eilantrag der Klägerin im Beschwerdeverfahren vorläufig stattgegeben hatte, auf ihrer Internetseite die Mitteilung veröffentlicht hat, bis zum rechtskräftigen Abschluss eines Hauptsacheverfahrens von Anordnungen und sonstigen Maßnahmen zur Durchsetzung der in § 113a Abs. 1 i. V. m. § 113b TKG a. F. geregelten Speicherverpflichtung abzusehen und auch keine Bußgeldverfahren gegen die betreffenden Telekommunikationsunternehmen einzuleiten. Denn in der Revisionsbegründung hat die Beklagte klargestellt, dass sie diese Erklärung allein aus Gründen der Rechtsklarheit und zur Gleichbehandlung aller betroffenen Unternehmen abgegeben habe und von ihrer Rechtsposition - der Vereinbarkeit der Regelung mit nationalen und europäischen Vorgaben - nicht abgerückt sei. Diesen Rechtsstandpunkt hat sie ungeachtet des Urteils des EuGH vom 20. September 2022 bisher nicht erkennbar aufgegeben.

16 b) Die Klägerin hat auch das erforderliche berechtigte Interesse an der begehrten Feststellung. Zwar würde sie sich im Fall der Nichtbefolgung der Speicherpflicht aus § 176 TKG (§ 113b TKG a. F.) nach nunmehr geltender Rechtslage nicht mehr dem vom Verwaltungsgericht hervorgehobenen Risiko einer Ahndung als Ordnungswidrigkeit aussetzen. Denn während gemäß § 149 Abs. 1 Nr. 36 TKG a. F. noch ordnungswidrig handelte, wer vorsätzlich oder fahrlässig entgegen § 113b Abs. 1 TKG a. F., auch in Verbindung mit § 113b Abs. 7 TKG a. F., Daten nicht, nicht richtig, nicht vollständig, nicht in der vorgeschriebenen Weise, nicht für die vorgeschriebene Dauer oder nicht rechtzeitig speicherte, enthält der Katalog in § 228 Abs. 2 TKG keine entsprechende Bußgeldvorschrift mehr. Hierdurch entfällt jedoch nicht das Interesse der Klägerin an der baldigen Herstellung von Rechtsklarheit im Zusammenhang mit dem Umfang ihrer rechtlichen Verpflichtungen bei der durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Ausübung ihrer unternehmerischen Tätigkeit.

17 c) Wird die Gewährung vorbeugenden Rechtsschutzes begehrt, ist zwar zusätzlich ein besonderes schützenswertes Interesse in dem Sinn erforderlich, dass es für den Betroffenen nicht zumutbar ist, auf den von der Verwaltungsgerichtsordnung für den Regelfall vorgesehenen nachgängigen Rechtsschutz verwiesen zu werden (stRspr, vgl. BVerwG, Urteile vom 22. Oktober 2014 - 6 C 7.13 - Buchholz 402.41 Allgemeines Polizeirecht Nr. 104 Rn. 17 und vom 13. Dezember 2017 - 6 A 6.16 - BVerwGE 161, 76 Rn. 15). Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts liegt ein solcher Fall hier jedoch nicht vor. Nach der Übergangsvorschrift des § 150 Abs. 13 Satz 1 TKG a. F. waren die Speicherverpflichtung und die damit verbundenen Verpflichtungen nach den §§ 113b bis 113e und 113g TKG a. F. zwar erst ab dem 1. Juli 2017 zwingend zu erfüllen. Zum Zeitpunkt der Erhebung der Feststellungsklage am 28. April 2016 handelte es sich also noch um eine zukünftige Verpflichtung. Diesem Umstand kommt jedoch im vorliegenden Zusammenhang keine Bedeutung mehr zu. Denn maßgebender Zeitpunkt für das Vorliegen der Sachurteilsvoraussetzungen ist der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder - in den Fällen des § 101 Abs. 2 VwGO - der Entscheidung des erkennenden Gerichts (vgl. BVerwG, Urteile vom 23. Juni 1995 - 3 C 6.94 - Buchholz 451.512 MGVO Nr. 110 S. 83 f. und vom 28. November 2018 - 6 C 3.17 - juris Rn. 29).

18 d) Der Zulässigkeit der Feststellungsklage steht schließlich nicht das Subsidiaritätsgebot des § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO entgegen. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend ausgeführt, dass die Klägerin nicht auf die Möglichkeit verwiesen werden kann, eine (vorbeugende) Unterlassungsklage gegen im Fall der Nichterfüllung der in den §§ 175 f. TKG (§§ 113a f. TKG a. F.) geregelten Verpflichtungen zu erwartende Maßnahmen der Bundesnetzagentur auf der Grundlage des § 115 Abs. 1 Satz 1 TKG a. F. (jetzt: § 183 TKG) zu erheben. Gleiches gilt für Anfechtungsklagen nach Erlass derartiger - als Verwaltungsakte einzustufender - Maßnahmen. Die Vorschrift des § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ihrem Zweck entsprechend einschränkend auszulegen und anzuwenden. Droht keine Umgehung der für Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen geltenden Bestimmungen über Fristen und die Durchführung eines Vorverfahrens, steht § 43 Abs. 2 VwGO der Feststellungsklage ebenso wenig entgegen wie in Fällen, in denen diese den effektiveren Rechtsschutz bietet. Kann die zwischen den Parteien streitige Frage sachgerecht und ihrem Rechtsschutzinteresse voll Rechnung tragend durch Feststellungsurteil geklärt werden, verbietet es sich, die Klägerin auf eine Gestaltungs- oder Leistungsklage zu verweisen, in deren Rahmen das Rechtsverhältnis, an dessen selbstständiger Feststellung sie ein berechtigtes Interesse hat, einerseits nur Vorfrage wäre, andererseits die weiteren Elemente des geltend zu machenden Anspruchs nur untergeordnete Bedeutung hätten (BVerwG, Urteile vom 29. April 1997 - 1 C 2.95 - Buchholz 310 § 43 VwGO Nr. 127 S. 9 und vom 30. Mai 2018 - 6 A 3.16 - BVerwGE 162, 179 Rn. 56). Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Die Feststellungsklage bietet den sachgerechten und effektiveren Rechtsschutz. Denn die Klägerin wäre ansonsten gehalten, jede Einzelmaßnahme, die die Bundesnetzagentur zur Durchsetzung der in den § 175 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 176 Abs. 3 TKG (§ 113a Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 113b Abs. 3 TKG a. F.) geregelten Verpflichtungen der Klägerin erlässt, gesondert anzugreifen, obwohl es ihr allein um die Klärung der Vorfrage geht, ob die gesetzliche Pflicht zur Speicherung der Telekommunikations-Verkehrsdaten überhaupt besteht.

19 2. Die angefochtene Entscheidung ist auch in der Sache nicht zu beanstanden. Das Verwaltungsgericht hat ohne Verstoß gegen revisibles Recht festgestellt, dass die Klägerin nicht verpflichtet ist, ab dem 1. Juli 2017 die in § 113b Abs. 3 TKG a. F. aufgeführten Telekommunikations-Verkehrsdaten ihrer Kunden zu speichern, denen sie den Internet-Zugang vermittelt. Der Feststellungsausspruch der Vorinstanz ist mit der Maßgabe aufrechtzuerhalten, dass die Klägerin nicht verpflichtet ist, die in § 176 Abs. 3 TKG aufgeführten Telekommunikations-Verkehrsdaten ihrer Kunden zu speichern, denen sie den Internet-Zugang vermittelt. Durch die auf das Vorabentscheidungsersuchen des Senats ergangene Entscheidung des EuGH vom 20. September 2022 - C-793/19 und C-794/19 - ist geklärt, dass die in § 113a Abs. 1 i. V. m. § 113b TKG a. F. angeordnete Speicherpflicht gegen Unionsrecht verstößt. Dies gilt entsprechend für die nunmehr in § 175 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 176 TKG geregelte, inhaltlich unveränderte Verpflichtung.

20 a) Nach der Rechtsprechung des EuGH fällt eine nationale Regelung, die die Betreiber elektronischer Kommunikationsdienste insbesondere zum Schutz der nationalen Sicherheit und zur Bekämpfung der Kriminalität zur Vorratsspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten verpflichtet, in den Geltungsbereich der Richtlinie 2002/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Juli 2002 über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation (Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation) in der durch die Richtlinie 2009/136/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2009 geänderten Fassung Richtlinie 2002/58/EG (EuGH, Urteil vom 20. September 2022 - C-793/19 und C-794/19 - Rn. 48). Hiervon ist auch der Senat bereits in seinem Vorabentscheidungsersuchen ausgegangen (BVerwG, Beschluss vom 25. September 2019 - 6 C 12.18 - NVwZ 2020, 1108 Rn. 19).

21 b) Die in § 175 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 176 TKG (§ 113a Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 113b TKG a. F.) geregelte Pflicht zur Speicherung der Telekommunikations-Verkehrsdaten beschränkt die in Art. 5 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1 und Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58/EG geregelten Rechte und Pflichten.

22 Nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und 2 der Richtlinie 2002/58/EG sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, die Vertraulichkeit der mit öffentlichen Kommunikationsnetzen und öffentlich zugänglichen Kommunikationsdiensten übertragenen Nachrichten und der damit verbundenen Verkehrsdaten durch innerstaatliche Vorschriften sicherzustellen. Sie sind insbesondere verpflichtet, das Mithören, Abhören und Speichern sowie andere Arten des Abfangens oder Überwachens von Nachrichten und der damit verbundenen Verkehrsdaten durch andere Personen als die Nutzer zu untersagen, wenn keine Einwilligung der betroffenen Nutzer vorliegt, es sei denn, dass diese Personen gemäß Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie gesetzlich dazu ermächtigt sind (EuGH, Urteil vom 20. September 2022 - C-793/19 und C-794/19 - Rn. 51). Insoweit hat der EuGH entschieden, dass in Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58/EG der Grundsatz der Vertraulichkeit sowohl elektronischer Nachrichten als auch der damit verbundenen Verkehrsdaten aufgestellt wird, der u. a. das grundsätzliche Verbot für jede andere Person als die Nutzer, ohne deren Einwilligung solche Nachrichten und Daten auf Vorrat zu speichern, impliziert (EuGH, Urteil vom 20. September 2022 - C-793/19 und C-794/19 - Rn. 52). Dass die in § 175 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 176 TKG (§ 113a Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 113b TKG a. F.) geregelte Pflicht zur Speicherung der Telekommunikations-Verkehrsdaten einen Eingriff in die durch die Richtlinie geschützte Vertraulichkeit der elektronischen Kommunikation darstellt und dem Grundsatz widerspricht, dass es jeder anderen Person als dem Nutzer grundsätzlich untersagt ist, ohne dessen Einwilligung mit elektronischen Kommunikationen verbundene Verkehrsdaten zu speichern, hat der Senat in seinem Vorabentscheidungsersuchen bereits ausgeführt (BVerwG, Beschluss vom 25. September 2019 - 6 C 12.18 - NVwZ 2020, 1108 Rn. 20).

23 Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58/EG sieht vor, dass die sich auf Teilnehmer und Nutzer beziehenden Verkehrsdaten von den Betreibern elektronischer Kommunikationsdienste zu löschen oder zu anonymisieren sind, sobald sie für die Übertragung einer Nachricht nicht mehr benötigt werden. In Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie wird klargestellt, dass Verkehrsdaten, die zum Zweck der Gebührenabrechnung und der Bezahlung von Zusammenschaltungen erforderlich sind, nur bis zum Ablauf der Frist verarbeitet werden dürfen, innerhalb deren die Rechnung rechtlich angefochten oder der Anspruch auf Zahlung geltend gemacht werden kann. Andere Standortdaten als Verkehrsdaten dürfen nach Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie nur unter bestimmten Voraussetzungen und nur dann verarbeitet werden, wenn sie anonymisiert wurden oder wenn die Nutzer oder Teilnehmer ihre Einwilligung gegeben haben. Nach der Rechtsprechung des EuGH folgt hieraus, dass sich die Richtlinie 2002/58/EG nicht darauf beschränkt, den Zugang zu solchen Daten durch Garantien zu regeln, die Missbrauch verhindern sollen, sondern sie insbesondere auch den Grundsatz des Verbots der Speicherung dieser Daten durch Dritte regelt (EuGH, Urteil vom 20. September 2022 - C-793/19 und C-794/19 - Rn. 56). Diesem Grundsatz widerspricht die in § 175 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 176 TKG (§ 113a Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 113b TKG a. F.) normierte Pflicht zur Speicherung der Telekommunikations-Verkehrsdaten, die sich nach § 176 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. Abs. 4 TKG (§ 113b Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. Abs. 4 TKG a. F.) auch auf die dort genannten Standortdaten erstreckt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. September 2019 - 6 C 12.18 - NVwZ 2020, 1108 Rn. 20).

24 c) Die Beschränkung der in Art. 5 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1 und Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58/EG geregelten Rechte und Pflichten sowie der hierin zum Ausdruck kommenden Grundsätze der Vertraulichkeit der Kommunikation und des Verbots der Speicherung der damit verbundenen Daten durch die in § 175 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 176 TKG (§ 113a Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 113b TKG a. F.) auferlegte Verpflichtung der Betreiber elektronischer Kommunikationsdienste zur Speicherung der Telekommunikations-Verkehrsdaten kann nicht auf Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58/EG gestützt werden. Dies ist durch das auf das Vorabentscheidungsersuchen des Senats ergangene Urteil des EuGH vom 20. September 2022 - C-793/19 und C-794/19 - nunmehr abschließend geklärt.

25 aa) Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58/EG ermächtigt die Mitgliedstaaten zum Erlass von Rechtsvorschriften, die die Rechte und Pflichten gemäß Art. 5, 6, 8 Abs. 1, 2, 3 und 4 sowie Art. 9 dieser Richtlinie beschränken, sofern eine solche Beschränkung gemäß Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 95/46/EG für die nationale Sicherheit, (d. h. die Sicherheit des Staates), die Landesverteidigung, die öffentliche Sicherheit sowie die Verhütung, Ermittlung, Feststellung und Verfolgung von Straftaten oder des unzulässigen Gebrauchs von elektronischen Kommunikationssystemen in einer demokratischen Gesellschaft notwendig, angemessen und verhältnismäßig ist. Zu diesem Zweck können die Mitgliedstaaten unter anderem durch Rechtsvorschriften vorsehen, dass Daten aus den in diesem Absatz aufgeführten Gründen während einer begrenzten Zeit aufbewahrt werden. Die Maßnahmen müssen den allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts einschließlich den in Art. 6 Abs. 1 und 2 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) niedergelegten Grundsätzen entsprechen.

26 (1) Der EuGH hat in seiner Entscheidung vom 20. September 2022 hervorgehoben, dass Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58/EG als Ausnahmebestimmung eng auszulegen ist. Soll die Vorschrift nicht weitgehend ausgehöhlt werden, darf die Ausnahme von der grundsätzlichen Verpflichtung, die Vertraulichkeit der elektronischen Kommunikation und der damit verbundenen Daten sicherzustellen, und insbesondere von dem in Art. 5 der Richtlinie 2002/58/EG vorgesehenen Verbot, diese Daten zu speichern, nicht zur Regel werden. Die Aufzählung der in Art. 15 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie genannten Zwecke, die eine Beschränkung der insbesondere in Art. 5, 6 und 9 der Richtlinie 2002/58/EG vorgesehenen Rechte und Pflichten rechtfertigen, ist abschließend. Wie aus Art. 15 Abs. 1 Satz 3 der Richtlinie folgt, müssen außerdem die allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts, zu denen der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gehört, und die durch die Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) garantierten Grundrechte beachtet werden. Die Speicherung der Verkehrs- und Standortdaten stellt als solche nicht nur eine Abweichung von dem nach Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58/EG für alle anderen Personen als die Nutzer geltenden Verbot der Speicherung dieser Daten dar, sondern auch einen Eingriff in die Grundrechte auf Achtung des Privatlebens und auf den Schutz personenbezogener Daten, die in Art. 7 und 8 GRC verankert sind. Dabei spielt es keine Rolle, ob die betreffenden Informationen über das Privatleben sensiblen Charakter haben und ob die Betroffenen durch diesen Eingriff Nachteile erlitten haben oder ob die gespeicherten Daten in der Folge verwendet werden oder nicht. Denn die Verkehrs- und Standortdaten können Informationen über eine Vielzahl von Aspekten des Privatlebens der Betroffenen enthalten und insbesondere die Erstellung eines Profils der Betroffenen ermöglichen, das im Hinblick auf das Recht auf Achtung des Privatlebens eine ebenso sensible Information darstellt wie der Inhalt der Kommunikationen selbst. Daher kann die Vorratsspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten zu polizeilichen Zwecken nicht nur das in Art. 7 GRC verankerte Recht auf Achtung der Kommunikation beeinträchtigen, sondern die Nutzer elektronischer Kommunikationsmittel auch von der Ausübung ihrer durch Art. 11 GRC gewährleisteten Freiheit der Meinungsäußerung abhalten. Angesichts der großen Menge von Verkehrs- und Standortdaten, die durch eine Maßnahme allgemeiner und unterschiedsloser Vorratsspeicherung kontinuierlich gespeichert werden können, sowie des sensiblen Charakters der Informationen, die diese Daten liefern können, birgt die bloße Vorratsspeicherung durch die Betreiber elektronischer Kommunikationsdienste zudem Gefahren des Missbrauchs und des rechtswidrigen Zugangs (EuGH, Urteil vom 20. September 2022 - C-793/19 und C-794/19 - Rn. 57 bis 62).

27 (2) In Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58/EG kommt nach Ansicht des EuGH zwar zum Ausdruck, dass die in Art. 7, 8 und 11 GRC verankerten Rechte keine uneingeschränkte Geltung beanspruchen können, sondern im Hinblick auf ihre gesellschaftliche Funktion gesehen werden müssen. Denn nach Art. 52 Abs. 1 GRC sind Einschränkungen der Ausübung dieser Rechte zulässig, sofern sie gesetzlich vorgesehen sind und den Wesensgehalt dieser Rechte achten. Unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit müssen sie erforderlich sein und den von der Union anerkannten, dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen. Bei der Auslegung von Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58/EG im Licht der Charta muss somit auch berücksichtigt werden, welche Bedeutung den in Art. 3, 4, 6 und 7 GRC verankerten Rechten und den Zielen des Schutzes der nationalen Sicherheit und der Bekämpfung schwerer Kriminalität als Beitrag zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer zukommt. In Bezug auf die wirksame Bekämpfung von Straftaten, deren Opfer u. a. Minderjährige und andere schutzbedürftige Personen sind, verweist der EuGH auf die positiven Verpflichtungen, die sich aus Art. 7 GRC auch in Bezug auf den Schutz der Wohnung und der Kommunikation sowie aus Art. 3 und 4 GRC hinsichtlich des Schutzes der körperlichen und geistigen Unversehrtheit der Menschen sowie des Verbots der Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung ergeben können. Die verschiedenen betroffenen berechtigten Interessen und Rechte müssen daher miteinander in Einklang gebracht werden, und es ist ein rechtlicher Rahmen zu schaffen, der diesen Einklang ermöglicht. Der Schutz des Grundrechts auf Achtung des Privatlebens verlangt, dass sich die Ausnahmen vom Schutz personenbezogener Daten und dessen Einschränkungen auf das absolut Notwendige beschränken. Eine dem Gemeinwohl dienende Zielsetzung muss mit den von der Maßnahme betroffenen Grundrechten mittels einer ausgewogenen Gewichtung in Einklang gebracht werden. Sie muss in angemessenem Verhältnis zur Schwere des Eingriffs stehen, der mit einer Beschränkung der u. a. in Art. 5, 6 und 9 der Richtlinie 2002/58/EG vorgesehenen Rechte und Pflichten verbunden ist (EuGH, Urteil vom 20. September 2022 - C-793/19 und C-794/19 - Rn. 63 bis 68).

28 (3) Der EuGH hat ferner klargestellt, dass nationale Rechtsvorschriften, um dem Erfordernis der Verhältnismäßigkeit zu genügen, klare und präzise Regeln für die Tragweite und die Anwendung der betreffenden Maßnahme vorsehen und Mindesterfordernisse aufstellen müssen, sodass die Personen, deren personenbezogene Daten betroffen sind, über ausreichende Garantien verfügen, die einen wirksamen Schutz dieser Daten vor Missbrauchsrisiken ermöglichen. Diese Rechtsvorschriften müssen nach nationalem Recht bindend sein und insbesondere Angaben dazu enthalten, unter welchen Umständen und unter welchen Voraussetzungen eine Maßnahme, die die Verarbeitung solcher Daten vorsieht, getroffen werden darf, damit gewährleistet ist, dass sich der Eingriff auf das absolut Notwendige beschränkt. Nationale Rechtsvorschriften, die eine Vorratsspeicherung personenbezogener Daten vorsehen, müssen daher stets objektiven Kriterien genügen, die einen Zusammenhang zwischen den zu speichernden Daten und dem verfolgten Ziel herstellen (EuGH, Urteil vom 20. September 2022 - C-793/19 und C-794/19 - Rn. 69 f.).

29 (4) Hinsichtlich der dem Gemeinwohl dienenden Ziele, die eine nach Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58/EG erlassene Vorschrift rechtfertigen können, geht der EuGH davon aus, dass nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine Hierarchie zwischen diesen Zielen entsprechend ihrer jeweiligen Bedeutung besteht und die Bedeutung des mit einer solchen Vorschrift verfolgten Ziels im Verhältnis zur Schwere des daraus resultierenden Eingriffs stehen muss (EuGH, Urteil vom 20. September 2022 - C-793/19 und C-794/19 - Rn. 71).

30 (a) In Bezug auf den Schutz der nationalen Sicherheit, dessen Bedeutung diejenige der übrigen von Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58/EG erfassten Ziele übersteigt, hat der EuGH festgestellt, dass diese Bestimmung im Licht der Art. 7, 8 und 11 sowie von Art. 52 Abs. 1 GRC Rechtsvorschriften nicht entgegensteht, die es zum Schutz der nationalen Sicherheit gestatten, den Betreibern elektronischer Kommunikationsdienste aufzugeben, Verkehrs- und Standortdaten allgemein und unterschiedslos auf Vorrat zu speichern. Das gilt aber nur dann, wenn sich der betreffende Mitgliedstaat einer als real und aktuell oder vorhersehbar einzustufenden ernsten Bedrohung für die nationale Sicherheit gegenübersieht, sofern diese Anordnung Gegenstand einer wirksamen, zur Prüfung des Vorliegens einer solchen Situation sowie der Beachtung der vorzusehenden Bedingungen und Garantien dienenden Kontrolle durch ein Gericht oder eine unabhängige Verwaltungsstelle sein kann, deren Entscheidung bindend ist, und sofern die Anordnung nur für einen auf das absolut Notwendige begrenzten, aber im Fall des Fortbestands der Bedrohung verlängerbaren Zeitraum ergeht (EuGH, Urteil vom 20. September 2022 - C-793/19 und C-794/19 - Rn. 72).

31 (b) Auf das Ziel der Verhütung, Ermittlung, Feststellung und Verfolgung von Straftaten bezogen hat der EuGH entschieden, dass im Einklang mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nur die Bekämpfung schwerer Kriminalität und die Verhütung ernster Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit geeignet sind, die mit der Speicherung von Verkehrs- und Standortdaten verbundenen schweren Eingriffe in die Grundrechte zu rechtfertigen, die in Art. 7 und 8 GRC verankert sind. Weitergehend hat der EuGH in Bezug auf solche nationalen Rechtsvorschriften, die die allgemeine und unterschiedslose Vorratsspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten vorsehen, hervorgehoben, dass diese angesichts des sensiblen Charakters der Informationen, die sich hieraus ergeben können und der abschreckenden Wirkungen, die die Speicherung dieser Daten auf die Ausübung der in Art. 7 und 11 GRC verankerten Grundrechte haben kann, selbst dann die Grenzen des absolut Notwendigen überschreiten und nicht als in einer demokratischen Gesellschaft gerechtfertigt angesehen werden können, wenn sie den Zielen der Bekämpfung schwerer Kriminalität und der Verhütung ernster Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit dienen (EuGH, Urteil vom 20. September 2022 - C-793/19 und C-794/19 - Rn. 74).

32 Die Entscheidung des EuGH belässt es nicht bei diesen allgemeinen Grundsätzen. Sie enthält detaillierte Vorgaben dazu, mit welchem Regelungsinhalt und unter welchen Voraussetzungen nationale Rechtsvorschriften, die zur Bekämpfung schwerer Kriminalität und zur Verhütung schwerer Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit eine Vorratsspeicherung von Daten vorsehen, mit Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58/EG im Licht der Art. 7, 8 und 11 sowie von Art. 52 Abs. 1 GRC vereinbar sind. Der EuGH unterscheidet insoweit vier Kategorien von Regelungen: Erstens können nationale Rechtsvorschriften auf der Grundlage objektiver und nicht diskriminierender Kriterien anhand von Kategorien betroffener Personen oder mittels eines geografischen Kriteriums für einen auf das absolut Notwendige begrenzten, aber verlängerbaren Zeitraum eine gezielte Vorratsspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten vorsehen. Zweitens können sie für einen auf das absolut Notwendige begrenzten Zeitraum eine allgemeine und unterschiedslose Vorratsspeicherung der IP-Adressen, die der Quelle einer Verbindung zugewiesen sind, vorsehen. Drittens können sie eine allgemeine und unterschiedslose Vorratsspeicherung der die Identität der Nutzer elektronischer Kommunikationsmittel betreffenden Daten vorsehen. Viertens können sie vorsehen, dass den Betreibern elektronischer Kommunikationsdienste mittels einer Entscheidung der zuständigen Behörde, die einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle unterliegt, aufgegeben werden kann, während eines festgelegten Zeitraums die ihnen zur Verfügung stehenden Verkehrs- und Standortdaten umgehend zu sichern(quick freeze). Der EuGH hebt hervor, dass diese Rechtsvorschriften durch klare und präzise Regeln sicherstellen müssen, dass bei der Speicherung der fraglichen Daten die für sie geltenden materiellen und prozeduralen Voraussetzungen eingehalten werden und dass die Betroffenen über wirksame Garantien zum Schutz vor Missbrauchsrisiken verfügen (EuGH, Urteil vom 20. September 2022 - C-793/19 und C-794/19 - Rn. 75).

33 bb) Hiervon ausgehend hat der EuGH die von dem erkennenden Senat als vorlegendem Gericht hervorgehobenen Merkmale der nationalen Regelung in § 113a Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 113b TKG a. F. unter Berücksichtigung der Erwägungen des Senats im Vorabentscheidungsersuchen (BVerwG, Beschluss vom 25. September 2019 - 6 C 12.18 - NVwZ 2020, 1108 Rn. 26 ff.) konkret geprüft.

34 (1) Hinsichtlich des Umfangs der auf Vorrat gespeicherten Daten (vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 25. September 2019 - 6 C 12.18 - NVwZ 2020, 1108 Rn. 27) hat der EuGH darauf hingewiesen, dass die im Telekommunikationsgesetz vorgesehene Vorratsspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten nahezu alle die Bevölkerung bildenden Personen betrifft, ohne dass diese sich auch nur mittelbar in einer Lage befänden, die Anlass zur Strafverfolgung geben könnte. Ebenso schreibt sie die anlasslose, flächendeckende und personell, zeitlich und geografisch undifferenzierte Vorratsspeicherung eines Großteils der Verkehrs- und Standortdaten vor. Es handelt sich somit nicht um eine gezielte Vorratsdatenspeicherung. Dieser Einschätzung steht nach Ansicht des EuGH weder der Umstand entgegen, dass die Regelung den Inhalt der Kommunikation sowie die Daten über aufgerufene Internetseiten von der Speicherpflicht ausnimmt und die Speicherung der Funkzellenkennung lediglich zu Beginn der Kommunikation vorschreibt, noch dass Daten betreffend E-Mail-Dienste sowie die elektronische Kommunikation bestimmter Personen, Behörden und Organisationen in sozialen oder kirchlichen Bereichen nicht von der Pflicht zur Vorratsspeicherung erfasst werden (EuGH, Urteil vom 20. September 2022 - C-793/19 und C-794/19 - Rn. 76 bis 84).

35 (2) Weiter hat der EuGH zwar festgestellt, dass die Vorratsspeicherungsfristen, die gemäß § 113b Abs. 1 TKG a. F. vier Wochen für Standortdaten und zehn Wochen für sonstige Daten betragen (vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 25. September 2019 - 6 C 12.18 - NVwZ 2020, 1108 Rn. 28), deutlich kürzer als die Fristen sind, die in denjenigen nationalen Regelungen, die eine Pflicht zur allgemeinen und unterschiedslosen Vorratsspeicherung vorschreiben, vorgesehen sind, die er in seinen früheren Urteilen geprüft hat. Der EuGH hat jedoch hervorgehoben, dass die Speicherung von Verkehrs- oder Standortdaten, die Informationen über die Kommunikationen des Nutzers eines elektronischen Kommunikationsmittels oder über den Standort der von ihm verwendeten Endgeräte liefern können, in jedem Fall schwerwiegend ist, unabhängig von der Länge des Speicherzeitraums und von der Menge oder Art der gespeicherten Daten, sofern der Datensatz geeignet ist, sehr genaue Schlüsse auf das Privatleben der betroffenen Person bzw. der betroffenen Personen zuzulassen. Hiervon ist nach Ansicht des EuGH auch im vorliegenden Fall bei den nach den §§ 113a f. TKG a. F. zu speichernden Daten auszugehen (EuGH, Urteil vom 20. September 2022 - C-793/19 und C-794/19 - Rn. 85 bis 90).

36 (3) Die in der deutschen Regelung vorgesehenen Garantien, die die gespeicherten Daten gegen Missbrauchsrisiken und vor jedem unberechtigten Zugang schützen sollen (vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 25. September 2019 - 6 C 12.18 - NVwZ 2020, 1108 Rn. 29 f.), hat der EuGH im vorliegenden Zusammenhang nicht für relevant gehalten. Denn die Vorratsspeicherung dieser Daten und der Zugang zu ihnen stellen unterschiedliche Eingriffe in die in Art. 7 und 11 GRC garantierten Grundrechte dar, die eine gesonderte Rechtfertigung nach Art. 52 Abs. 1 GRC erfordern. Daher können nationale Rechtsvorschriften, die die vollständige Einhaltung der Voraussetzungen gewährleisten, die sich im Bereich des Zugangs zu auf Vorrat gespeicherten Daten aus der Rechtsprechung zur Auslegung der Richtlinie 2002/58/EG ergeben, den schwerwiegenden Eingriff weder beschränken noch beseitigen, der sich aus der nach diesen nationalen Rechtsvorschriften vorgesehenen allgemeinen Vorratsspeicherung dieser Daten in die Rechte ergeben würde, die in Art. 5 und 6 dieser Richtlinie und in den durch diese Vorschriften konkretisierten Grundrechten garantiert werden (EuGH, Urteil vom 20. September 2022 - C-793/19 und C-794/19 - Rn. 91).

37 (4) Der EuGH ist außerdem der - seitens der Kommission befürworteten - Gleichsetzung von schwerer Kriminalität und einer Bedrohung der nationalen Sicherheit entgegengetreten. In diesem Zusammenhang hat er klargestellt, dass das Ziel der Wahrung der nationalen Sicherheit dem zentralen Anliegen entspricht, die wesentlichen Funktionen des Staates und die grundlegenden Interessen der Gesellschaft durch die Verhütung und Repression von Tätigkeiten zu schützen, die geeignet sind, die tragenden Strukturen eines Landes im Bereich der Verfassung, Politik oder Wirtschaft oder im sozialen Bereich in schwerwiegender Weise zu destabilisieren und insbesondere die Gesellschaft, die Bevölkerung oder den Staat als solchen unmittelbar zu bedrohen, wie etwa terroristische Aktivitäten. Im Unterschied zur Kriminalität - auch besonders schwerer Kriminalität - muss eine Bedrohung für die nationale Sicherheit real und aktuell, zumindest aber vorhersehbar sein, was das Eintreten hinreichend konkreter Umstände voraussetzt, um eine Maßnahme allgemeiner und unterschiedsloser Vorratsspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten für einen begrenzten Zeitraum rechtfertigen zu können. Eine solche Bedrohung unterscheidet sich somit ihrer Art, ihrer Schwere und der Besonderheit der sie begründenden Umstände nach von der allgemeinen und ständigen Gefahr, dass - auch schwere - Spannungen oder Störungen der öffentlichen Sicherheit auftreten, oder schwerer Straftaten (EuGH, Urteil vom 20. September 2022 - C-793/19 und C-794/19 - Rn. 92 bis 94).

38 cc) Aus den Ausführungen des EuGH zu dem Vorabentscheidungsersuchen des Senats ergibt sich nunmehr zweifelsfrei, dass die in § 175 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 176 TKG (§ 113a Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 113b TKG a. F.) geregelte Verpflichtung der Anbieter öffentlich zugänglicher Telekommunikationsdienste zur Speicherung der dort genannten Telekommunikations-Verkehrsdaten in vollem Umfang unvereinbar mit Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58/EG im Licht der Art. 7, 8 und 11 sowie von Art. 52 Abs. 1 GRC ist. Denn die Regelung im Telekommunikationsgesetz schreibt keine gezielte Vorratsdatenspeicherung, sondern eine anlasslose, flächendeckende und personell, zeitlich und geografisch undifferenzierte Vorratsspeicherung eines Großteils der Verkehrs- und Standortdaten vor (EuGH, Urteil vom 20. September 2022 - C-793/19 und C-794/19 - Rn. 83 f.). Die vom EuGH herausgearbeiteten engen Voraussetzungen hinsichtlich der Bestimmtheit und Normenklarheit der Regelung, der zulässigen Zwecke sowie der weiteren inhaltlichen und verfahrensmäßigen Anforderungen für eine solche Vorratsdatenspeicherung liegen nicht vor.

39 (1) Die in § 175 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 176 TKG (§ 113a Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 113b TKG a. F.) geregelte Speicherung der Telekommunikations-Verkehrsdaten genügt insgesamt schon deshalb nicht den unionsrechtlichen Anforderungen, weil keine objektiven Kriterien bestimmt werden, die einen Zusammenhang zwischen den zu speichernden Daten und dem verfolgten Ziel herstellen. Diese Normen im Telekommunikationsgesetz sehen weder klare und präzise Regeln für die Tragweite und die Anwendung der betreffenden Maßnahme vor noch stellen sie Mindesterfordernisse mit dem Ziel auf, dass die Personen, deren personenbezogene Daten betroffen sind, über ausreichende Garantien verfügen, die einen wirksamen Schutz dieser Daten vor Missbrauchsrisiken ermöglichen. Insbesondere enthalten die genannten Bestimmungen keine Angaben dazu, unter welchen Umständen und Voraussetzungen eine Maßnahme, die die Verarbeitung solcher Daten vorsieht, getroffen werden darf, damit gewährleistet ist, dass sich der Eingriff auf das absolut Notwendige beschränkt (EuGH, Urteil vom 20. September 2022 - C-793/19 und C-794/19 - Rn. 69 f.).

40 Zwar dürfen - mit Ausnahme von IP-Adressen im Rahmen einer Bestandsdatenauskunft, worauf unter (3) noch einzugehen ist - die auf Vorrat gespeicherten Daten nach § 177 Abs. 1 TKG (§ 113c Abs. 1 TKG a. F.) nur zur Verfolgung besonders schwerer Straftaten oder zur Abwehr einer konkreten Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person oder für den Bestand des Bundes oder eines Landes verwendet werden. Da jedoch die Vorratsspeicherung der genannten Daten und der Zugang zu ihnen unterschiedliche Eingriffe in die in Art. 7 und 11 GRC garantierten Grundrechte darstellen, die eine gesonderte Rechtfertigung nach Art. 52 Abs. 1 GRC erfordern (EuGH, Urteil vom 20. September 2022 - C-793/19 und C-794/19 - Rn. 91), ist die Begrenzung der Verwendungszwecke in § 177 Abs. 1 TKG (§ 113c Abs. 1 TKG a. F.) von vornherein nicht geeignet, die unionsrechtliche Anforderung klarer und präziser Regeln für die vorgelagerte Maßnahme der Speicherung der Daten zu erfüllen.

41 (2) Soweit die Regelung in § 175 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 176 Abs. 2 und 4 Satz 1 und 3 TKG (§ 113a Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 113b Abs. 2 und 4 Satz 1 und 3 TKG a. F.) die Erbringung von Telefondiensten und in diesem Zusammenhang insbesondere die Daten betrifft, die erforderlich sind, um die Quelle und den Adressaten einer Nachricht, Datum und Uhrzeit von Beginn und Ende der Verbindung oder - im Fall der Übermittlung von Kurz-, Multimedia- oder ähnlichen Nachrichten - die Zeitpunkte der Versendung und des Empfangs der Nachricht sowie, im Fall der mobilen Nutzung, die Bezeichnung der Funkzellen, die vom Anrufer und vom Angerufenen bei Beginn der Verbindung genutzt wurden, zu identifizieren (vgl. EuGH, Urteil vom 20. September 2022 - C-793/19 und C-794/19 - Rn. 77), fehlt es außerdem an der vom EuGH geforderten strikten Begrenzung der allgemeinen und unterschiedslosen Vorratsspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten auf den Zweck des Schutzes der nationalen Sicherheit (EuGH, Urteil vom 20. September 2022 - C-793/19 und C-794/19 - Rn. 72, 131). Dies gilt selbst dann, wenn die Regelung der Verwendungszwecke in § 177 Abs. 1 TKG (§ 113c Abs. 1 TKG a. F.) auch die vorgelagerte Ebene der Vorratsspeicherung der genannten Daten erfassen würde.

42 (3) Soweit sich die in § 175 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 176 Abs. 3 und 4 Satz 2 und 3 TKG (§ 113a Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 113b Abs. 3 und 4 Satz 2 und 3 TKG a. F.) geregelte Pflicht zur allgemeinen und unterschiedslosen Vorratsspeicherung auf die - im Fall der Klägerin allein relevante - Bereitstellung von Internetzugangsdiensten und in diesem Rahmen u. a. auf die dem Teilnehmer zugewiesene IP-Adresse, Datum und Uhrzeit von Beginn und Ende der Internetnutzung unter der zugewiesenen IP-Adresse und, im Fall der mobilen Nutzung, die Bezeichnung der bei Beginn der Internetverbindung genutzten Funkzelle bezieht, fehlt es ebenfalls an der unionsrechtlich gebotenen Begrenzung der Zwecke. Diese umfassen im Fall der IP-Adressen zwar neben dem Schutz der nationalen Sicherheit auch die Bekämpfung schwerer Kriminalität und die Verhütung schwerer Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit (EuGH, Urteil vom 20. September 2022 - C-793/19 und C-794/19 - Rn. 75, 83 f.). Eine entsprechende Beschränkung der Speicherungszwecke sieht die Regelung im Telekommunikationsgesetz jedoch nicht vor. Die für die Ermittlung der Speicherungszwecke maßgebliche Regelung der Verwendungszwecke im Rahmen einer Bestandsdatenauskunft geht deutlich über den unionsrechtlichen Rahmen hinaus. Für die frühere Rechtslage nach § 113c Abs. 1 Nr. 3 i. V. m. § 113 Abs. 1 Satz 3 TKG a. F. ist dies offenkundig. Denn danach durfte die dem Teilnehmer für eine Internetnutzung zugewiesene IP-Adresse im Rahmen einer Bestandsdatenauskunft zur Verfolgung jeglicher Straftaten, zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung sowie generell zur Erfüllung der Aufgaben der Nachrichtendienste verwendet werden.

43 Die strengen unionsrechtlichen Anforderungen verfehlten jedoch auch die nunmehr geltende Regelung in § 177 Abs. 1 Nr. 3 i. V. m. § 174 Abs. 1 Satz 3 TKG, die auf die Änderung des § 113 TKG a. F. durch das am 2. April 2021 in Kraft getretene Gesetz vom 30. März 2021 zur Anpassung der Regelungen über die Bestandsdatenauskunft an die Vorgaben aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Mai 2020 (BGBl. I S. 48) zurückgeht. Die Fälle, in denen die in eine Bestandsdatenauskunft aufzunehmenden Daten auch anhand einer zu einem bestimmten Zeitpunkt zugewiesenen IP-Adresse bestimmt werden dürfen, sind nunmehr in § 174 Abs. 5 TKG geregelt. Danach reicht es etwa aus, dass zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine Straftat vorliegen und die in die Auskunft aufzunehmenden Daten erforderlich sind, um den Sachverhalt zu erforschen, den Aufenthaltsort eines Beschuldigten zu ermitteln oder eine Strafe zu vollstrecken (§ 174 Abs. 5 Nr. 1 TKG). Die vom EuGH geforderte Beschränkung auf die Bekämpfung schwerer Kriminalität sieht die Vorschrift nicht vor. Die IP-Adresse kann ferner auch dann Grundlage einer Bestandsdatenauskunft sein, wenn dies im Einzelfall zum Schutz nicht unerheblicher Sachwerte oder zur Verhütung einer Straftat erforderlich ist (§ 174 Abs. 5 Nr. 2 Buchst. a, Nr. 4 Buchst. b Doppelbuchst. aa TKG). Der Schutz nicht unerheblicher Sachwerte kann jedenfalls nicht ohne Weiteres dem vom EuGH herausgearbeiteten Zweck der Verhütung schwerer Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit zugeordnet werden. Zudem fehlt es auch in diesem Zusammenhang an einer Begrenzung der zu verhütenden Straftaten auf Fälle schwerer Kriminalität.

44 Eine Verwendung von IP-Adressen im Rahmen einer Bestandsdatenauskunft lässt das Telekommunikationsgesetz ferner auch zur Aufklärung bestimmter Bestrebungen oder Tätigkeiten nach § 3 Abs. 1 des Bundesverfassungsschutzgesetzes (§ 174 Abs. 5 Nr. 5 Buchst. a TKG) oder zur politischen Unterrichtung der Bundesregierung zu, wenn im Einzelfall tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass durch die Auskunft Informationen über das Ausland gewonnen werden können, die von außen– und sicherheitspolitischer Bedeutung für die Bundesrepublik Deutschland sind und zu deren Aufklärung das Bundeskanzleramt den Bundesnachrichtendienst beauftragt hat (§ 174 Abs. 5 Nr. 7 Buchst. a TKG). Diese Regelungen können nicht ohne Weiteres auf den unionsrechtlich zulässigen Zweck der Verhütung schwerer Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit gestützt werden und gehen insbesondere auch über den Zweck des Schutzes der nationalen Sicherheit hinaus, den der EuGH - wie erwähnt - nur dann für einschlägig hält, wenn tragende Strukturen eines Landes im Bereich der Verfassung, Politik oder Wirtschaft oder im sozialen Bereich in schwerwiegender Weise destabilisiert zu werden drohen (EuGH, Urteil vom 20. September 2022 - C-793/19 und C-794/19 - Rn. 92).

45 dd) Eine unionsrechtskonforme Auslegung kommt wegen des vom EuGH hervorgehobenen Grundsatzes der Bestimmtheit und Normenklarheit weder hinsichtlich der Regelungen in § 175 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 176 TKG noch derjenigen in § 177 Abs. 1 Nr. 3 i. V. m. § 174 Abs. 1 Satz 3 TKG in Betracht. Wie bereits erwähnt, müssen nationale Rechtsvorschriften, um dem unionsrechtlichen Erfordernis der Verhältnismäßigkeit zu genügen, klare und präzise Regeln für die Tragweite und die Anwendung der betreffenden Maßnahme vorsehen und Mindesterfordernisse aufstellen, sodass die Personen, deren personenbezogene Daten betroffen sind, über ausreichende Garantien verfügen, die einen wirksamen Schutz dieser Daten vor Missbrauchsrisiken ermöglichen. Diese Rechtsvorschriften müssen nach nationalem Recht bindend sein und insbesondere Angaben dazu enthalten, unter welchen Umständen und unter welchen Voraussetzungen eine Maßnahme, die die Verarbeitung solcher Daten vorsieht, getroffen werden darf, damit gewährleistet ist, dass sich der Eingriff auf das absolut Notwendige beschränkt (EuGH, Urteil vom 20. September 2022 - C-793/19 und C-794/19 - Rn. 69). Die Bestimmung präziser Eingriffsvoraussetzungen für die Vorratsdatenspeicherung im Rahmen des unionsrechtlich Zulässigen ist daher nicht Sache der Gerichte, sondern des Gesetzgebers.

46 ee) Ist § 175 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 176 TKG (§ 113a Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 113b TKG a. F.) nach alledem mit dem Unionsrecht nicht vereinbar und kommt eine unionsrechtskonforme Auslegung nicht in Betracht, darf die Regelung wegen des Grundsatzes des Vorrangs des Unionsrechts nicht angewendet werden (stRspr, vgl. EuGH, Urteile vom 9. März 1978 - Rs. 106/77 [ECLI:​EU:​C:​1978:​49], Simmenthal - Rn. 24, vom 3. Mai 2005 - C-387/02, C-391/02 und C-403/02 [ECLI:​EU:​C:​2005:​270], Berlusconi u. a. - Rn. 72, vom 22. Juni 2010 - C-188/10 und C-189/10 [ECLI:​EU:​C:​2010:​363], Melki und Abdeli - Rn. 43 sowie vom 18. September 2014 - C-487/12 [ECLI:​EU:​C:​2014:​2232], Vueling Airlines - Rn. 48).

47 3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Urteil vom 14.08.2023 -
BVerwG 6 C 7.22ECLI:DE:BVerwG:2023:140823U6C7.22.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 14.08.2023 - 6 C 7.22 - [ECLI:DE:BVerwG:2023:140823U6C7.22.0]

Urteil

BVerwG 6 C 7.22

  • VG Köln - 20.04.2018 - AZ: 9 K 7417/17

In der Verwaltungsstreitsache hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 14. August 2023
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Kraft, die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Möller, Hahn und Dr. Tegethoff sowie die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Gamp
ohne mündliche Verhandlung für Recht erkannt:

  1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 20. April 2018 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Feststellungsausspruch dahingehend gefasst wird, dass die Klägerin nicht verpflichtet ist, die in § 176 Abs. 3 Nr. 1 bis 3 TKG aufgeführten Telekommunikations-Verkehrsdaten ihrer Kunden, denen sie den Internet-Zugang vermittelt, und die in § 176 Abs. 2 Satz 1 und 2 TKG genannten Telekommunikations-Verkehrsdaten ihrer Kunden, denen sie den Zugang zu öffentlichen Telefondiensten vermittelt, zu speichern.
  2. Die Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

Gründe

I

1 Die Klägerin erbringt öffentlich zugängliche Telefondienste und Internetzugangsdienste. Sie wendet sich mit der Feststellungsklage gegen die ihr durch § 113a Abs. 1 in Verbindung mit § 113b des Telekommunikationsgesetzes vom 22. Juni 2004 (TKG a. F.) in der Fassung des Gesetzes zur Einführung einer Speicherpflicht und einer Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten vom 10. Dezember 2015 (BGBI. I S. 2218 ff.) auferlegte Pflicht, ab dem 1. Juli 2017 Telekommunikations-Verkehrsdaten ihrer Kunden auf Vorrat zu speichern.

2 Mit Urteil vom 20. April 2018 hat das Verwaltungsgericht auf die Klage festgestellt, dass die Klägerin nicht verpflichtet ist, die in § 113b Abs. 3 TKG a. F. aufgeführten Telekommunikations-Verkehrsdaten ihrer Kunden, denen sie den Internetzugang vermittelt, zu speichern und die in § 113b Abs. 2 Satz 1 und 2 TKG a. F. genannten Telekommunikations-Verkehrsdaten ihrer Kunden, denen sie den Zugang zu öffentlichen Telefondiensten vermittelt, zu speichern. Die Speicherpflicht verstoße gegen Unionsrecht und sei daher im Fall der Klägerin unanwendbar. Die grundsätzlichen Rechtsfragen zur Reichweite und zu den materiellrechtlichen Anforderungen des im vorliegenden Zusammenhang maßgeblichen Unionsrechts seien durch das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) vom 21. Dezember 2016 in den verbundenen Rechtssachen C-203/15 (Tele2 Sverige) und C-698/15 (Watson u. a.) [ECLI:​EU:​C:​2016:​970] geklärt.

3 Auf die (Sprung-)Revision der Beklagten, mit der diese die Abweisung der Klage unter Änderung des Urteils des Verwaltungsgerichts erstrebt, hat der Senat das Verfahren mit Beschluss vom 25. September 2019 (BVerwG 6 C 13.18 ) ausgesetzt und eine Vorabentscheidung des EuGH gemäß Art. 267 AEUV eingeholt.

4 Mit Urteil vom 20. September 2022 (verbundene Rechtssachen C-793/19 und C-794/19 [ECLI:​EU:​C:​2022:​702], berichtigt durch Beschluss vom 27. Oktober 2022) hat der EuGH die Vorlage wie folgt beschieden:
"Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Juli 2002 über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation (Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation) in der durch die Richtlinie 2009/136/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2009 geänderten Fassung ist im Licht der Art. 7, 8 und 11 sowie von Art. 52 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union
dahin auszulegen, dass
er nationalen Rechtsvorschriften entgegensteht, die präventiv zur Bekämpfung schwerer Kriminalität und zur Verhütung schwerer Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit eine allgemeine und unterschiedslose Vorratsspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten vorsehen;
er nationalen Rechtsvorschriften nicht entgegensteht, die
- es zum Schutz der nationalen Sicherheit gestatten, den Betreibern elektronischer Kommunikationsdienste aufzugeben, Verkehrs- und Standortdaten allgemein und unterschiedslos auf Vorrat zu speichern, wenn sich der betreffende Mitgliedstaat einer als real und aktuell oder vorhersehbar einzustufenden ernsten Bedrohung für die nationale Sicherheit gegenübersieht, sofern diese Anordnung Gegenstand einer wirksamen, zur Prüfung des Vorliegens einer solchen Situation sowie der Beachtung der vorzusehenden Bedingungen und Garantien dienenden Kontrolle durch ein Gericht oder eine unabhängige Verwaltungsstelle sein kann, deren Entscheidung bindend ist, und sofern die Anordnung nur für einen auf das absolut Notwendige begrenzten, aber im Fall des Fortbestands der Bedrohung verlängerbaren Zeitraum ergeht;
- zum Schutz der nationalen Sicherheit, zur Bekämpfung schwerer Kriminalität und zur Verhütung schwerer Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit auf der Grundlage objektiver und nicht diskriminierender Kriterien anhand von Kategorien betroffener Personen oder mittels eines geografischen Kriteriums für einen auf das absolut Notwendige begrenzten, aber verlängerbaren Zeitraum eine gezielte Vorratsspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten vorsehen;
- zum Schutz der nationalen Sicherheit, zur Bekämpfung schwerer Kriminalität und zur Verhütung schwerer Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit für einen auf das absolut Notwendige begrenzten Zeitraum eine allgemeine und unterschiedslose Vorratsspeicherung der IP-Adressen, die der Quelle einer Verbindung zugewiesen sind, vorsehen;
- zum Schutz der nationalen Sicherheit, zur Bekämpfung der Kriminalität und zum Schutz der öffentlichen Sicherheit eine allgemeine und unterschiedslose Vorratsspeicherung der die Identität der Nutzer elektronischer Kommunikationsmittel betreffenden Daten vorsehen;
- es zur Bekämpfung schwerer Kriminalität und,a fortiori, zum Schutz der nationalen Sicherheit gestatten, den Betreibern elektronischer Kommunikationsdienste mittels einer Entscheidung der zuständigen Behörde, die einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle unterliegt, aufzugeben, während eines festgelegten Zeitraums die ihnen zur Verfügung stehenden Verkehrs- und Standortdaten umgehend zu sichern.
Diese Rechtsvorschriften müssen durch klare und präzise Regeln sicherstellen, dass bei der Speicherung der fraglichen Daten die für sie geltenden materiellen und prozeduralen Voraussetzungen eingehalten werden und dass die Betroffenen über wirksame Garantien zum Schutz vor Missbrauchsrisiken verfügen."

5 Die Beklagte hat sich in dem fortgeführten Revisionsverfahren nicht mehr zur Sache geäußert.

6 Die Klägerin tritt der Revision entgegen. Sie verteidigt das Urteil des Verwaltungsgerichts und führt ergänzend aus: Die §§ 113a ff. TKG a. F. genügten nicht den Anforderungen, die der EuGH in dem Urteil vom 20. September 2022 für die Vorratsdatenspeicherung aufstelle. Es fehle ein Zusammenhang zwischen den zu speichernden Daten und dem damit verfolgten Ziel. Lediglich für die Übermittlung der Daten an eine Strafverfolgungsbehörde nenne § 113c Abs. 1 TKG a. F. die Zwecke der Verfolgung besonders schwerer Straftaten (Nr. 1) und der Abwehr einer konkreten Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person oder für den Bestand des Bundes oder eines Landes (Nr. 2). Für die Vorratsspeicherung selbst fehle eine solche Bestimmung. Der EuGH habe festgestellt, dass das deutsche TKG keine gezielte, sondern eine allgemeine Vorratsdatenspeicherung vorsehe. Denn sie betreffe nahezu alle die Bevölkerung bildenden Personen, ohne dass diese sich auch nur mittelbar in einer Lage befänden, die Anlass zur Strafverfolgung geben könnte. Eine allgemeine und unterschiedslose Speicherung von Verkehrs- und Standortdaten auf Vorrat sei nur bei einer als real und aktuell oder vorhersehbar einzustufenden ernsten Bedrohung für die nationale Sicherheit zulässig. Eine solche Anforderung regele das Telekommunikationsgesetz nicht und sie ergebe sich auch nicht aus einer unionsrechtskonformen Auslegung. Zwar wäre eine Vorratsspeicherung, die auf die Daten beschränkt sei, welche die Identität der Nutzer elektronischer Kommunikationsmittel betreffen, nach dem Urteil des EuGH vom 20. September 2022 zum Zweck der Bekämpfung schwerer Kriminalität und zur Verhütung schwerer Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit zulässig. Aber auch eine solche Regelung sehe das Telekommunikationsgesetz nicht vor und sie ergebe sich auch nicht aus einer unionsrechtskonformen Auslegung.

7 Die Bestimmungen des Telekommunikationsgesetzes über die Vorratsdatenspeicherung von IP-Adressen seien ebenfalls nicht mit dem Unionsrecht vereinbar. Zwar habe der EuGH entschieden, dass eine Rechtsvorschrift, die eine allgemeine und unterschiedslose Vorratsspeicherung allein der IP-Adressen der Quelle einer Verbindung vorsehe, grundsätzlich nicht gegen das Unionsrecht verstoße. Diese Möglichkeit müsse aber von der strikten Einhaltung der materiellen und prozeduralen Voraussetzungen abhängig gemacht werden, die die Nutzung dieser Daten regeln müssten. Angesichts der Schwere des mit der Vorratsdatenspeicherung verbundenen Eingriffs in die Grundrechte seien neben dem Schutz der nationalen Sicherheit nur die Bekämpfung schwerer Kriminalität und die Verhütung schwerer Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit geeignet, diesen Eingriff zu rechtfertigen. Ferner fehle es an einer Normierung der vom EuGH geforderten strengen Voraussetzungen und Garantien hinsichtlich der Auswertung dieser Daten in Form einer Nachverfolgung in Bezug auf die Online-Kommunikation und -Aktivitäten der Betroffenen.

8 Schließlich habe der EuGH festgestellt, dass die im Vorlagebeschluss hervorgehobenen Beschränkungen von Inhalt, Umfang und Dauer der Vorratsspeicherung nicht geeignet seien, die Übereinstimmung der §§ 113a ff. TKG a. F. mit den Bestimmungen des Unionsrechts herzustellen. Denn die auf Vorrat gespeicherten Daten ermöglichten insbesondere die Erstellung eines Profils der betroffenen Personen. Die Vorkehrungen, die die gespeicherten Daten gegen Missbrauchsrisiken und vor jedem unberechtigten Zugang schützen sollten, könnten nach der Entscheidung des EuGH den schwerwiegenden Eingriff, der in der vorausgegangenen Speicherung liege, weder beschränken noch beseitigen.

II

9 Die Revision der Beklagten, über die der Senat mit Einverständnis der Verfahrensbeteiligten ohne weitere mündliche Verhandlung entscheidet (§ 141 Satz 1, § 125 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 101 Abs. 2 VwGO), ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 144 Abs. 2 VwGO), wobei der Feststellungsausspruch durch die Bezugnahme auf die nunmehr maßgeblichen Vorschriften zu modifizieren ist. Das angefochtene Urteil beruht nicht auf der Verletzung revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO). Das Verwaltungsgericht hat die Feststellungsklage nach § 43 VwGO zutreffend als zulässig (1.) und begründet (2.) erachtet.

10 1. Nach § 43 VwGO kann durch Klage die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat (§ 43 Abs. 1 VwGO) und soweit er seine Rechte nicht durch Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann oder hätte verfolgen können (§ 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO). Diese Voraussetzungen sind, wovon der Senat bereits in seinem Vorlagebeschluss vom 25. September 2019 (BVerwG 6 C 13.18 ) implizit ausgegangen ist, für die von der Klägerin erhobene Klage erfüllt.

11 a) Zwischen den Beteiligten steht ein konkretes und damit feststellungsfähiges Rechtsverhältnis in Streit. Die Klägerin hat mit ihrem Hauptantrag die Feststellung begehrt, dass sie nicht verpflichtet ist, die in § 113b Abs. 3 Nr. 1 bis 3 des Telekommunikationsgesetzes vom 22. Juni 2004 (TKG a. F.) in der Fassung von Art. 2 Nr. 2 des Gesetzes vom 10. Dezember 2015 (BGBI. I 2218) genannten Telekommunikations-Verkehrsdaten ihrer Kunden, denen sie den Internetzugang vermittelt, und die in § 113b Abs. 2 Satz 1 und 2 TKG a. F. genannten Telekommunikations-Verkehrsdaten ihrer Kunden, denen sie den Zugang zu öffentlichen Telefondiensten vermittelt, zu speichern. Da das Feststellungsbegehren der Klägerin erkennbar auf die Klärung ihrer künftigen Handlungspflichten zielt, ist zu berücksichtigen, dass das Telekommunikationsgesetz vom 22. Juni 2004 gemäß Art. 61 Abs. 1 des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2018/1972 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2018 über den europäischen Kodex für die elektronische Kommunikation (Neufassung) und zur Modernisierung des Telekommunikationsrechts (Telekommunikationsmodernisierungsgesetz) vom 23. Juni 2021 (BGBl. I S. 1858) am 1. Dezember 2021 außer Kraft getreten ist. Abgesehen von einigen sprachlichen Anpassungen aufgrund geänderter Begriffsbestimmungen in § 3 TKG (vgl. hierzu BT-Drs. 19/26108 S. 369 f. zu den §§ 174 ff. in der Fassung des Gesetzentwurfs) sind die Vorschriften der bisherigen §§ 113a bis 113g TKG a. F. jedoch inhaltlich weitestgehend unverändert in den nunmehr geltenden §§ 175 bis 181 TKG übernommen worden.

12 Die Klägerin unterfällt nunmehr gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 TKG als Anbieter öffentlich zugänglicher Telekommunikationsdienste für Endnutzer, bei denen es sich nicht um nummernunabhängige interpersonelle Telekommunikationsdienste handelt, – ebenso wie zuvor nach § 113a Abs. 1 Satz 1 TKG a. F. als Erbringer öffentlich zugänglicher Telekommunikationsdienste für Endnutzer - den inhaltlich unveränderten Verpflichtungen zur Speicherung von Verkehrsdaten, zur Verwendung der Daten und zur Datensicherheit nach den §§ 176 bis 181 TKG (zuvor §§ 113b bis 113g TKG a. F.). Der Begriff der Telekommunikationsdienste umfasst gemäß § 3 Nr. 61 Buchst. a TKG auch Internetzugangsdienste.

13 Gegenstand des Rechtsverhältnisses ist zum einen das Bestehen der Verpflichtung der Klägerin, als Anbieterin von Sprachkommunikationsdiensten gemäß § 176 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 5 TKG (§ 113b Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 5 TKG a. F.) die dort im Einzelnen genannten Daten zu speichern. Hierzu gehören die Rufnummer oder eine andere Kennung der beteiligten Anschlüsse, Datum und Uhrzeit von Beginn und Ende der Verbindung unter Angabe der zugrunde liegenden Zeitzone, Angaben zu dem genutzten Dienst, im Fall mobiler Sprachkommunikationsdienste ferner die internationale Kennung mobiler Endnutzer für den anrufenden und den angerufenen Anschluss, die internationale Kennung des anrufenden und des angerufenen Endgerätes, Datum und Uhrzeit der ersten Aktivierung bei im Voraus bezahlten Diensten, und im Falle von Internet-Sprachkommunikationsdiensten auch die Internetprotokoll-Adressen (im Folgenden: IP-Adressen) des anrufenden und des angerufenen Anschlusses und zugewiesene Benutzerkennungen. Das Rechtsverhältnis umfasst ferner das Bestehen oder Nichtbestehen der Verpflichtung der Klägerin gemäß § 176 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 und 2 TKG (§ 113b Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 und 2 TKG a. F.) zur entsprechenden Speicherung der genannten Daten bei der Übermittlung einer Kurz-, Multimedia- oder ähnlichen Nachricht, wobei hier die Zeitpunkte der Versendung und des Empfangs der Nachricht maßgeblich sind, sowie in bestimmten Fällen unbeantworteter oder wegen eines Eingriffs des Netzwerkmanagements erfolgloser Anrufe. Gegenstand des maßgeblichen Rechtsverhältnisses ist schließlich auch das Bestehen der Verpflichtung der Klägerin, als Anbieterin öffentlich zugänglicher Internetzugangsdienste gemäß § 176 Abs. 3 Nr. 1 bis 3 TKG (§ 113b Abs. 3 Nr. 1 bis 3 TKG a. F.) die dem Teilnehmer bzw. Endnutzer für eine Internetnutzung zugewiesene IP-Adresse, eine eindeutige Kennung des Anschlusses, über den die Internetnutzung erfolgt, eine zugewiesene Benutzerkennung sowie Datum und Uhrzeit von Beginn und Ende der Internetnutzung unter der zugewiesenen IP-Adresse unter Angabe der zugrunde liegenden Zeitzone zu speichern.

14 Im Hinblick auf diese unmittelbar durch das Gesetz begründeten Speicherpflichten werden nicht lediglich abstrakte Rechtsfragen in Bezug auf möglicherweise eintretende Beeinträchtigungen im Wege der Feststellungsklage zur gerichtlichen Klärung gestellt. Eine weitere Verdichtung der Rechtsbeziehungen ist nicht erforderlich. Die Annahme eines konkreten und damit feststellungsfähigen Rechtsverhältnisses setzt insbesondere keine Aktualisierung der gesetzlichen Speicherpflichten durch einen behördlichen Vollzugsakt voraus. Ein Verwaltungsvollzug durch die Bundesnetzagentur ist zwar auf der Grundlage der gesetzlichen Befugnisnormen zur Kontrolle und Durchsetzung der Verpflichtungen möglich (vgl. § 183 TKG). Entscheidend ist jedoch, dass es sich bei den Regelungen der §§ 175, 176 TKG (§§ 113a, 113b TKG a. F.) um sog. "self-executing" Normen handelt, die von den betroffenen Unternehmen unmittelbar beachtet werden müssen und nicht auf eine Vollziehung durch die Verwaltung angewiesen sind.

15 Das in Rede stehende konkrete Rechtsverhältnis ist zwischen den Verfahrensbeteiligten streitig. Dass die Bundesnetzagentur als normanwendende Behörde von ihren Befugnissen nach § 183 TKG keinen Gebrauch machen würde, wenn die Klägerin die Verpflichtung zur Vorratsspeicherung der Telekommunikations-Verkehrsdaten missachtet, kann nicht angenommen werden (vgl. zu diesem Gesichtspunkt BVerwG, Urteil vom 23. August 2007 - 7 C 2.07 - BVerwGE 129, 199 Rn. 28). Nichts anderes folgt aus dem Umstand, dass die Bundesnetzagentur, nachdem das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss vom 22. Juni 2017 dem Eilantrag eines anderen betroffenen Unternehmens im Beschwerdeverfahren vorläufig stattgegeben hatte, auf ihrer Internetseite die Mitteilung veröffentlicht hat, bis zum rechtskräftigen Abschluss eines Hauptsacheverfahrens von Anordnungen und sonstigen Maßnahmen zur Durchsetzung der in § 113a Abs. 1 i. V. m. § 113b TKG a. F. geregelten Speicherverpflichtung abzusehen und auch keine Bußgeldverfahren gegen die betreffenden Telekommunikationsunternehmen einzuleiten. Denn in der Revisionsbegründung hat die Beklagte klargestellt, dass sie diese Erklärung allein aus Gründen der Rechtsklarheit und zur Gleichbehandlung aller betroffenen Unternehmen abgegeben habe und von ihrer Rechtsposition - der Vereinbarkeit der Regelung mit nationalen und europäischen Vorgaben - nicht abgerückt sei. Diesen Rechtsstandpunkt hat sie ungeachtet des Urteils des EuGH vom 20. September 2022 bisher nicht erkennbar aufgegeben.

16 b) Die Klägerin hat auch das erforderliche berechtigte Interesse an der begehrten Feststellung. Zwar würde sie sich im Fall der Nichtbefolgung der Speicherpflicht aus § 176 TKG (§ 113b TKG a. F.) nach nunmehr geltender Rechtslage nicht mehr dem vom Verwaltungsgericht hervorgehobenen Risiko einer Ahndung als Ordnungswidrigkeit aussetzen. Denn während gemäß § 149 Abs. 1 Nr. 36 TKG a. F. noch ordnungswidrig handelte, wer vorsätzlich oder fahrlässig entgegen § 113b Abs. 1 TKG a. F., auch in Verbindung mit § 113b Abs. 7 TKG a. F., Daten nicht, nicht richtig, nicht vollständig, nicht in der vorgeschriebenen Weise, nicht für die vorgeschriebene Dauer oder nicht rechtzeitig speicherte, enthält der Katalog in § 228 Abs. 2 TKG keine entsprechende Bußgeldvorschrift mehr. Hierdurch entfällt jedoch nicht das Interesse der Klägerin an der baldigen Herstellung von Rechtsklarheit im Zusammenhang mit dem Umfang ihrer rechtlichen Verpflichtungen bei der durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Ausübung ihrer unternehmerischen Tätigkeit.

17 c) Wird die Gewährung vorbeugenden Rechtsschutzes begehrt, ist zwar zusätzlich ein besonderes schützenswertes Interesse in dem Sinn erforderlich, dass es für den Betroffenen nicht zumutbar ist, auf den von der Verwaltungsgerichtsordnung für den Regelfall vorgesehenen nachgängigen Rechtsschutz verwiesen zu werden (stRspr, vgl. BVerwG, Urteile vom 22. Oktober 2014 - 6 C 7.13 - Buchholz 402.41 Allgemeines Polizeirecht Nr. 104 Rn. 17 und vom 13. Dezember 2017 - 6 A 6.16 - BVerwGE 161, 76 Rn. 15). Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts liegt ein solcher Fall hier jedoch nicht vor. Nach der Übergangsvorschrift des § 150 Abs. 13 Satz 1 TKG a. F. waren die Speicherverpflichtung und die damit verbundenen Verpflichtungen nach den §§ 113b bis 113e und 113g TKG a. F. zwar erst ab dem 1. Juli 2017 zwingend zu erfüllen. Zum Zeitpunkt der Erhebung der Feststellungsklage im Mai 2017 handelte es sich also noch um eine zukünftige Verpflichtung. Diesem Umstand kommt jedoch im vorliegenden Zusammenhang keine Bedeutung mehr zu. Denn maßgebender Zeitpunkt für das Vorliegen der Sachurteilsvoraussetzungen ist der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder - in den Fällen des § 101 Abs. 2 VwGO - der Entscheidung des erkennenden Gerichts (vgl. BVerwG, Urteile vom 23. Juni 1995 - 3 C 6.94 - Buchholz 451.512 MGVO Nr. 110 S. 83 f. und vom 28. November 2018 - 6 C 3.17 - juris Rn. 29).

18 d) Der Zulässigkeit der Feststellungsklage steht schließlich nicht das Subsidiaritätsgebot des § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO entgegen. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend ausgeführt, dass die Klägerin nicht auf die Möglichkeit verwiesen werden kann, eine (vorbeugende) Unterlassungsklage gegen im Fall der Nichterfüllung der in den §§ 175 f. TKG (§§ 113a f. TKG a. F.) geregelten Verpflichtungen zu erwartende Maßnahmen der Bundesnetzagentur auf der Grundlage des § 115 Abs. 1 Satz 1 TKG a. F. (jetzt: § 183 TKG) zu erheben. Gleiches gilt für Anfechtungsklagen nach Erlass derartiger - als Verwaltungsakte einzustufender - Maßnahmen. Die Vorschrift des § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ihrem Zweck entsprechend einschränkend auszulegen und anzuwenden. Droht keine Umgehung der für Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen geltenden Bestimmungen über Fristen und die Durchführung eines Vorverfahrens, steht § 43 Abs. 2 VwGO der Feststellungsklage ebenso wenig entgegen wie in Fällen, in denen diese den effektiveren Rechtsschutz bietet. Kann die zwischen den Parteien streitige Frage sachgerecht und ihrem Rechtsschutzinteresse voll Rechnung tragend durch Feststellungsurteil geklärt werden, verbietet es sich, die Klägerin auf eine Gestaltungs- oder Leistungsklage zu verweisen, in deren Rahmen das Rechtsverhältnis, an dessen selbstständiger Feststellung sie ein berechtigtes Interesse hat, einerseits nur Vorfrage wäre, andererseits die weiteren Elemente des geltend zu machenden Anspruchs nur untergeordnete Bedeutung hätten (BVerwG, Urteile vom 29. April 1997 - 1 C 2.95 - Buchholz 310 § 43 VwGO Nr. 127 S. 9 und vom 30. Mai 2018 - 6 A 3.16 - BVerwGE 162, 179 Rn. 56). Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Die Feststellungsklage bietet den sachgerechten und effektiveren Rechtsschutz. Denn die Klägerin wäre ansonsten gehalten, jede Einzelmaßnahme, die die Bundesnetzagentur zur Durchsetzung der in den § 175 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 176 Abs. 2 und 3 TKG (§ 113a Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 113b Abs. 2 und 3 TKG a. F.) geregelten Verpflichtungen der Klägerin erlässt, gesondert anzugreifen, obwohl es ihr allein um die Klärung der Vorfrage geht, ob die gesetzliche Pflicht zur Speicherung der Telekommunikations-Verkehrsdaten überhaupt besteht.

19 2. Die angefochtene Entscheidung ist auch in der Sache nicht zu beanstanden. Das Verwaltungsgericht hat ohne Verstoß gegen revisibles Recht festgestellt, dass die Klägerin nicht verpflichtet ist, die in § 113b Abs. 3 Nr. 1 bis 3 TKG a. F. genannten Telekommunikations-Verkehrsdaten ihrer Kunden, denen sie den Internetzugang vermittelt, und die in § 113b Abs. 2 Satz 1 und 2 TKG a. F. genannten Telekommunikations-Verkehrsdaten ihrer Kunden, denen sie den Zugang zu öffentlichen Telefondiensten vermittelt, zu speichern. Der Feststellungsausspruch der Vorinstanz ist mit der Maßgabe aufrechtzuerhalten, dass die Klägerin nicht verpflichtet ist, die in § 176 Abs. 3 Nr. 1 bis 3 TKG aufgeführten Telekommunikations-Verkehrsdaten ihrer Kunden, denen sie den Internet-Zugang vermittelt, und die in § 176 Abs. 2 Satz 1 und 2 TKG genannten Telekommunikations-Verkehrsdaten ihrer Kunden, denen sie den Zugang zu öffentlichen Telefondiensten vermittelt, zu speichern. Durch die auf das Vorabentscheidungsersuchen des Senats ergangene Entscheidung des EuGH vom 20. September 2022 - C-793/19 und C-794/19 - ist geklärt, dass die in § 113a Abs. 1 i. V. m. § 113b TKG a. F. angeordnete Speicherpflicht gegen Unionsrecht verstößt. Dies gilt entsprechend für die nunmehr in § 175 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 176 TKG geregelte, inhaltlich unveränderte Verpflichtung.

20 a) Nach der Rechtsprechung des EuGH fällt eine nationale Regelung, die die Betreiber elektronischer Kommunikationsdienste insbesondere zum Schutz der nationalen Sicherheit und zur Bekämpfung der Kriminalität zur Vorratsspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten verpflichtet, in den Geltungsbereich der Richtlinie 2002/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Juli 2002 über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation (Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation) in der durch die Richtlinie 2009/136/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2009 geänderten Fassung - Richtlinie 2002/58/EG - (EuGH, Urteil vom 20. September 2022 - C-793/19 und C-794/19 - Rn. 48). Hiervon ist auch der Senat bereits in seinem Vorabentscheidungsersuchen ausgegangen (BVerwG, Beschluss vom 25. September 2019 - 6 C 13.18 - juris Rn. 19).

21 b) Die in § 175 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 176 TKG (§ 113a Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 113b TKG a. F.) geregelte Pflicht zur Speicherung der Telekommunikations-Verkehrsdaten beschränkt die in Art. 5 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1 und Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58/EG geregelten Rechte und Pflichten.

22 Nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und 2 der Richtlinie 2002/58/EG sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, die Vertraulichkeit der mit öffentlichen Kommunikationsnetzen und öffentlich zugänglichen Kommunikationsdiensten übertragenen Nachrichten und der damit verbundenen Verkehrsdaten durch innerstaatliche Vorschriften sicherzustellen. Sie sind insbesondere verpflichtet, das Mithören, Abhören und Speichern sowie andere Arten des Abfangens oder Überwachens von Nachrichten und der damit verbundenen Verkehrsdaten durch andere Personen als die Nutzer zu untersagen, wenn keine Einwilligung der betroffenen Nutzer vorliegt, es sei denn, dass diese Personen gemäß Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie gesetzlich dazu ermächtigt sind (EuGH, Urteil vom 20. September 2022 - C-793/19 und C-794/19 - Rn. 51). Insoweit hat der EuGH entschieden, dass in Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58/EG der Grundsatz der Vertraulichkeit sowohl elektronischer Nachrichten als auch der damit verbundenen Verkehrsdaten aufgestellt wird, der u. a. das grundsätzliche Verbot für jede andere Person als die Nutzer, ohne deren Einwilligung solche Nachrichten und Daten auf Vorrat zu speichern, impliziert (EuGH, Urteil vom 20. September 2022 - C-793/19 und C-794/19 - Rn. 52). Dass die in § 175 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 176 TKG (§ 113a Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 113b TKG a. F.) geregelte Pflicht zur Speicherung der Telekommunikations-Verkehrsdaten einen Eingriff in die durch die Richtlinie geschützte Vertraulichkeit der elektronischen Kommunikation darstellt und dem Grundsatz widerspricht, dass es jeder anderen Person als dem Nutzer grundsätzlich untersagt ist, ohne dessen Einwilligung mit elektronischen Kommunikationen verbundene Verkehrsdaten zu speichern, hat der Senat in seinem Vorabentscheidungsersuchen bereits ausgeführt (BVerwG, Beschluss vom 25. September 2019 - 6 C 13.18 - juris Rn. 20).

23 Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58/EG sieht vor, dass die sich auf Teilnehmer und Nutzer beziehenden Verkehrsdaten von den Betreibern elektronischer Kommunikationsdienste zu löschen oder zu anonymisieren sind, sobald sie für die Übertragung einer Nachricht nicht mehr benötigt werden. In Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie wird klargestellt, dass Verkehrsdaten, die zum Zweck der Gebührenabrechnung und der Bezahlung von Zusammenschaltungen erforderlich sind, nur bis zum Ablauf der Frist verarbeitet werden dürfen, innerhalb deren die Rechnung rechtlich angefochten oder der Anspruch auf Zahlung geltend gemacht werden kann. Andere Standortdaten als Verkehrsdaten dürfen nach Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie nur unter bestimmten Voraussetzungen und nur dann verarbeitet werden, wenn sie anonymisiert wurden oder wenn die Nutzer oder Teilnehmer ihre Einwilligung gegeben haben. Nach der Rechtsprechung des EuGH folgt hieraus, dass sich die Richtlinie 2002/58/EG nicht darauf beschränkt, den Zugang zu solchen Daten durch Garantien zu regeln, die Missbrauch verhindern sollen, sondern sie insbesondere auch den Grundsatz des Verbots der Speicherung dieser Daten durch Dritte regelt (EuGH, Urteil vom 20. September 2022 - C-793/19 und C-794/19 - Rn. 56). Diesem Grundsatz widerspricht die in § 175 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 176 TKG (§ 113a Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 113b TKG a. F.) normierte Pflicht zur Speicherung der Telekommunikations-Verkehrsdaten, die sich nach § 176 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. Abs. 4 TKG (§ 113b Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. Abs. 4 TKG a. F.) auch auf die dort genannten Standortdaten erstreckt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. September 2019 - 6 C 13.18 - juris Rn. 20).

24 c) Die Beschränkung der in Art. 5 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1 und Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58/EG geregelten Rechte und Pflichten sowie der hierin zum Ausdruck kommenden Grundsätze der Vertraulichkeit der Kommunikation und des Verbots der Speicherung der damit verbundenen Daten durch die in § 175 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 176 TKG (§ 113a Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 113b TKG a. F.) auferlegte Verpflichtung der Betreiber elektronischer Kommunikationsdienste zur Speicherung der Telekommunikations-Verkehrsdaten kann nicht auf Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58/EG gestützt werden. Dies ist durch das auf das Vorabentscheidungsersuchen des Senats ergangene Urteil des EuGH vom 20. September 2022 - C-793/19 und C-794/19 - nunmehr abschließend geklärt.

25 aa) Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58/EG ermächtigt die Mitgliedstaaten zum Erlass von Rechtsvorschriften, die die Rechte und Pflichten gemäß Art. 5, 6, 8 Abs. 1, 2, 3 und 4 sowie Art. 9 dieser Richtlinie beschränken, sofern eine solche Beschränkung gemäß Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 95/46/EG für die nationale Sicherheit, (d. h. die Sicherheit des Staates), die Landesverteidigung, die öffentliche Sicherheit sowie die Verhütung, Ermittlung, Feststellung und Verfolgung von Straftaten oder des unzulässigen Gebrauchs von elektronischen Kommunikationssystemen in einer demokratischen Gesellschaft notwendig, angemessen und verhältnismäßig ist. Zu diesem Zweck können die Mitgliedstaaten unter anderem durch Rechtsvorschriften vorsehen, dass Daten aus den in diesem Absatz aufgeführten Gründen während einer begrenzten Zeit aufbewahrt werden. Die Maßnahmen müssen den allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts einschließlich den in Art. 6 Abs. 1 und 2 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) niedergelegten Grundsätzen entsprechen.

26 (1) Der EuGH hat in seiner Entscheidung vom 20. September 2022 hervorgehoben, dass Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58/EG als Ausnahmebestimmung eng auszulegen ist. Soll die Vorschrift nicht weitgehend ausgehöhlt werden, darf die Ausnahme von der grundsätzlichen Verpflichtung, die Vertraulichkeit der elektronischen Kommunikation und der damit verbundenen Daten sicherzustellen, und insbesondere von dem in Art. 5 der Richtlinie 2002/58/EG vorgesehenen Verbot, diese Daten zu speichern, nicht zur Regel werden. Die Aufzählung der in Art. 15 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie genannten Zwecke, die eine Beschränkung der insbesondere in Art. 5, 6 und 9 der Richtlinie 2002/58/EG vorgesehenen Rechte und Pflichten rechtfertigen, ist abschließend. Wie aus Art. 15 Abs. 1 Satz 3 der Richtlinie folgt, müssen außerdem die allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts, zu denen der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gehört, und die durch die Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) garantierten Grundrechte beachtet werden. Die Speicherung der Verkehrs- und Standortdaten stellt als solche nicht nur eine Abweichung von dem nach Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58/EG für alle anderen Personen als die Nutzer geltenden Verbot der Speicherung dieser Daten dar, sondern auch einen Eingriff in die Grundrechte auf Achtung des Privatlebens und auf den Schutz personenbezogener Daten, die in Art. 7 und 8 GRC verankert sind. Dabei spielt es keine Rolle, ob die betreffenden Informationen über das Privatleben sensiblen Charakter haben und ob die Betroffenen durch diesen Eingriff Nachteile erlitten haben oder ob die gespeicherten Daten in der Folge verwendet werden oder nicht. Denn die Verkehrs- und Standortdaten können Informationen über eine Vielzahl von Aspekten des Privatlebens der Betroffenen enthalten und insbesondere die Erstellung eines Profils der Betroffenen ermöglichen, das im Hinblick auf das Recht auf Achtung des Privatlebens eine ebenso sensible Information darstellt wie der Inhalt der Kommunikationen selbst. Daher kann die Vorratsspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten zu polizeilichen Zwecken nicht nur das in Art. 7 GRC verankerte Recht auf Achtung der Kommunikation beeinträchtigen, sondern die Nutzer elektronischer Kommunikationsmittel auch von der Ausübung ihrer durch Art. 11 GRC gewährleisteten Freiheit der Meinungsäußerung abhalten. Angesichts der großen Menge von Verkehrs- und Standortdaten, die durch eine Maßnahme allgemeiner und unterschiedsloser Vorratsspeicherung kontinuierlich gespeichert werden können, sowie des sensiblen Charakters der Informationen, die diese Daten liefern können, birgt die bloße Vorratsspeicherung durch die Betreiber elektronischer Kommunikationsdienste zudem Gefahren des Missbrauchs und des rechtswidrigen Zugangs (EuGH, Urteil vom 20. September 2022 - C-793/19 und C-794/19 - Rn. 57 bis 62).

27 (2) In Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58/EG kommt nach Ansicht des EuGH zwar zum Ausdruck, dass die in Art. 7, 8 und 11 GRC verankerten Rechte keine uneingeschränkte Geltung beanspruchen können, sondern im Hinblick auf ihre gesellschaftliche Funktion gesehen werden müssen. Denn nach Art. 52 Abs. 1 GRC sind Einschränkungen der Ausübung dieser Rechte zulässig, sofern sie gesetzlich vorgesehen sind und den Wesensgehalt dieser Rechte achten. Unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit müssen sie erforderlich sein und den von der Union anerkannten, dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen. Bei der Auslegung von Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58/EG im Licht der Charta muss somit auch berücksichtigt werden, welche Bedeutung den in Art. 3, 4, 6 und 7 GRC verankerten Rechten und den Zielen des Schutzes der nationalen Sicherheit und der Bekämpfung schwerer Kriminalität als Beitrag zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer zukommt. In Bezug auf die wirksame Bekämpfung von Straftaten, deren Opfer u. a. Minderjährige und andere schutzbedürftige Personen sind, verweist der EuGH auf die positiven Verpflichtungen, die sich aus Art. 7 GRC auch in Bezug auf den Schutz der Wohnung und der Kommunikation sowie aus Art. 3 und 4 GRC hinsichtlich des Schutzes der körperlichen und geistigen Unversehrtheit der Menschen sowie des Verbots der Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung ergeben können. Die verschiedenen betroffenen berechtigten Interessen und Rechte müssen daher miteinander in Einklang gebracht werden, und es ist ein rechtlicher Rahmen zu schaffen, der diesen Einklang ermöglicht. Der Schutz des Grundrechts auf Achtung des Privatlebens verlangt, dass sich die Ausnahmen vom Schutz personenbezogener Daten und dessen Einschränkungen auf das absolut Notwendige beschränken. Eine dem Gemeinwohl dienende Zielsetzung muss mit den von der Maßnahme betroffenen Grundrechten mittels einer ausgewogenen Gewichtung in Einklang gebracht werden. Sie muss in angemessenem Verhältnis zur Schwere des Eingriffs stehen, der mit einer Beschränkung der u. a. in Art. 5, 6 und 9 der Richtlinie 2002/58/EG vorgesehenen Rechte und Pflichten verbunden ist (EuGH, Urteil vom 20. September 2022 - C-793/19 und C-794/19 - Rn. 63 bis 68).

28 (3) Der EuGH hat ferner klargestellt, dass nationale Rechtsvorschriften, um dem Erfordernis der Verhältnismäßigkeit zu genügen, klare und präzise Regeln für die Tragweite und die Anwendung der betreffenden Maßnahme vorsehen und Mindesterfordernisse aufstellen müssen, sodass die Personen, deren personenbezogene Daten betroffen sind, über ausreichende Garantien verfügen, die einen wirksamen Schutz dieser Daten vor Missbrauchsrisiken ermöglichen. Diese Rechtsvorschriften müssen nach nationalem Recht bindend sein und insbesondere Angaben dazu enthalten, unter welchen Umständen und unter welchen Voraussetzungen eine Maßnahme, die die Verarbeitung solcher Daten vorsieht, getroffen werden darf, damit gewährleistet ist, dass sich der Eingriff auf das absolut Notwendige beschränkt. Nationale Rechtsvorschriften, die eine Vorratsspeicherung personenbezogener Daten vorsehen, müssen daher stets objektiven Kriterien genügen, die einen Zusammenhang zwischen den zu speichernden Daten und dem verfolgten Ziel herstellen (EuGH, Urteil vom 20. September 2022 - C-793/19 und C-794/19 - Rn. 69 f.).

29 (4) Hinsichtlich der dem Gemeinwohl dienenden Ziele, die eine nach Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58/EG erlassene Vorschrift rechtfertigen können, geht der EuGH davon aus, dass nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine Hierarchie zwischen diesen Zielen entsprechend ihrer jeweiligen Bedeutung besteht und die Bedeutung des mit einer solchen Vorschrift verfolgten Ziels im Verhältnis zur Schwere des daraus resultierenden Eingriffs stehen muss (EuGH, Urteil vom 20. September 2022 - C-793/19 und C-794/19 - Rn. 71).

30 (a) In Bezug auf den Schutz der nationalen Sicherheit, dessen Bedeutung diejenige der übrigen von Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58/EG erfassten Ziele übersteigt, hat der EuGH festgestellt, dass diese Bestimmung im Licht der Art. 7, 8 und 11 sowie von Art. 52 Abs. 1 GRC Rechtsvorschriften nicht entgegensteht, die es zum Schutz der nationalen Sicherheit gestatten, den Betreibern elektronischer Kommunikationsdienste aufzugeben, Verkehrs- und Standortdaten allgemein und unterschiedslos auf Vorrat zu speichern. Das gilt aber nur dann, wenn sich der betreffende Mitgliedstaat einer als real und aktuell oder vorhersehbar einzustufenden ernsten Bedrohung für die nationale Sicherheit gegenübersieht, sofern diese Anordnung Gegenstand einer wirksamen, zur Prüfung des Vorliegens einer solchen Situation sowie der Beachtung der vorzusehenden Bedingungen und Garantien dienenden Kontrolle durch ein Gericht oder eine unabhängige Verwaltungsstelle sein kann, deren Entscheidung bindend ist, und sofern die Anordnung nur für einen auf das absolut Notwendige begrenzten, aber im Fall des Fortbestands der Bedrohung verlängerbaren Zeitraum ergeht (EuGH, Urteil vom 20. September 2022 - C-793/19 und C-794/19 - Rn. 72).

31 (b) Auf das Ziel der Verhütung, Ermittlung, Feststellung und Verfolgung von Straftaten bezogen hat der EuGH entschieden, dass im Einklang mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nur die Bekämpfung schwerer Kriminalität und die Verhütung ernster Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit geeignet sind, die mit der Speicherung von Verkehrs- und Standortdaten verbundenen schweren Eingriffe in die Grundrechte zu rechtfertigen, die in Art. 7 und 8 GRC verankert sind. Weitergehend hat der EuGH in Bezug auf solche nationalen Rechtsvorschriften, die die allgemeine und unterschiedslose Vorratsspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten vorsehen, hervorgehoben, dass diese angesichts des sensiblen Charakters der Informationen, die sich hieraus ergeben können und der abschreckenden Wirkungen, die die Speicherung dieser Daten auf die Ausübung der in Art. 7 und 11 GRC verankerten Grundrechte haben kann, selbst dann die Grenzen des absolut Notwendigen überschreiten und nicht als in einer demokratischen Gesellschaft gerechtfertigt angesehen werden können, wenn sie den Zielen der Bekämpfung schwerer Kriminalität und der Verhütung ernster Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit dienen (EuGH, Urteil vom 20. September 2022 - C-793/19 und C-794/19 - Rn. 74).

32 Die Entscheidung des EuGH belässt es nicht bei diesen allgemeinen Grundsätzen. Sie enthält detaillierte Vorgaben dazu, mit welchem Regelungsinhalt und unter welchen Voraussetzungen nationale Rechtsvorschriften, die zur Bekämpfung schwerer Kriminalität und zur Verhütung schwerer Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit eine Vorratsspeicherung von Daten vorsehen, mit Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58/EG im Licht der Art. 7, 8 und 11 sowie von Art. 52 Abs. 1 GRC vereinbar sind. Der EuGH unterscheidet insoweit vier Kategorien von Regelungen: Erstens können nationale Rechtsvorschriften auf der Grundlage objektiver und nicht diskriminierender Kriterien anhand von Kategorien betroffener Personen oder mittels eines geografischen Kriteriums für einen auf das absolut Notwendige begrenzten, aber verlängerbaren Zeitraum eine gezielte Vorratsspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten vorsehen. Zweitens können sie für einen auf das absolut Notwendige begrenzten Zeitraum eine allgemeine und unterschiedslose Vorratsspeicherung der IP-Adressen, die der Quelle einer Verbindung zugewiesen sind, vorsehen. Drittens können sie eine allgemeine und unterschiedslose Vorratsspeicherung der die Identität der Nutzer elektronischer Kommunikationsmittel betreffenden Daten vorsehen. Viertens können sie vorsehen, dass den Betreibern elektronischer Kommunikationsdienste mittels einer Entscheidung der zuständigen Behörde, die einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle unterliegt, aufgegeben werden kann, während eines festgelegten Zeitraums die ihnen zur Verfügung stehenden Verkehrs- und Standortdaten umgehend zu sichern(quick freeze). Der EuGH hebt hervor, dass diese Rechtsvorschriften durch klare und präzise Regeln sicherstellen müssen, dass bei der Speicherung der fraglichen Daten die für sie geltenden materiellen und prozeduralen Voraussetzungen eingehalten werden und dass die Betroffenen über wirksame Garantien zum Schutz vor Missbrauchsrisiken verfügen (EuGH, Urteil vom 20. September 2022 - C-793/19 und C-794/19 - Rn. 75).

33 bb) Hiervon ausgehend hat der EuGH die von dem erkennenden Senat als vorlegendem Gericht hervorgehobenen Merkmale der nationalen Regelung in § 113a Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 113b TKG a. F. unter Berücksichtigung der Erwägungen des Senats im Vorabentscheidungsersuchen (BVerwG, Beschluss vom 25. September 2019 - 6 C 13.18 - juris Rn. 26 ff.) konkret geprüft.

34 (1) Hinsichtlich des Umfangs der auf Vorrat gespeicherten Daten (vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 25. September 2019 - 6 C 13.18 - juris Rn. 27) hat der EuGH darauf hingewiesen, dass die im Telekommunikationsgesetz vorgesehene Vorratsspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten nahezu alle die Bevölkerung bildenden Personen betrifft, ohne dass diese sich auch nur mittelbar in einer Lage befänden, die Anlass zur Strafverfolgung geben könnte. Ebenso schreibt sie die anlasslose, flächendeckende und personell, zeitlich und geografisch undifferenzierte Vorratsspeicherung eines Großteils der Verkehrs- und Standortdaten vor. Es handelt sich somit nicht um eine gezielte Vorratsdatenspeicherung. Dieser Einschätzung steht nach Ansicht des EuGH weder der Umstand entgegen, dass die Regelung den Inhalt der Kommunikation sowie die Daten über aufgerufene Internetseiten von der Speicherpflicht ausnimmt und die Speicherung der Funkzellenkennung lediglich zu Beginn der Kommunikation vorschreibt, noch dass Daten betreffend E-Mail-Dienste sowie die elektronische Kommunikation bestimmter Personen, Behörden und Organisationen in sozialen oder kirchlichen Bereichen nicht von der Pflicht zur Vorratsspeicherung erfasst werden (EuGH, Urteil vom 20. September 2022 - C-793/19 und C-794/19 - Rn. 76 bis 84).

35 (2) Weiter hat der EuGH zwar festgestellt, dass die Vorratsspeicherungsfristen, die gemäß § 113b Abs. 1 TKG a. F. vier Wochen für Standortdaten und zehn Wochen für sonstige Daten betragen (vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 25. September 2019 - 6 C 13.18 - juris Rn. 28), deutlich kürzer als die Fristen sind, die in denjenigen nationalen Regelungen, die eine Pflicht zur allgemeinen und unterschiedslosen Vorratsspeicherung vorschreiben, vorgesehen sind, die er in seinen früheren Urteilen geprüft hat. Der EuGH hat jedoch hervorgehoben, dass die Speicherung von Verkehrs- oder Standortdaten, die Informationen über die Kommunikationen des Nutzers eines elektronischen Kommunikationsmittels oder über den Standort der von ihm verwendeten Endgeräte liefern können, in jedem Fall schwerwiegend ist, unabhängig von der Länge des Speicherzeitraums und von der Menge oder Art der gespeicherten Daten, sofern der Datensatz geeignet ist, sehr genaue Schlüsse auf das Privatleben der betroffenen Person bzw. der betroffenen Personen zuzulassen. Hiervon ist nach Ansicht des EuGH auch im vorliegenden Fall bei den nach den §§ 113a f. TKG a. F. zu speichernden Daten auszugehen (EuGH, Urteil vom 20. September 2022 - C-793/19 und C-794/19 - Rn. 85 bis 90).

36 (3) Die in der deutschen Regelung vorgesehenen Garantien, die die gespeicherten Daten gegen Missbrauchsrisiken und vor jedem unberechtigten Zugang schützen sollen (vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 25. September 2019 - 6 C 13.18 - juris Rn. 29 f.), hat der EuGH im vorliegenden Zusammenhang nicht für relevant gehalten. Denn die Vorratsspeicherung dieser Daten und der Zugang zu ihnen stellen unterschiedliche Eingriffe in die in Art. 7 und 11 GRC garantierten Grundrechte dar, die eine gesonderte Rechtfertigung nach Art. 52 Abs. 1 GRC erfordern. Daher können nationale Rechtsvorschriften, die die vollständige Einhaltung der Voraussetzungen gewährleisten, die sich im Bereich des Zugangs zu auf Vorrat gespeicherten Daten aus der Rechtsprechung zur Auslegung der Richtlinie 2002/58/EG ergeben, den schwerwiegenden Eingriff weder beschränken noch beseitigen, der sich aus der nach diesen nationalen Rechtsvorschriften vorgesehenen allgemeinen Vorratsspeicherung dieser Daten in die Rechte ergeben würde, die in Art. 5 und 6 dieser Richtlinie und in den durch diese Vorschriften konkretisierten Grundrechten garantiert werden (EuGH, Urteil vom 20. September 2022 - C-793/19 und C-794/19 - Rn. 91).

37 (4) Der EuGH ist außerdem der - seitens der Kommission befürworteten - Gleichsetzung von schwerer Kriminalität und einer Bedrohung der nationalen Sicherheit entgegengetreten. In diesem Zusammenhang hat er klargestellt, dass das Ziel der Wahrung der nationalen Sicherheit dem zentralen Anliegen entspricht, die wesentlichen Funktionen des Staates und die grundlegenden Interessen der Gesellschaft durch die Verhütung und Repression von Tätigkeiten zu schützen, die geeignet sind, die tragenden Strukturen eines Landes im Bereich der Verfassung, Politik oder Wirtschaft oder im sozialen Bereich in schwerwiegender Weise zu destabilisieren und insbesondere die Gesellschaft, die Bevölkerung oder den Staat als solchen unmittelbar zu bedrohen, wie etwa terroristische Aktivitäten. Im Unterschied zur Kriminalität - auch besonders schwerer Kriminalität - muss eine Bedrohung für die nationale Sicherheit real und aktuell, zumindest aber vorhersehbar sein, was das Eintreten hinreichend konkreter Umstände voraussetzt, um eine Maßnahme allgemeiner und unterschiedsloser Vorratsspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten für einen begrenzten Zeitraum rechtfertigen zu können. Eine solche Bedrohung unterscheidet sich somit ihrer Art, ihrer Schwere und der Besonderheit der sie begründenden Umstände nach von der allgemeinen und ständigen Gefahr, dass - auch schwere - Spannungen oder Störungen der öffentlichen Sicherheit auftreten, oder schwerer Straftaten (EuGH, Urteil vom 20. September 2022 - C-793/19 und C-794/19 - Rn. 92 bis 94).

38 cc) Aus den Ausführungen des EuGH zu dem Vorabentscheidungsersuchen des Senats ergibt sich nunmehr zweifelsfrei, dass die in § 175 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 176 TKG (§ 113a Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 113b TKG a. F.) geregelte Verpflichtung der Anbieter öffentlich zugänglicher Telekommunikationsdienste zur Speicherung der dort genannten Telekommunikations-Verkehrsdaten in vollem Umfang unvereinbar mit Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58/EG im Licht der Art. 7, 8 und 11 sowie von Art. 52 Abs. 1 GRC ist. Denn die Regelung im Telekommunikationsgesetz schreibt keine gezielte Vorratsdatenspeicherung, sondern eine anlasslose, flächendeckende und personell, zeitlich und geografisch undifferenzierte Vorratsspeicherung eines Großteils der Verkehrs- und Standortdaten vor (EuGH, Urteil vom 20. September 2022 - C-793/19 und C-794/19 - Rn. 83 f.). Die vom EuGH herausgearbeiteten engen Voraussetzungen hinsichtlich der Bestimmtheit und Normenklarheit der Regelung, der zulässigen Zwecke sowie der weiteren inhaltlichen und verfahrensmäßigen Anforderungen für eine solche Vorratsdatenspeicherung liegen nicht vor.

39 (1) Die in § 175 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 176 TKG (§ 113a Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 113b TKG a. F.) geregelte Speicherung der Telekommunikations-Verkehrsdaten genügt insgesamt schon deshalb nicht den unionsrechtlichen Anforderungen, weil keine objektiven Kriterien bestimmt werden, die einen Zusammenhang zwischen den zu speichernden Daten und dem verfolgten Ziel herstellen. Diese Normen im Telekommunikationsgesetz sehen weder klare und präzise Regeln für die Tragweite und die Anwendung der betreffenden Maßnahme vor noch stellen sie Mindesterfordernisse mit dem Ziel auf, dass die Personen, deren personenbezogene Daten betroffen sind, über ausreichende Garantien verfügen, die einen wirksamen Schutz dieser Daten vor Missbrauchsrisiken ermöglichen. Insbesondere enthalten die genannten Bestimmungen keine Angaben dazu, unter welchen Umständen und Voraussetzungen eine Maßnahme, die die Verarbeitung solcher Daten vorsieht, getroffen werden darf, damit gewährleistet ist, dass sich der Eingriff auf das absolut Notwendige beschränkt (EuGH, Urteil vom 20. September 2022 - C-793/19 und C-794/19 - Rn. 69 f.).

40 Zwar dürfen - mit Ausnahme von IP-Adressen im Rahmen einer Bestandsdatenauskunft, worauf unter (3) noch einzugehen ist - die auf Vorrat gespeicherten Daten nach § 177 Abs. 1 TKG (§ 113c Abs. 1 TKG a. F.) bzw. nur zur Verfolgung besonders schwerer Straftaten oder zur Abwehr einer konkreten Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person oder für den Bestand des Bundes oder eines Landes verwendet werden. Da jedoch die Vorratsspeicherung der genannten Daten und der Zugang zu ihnen unterschiedliche Eingriffe in die in den Art. 7 und 11 GRC garantierten Grundrechte darstellen, die eine gesonderte Rechtfertigung nach Art. 52 Abs. 1 GRC erfordern (EuGH, Urteil vom 20. September 2022 - C-793/19 und C-794/19 - Rn. 91), ist die Begrenzung der Verwendungszwecke in § 177 Abs. 1 TKG (§ 113c Abs. 1 TKG a. F.) von vornherein nicht geeignet, die unionsrechtliche Anforderung klarer und präziser Regeln für die vorgelagerte Maßnahme der Speicherung der Daten zu erfüllen.

41 (2) Soweit die Regelung in § 175 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 176 Abs. 2 und 4 Satz 1 und 3 TKG (§ 113a Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 113b Abs. 2 und 4 Satz 1 und 3 TKG a. F.) die Erbringung von Telefondiensten und in diesem Zusammenhang insbesondere die Daten betrifft, die erforderlich sind, um die Quelle und den Adressaten einer Nachricht, Datum und Uhrzeit von Beginn und Ende der Verbindung oder - im Fall der Übermittlung von Kurz-, Multimedia- oder ähnlichen Nachrichten - die Zeitpunkte der Versendung und des Empfangs der Nachricht sowie, im Fall der mobilen Nutzung, die Bezeichnung der Funkzellen, die vom Anrufer und vom Angerufenen bei Beginn der Verbindung genutzt wurden, zu identifizieren (vgl. EuGH, Urteil vom 20. September 2022 - C-793/19 und C-794/19 - Rn. 77), fehlt es außerdem an der vom EuGH geforderten strikten Begrenzung der allgemeinen und unterschiedslosen Vorratsspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten auf den Zweck des Schutzes der nationalen Sicherheit (EuGH, Urteil vom 20. September 2022 - C-793/19 und C-794/19 - Rn. 72, 131). Dies gilt selbst dann, wenn die Regelung der Verwendungszwecke in § 177 Abs. 1 TKG (§ 113c Abs. 1 TKG a. F.) auch die vorgelagerte Ebene der Vorratsspeicherung der genannten Daten erfassen würde.

42 (3) Soweit sich die in § 175 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 176 Abs. 3 und 4 Satz 2 und 3 TKG (§ 113a Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 113b Abs. 3 und 4 Satz 2 und 3 TKG a. F.) geregelte Pflicht zur allgemeinen und unterschiedslosen Vorratsspeicherung auf die Bereitstellung von Internetzugangsdiensten und in diesem Rahmen u. a. auf die dem Teilnehmer zugewiesene IP-Adresse, Datum und Uhrzeit von Beginn und Ende der Internetnutzung unter der zugewiesenen IP-Adresse und, im Fall der mobilen Nutzung, die Bezeichnung der bei Beginn der Internetverbindung genutzten Funkzelle bezieht, fehlt es ebenfalls an der unionsrechtlich gebotenen Begrenzung der Zwecke. Diese umfassen im Fall der IP-Adressen zwar neben dem Schutz der nationalen Sicherheit auch die Bekämpfung schwerer Kriminalität und die Verhütung schwerer Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit (EuGH, Urteil vom 20. September 2022 - C-793/19 und C-794/19 - Rn. 75, 83 f.). Eine entsprechende Beschränkung der Speicherungszwecke sieht die Regelung im Telekommunikationsgesetz jedoch nicht vor. Die für die Ermittlung der Speicherungszwecke maßgebliche Regelung der Verwendungszwecke im Rahmen einer Bestandsdatenauskunft geht deutlich über den unionsrechtlichen Rahmen hinaus. Für die frühere Rechtslage nach § 113c Abs. 1 Nr. 3 i. V. m. § 113 Abs. 1 Satz 3 TKG a. F. ist dies offenkundig. Denn danach durfte die dem Teilnehmer für eine Internetnutzung zugewiesene IP-Adresse im Rahmen einer Bestandsdatenauskunft zur Verfolgung jeglicher Straftaten, zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung sowie generell zur Erfüllung der Aufgaben der Nachrichtendienste verwendet werden.

43 Die strengen unionsrechtlichen Anforderungen verfehlt jedoch auch die nunmehr geltende Regelung in § 177 Abs. 1 Nr. 3 i. V. m. § 174 Abs. 1 Satz 3 TKG, die auf die Änderung des § 113 TKG a. F. durch das am 2. April 2021 in Kraft getretene Gesetz vom 30. März 2021 zur Anpassung der Regelungen über die Bestandsdatenauskunft an die Vorgaben aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Mai 2020 (BGBl. I S. 48) zurückgeht. Die Fälle, in denen die in eine Bestandsdatenauskunft aufzunehmenden Daten auch anhand einer zu einem bestimmten Zeitpunkt zugewiesenen IP-Adresse bestimmt werden dürfen, sind nunmehr in § 174 Abs. 5 TKG geregelt. Danach reicht es etwa aus, dass zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine Straftat vorliegen und die in die Auskunft aufzunehmenden Daten erforderlich sind, um den Sachverhalt zu erforschen, den Aufenthaltsort eines Beschuldigten zu ermitteln oder eine Strafe zu vollstrecken (§ 174 Abs. 5 Nr. 1 TKG). Die vom EuGH geforderte Beschränkung auf die Bekämpfung schwerer Kriminalität sieht die Vorschrift nicht vor. Die IP-Adresse kann ferner auch dann Grundlage einer Bestandsdatenauskunft sein, wenn dies im Einzelfall zum Schutz nicht unerheblicher Sachwerte oder zur Verhütung einer Straftat erforderlich ist (§ 174 Abs. 5 Nr. 2 Buchst. a, Nr. 4 Buchst. b Doppelbuchst. aa TKG). Der Schutz nicht unerheblicher Sachwerte kann jedenfalls nicht ohne Weiteres dem vom EuGH herausgearbeiteten Zweck der Verhütung schwerer Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit zugeordnet werden. Zudem fehlt es auch in diesem Zusammenhang an einer Begrenzung der zu verhütenden Straftaten auf Fälle schwerer Kriminalität.

44 Eine Verwendung von IP-Adressen im Rahmen einer Bestandsdatenauskunft lässt das Telekommunikationsgesetz ferner auch zur Aufklärung bestimmter Bestrebungen oder Tätigkeiten nach § 3 Abs. 1 des Bundesverfassungsschutzgesetzes (§ 174 Abs. 5 Nr. 5 Buchst. a TKG) oder zur politischen Unterrichtung der Bundesregierung zu, wenn im Einzelfall tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass durch die Auskunft Informationen über das Ausland gewonnen werden können, die von außen- und sicherheitspolitischer Bedeutung für die Bundesrepublik Deutschland sind und zu deren Aufklärung das Bundeskanzleramt den Bundesnachrichtendienst beauftragt hat (§ 174 Abs. 5 Nr. 7 Buchst. a TKG). Diese Regelungen können nicht ohne Weiteres auf den unionsrechtlich zulässigen Zweck der Verhütung schwerer Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit gestützt werden und gehen insbesondere auch über den Zweck des Schutzes der nationalen Sicherheit hinaus, den der EuGH - wie erwähnt - nur dann für einschlägig hält, wenn tragende Strukturen eines Landes im Bereich der Verfassung, Politik oder Wirtschaft oder im sozialen Bereich in schwerwiegender Weise destabilisiert zu werden drohen (EuGH, Urteil vom 20. September 2022 - C-793/19 und C-794/19 - Rn. 92).

45 dd) Eine unionsrechtskonforme Auslegung kommt wegen des vom EuGH hervorgehobenen Grundsatzes der Bestimmtheit und Normenklarheit weder hinsichtlich der Regelungen in § 175 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 176 TKG noch derjenigen in § 177 Abs. 1 Nr. 3 i. V. m. § 174 Abs. 1 Satz 3 TKG in Betracht. Wie bereits erwähnt, müssen nationale Rechtsvorschriften, um dem unionsrechtlichen Erfordernis der Verhältnismäßigkeit zu genügen, klare und präzise Regeln für die Tragweite und die Anwendung der betreffenden Maßnahme vorsehen und Mindesterfordernisse aufstellen, sodass die Personen, deren personenbezogene Daten betroffen sind, über ausreichende Garantien verfügen, die einen wirksamen Schutz dieser Daten vor Missbrauchsrisiken ermöglichen. Diese Rechtsvorschriften müssen nach nationalem Recht bindend sein und insbesondere Angaben dazu enthalten, unter welchen Umständen und unter welchen Voraussetzungen eine Maßnahme, die die Verarbeitung solcher Daten vorsieht, getroffen werden darf, damit gewährleistet ist, dass sich der Eingriff auf das absolut Notwendige beschränkt (EuGH, Urteil vom 20. September 2022 - C-793/19 und C-794/19 - Rn. 69). Die Bestimmung präziser Eingriffsvoraussetzungen für die Vorratsdatenspeicherung im Rahmen des unionsrechtlich Zulässigen ist daher nicht Sache der Gerichte, sondern des Gesetzgebers.

46 ee) Ist § 175 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 176 TKG (§ 113a Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 113b TKG a. F.) nach alledem mit dem Unionsrecht nicht vereinbar und kommt eine unionsrechtskonforme Auslegung nicht in Betracht, darf die Regelung wegen des Grundsatzes des Vorrangs des Unionsrechts nicht angewendet werden (stRspr, vgl. EuGH, Urteile vom 9. März 1978 - Rs. 106/77 [ECLI:​EU:​C:​1978:​49], Simmenthal - Rn. 24, vom 3. Mai 2005 - C-387/02, C-391/02 und C-403/02 [ECLI:​EU:​C:​2005:​270], Berlusconi u. a. - Rn. 72, vom 22. Juni 2010 - C-188/10 und C-189/10 [ECLI:​EU:​C:​2010:​363], Melki und Abdeli - Rn. 43 sowie vom 18. September 2014 - C-487/12 [ECLI:​EU:​C:​2014:​2232], Vueling Airlines - Rn. 48).

47 3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.