Verfahrensinformation

Der Antragsteller im Verfahren BVerwG 3 CN 1.21 wendet sich mit seinem Normenkontrollantrag gegen verschiedene Rechtsvorschriften der Sächsischen Corona-Schutz-Verordnung vom 17. April 2020, die mit Ablauf des 3. Mai 2020 außer Kraft getreten ist. Er begehrt die Feststellung, dass die Verordnungsregelungen über die Kontaktbeschränkung für den Aufenthalt im öffentlichen Raum, über die Schließung von Einrichtungen wie Sportstätten für den Publikumsverkehr sowie über die Untersagung von Gastronomiebetrieben unwirksam gewesen sind. Das erstinstanzlich zuständige Oberverwaltungsgericht hat den Normenkontrollantrag durch Urteil vom 15. Oktober 2021 abgelehnt, weil die angegriffenen Regelungen rechtmäßig gewesen seien. Es hat angenommen, dass die Ermächtigungsgrundlage des § 32 i.V.m. § 28 Abs. 1 des Infektionsschutzgesetzes i.d.F. des Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 27. März 2020 den verfassungsrechtlichen Anforderungen entsprochen habe. Es ist des Weiteren davon ausgegangen, dass der Antragsgegner von dieser Ermächtigung durch den Erlass der fraglichen Verordnungsbestimmungen in nicht zu beanstandender Weise Gebrauch gemacht habe. Die Rüge mangelhafter Sachverhaltsermittlung greife nicht durch. Angesichts der damals herrschenden Unsicherheit über die Gefährlichkeit, die Übertragungswege und die Auswirkungen einer Ansteckung mit dem Coronavirus SARS-CoV-2, einer fehlenden effektiven Medikamentation zur Behandlung von COVID-19 und einer zu diesem Zeitpunkt fehlenden Impfmöglichkeit habe sich der Antragsgegner vorrangig auf die fachlichen Empfehlungen und Stellungnahmen des Robert-Koch-Instituts als der dafür gesetzlich vorgesehenen sachverständigen Stelle stützen dürfen. Danach seien die angeordneten Maßnahmen verhältnismäßig gewesen. Dem Antragsgegner komme bei der Beurteilung der Eignung und Erforderlichkeit von Infektionsschutzmaßnahmen ein Einschätzungsspielraum zu, dessen Grenzen er nicht überschritten habe.


Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Oberverwaltungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassene Revision des Antragstellers.


Gegenstand des Verfahrens BVerwG 3 CN 2.21 ist die Ausgangsbeschränkung durch die Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 27. März 2020 i.d.F. der Änderungsverordnung vom 31. März 2020 (außer Kraft getreten mit Ablauf des 19. April 2020). Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat mit Beschluss vom 4. Oktober 2021 auf den Normenkontrollantrag der beiden Antragsteller festgestellt, dass die Ausgangsbeschränkung unwirksam war. Der Antragsgegner habe den Ausnahmetatbestand der "triftigen Gründe", die zum Verlassen der eigenen Wohnung berechtigten, so eng gefasst, dass die Ausgangsbeschränkung im Ergebnis unverhältnismäßig gewesen sei. Von der Beschränkung sei auch das Verweilen im Freien alleine oder mit Angehörigen des eigenen Hausstandes erfasst gewesen. Dass diese Maßnahme zum Zweck der Hemmung der Übertragung des Coronavirus erforderlich gewesen sei, habe der Senat auf der Grundlage des Vortrags des Antragsgegners nicht erkennen können. Jedenfalls sei die landesweite Ausgangsbeschränkung unangemessen gewesen. Der Antragsgegner könne sich nicht auf einen gerichtlich nicht vollständig überprüfbaren Einschätzungsspielraum bei der Auswahl der Schutzmaßnahmen berufen. Die Verhältnismäßigkeit der Ausgangsbeschränkung unterliege der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle.


Gegen diese Entscheidung wendet sich der Antragsgegner mit der vom Verwaltungsgerichtshof wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen Revision.


Pressemitteilung Nr. 60/2022 vom 10.10.2022

Mündliche Verhandlung in den Verwaltungsstreitsachen BVerwG 3 CN 1.21 und 3 CN 2.21 am 9. November 2022 („Corona-Schutz-Verordnungen“): Anmelde- und Akkreditierungsverfahren

Der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig wird am 9. November 2022, 10.00 Uhr, im Großen Sitzungssaal in den Verwaltungsstreitsachen BVerwG 3 CN 1.21 und 3 CN 2.21 mündlich verhandeln.


Gegenstand des Verfahrens 3 CN 1.21 sind Kontaktbeschränkungen für den Aufenthalt im öffentlichen Raum sowie die Schließung von Gastronomiebetrieben und von Sportstätten durch die Sächsische Corona-Schutz-Verordnung vom 17. April 2020. Das Sächsische Oberverwaltungsgericht hat den gegen diese Verordnung gerichteten Normenkontrollantrag des Antragstellers abgelehnt.


Gegenstand des Verfahrens 3 CN 2.21 ist die Ausgangsbeschränkung durch die Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 27. März 2020 i.d.F. der Änderungsverordnung vom 31. März 2020. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat auf den Normenkontrollantrag von zwei Antragstellern festgestellt, dass die Ausgangsbeschränkung unwirksam war.


Anmeldeverfahren für interessierte Zuschauerinnen und Zuschauer


Die Anzahl der Plätze für Zuschauerinnen und Zuschauer ist begrenzt. Eine Anmeldung zur Teilnahme an der mündlichen Verhandlung ist daher erforderlich. Hierfür ist ausschließlich das Anmeldeformular auf der Website des Bundesverwaltungsgerichts zu nutzen. Gruppen werden nur bis zu einer Größe von zehn Personen berücksichtigt.


Die zur Verfügung stehenden Plätze werden nach der Reihenfolge der eingegangenen Anmeldungen vergeben. Anmeldungen von Einzelpersonen, die vor dieser Pressemitteilung eingegangen sind, werden berücksichtigt; die erneute Anmeldung ist nicht erforderlich. Eine Rückantwort auf die Anmeldung erfolgt nur, wenn die Platzkapazität erschöpft ist und die Anmeldung deshalb nicht mehr berücksichtigt werden kann.


Akkreditierungsbedingungen und Hinweise für Medienvertreterinnen und Medienvertreter


Die Plätze für Medienvertreterinnen und -vertreter werden in einem Akkreditierungsverfahren vergeben. Das Akkreditierungsverfahren beginnt mit Veröffentlichung der Pressemitteilung und endet am Donnerstag, den 3. November 2022 um 12 Uhr . Verspätet eingehende Akkreditierungswünsche können nur Berücksichtigung finden, sofern das Platzkontingent noch nicht ausgeschöpft ist.


Für Akkreditierungsgesuche ist ausschließlich das bereitgestellte Anmeldeformular auf der Website des Bundesverwaltungsgerichts zu nutzen. Dieses muss vollständig ausgefüllt sein. Das Akkreditierungsgesuch kann auch unter Verwendung des Formulars per E-Mail an die Adresse pressestelle@bverwg.bund.de übermittelt werden. Akkreditierungsgesuche an sonstige E-Mail-Adressen oder Telefaxanschlüsse des Gerichts werden nicht berücksichtigt.


Der gültige Presseausweis ist vor Ort vorzulegen.


Akkreditierungsgesuche werden in der Reihenfolge ihres Eingangs berücksichtigt; bei etwaiger Zeitgleichheit entscheidet das Los. Wenige Tage nach Ablauf der Frist versendet die Pressestelle des Bundesverwaltungsgerichts eine Benachrichtigung über die erfolgreiche bzw. nicht erfolgreiche Akkreditierung.


Für Medienvertreterinnen und -vertreter stehen im Sitzungssaal 16 Sitzplätze zur Verfügung. Die Plätze werden nach der Reihenfolge des Akkreditierungseingangs vergeben. Aufgrund der begrenzten Kapazität steht nur ein Sitzplatz je Medienorgan zur Verfügung.


Ein gesonderter Medienarbeitsraum steht nicht zur Verfügung.


Foto- und Fernsehaufnahmen; Pool-Bildung


1. Gemäß den Regelungen des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) sind Foto-, Film- und Tonaufnahmen im Sitzungssaal nur bis zum Beginn der mündlichen Verhandlung zulässig. Danach haben Fotografinnen und Fotografen und Kamerateams den Sitzungssaal zu verlassen.


2. Für Foto- und Filmaufnahmen im Sitzungssaal werden Medienpools gebildet. Zugelassen werden vier Fernsehteams (zwei öffentlich-rechtliche und zwei privat-rechtliche inländische Sender mit jeweils einer Kamera) sowie sechs Fotografinnen und Fotografen. Übersteigt die Anzahl der Anmeldungen die Zahl der im jeweiligen Medienpool zur Verfügung stehenden Plätze, ist Voraussetzung für eine Zulassung die im Akkreditierungsgesuch erklärte Bereitschaft zur Übernahme der Poolführung. Medienvertreterinnen und -vertreter, die die entsprechenden technischen Voraussetzungen nicht erfüllen, können die Poolführung nicht übernehmen. Die Poolführung ist verpflichtet, abgelehnten Bewerbern des Medienpools die gefertigten Aufnahmen auf Anfrage unverzüglich in geeigneter Form zur Verfügung zu stellen. Die Zulassung zum jeweiligen Medienpool und ggfs. die Vergabe der Poolführung erfolgen nach der Reihenfolge des Akkreditierungseingangs; bei etwaiger Zeitgleichheit entscheidet das Los. Die Bestimmung der konkret mitwirkenden Personen bleibt den Fernsehsendern bzw. den Agenturen und Fotografinnen und Fotografen selbst überlassen.


3. Der Aufenthalt hinter der Richterbank ist nicht gestattet. Entsprechenden Anweisungen der Wachtmeisterinnen und Wachtmeister und der Pressestelle ist Folge zu leisten. Foto- und Filmaufnahmen sind ausschließlich mit geräuscharmen Apparaten ohne Blitzlicht gestattet.


4. Nach Schluss der mündlichen Verhandlung sowie in den Pausen sind Interviews sowie Fernseh- und Fotoaufnahmen mit Verfahrensbeteiligten oder sonstigen Personen lediglich außerhalb des Sitzungssaals zugelassen.


Ergänzende Regelungen für den Sitzungssaal


Einlass in den Sitzungssaal wird ab eine Stunde vor Beginn der Verhandlung gewährt. Medienvertreterinnen und -vertreter dürfen nur die zur Ausübung ihrer Tätigkeit erforderlichen Geräte und Taschen mit sich führen.


Foto- und Filmaufnahmen sowie das Telefonieren, Twittern und sonstige Versenden von Nachrichten, das Abrufen von Daten sowie jegliche Nutzung des Internets im bzw. aus dem Sitzungssaal sind nicht gestattet. Für diese Zwecke nutzbare elektronische Geräte, insbesondere Mobiltelefone, Laptop-Computer oder Tablet-Computer, dürfen im Sitzungssaal nicht verwendet werden. Medienvertreterinnen und -vertretern wird während der mündlichen Verhandlung die Nutzung dieser Geräte im Offline-Betrieb zur Eingabe von Text, nicht aber für Ton- und Bildaufnahmen sowie Datenübermittlungen gestattet. Der Betrieb der Geräte ist nur im Flugzeug- und Lautlosmodus zulässig. In den Sitzungspausen und nach Schließung der Sitzung dürfen Medienvertreterinnen und -vertreter diese Geräte im bzw. aus dem Sitzungssaal zum Telefonieren, zur sonstigen Kommunikation, zum Abrufen von Daten sowie zu jeglicher sonstigen Nutzung des Internets verwenden.


BVerwG 3 CN 1.21

Vorinstanz:

OVG Bautzen, OVG 3 C 15/20 - Urteil vom 15. Oktober 2021 -

BVerwG 3 CN 2.21

Vorinstanz:

VGH München, VGH 20 N 20.767 - Beschluss vom 04. Oktober 2021 -


Pressemitteilung Nr. 69/2022 vom 22.11.2022

Kontaktbeschränkungen sowie Schließung von Gastronomiebetrieben und Sportstätten einschließlich Golfplätzen nach der Sächsischen Corona-Schutz-Verordnung vom 17. April 2020 waren rechtmäßig

Die Regelungen der Sächsischen Corona-Schutz-Verordnung vom 17. April 2020 (SächsCoronaSchVO) über die Kontaktbeschränkung für den Aufenthalt im öffentlichen Raum, die Untersagung von Gastronomiebetrieben und die Schließung von Sportstätten einschließlich Golfplätzen* hatten im Infektionsschutzgesetz eine verfassungsgemäße Rechtsgrundlage und waren verhältnismäßig. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute entschieden.


Der Antragsteller wandte sich im Wege der Normenkontrolle gegen die vom 20. April bis 3. Mai 2020 geltende Verordnung. Sein Antrag festzustellen, dass § 2 Abs. 1, § 4 Abs. 1 Nr. 1 und § 5 Satz 1 SächsCoronaSchVO unwirksam waren, blieb vor dem Sächsischen Oberverwaltungsgericht ohne Erfolg. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Revision des Antragstellers zurückgewiesen.


Rechtsgrundlage für die angegriffenen Verordnungsregelungen war § 32 in Verbindung mit § 28 Abs. 1 des Infektionsschutzgesetzes in der Fassung des Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 27. März 2020 (IfSG a. F.).* Die Voraussetzungen, unter denen nach diesen Vorschriften Ge- und Verbote zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten erlassen werden konnten, lagen vor. Bei Erlass der Verordnung waren Menschen an COVID-19 und damit an einer übertragbaren Krankheit im Sinne des Infektionsschutzgesetzes erkrankt. Auch Ge- und Verbote, die - wie hier - unabhängig von einem Krankheits- oder Ansteckungsverdacht an die Allgemeinheit gerichtet sind, konnten notwendige Schutzmaßnahmen im Sinne der genannten Vorschriften sein.


§ 32 i. V. m. § 28 Abs. 1 IfSG a. F. war in dieser Auslegung verfassungsgemäß. Der Grad der verfassungsrechtlich erforderlichen Bestimmtheit hängt u.a. von den Besonderheiten des jeweiligen Sachbereichs ab. Im Infektionsschutzrecht ist eine Generalklausel, wie sie § 28 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 IfSG a. F. enthält, sachgerecht. Der Gesetzgeber kann nicht voraussehen, welche übertragbaren Krankheiten neu auftreten und welche Schutzmaßnahmen zu ihrer Bekämpfung erforderlich sein werden. Hat sich der Erkenntnisstand in Bezug auf einen neuen Krankheitserreger verbessert und haben sich geeignete Parameter herausgebildet, um die Gefahrenlage zu beschreiben und zu bewerten, kann der Gesetzgeber allerdings gehalten sein, für die jeweilige Krankheit zu konkretisieren, unter welchen Voraussetzungen welche Schutzmaßnahmen ergriffen werden können. Eine solche Kodifikationsreife lag für COVID-19 im hier maßgebenden Zeitraum von Mitte April bis Anfang Mai 2020 nicht vor.


Die angegriffenen Verordnungsregelungen waren auch verhältnismäßig und damit notwendige Schutzmaßnahmen im Sinne von § 32 Satz 1 i. V. m. § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG a. F. Das Ziel der Verordnung, physische Kontakte zu vermeiden, um die Ausbreitung des Virus und der Krankheit COVID-19 zu verlangsamen, stand im Einklang mit dem Zweck der Verordnungsermächtigung. Die Annahme des Verordnungsgebers, dass dieses Ziel ohne die erlassenen Ge- und Verbote gefährdet und die Gefahr wegen einer möglichen Überlastung des Gesundheitssystems dringlich war, beruhte nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts auf einer tragfähigen tatsächlichen Grundlage. Der Verordnungsgeber durfte sich für seine tatsächliche Einschätzung der Gefährdungslage insbesondere auf die Risikobewertung des Robert Koch-Institutes (RKI) stützen, das nach § 4 IfSG a.F.* als nationale Behörde zur frühzeitigen Erkennung und Verhinderung der Weiterverbreitung von Infektionen u.a. zur Auswertung und Veröffentlichung von Daten zum Infektionsgeschehen berufen ist. Der Antragsteller hat nichts vorgetragen, was die Bewertung des RKI nach der maßgebenden ex-ante-Sicht erschüttern könnte. Dafür ist auch nichts ersichtlich.


Die angegriffenen Ge- und Verbote waren für die Zielerreichung geeignet und auch erforderlich. Es ist nicht ersichtlich, dass dem Verordnungsgeber eine gleich wirksame, weniger in die Grundrechte der Betroffenen eingreifende Maßnahme zur Verfügung stand. Angesichts der seinerzeit fehlenden Erfahrungen mit dem SARS-CoV-2-Virus hatte er einen tatsächlichen Einschätzungsspielraum, der sich darauf bezog, die Wirkung der von ihm gewählten Maßnahmen im Vergleich zu anderen, weniger belastenden Maßnahmen zu prognostizieren. Dass er diesen Spielraum überschritten habe, hat das Oberverwaltungsgericht ohne Rechtsfehler verneint. Die Prognose des Verordnungsgebers war ausgehend von den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz plausibel. Hinsichtlich der Kontaktbeschränkungen war ein gleich wirksames, aber weniger belastendes Mittel nicht ersichtlich. In Bezug auf gastronomische Einrichtungen hat das Gericht festgestellt, dass aufgrund der besonderen Nähe und fehlender Ausweichmöglichkeiten von Gästen und Personal ein besonders hohes Ansteckungsrisiko für eine Tröpfcheninfektion bestand. Zudem habe gerade in Szene-Vierteln die Gefahr von größeren Menschenansammlungen bestanden. Danach war plausibel, dass selbst ein anspruchsvolles Hygienekonzept nicht so wirksam gewesen wäre wie die Schließung der Gastronomiebetriebe. In Bezug auf Golfplätze hat das Oberverwaltungsgericht festgestellt, dass es auch dort Bereiche gebe, die von einer Vielzahl von Spielern zusammen aufgesucht würden und wo damit die Gefahr einer Ansteckung bestehe.


Schließlich hat das Oberverwaltungsgericht ohne Verstoß gegen Bundesrecht angenommen, dass der mit den Maßnahmen verfolgte Zweck und die zu erwartende Zweckerreichung weder bezogen auf die einzelnen Maßnahmen noch insgesamt außer Verhältnis zu der Schwere des Eingriffs stehen. Dass Kontaktbeschränkungen im öffentlichen Raum sowie die Schließung von gastronomischen Einrichtungen verhältnismäßig im engeren Sinne sein können, ist in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts für die Regelungen in § 28b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 7 IfSG i. d. F. des Gesetzes vom 22. April 2021 ("Bundesnotbremse") geklärt. Für die hier in Rede stehenden Schutzmaßnahmen aus der Anfangsphase der COVID-19-Pandemie ("1. Welle") ergibt sich nichts Anderes.


Fußnote:

  • Auszug aus der SächsCoronaSchVO vom 17. April 2020:

§ 2


Kontaktbeschränkung


 


(1) Der Aufenthalt im öffentlichen Raum ist ausschließlich alleine oder in Begleitung der Partnerin oder des Partners beziehungsweise mit Angehörigen des eigenen Hausstandes oder mit einer weiteren nicht im Hausstand lebenden Person oder zur Wahrnehmung des Sorge- und Umgangsrechts gestattet.


 


§ 4


Betriebsuntersagungen


 


(1) Folgende Einrichtungen oder Angebote für den Publikumsverkehr dürfen nicht geöffnet werden:


 


1. Sportstätten, …


 


§ 5


Gastronomiebetriebe


 


Gastronomiebetriebe jeder Art sind untersagt. ...


 


 


Auszug aus dem IfSG a. F.:


 


§ 4 Aufgaben des Robert Koch-Instituts


 


(1) Das Robert Koch-Institut ist die nationale Behörde zur Vorbeugung übertragbarer Krankheiten sowie zur frühzeitigen Erkennung und Verhinderung der Weiterverbreitung von Infektionen. Dies schließt die Entwicklung und Durchführung epidemiologischer und laborgestützter Analysen sowie Forschung zu Ursache, Diagnostik und Prävention übertragbarer Krankheiten ein. Es arbeitet mit den jeweils zuständigen Bundesbehörden, den zuständigen Landesbehörden, den nationalen Referenzzentren, weiteren wissenschaftlichen Einrichtungen und Fachgesellschaften zusammen. …


(2) Das Robert Koch-Institut


...


3. stellt die Ergebnisse der infektionsepidemiologischen Auswertungen den folgenden Behörden und Institutionen zur Verfügung:



c) den obersten Landesgesundheitsbehörden



 


§ 28 Schutzmaßnahmen


 


(1) Werden Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige … festgestellt ..., so trifft die zuständige Behörde die notwendigen Schutzmaßnahmen, … soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist; sie kann insbesondere Personen verpflichten, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte oder öffentliche Orte nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu betreten. Unter den Voraussetzungen von Satz 1 kann die zuständige Behörde Veranstaltungen oder sonstige Ansammlungen von Menschen beschränken oder verbieten …


 


§ 32 Erlass von Rechtsverordnungen


 


Die Landesregierungen werden ermächtigt, unter den Voraussetzungen, die für Maßnahmen nach den § 28 bis 31 maßgebend sind, auch durch Rechtsverordnungen entsprechende Gebote und Verbote zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten zu erlassen. …


 


BVerwG 3 CN 1.21 - Urteil vom 22. November 2022

Vorinstanz:

OVG Bautzen, OVG 3 C 15/20 - Urteil vom 15. Oktober 2021 -


Pressemitteilung Nr. 70/2022 vom 22.11.2022

Ausgangsbeschränkung nach der Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung in der Fassung vom 31. März 2020 war unverhältnismäßig

Die Regelungen der Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 27. März 2020 in der Fassung der Änderungsverordnung vom 31. März 2020 (BayIfSMV) über das Verlassen der eigenen Wohnung waren mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht vereinbar. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute entschieden.


Nach § 4 Abs. 2 BayIfSMV* war das Verlassen der eigenen Wohnung nur bei Vorliegen triftiger Gründe erlaubt. Triftige Gründe waren insbesondere die in Absatz 3 aufgeführten Tätigkeiten, darunter Sport und Bewegung an der frischen Luft, allerdings ausschließlich alleine oder mit Angehörigen des eigenen Hausstandes und ohne jede sonstige Gruppenbildung (§ 4 Abs. 3 Nr. 7 BayIfSMV). Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat auf einen Normenkontrollantrag von zwei Privatpersonen festgestellt, dass § 4 Abs. 2 und 3 BayIfSMV unwirksam war. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Revision des Freistaats Bayern zurückgewiesen.


Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, der Antragsgegner habe die triftigen Gründe, die zum Verlassen der eigenen Wohnung berechtigten, so eng gefasst, dass die Ausgangsbeschränkung im Ergebnis unverhältnismäßig gewesen sei. Von der Beschränkung sei auch das Verweilen im Freien alleine oder ausschließlich mit Angehörigen des eigenen Hausstandes erfasst gewesen. Dass diese Maßnahme zur Hemmung der Übertragung des Coronavirus erforderlich und damit im Sinne von § 32 Satz 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 des Infektionsschutzgesetzes in der bei Erlass der Verordnung geltenden Fassung (vgl. Pressemitteilung 69/2022 ) notwendig gewesen sei, sei auf der Grundlage des Vortrags des Antragsgegners nicht zu erkennen.


Diese Annahme ist mit Bundesrecht vereinbar. Erforderlich ist eine Maßnahme, wenn kein gleich wirksames, die Grundrechtsträger weniger belastendes Mittel zur Erreichung des Ziels zur Verfügung steht. Als mildere Maßnahme kamen hier - wie der Verwaltungsgerichtshof zu Recht angenommen hat - Beschränkungen des Kontakts im öffentlichen und privaten Raum in Betracht, mit denen das Verweilen im Freien alleine oder ausschließlich mit Angehörigen des eigenen Hausstandes nicht untersagt worden wäre. Sie hätten die Adressaten weniger belastet als die angegriffene Ausgangsbeschränkung. Diese erlaubte nach der bindenden Auslegung des Landesrechts durch den Verwaltungsgerichtshof zwar das Verlassen der Wohnung für Sport und Bewegung, aber nicht für bloßes Verweilen an der frischen Luft, z.B. um auf einer Parkbank ein Buch zu lesen. Bei der Beurteilung, ob die als milderes Mittel in Betracht kommende Kontaktbeschränkung weniger wirksam zur Zielerreichung war als die angegriffene Ausgangsbeschränkung, verfügte der Antragsgegner über einen tatsächlichen Einschätzungsspielraum. Der Spielraum bezog sich darauf, die Wirkungen der Maßnahmen zu prognostizieren. Ein solcher Spielraum hat jedoch Grenzen. Das Ergebnis der Prognose muss plausibel und damit einleuchtend begründet sein. Das unterliegt der gerichtlichen Überprüfung. Der Verwaltungsgerichtshof hat angenommen, im Vortrag des Antragsgegners sei offengeblieben, warum ein Verhalten, welches für sich gesehen infektiologisch unbedeutend sei, nämlich das Verweilen alleine oder mit den Personen seines Haushalts im Freien außerhalb der eigenen Wohnung, der Ausgangsbeschränkung unterworfen worden sei. Dass der Verwaltungsgerichtshof ein solches Verweilen als infektiologisch unbedeutend eingestuft hat, ist eine Würdigung von Tatsachen, die der Antragsgegner nicht mit einer Verfahrensrüge angegriffen hat; gegen sie bestehen unabhängig davon revisionsrechtlich keine Bedenken. Gleiches gilt für die Annahme des Verwaltungsgerichtshofs, es sei nicht ersichtlich, dass sich in relevanter Anzahl um die Verweilenden Ansammlungen von Menschen bilden könnten. Er hat keine überzogenen Anforderungen an die Darlegung gestellt. Dass das Verlassen der Wohnung zum Verweilen an der frischen Luft - wie das Verlassen der Wohnung aus anderen Gründen - zu Kontakten führen kann, bedarf als allgemeinkundige Tatsache zwar nicht der Darlegung. Das Verbot des Ausgangs für ein Verweilen im Freien ohne Kontakt zu hausstandsfremden Personen war aber nur erforderlich, wenn es über ein Verbot solcher Kontakte hinaus geeignet war, einen relevanten Beitrag zur Verhinderung hausstandsübergreifender Kontakte zu leisten. Zu berücksichtigen war hierbei, dass das Ziel des Antragsgegners, physische Kontakte zu Menschen außerhalb des eigenen Hausstandes auf ein absolut nötiges Minimum zu reduzieren (§ 4 Abs. 1 BayIfSMV), auch durch die Ausgangsbeschränkung in ihrer konkreten Ausgestaltung nicht vollständig zu erreichen war. Bei Vorliegen triftiger Gründe (§ 4 Abs. 3 BayIfSMV) war das Verlassen der eigenen Wohnung erlaubt und auch ein solches erlaubtes Verlassen der Wohnung konnte zu Kontakten zu Menschen außerhalb des eigenen Hausstandes führen.


Das ganztägig und damit auch während der Tagstunden geltende Verbot, die eigene Wohnung zum Verweilen im Freien zu verlassen, war ein schwerer Eingriff in die Grundrechte der Adressaten. Für die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne hätte in der Tatsacheninstanz plausibel dargelegt werden müssen, dass es über eine Kontaktbeschränkung hinaus einen erheblichen Beitrag zur Erreichung des Ziels leisten konnte, physische Kontakte zu reduzieren und dadurch die Ausbreitung von COVID-19 zu verhindern. Auch daran fehlte es hier.



 


Fußnote:

  • Auszug aus der BayIfSMV

§ 4 Vorläufige Ausgangsbeschränkung


(1) Jeder wird angehalten, die physischen Kontakte zu anderen Menschen außerhalb der Angehörigen des eigenen Hausstands auf ein absolut nötiges Minimum zu reduzieren. Wo immer möglich, ist ein Mindestabstand zwischen zwei Personen von 1,5 m einzuhalten.


(2) Das Verlassen der eigenen Wohnung ist nur bei Vorliegen triftiger Gründe erlaubt.


(3) Triftige Gründe im Sinn des Abs. 2 sind insbesondere:


1. die Ausübung beruflicher Tätigkeiten,


2. die Inanspruchnahme medizinischer und veterinärmedizinischer Versorgungsleistungen, der Besuch bei Angehörigen therapeutischer Berufe, soweit dies medizinisch dringend erforderlich ist, sowie Blutspenden,


3. Versorgungsgänge für die Gegenstände des täglichen Bedarfs (…); nicht zur Deckung des täglichen Bedarfs gehört die Inanspruchnahme sonstiger Dienstleistungen wie etwa der Besuch von Friseurbetrieben,


4. der Besuch bei Lebenspartnern, Alten, Kranken oder Menschen mit Einschränkungen (außerhalb von Einrichtungen) und die Wahrnehmung des Sorge- und Umgangsrechts im jeweiligen privaten Bereich,


5. die Begleitung von unterstützungsbedürftigen Personen und Minderjährigen


6. die Begleitung Sterbender sowie Beerdigungen im engsten Familienkreis,


7. Sport und Bewegung an der frischen Luft, allerdings ausschließlich alleine oder mit Angehörigen des eigenen Hausstandes und ohne jede sonstige Gruppenbildung und


8. Handlungen zur Versorgung von Tieren.


(4) Die Polizei ist angehalten, die Einhaltung der Ausgangsbeschränkung zu kontrollieren. Im Falle einer Kontrolle sind die triftigen Gründe durch den Betroffenen glaubhaft zu machen.


BVerwG 3 CN 2.21 - Urteil vom 22. November 2022

Vorinstanz:

VGH München, VGH 20 N 20.767 - Beschluss vom 04. Oktober 2021 -


Beschluss vom 10.11.2022 -
BVerwG 3 CN 1.21ECLI:DE:BVerwG:2022:101122B3CN1.21.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 10.11.2022 - 3 CN 1.21 - [ECLI:DE:BVerwG:2022:101122B3CN1.21.0]

Beschluss

BVerwG 3 CN 1.21

  • OVG Bautzen - 15.10.2021 - AZ: OVG 3 C 15/20

In der Normenkontrollsache hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 10. November 2022
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Philipp,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Liebler und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Kuhlmann
beschlossen:

  1. Für den Termin zur Verkündung einer Entscheidung am 22. November 2022 werden Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen zum Zwecke der öffentlichen Vorführung oder der Veröffentlichung ihres Inhalts zugelassen.
  2. Die Fernseh-Rundfunkaufnahmen dürfen nur mit ortsfesten Kameras an den dafür im Sitzungssaal vorgesehenen Standplätzen gemacht werden.
  3. Personen, die Aufnahmen machen möchten, haben sich und ihre Begleitpersonen bei der Pressestelle des Bundesverwaltungsgerichts zu akkreditieren. Wenn die Kameraplätze nicht für alle Interessenten ausreichen, haben sie sich an einem Medienpool zu beteiligen. Es gelten die Akkreditierungsbedingungen des Bundesverwaltungsgerichts.

Gründe

1 Der Beschluss beruht auf § 55 VwGO in Verbindung mit § 169 Abs. 3 GVG. Soweit § 169 Abs. 3 GVG die Medienübertragung von Entscheidungsverkündungen des Bundesgerichtshofs für zulässig erklärt, gilt dies kraft der Verweisung in § 55 VwGO entsprechend auch für das Bundesverwaltungsgericht (vgl. BT-Drs. 18/10144 S. 20, 29). Aufgrund des erheblichen öffentlichen Interesses an der Entscheidung bejaht der Senat einen besonderen Fall im Sinne des § 169 Abs. 3 Satz 1 GVG. Die Verfahrensbeteiligten haben keine Belange geltend gemacht, die der Medienübertragung der Verkündung entgegenstehen könnten.

2 Die Auflagen sind zur Wahrung schutzwürdiger Interessen der Beteiligten und eines ordnungsgemäßen Ablaufs des Verfahrens erforderlich. Die Akkreditierungsbedingungen werden mit dem Hinweis auf die Zulassung der Medienübertragung auf der Homepage des Bundesverwaltungsgerichts veröffentlicht.

Beschluss vom 10.11.2022 -
BVerwG 3 CN 2.21ECLI:DE:BVerwG:2022:101122B3CN2.21.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 10.11.2022 - 3 CN 2.21 - [ECLI:DE:BVerwG:2022:101122B3CN2.21.0]

Beschluss

BVerwG 3 CN 2.21

  • VGH München - 04.10.2021 - AZ: VGH 20 N 20.767

In der Normenkontrollsache hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 10. November 2022
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Philipp,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Liebler und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Kuhlmann
beschlossen:

  1. Für den Termin zur Verkündung einer Entscheidung am 22. November 2022 werden Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen zum Zwecke der öffentlichen Vorführung oder der Veröffentlichung ihres Inhalts zugelassen.
  2. Die Fernseh-Rundfunkaufnahmen dürfen nur mit ortsfesten Kameras an den dafür im Sitzungssaal vorgesehenen Standplätzen gemacht werden.
  3. Personen, die Aufnahmen machen möchten, haben sich und ihre Begleitpersonen bei der Pressestelle des Bundesverwaltungsgerichts zu akkreditieren. Wenn die Kameraplätze nicht für alle Interessenten ausreichen, haben sie sich an einem Medienpool zu beteiligen. Es gelten die Akkreditierungsbedingungen des Bundesverwaltungsgerichts.

Gründe

1 Der Beschluss beruht auf § 55 VwGO in Verbindung mit § 169 Abs. 3 GVG. Soweit § 169 Abs. 3 GVG die Medienübertragung von Entscheidungsverkündungen des Bundesgerichtshofs für zulässig erklärt, gilt dies kraft der Verweisung in § 55 VwGO entsprechend auch für das Bundesverwaltungsgericht (vgl. BT-Drs. 18/10144 S. 20, 29). Aufgrund des erheblichen öffentlichen Interesses an der Entscheidung bejaht der Senat einen besonderen Fall im Sinne des § 169 Abs. 3 Satz 1 GVG. Die Verfahrensbeteiligten haben keine Belange geltend gemacht, die der Medienübertragung der Verkündung entgegenstehen könnten.

2 Die Auflagen sind zur Wahrung schutzwürdiger Interessen der Beteiligten und eines ordnungsgemäßen Ablaufs des Verfahrens erforderlich. Die Akkreditierungsbedingungen werden mit dem Hinweis auf die Zulassung der Medienübertragung auf der Homepage des Bundesverwaltungsgerichts veröffentlicht.

Urteil vom 22.11.2022 -
BVerwG 3 CN 1.21ECLI:DE:BVerwG:2022:221122U3CN1.21.0

Schutzmaßnahmen anlässlich der Corona-Pandemie

Leitsätze:

1. Ge- und Verbote zur Bekämpfung einer übertragbaren Krankheit, die unabhängig von einem Krankheits- oder Ansteckungsverdacht an jeden im Geltungsbereich einer Verordnung gerichtet sind, können notwendige Schutzmaßnahmen im Sinne von § 32 Satz 1 i. V. m. § 28 Abs. 1 Satz 1 und 2 IfSG i. d. F. des Gesetzes vom 27. März 2020 sein.

2. § 32 i. V. m. § 28 Abs. 1 IfSG i. d. F. des Gesetzes vom 27. März 2020 war eine verfassungsgemäße Grundlage für den Erlass der Sächsischen Corona-Schutz-Verordnung vom 17. April 2020.

3. Die in der Sächsischen Corona-Schutz-Verordnung vom 17. April 2020 verordneten Kontaktbeschränkungen für den Aufenthalt im öffentlichen Raum sowie Schließungen von Gastronomiebetrieben und Sportstätten einschließlich Golfplätzen waren zur Bekämpfung von COVID-19 geeignet, erforderlich und angemessen.

  • Rechtsquellen
    GG Art. 2 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4 Satz 1
    IfSG i. d. F. des Gesetzes vom 27. März 2020 § 28 Abs. 1, § 32
    IfSG i. d. F. des Gesetzes vom 22. April 2021 § 28b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 7
    VwGO § 47 Abs. 2 Satz 1
    SächsCoronaSchVO vom 17. April 2020 § 2 Abs. 1, § 4 Abs. 1 Nr. 1, § 5 Satz 1

  • OVG Bautzen - 15.10.2021 - AZ: 3 C 15/20

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 22.11.2022 - 3 CN 1.21 - [ECLI:DE:BVerwG:2022:221122U3CN1.21.0]

Urteil

BVerwG 3 CN 1.21

  • OVG Bautzen - 15.10.2021 - AZ: 3 C 15/20

In der Normenkontrollsache hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 9. November 2022
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Philipp, den Richter am Bundesverwaltungsgericht Liebler und
die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Dr. Kuhlmann, Dr. Gamp
und Hellmann
am 22. November 2022 für Recht erkannt:

  1. Die Revision des Antragstellers gegen das Urteil des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 15. Oktober 2021 wird zurückgewiesen.
  2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

Gründe

I

1 Der Antragsteller wohnt im Freistaat Sachsen. Er begehrt mit seinem Normenkontrollantrag in der Revisionsinstanz die Feststellung, dass § 2 Abs. 1, § 4 Abs. 1 Nr. 1 sowie § 5 Satz 1 der Verordnung des Sächsischen Staatsministeriums für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt zum Schutz vor dem Coronavirus SARS-CoV-2 und COVID-19 (Sächsische Corona-Schutz-Verordnung - SächsCoronaSchVO) vom 17. April 2020 (SächsGVBl. S. 170) unwirksam gewesen sind.

2 Die Verordnung war gestützt auf § 32 i. V. m. § 28 Abs. 1 Satz 1 und 2 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) vom 20. Juli 2000 in der Fassung des Gesetzes vom 27. März 2020. Sie galt vom 20. April bis 3. Mai 2020 (§ 12 Abs. 1 SächsCoronaSchVO). Die angegriffenen Vorschriften lauteten wie folgt:
§ 2
Kontaktbeschränkung
(1) Der Aufenthalt im öffentlichen Raum ist ausschließlich alleine oder in Begleitung der Partnerin oder des Partners beziehungsweise mit Angehörigen des eigenen Hausstandes oder mit einer weiteren nicht im Hausstand lebenden Person oder zur Wahrnehmung des Sorge- und Umgangsrechts gestattet.
(2) (...)
§ 4
Betriebsuntersagungen
(1) Folgende Einrichtungen oder Angebote für den Publikumsverkehr dürfen nicht geöffnet werden:
1. Sportstätten, Vereinssport, Fitness- und Sportstudios, Wellnesszentren, Badeanstalten, Saunas und Dampfbäder, Spielplätze,
(...)
§ 5
Gastronomiebetriebe
Gastronomiebetriebe jeder Art sind untersagt. (...) Ausgenommen sind die Abgabe und Lieferung von mitnahmefähigen Speisen (...).

3 Zur Begründung seines am 19. April 2020 anhängig gemachten Normenkontrollantrags hat der Antragsteller vorgetragen, dass den Verordnungsbestimmungen die erforderliche Rechtsgrundlage fehle, weil sie nicht auf § 32 i. V. m. § 28 Abs. 1 IfSG gestützt werden könnten. Zudem verstießen die Maßnahmen gegen das Verhältnismäßigkeitsgebot. Der Antragsgegner habe nicht dargelegt, dass die Kontaktbeschränkungen sowie die Schließungen von Sportstätten einschließlich Golfplätzen und von Gastronomiebetrieben erforderlich gewesen seien. Die Regelungen seien auch unzumutbar gewesen.

4 Das Sächsische Oberverwaltungsgericht hat den Normenkontrollantrag durch Urteil vom 15. Oktober 2021 abgelehnt: Die angegriffenen Vorschriften seien rechtmäßig gewesen. Sie hätten in § 32 i. V. m. § 28 Abs. 1 IfSG i. d. F. vom 27. März 2020 eine Ermächtigungsgrundlage, die den Anforderungen des Bestimmtheitsgebots aus Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG und des verfassungsrechtlichen Wesentlichkeitsgrundsatzes genüge. Die in § 32 i. V. m. § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG genannten Voraussetzungen für den Erlass von Maßnahmen zur Bekämpfung einer übertragbaren Krankheit hätten vorgelegen. Die in der Sächsischen Corona-Schutz-Verordnung geregelten Ge- und Verbote dienten dem Ziel, eine Verbreitung des Virus SARS-CoV-2 und der Krankheit COVID-19 zu verhindern. Nach der damaligen Risikoeinschätzung des Robert Koch-Instituts (RKI) sei es erforderlich gewesen, physische Kontakte möglichst zu vermeiden, um die Ausbreitung des im Wege einer Tröpfcheninfektion besonders leicht von Mensch zu Mensch übertragbaren Virus und der Krankheit zu verlangsamen. Das RKI habe die Gesundheitsgefährdung durch das Virus SARS-CoV-2 als hoch eingeschätzt. Als nationaler Behörde zur Vorbeugung übertragbarer Krankheiten sowie zur frühzeitigen Erkennung und Verhinderung der Weiterverbreitung von Infektionen komme seinen Empfehlungen vorrangige Bedeutung zu. Bei den angegriffenen Verordnungsregelungen handele es sich um notwendige Schutzmaßnahmen im Sinne von § 32 i. V. m. § 28 Abs. 1 Satz 1 und 2 IfSG. Die Befugnis nach § 28 Abs. 1 IfSG sei nicht auf Maßnahmen gegenüber Kranken, Krankheitsverdächtigen, Ansteckungsverdächtigen oder Ausscheidern begrenzt. Auch Ge- und Verbote, die wie § 2 Abs. 1, § 4 Abs. 1 Nr. 1 und § 5 Satz 1 SächsCoronaSchVO unabhängig von einem Krankheits- oder Ansteckungsverdacht an jeden gerichtet seien, könnten notwendige Schutzmaßnahmen im Sinne der Verordnungsermächtigung sein. Die Regelungen hätten nicht unverhältnismäßig in die Grundrechte der Betroffenen eingegriffen. Bei der Beurteilung der Eignung und Erforderlichkeit von Maßnahmen komme dem Verordnungsgeber ein Einschätzungs- und Wertungsspielraum zu, dessen Grenzen hier nicht überschritten seien. Die angeordneten Maßnahmen seien auch verhältnismäßig im engeren Sinne. Die Rüge des Antragstellers, der Antragsgegner habe den Sachverhalt unzureichend ermittelt, bleibe ohne Erfolg. § 2 Abs. 1 SächsCoronaSchVO sei in Bezug auf die Gestattung des Aufenthalts zur Wahrnehmung des Sorge- und Umgangsrechts hinreichend bestimmt.

5 Zur Begründung seiner vom Oberverwaltungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen Revision macht der Antragsteller im Wesentlichen geltend: Die Verordnungsregelungen ließen sich nicht auf § 32 i. V. m. § 28 Abs. 1 IfSG i. d. F. vom 27. März 2020 stützen. Die Auslegung des Oberverwaltungsgerichts, die Verordnungsermächtigung ermächtige zum Erlass von Maßnahmen auch gegenüber der Allgemeinheit, verstoße gegen den Grundsatz des Gesetzesvorbehalts und das Bestimmtheitsgebot. Dass § 32 i. V. m. der Generalklausel des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG nicht zu Maßnahmen gegenüber der gesamten Bevölkerung eines Bundeslandes ermächtige, zeige auch die Einfügung von § 28 Abs. 2 IfSG i. d. F. vom 17. Juli 2015, die der Gesetzgeber damit begründet habe, dass Maßnahmen gegen Nichtstörer eine gesonderte Rechtsgrundlage erforderten. Aus der Änderung des § 28 Abs. 1 IfSG durch das Gesetz vom 27. März 2020 ergebe sich kein anderes Auslegungsergebnis. Eine etwaige Übergangs- oder Reaktionszeit des Gesetzgebers, innerhalb derer er auf neue Entwicklungen und Phänomene reagieren und eventuelle Regelungslücken schließen könne, wäre im Zeitpunkt des Erlasses der Sächsischen Corona-Schutz-Verordnung bereits abgelaufen. Zu Unrecht habe das Oberverwaltungsgericht die Verhältnismäßigkeit der Regelungen bejaht. Es habe nicht berücksichtigt, dass jede einzelne wie auch die Gesamtheit der Maßnahmen verhältnismäßig sein müssten. Weil der Verordnungsgeber mit der Verordnung mehrere Ziele verfolgt habe, müsse die Verhältnismäßigkeit zudem bezogen auf jedes Ziel geprüft werden und vorliegen. Diesen Anforderungen werde das angefochtene Urteil nicht gerecht. Des Weiteren habe das Oberverwaltungsgericht die Eingriffsintensität der kontaktbeschränkenden Maßnahmen zu gering gewichtet. Es habe nicht berücksichtigt, dass es sich um geplante Langzeitmaßnahmen gehandelt habe. Seine Annahme, die in § 2 Abs. 1 SächsCoronaSchVO getroffene Regelung zur Wahrnehmung des Umgangsrechts sei hinreichend bestimmt, verstoße gegen Art. 20 Abs. 3 GG. Es sei unklar gewesen, inwieweit die Gestattung auch Großeltern umfasse. In Bezug auf § 4 Abs. 1 Nr. 1 SächsCoronaSchVO habe das Oberverwaltungsgericht zu Unrecht angenommen, dass die Schließung von Golfplätzen erforderlich gewesen sei. Es hätte genügt, ihre Nutzungsmöglichkeit auf den Außenbereich zu beschränken und gegebenenfalls eine Maskenpflicht und Begrenzung der Nutzerzahl vorzusehen. Entsprechendes gelte für § 5 Satz 1 SächsCoronaSchVO. Als gleich wirksame, jedoch weniger eingriffsintensive Maßnahme hätte der Antragsgegner die Beschränkung des Gastronomiebetriebs auf den Außenbereich, ein Alkoholausschankverbot sowie eine Begrenzung der Gästezahl anordnen können. Das angefochtene Urteil beruhe außerdem auf Verfahrensmängeln. Das Oberverwaltungsgericht habe gegen die Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts verstoßen, weil es seinen Beweisanträgen nicht entsprochen habe.

6 Der Antragsgegner tritt den Verfahrensrügen entgegen und verteidigt das angefochtene Urteil.

II

7 Die zulässige Revision des Antragstellers ist nicht begründet. Das angefochtene Urteil beruht nicht auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Die Ablehnung des zulässigen (1.) Normenkontrollantrags durch das Oberverwaltungsgericht steht mit Bundesrecht im Einklang. Die angegriffenen Regelungen der Sächsischen Corona-Schutz-Verordnung vom 17. April 2020 hatten eine Rechtsgrundlage im Infektionsschutzgesetz (2.), die verfassungsgemäß war (3.). Sie waren auf der Grundlage der im Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen und der Auslegung des Landesrechts verhältnismäßig (4.). Das Oberverwaltungsgericht hat auch ohne Verstoß gegen Art. 20 Abs. 3 GG angenommen, dass § 2 Abs. 1 SächsCoronaSchVO hinreichend bestimmt war (5.).

8 1. Der gemäß § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO statthafte Normenkontrollantrag ist zulässig. Dass die angegriffenen Rechtsvorschriften außer Kraft getreten sind, hat ihn nicht unzulässig gemacht.

9 a) Gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO kann den Normenkontrollantrag jede natürliche oder juristische Person stellen, die geltend macht, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Zwar geht § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO vom Regelfall der noch geltenden Rechtsvorschrift aus (vgl. auch § 47 Abs. 5 Satz 2 VwGO). Ist die angegriffene Norm während der Anhängigkeit des Normenkontrollantrags außer Kraft getreten, bleibt er aber zulässig, wenn der Antragsteller weiterhin geltend machen kann, durch die zur Prüfung gestellte Norm oder deren Anwendung in seinen Rechten verletzt (worden) zu sein. Darüber hinaus muss er ein berechtigtes Interesse an der Feststellung haben, dass die Rechtsvorschrift unwirksam war (stRspr, vgl. BVerwG, Urteile vom 19. Februar 2004 - 7 CN 1.03 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 164 S. 131 = juris Rn. 13 und vom 11. November 2015 - 8 CN 2.14 - BVerwGE 153, 183 Rn. 19; Beschluss vom 28. Juli 2022 - 3 BN 8.21 - juris Rn. 6 m. w. N.).

10 b) Diese Voraussetzungen liegen hier vor.

11 aa) Der Antragsteller hat den Normenkontrollantrag während der Geltungsdauer der Sächsischen Corona-Schutz-Verordnung anhängig gemacht. Nach deren Außerkrafttreten mit Ablauf des 3. Mai 2020 kann er weiterhin geltend machen, durch die angegriffenen Vorschriften in seinen Rechten verletzt worden zu sein. Nach seinem Vortrag erscheint es möglich, dass er durch die Regelung des § 2 Abs. 1 SächsCoronaSchVO, die ihm den Aufenthalt im öffentlichen Raum nur alleine oder in Begleitung der benannten Personen oder zur Wahrnehmung des Sorge- und Umgangsrechts gestattete, in seinem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG), auch in dessen Ausprägung als allgemeine Handlungsfreiheit, sowie in seinem Recht auf selbstbestimmte Gestaltung des Familienlebens (Art. 6 Abs. 1 GG) verletzt worden ist (zu den betroffenen Grundrechten vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. November 2021 - 1 BvR 781/21 u. a. - BVerfGE 159, 223 Rn. 106 ff.). In Bezug auf die Schließungen von Sportstätten einschließlich Golfplätzen nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 SächsCoronaSchVO und von Gastronomiebetrieben nach § 5 Satz 1 SächsCoronaSchVO erscheint eine Verletzung des Antragstellers in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG möglich. Die Maßnahmen richteten sich nicht allein an die Einrichtungen und Betriebe, sondern auch an die Besucher. Sie sollten den Publikumsverkehr und damit Kontakte zwischen Gästen und zwischen Gästen und Beschäftigten verhindern.

12 bb) Der Antragsteller hat ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung, dass die Verordnungsregelungen unwirksam gewesen sind.

13 Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG garantiert effektiven und möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt. Die Gerichte sind verpflichtet, bei der Auslegung und Anwendung des Prozessrechts einen wirkungsvollen Rechtsschutz zu gewährleisten und den Zugang zu den eingeräumten Instanzen nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren. Mit dem Gebot effektiven Rechtsschutzes ist es grundsätzlich vereinbar, die Rechtsschutzgewährung von einem fortbestehenden Rechtsschutzinteresse abhängig zu machen und bei Erledigung des Verfahrensgegenstandes einen Fortfall des Rechtsschutzinteresses anzunehmen. Trotz Erledigung des ursprünglichen Rechtsschutzziels kann ein Bedürfnis nach gerichtlicher Entscheidung aber fortbestehen, wenn das Interesse des Betroffenen an der Feststellung der Rechtslage in besonderer Weise schutzwürdig ist. Ein Rechtsschutzbedürfnis besteht trotz Erledigung unter anderem dann fort, wenn ein gewichtiger Grundrechtseingriff von solcher Art geltend gemacht wird, dass gerichtlicher Rechtsschutz dagegen typischerweise nicht vor Erledigungseintritt erlangt werden kann (stRspr, vgl. BVerfG, Beschluss vom 3. März 2004 - 1 BvR 461/03 - BVerfGE 110, 77 <85 f.> m. w. N.; Kammerbeschlüsse vom 11. April 2018 - 2 BvR 2601/17 - juris Rn. 32 ff. und vom 26. Januar 2021 - 2 BvR 676/20 - juris Rn. 30 f.; BVerwG, Urteil vom 12. November 2020 - 2 C 5.19 - BVerwGE 170, 319 Rn. 15; Beschluss vom 28. Juli 2022 - 3 BN 8.21 - juris Rn. 9 ff. m. w. N.).

14 Danach ist ein schützenswertes Interesse des Antragstellers an der nachträglichen gerichtlichen Klärung der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Verordnungsregelungen anzuerkennen. Die zur Prüfung gestellten Normen hatten eine kurze Geltungsdauer (20. April bis 3. Mai 2020), innerhalb derer gerichtlicher Rechtsschutz im Hauptsacheverfahren nicht erlangt werden konnte. Es ist typisch für die "Corona-Verordnungen", die alle Bundesländer seit März 2020 auf der Grundlage von § 32 und § 28 Abs. 1 IfSG (a. F.) zur Verhinderung der Verbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 und von COVID-19 erlassen hatten, dass sie nur auf eine kurze Geltung angelegt waren mit der Folge, dass sie ohne die Annahme eines berechtigten Feststellungsinteresses regelmäßig keiner Überprüfung im gerichtlichen Hauptsacheverfahren zugeführt werden könnten (vgl. BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 3. Juni 2020 - 1 BvR 990/20 - NVwZ 2020, 1038 = juris Rn. 8 und vom 10. Februar 2022 - 1 BvR 1073/21 - NVwZ-RR 2022, 321 = juris Rn. 25). Zudem macht der Antragsteller Beeinträchtigungen seiner grundrechtlichen Freiheiten geltend, die ein Gewicht haben, das die nachträgliche Klärung der Rechtmäßigkeit der Verordnungsregelungen rechtfertigt. Nach seinem Vorbringen haben die Maßnahmen erheblich in die Gestaltung seines Alltags- und Privatlebens eingegriffen.

15 2. Das Oberverwaltungsgericht hat zutreffend angenommen, dass die angegriffenen Verordnungsbestimmungen auf § 32 i. V. m. § 28 Abs. 1 des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz - IfSG) vom 20. Juli 2000 (BGBl. I S. 1045) i. d. F. des Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 27. März 2020 (BGBl. I S. 587) – im Folgenden: IfSG - gestützt werden konnten.

16 § 32 Satz 1 IfSG ermächtigt die Landesregierungen, unter den Voraussetzungen, die für Maßnahmen (u. a.) nach § 28 maßgebend sind, auch durch Rechtsverordnungen entsprechende Gebote und Verbote zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten zu erlassen. Nach § 32 Satz 2 IfSG können die Landesregierungen die Ermächtigung durch Rechtsverordnung auf andere Stellen übertragen. Hiervon hat die Staatsregierung des Freistaates Sachsen, wie im angefochtenen Urteil näher ausgeführt ist, Gebrauch gemacht (UA Rn. 49 i. V. m. Rn. 48 <S. 18>). Danach ist die Zuständigkeit für den Verordnungserlass auf das Sächsische Staatsministerium für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt übertragen worden.

17 Gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG trifft die zuständige Behörde, wenn Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt werden oder sich ergibt, dass ein Verstorbener krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider war, die notwendigen Schutzmaßnahmen, insbesondere die in den §§ 29 bis 31 genannten, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist; sie kann insbesondere Personen verpflichten, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte oder öffentliche Orte nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu betreten. Nach § 28 Abs. 1 Satz 2 IfSG kann die zuständige Behörde unter den Voraussetzungen von Satz 1 Veranstaltungen oder sonstige Ansammlungen von Menschen beschränken oder verbieten und Badeanstalten oder in § 33 genannte Gemeinschaftseinrichtungen oder Teile davon schließen. Die Grundrechte der Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG), der Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG), der Freizügigkeit (Art. 11 Abs. 1 GG) und der Unverletzlichkeit der Wohnung werden insoweit eingeschränkt (§ 28 Abs. 1 Satz 4, § 32 Satz 3 IfSG).

18 Die Voraussetzungen, unter denen nach diesen Vorschriften Ge- und Verbote zur Bekämpfung einer übertragbaren Krankheit erlassen werden können, lagen vor (a). Die Vorschriften ermächtigen auch zum Erlass von Maßnahmen gegenüber der Allgemeinheit (b). Im Sinne von § 32 i. V. m. § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG "notwendig" ist eine Schutzmaßnahme, wenn sie den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgebots entspricht (c).

19 a) Bei Erlass der Sächsischen Corona-Schutz-Verordnung waren Kranke gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 IfSG festgestellt worden.

20 Kranker im Sinne des Infektionsschutzgesetzes ist eine Person, die an einer übertragbaren Krankheit erkrankt ist (§ 2 Nr. 4 IfSG). Eine übertragbare Krankheit ist gemäß § 2 Nr. 3 IfSG eine Krankheit, die durch Krankheitserreger (§ 2 Nr. 1 IfSG) verursacht wird, die unmittelbar oder mittelbar auf den Menschen übertragen werden. Wie das Oberverwaltungsgericht in tatsächlicher Hinsicht festgestellt hat, ist das SARS-CoV-2-Virus ein Krankheitserreger in diesem Sinne, der beim Menschen die übertragbare Krankheit COVID-19 verursachen kann (UA Rn. 49 i. V. m. Rn. 48 <S. 21>), und waren bei Erlass der Verordnung Menschen an COVID-19 erkrankt - auch in Sachsen. Insoweit besteht zwischen den Beteiligten kein Streit.

21 b) Regelungen zur Beschränkung von Kontakten und zur Schließung von Einrichtungen und Betrieben, die - wie hier - unabhängig von einem Krankheits- oder Ansteckungsverdacht an jeden im Geltungsbereich der Verordnung gerichtet sind, können notwendige Schutzmaßnahmen im Sinne von § 32 Satz 1 i. V. m. § 28 Abs. 1 Satz 1 und 2 IfSG sein.

22 aa) Aus dem Wortlaut der Normen ergibt sich keine Beschränkung auf bestimmte Maßnahmen oder eine Einschränkung des Adressatenkreises. § 32 Satz 1 IfSG nimmt Bezug auf die Voraussetzungen des § 28 Abs. 1 IfSG und bestimmt, dass Ge- und Verbote zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten erlassen werden können. Nach der Generalklausel des § 28 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 IfSG (BVerwG, Urteil vom 22. März 2012 - 3 C 16.11 - BVerwGE 142, 205 Rn. 24) können notwendige Schutzmaßnahmen getroffen werden, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist. Soweit durch den Verweis auf die §§ 29 bis 31 IfSG bestimmte Maßnahmen benannt werden, handelt es sich um keine abschließende Regelung ("insbesondere"). Aus dem Erfordernis der Feststellung von Kranken, Krankheitsverdächtigen, Ansteckungsverdächtigen oder Ausscheidern nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 IfSG lässt sich nicht ableiten, dass allein Maßnahmen gegenüber diesem Adressatenkreis in Betracht kommen. Das ergibt die Zusammenschau mit § 28 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 IfSG und dem dort verwendeten Begriff "Personen", der den Adressatenkreis nicht auf Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige und Ausscheider beschränkt.

23 bb) Die Entstehungsgeschichte der Vorschriften bestätigt die Wortlautauslegung.

24 (1) Bereits nach dem Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten beim Menschen (Bundes-Seuchengesetz) vom 18. Juli 1961 (BGBl. I S. 1012) gehörten "Maßnahmen gegenüber der Allgemeinheit" zu den Instrumenten des Infektionsschutzes. Der so überschriebene 4. Unterabschnitt mit § 43 als einziger Vorschrift war Teil des 5. Abschnitts des Bundes-Seuchengesetzes "Vorschriften zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten". Der 3. Unterabschnitt regelte "Schutzmaßnahmen" insbesondere gegenüber Kranken, Krankheitsverdächtigen, Ansteckungsverdächtigen, Ausscheidern und Ausscheidungsverdächtigen. Der darauf folgende § 43 BSeuchG ermächtigte die zuständige Behörde, bei Auftreten einer meldepflichtigen übertragbaren Krankheit in epidemischer Form Ansammlungen einer größeren Anzahl von Menschen - insbesondere Veranstaltungen in Theatern, Filmtheatern, Versammlungsräumen, Vergnügungs- oder Gaststätten und ähnlichen Einrichtungen sowie die Abhaltung von Märkten, Messen, Tagungen, Volksfesten und Sportveranstaltungen - zu beschränken oder zu verbieten, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung einer übertragbaren Krankheit erforderlich war. Adressat der Maßnahme konnte neben Veranstaltern, Veranstaltungsleitern oder Inhabern der Einrichtung jedermann sein (Entwurf eines Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten beim Menschen <Bundes-Seuchengesetz>, BT-Drs. 3/1888 S. 27 <zu § 42-E>).

25 (2) Durch das Vierte Gesetz zur Änderung des Bundes-Seuchengesetzes vom 18. Dezember 1979 (BGBl. I S. 2248) wurde § 43 BSeuchG gestrichen, inhaltlich aber durch eine Generalklausel für die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten ersetzt (§ 34 Abs. 1 Satz 1 BSeuchG 1979). Mit dieser Generalklausel wollte der Gesetzgeber eine sinnvolle und wirksame Bekämpfung übertragbarer Krankheiten sicherstellen. Die bisherigen Regelungen, die die Schutzmaßnahmen abschließend benannten, erschienen ihm zu eng, da die Fülle der Maßnahmen, die bei Ausbruch einer übertragbaren Krankheit in Frage kommen könnten, nicht im Vorhinein absehbar sei. Die generelle Ermächtigung auch für Maßnahmen gegenüber "Nichtstörern" sollte gewährleisten, dass die zuständigen Behörden "für alle Fälle gewappnet" waren (Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Bundes-Seuchengesetzes, BT-Drs. 8/2468 S. 27 <zu Nummer 29 und 30>). § 43 BSeuchG sollte entfallen, weil die dort genannten Schutzmaßnahmen künftig auf die Generalklausel des § 34 Abs. 1 Satz 1 BSeuchG gestützt werden könnten (BT-Drs. 8/2468 S. 27 f. und S. 29 <zu Nummer 35>). Außerdem wurde eine Verordnungsermächtigung geschaffen (§ 38a BSeuchG), um auch Ge- und Verbote zur Bekämpfung einer übertragbaren Krankheit erlassen zu können, die sich an einen unbestimmten Personenkreis (Allgemeinheit) richteten (BT-Drs. 8/2468 S. 29 <zu Nummer 34> mit Verweis auf S. 21 <zu Nummer 13>).

26 (3) Das Gesetz zur Neuordnung seuchenrechtlicher Vorschriften (Seuchenrechtsneuordnungsgesetz - SeuchRNeuG) vom 20. Juli 2000 (BGBl. I S. 1045) hat dieses Instrumentarium zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten in das neue Infektionsschutzgesetz übernommen (vgl. BT-Drs. 14/2530 S. 74 f. <zu § 28 IfSG> und S. 75 <zu § 32 IfSG>). Die Verwendung des Begriffs "Veranstaltungen oder sonstige Ansammlungen einer größeren Anzahl von Menschen" (§ 28 Abs. 1 Satz 2 IfSG 2000) sollte sicherstellen, dass alle Zusammenkünfte von Menschen, die eine Verbreitung von Krankheitserregern begünstigen, erfasst würden (BT-Drs. 14/2530 S. 74 f.). Auch der Normgeber des Infektionsschutzgesetzes wollte also "für alle Fälle gewappnet sein". Im Blick hatte er insbesondere neu auftretende gefährliche Krankheitserreger (vgl. BT-Drs. 14/2530 S. 1, 37).

27 Für das Auslegungsergebnis spricht des Weiteren die Befassung des Bundestages mit der Risikoanalyse für das potenzielle Ereignis eines außergewöhnlichen Seuchengeschehens (vgl. Bericht zur Risikoanalyse im Bevölkerungsschutz 2012, Risikoanalyse "Pandemie durch Virus Modi-SARS", BT-Drs. 17/12051 S. 5, 55 ff.). Die Risikoanalyse wurde im Jahr 2012 unter fachlicher Federführung der nationalen Behörde zur Vorbeugung übertragbarer Krankheiten sowie zur frühzeitigen Erkennung und Verhinderung der Weiterverbreitung von Infektionen (Robert Koch-Institut) durchgeführt. Sie basierte auf der Annahme der weltweiten Verbreitung eines hypothetischen neuen Virus und der Modellierung des hypothetischen Verlaufs einer Pandemie in Deutschland (vgl. im Einzelnen Anhang 4 des Berichts, BT-Drs. 17/12051 S. 58 ff.). § 28 und § 32 IfSG sind in der Folgezeit unverändert geblieben. Dass der Gesetzgeber untätig geblieben wäre, wenn er die zuständigen Behörden mit der Generalklausel des § 28 Abs. 1 IfSG und der Verordnungsermächtigung des § 32 IfSG nicht gegen ein solches Pandemiegeschehen "gewappnet" gesehen hätte, liegt fern.

28 (4) Nach dem Ausbruch der Krankheit COVID-19 in Deutschland sowie ihrer Einstufung durch die Weltgesundheitsorganisation als Pandemie am 11. März 2020 hat der Gesetzgeber durch das Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 27. März 2020 (BGBl. I S. 587) an § 28 Abs. 1 IfSG nur kleinere Änderungen vorgenommen, mit denen er bezweckte, etwaige Unklarheiten zu beseitigen (vgl. BT-Drs. 19/18111 S. 24 <zu Nummer 6>). Die neue Fassung bestätigt, dass der Gesetzgeber auch an die Allgemeinheit gerichtete Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen sowie Schließungen von Einrichtungen mit Publikumsverkehr wie Gastronomiebetrieben und Sportstätten ermöglichen wollte (vgl. OVG Lüneburg, Urteil vom 25. November 2021 - 13 KN 62/20 - juris Rn. 72 und 104 f.; OVG Magdeburg, Urteil vom 30. Juni 2022 - 3 K 72/20 - juris Rn. 44 und 48; VGH Mannheim, Urteil vom 2. Juni 2022 - 1 S 1067/20 - juris Rn. 156).

29 cc) Sinn und Zweck der Vorschriften stützen das Auslegungsergebnis ebenfalls. Zweck des Infektionsschutzgesetzes ist es, übertragbaren Krankheiten beim Menschen vorzubeugen, Infektionen frühzeitig zu erkennen und ihre Weiterverbreitung zu verhindern (§ 1 Abs. 1 IfSG) und dadurch Leben und Gesundheit des Einzelnen wie der Gemeinschaft vor den Gefahren von Infektionskrankheiten zu schützen (BT-Drs. 14/2530 S. 43). Dem Ziel der wirksamen Bekämpfung übertragbarer Krankheiten dient es, wenn die zuständigen Behörden (auch) bei einem dynamischen und bedrohlichen Infektionsgeschehen (vgl. § 2 Nr. 3a IfSG) die erforderlichen Schutzmaßnahmen ergreifen können. Der Gesetzgeber hat die Befugnisnorm des § 28 Abs. 1 IfSG daher als Generalklausel ausgestaltet, die eine Bekämpfung sämtlicher bekannten und aller in Zukunft neu auftretenden übertragbaren Krankheiten ermöglichen soll. Dem entspricht ein Verständnis von § 32 i. V. m. § 28 Abs. 1 IfSG, das Maßnahmen gegenüber der Allgemeinheit, die unabhängig von einem Krankheits- oder Ansteckungsverdacht an jeden im Geltungsbereich der Verordnung gerichtet werden können, einbezieht. Könnten entsprechende Ge- und Verbote nicht erlassen werden, wäre die Effektivität des Infektionsschutzes in Frage gestellt.

30 dd) Aus der Systematik des § 28 IfSG ergibt sich nichts Gegenteiliges.

31 (1) Die Bezugnahme in § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG auf die gesondert geregelten Maßnahmen gegenüber Kranken, Krankheitsverdächtigen, Ansteckungsverdächtigen und Ausscheidern nach den §§ 29 bis 31 IfSG ist - wie bereits angesprochen - nicht als abschließende Regelung zu verstehen. Das Gleiche gilt für die in § 28 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 IfSG benannten Verbote und Beschränkungen; im Übrigen können an die Allgemeinheit gerichtete Kontaktbeschränkungen Maßnahmen im Sinne der Regelung sein. § 28 Abs. 1 Satz 2 IfSG regelt die dort bezeichneten Maßnahmen wegen ihrer Bedeutsamkeit im Infektionsschutz ausdrücklich, ohne dadurch die generelle Ermächtigung des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG einzuschränken (vgl. BT-Drs. 8/2468 S. 27 f.); abgesehen davon ist die Schließung von Sporteinrichtungen und Gastronomiebetrieben vom Tatbestandsmerkmal "sonstige Ansammlungen von Menschen beschränken oder verbieten" erfasst.

32 (2) Die Einfügung von § 28 Abs. 2 IfSG durch Art. 8 Nr. 4 Buchst. a) des Gesetzes zur Stärkung der Gesundheitsförderung und der Prävention (Präventionsgesetz - PrävG) vom 17. Juli 2015 (BGBl. I S. 1368) stellt das Auslegungsergebnis nicht in Frage. Nach dieser Vorschrift kann bei Auftreten von Masern in einer Schule oder anderen Gemeinschaftseinrichtung (vgl. § 33 IfSG) Personen, die für die Krankheit als empfänglich anzusehen sind, weil sie weder einen Impfschutz noch eine Immunität gegen Masern nachweisen können, das Betreten der Einrichtung untersagt werden. Das Betretungsverbot setzt nicht voraus, dass die Personen als Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider identifiziert worden sind (vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Gesundheitsförderung und der Prävention <Präventionsgesetz - PrävG>, Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit, BT-Drs. 18/5261 S. 63 f.). Der Gesetzgeber hat damit auf Rechtsprechung des erkennenden Senats zu den Voraussetzungen für die Feststellung eines Ansteckungsverdächtigen (§ 2 Nr. 7 IfSG) reagiert (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. März 2012 - 3 C 16.11 - BVerwGE 142, 205) sowie auf Schwierigkeiten, bei dieser Krankheit ansteckungsverdächtige Personen zu ermitteln (vgl. BT-Drs. 18/5261 S. 64). Daraus lässt sich nichts für die Auslegung von § 32 i. V. m. der Generalklausel des § 28 Abs. 1 IfSG erkennen und insbesondere nicht der Schluss ziehen, die Vorschriften ermächtigten nicht zu Schutzmaßnahmen gegenüber der Allgemeinheit. Entsprechendes gilt, soweit der Antragsteller auf Parlamentsmaterialien zum Entwurf der Bundesregierung für ein Gesetz zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes und weiterer Gesetze (BT-Drs. 17/5708) verweist (vgl. Stellungnahme des Bundesrates, BT-Drs. 17/5708 S. 11 Nr. 6; Gegenäußerung der Bundesregierung, BT-Drs. 17/5708 S. 19 <zu Nummer 6>). Im Übrigen ist die damalige Äußerung der Bundesregierung durch die nachfolgend in das Gesetz eingefügte Regelung des § 28 Abs. 2 IfSG überholt.

33 c) Ge- und Verbote, wie sie § 2 Abs. 1, § 4 Abs. 1 Nr. 1 und § 5 Satz 1 SächsCoronaSchVO enthielten, können notwendig und erforderlich im Sinne von § 32 i. V. m. § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG sein. Die Vorschriften ermächtigen den Verordnungsgeber dazu, die notwendigen Schutzmaßnahmen zu erlassen, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung einer übertragbaren Krankheit erforderlich ist. Danach müssen die Maßnahmen an dem Ziel ausgerichtet sein, die Verbreitung der Krankheit zu verhindern, und sie müssen verhältnismäßig sein, das heißt geeignet und erforderlich, den Zweck zu erreichen, sowie verhältnismäßig im engeren Sinne. Sind die Voraussetzungen - wie hier (dazu nachfolgend unter 4.) – erfüllt, handelt es sich um notwendige Schutzmaßnahmen im Sinne der Ermächtigungsnormen (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. November 2022 - 3 CN 2.21 - Rn. 12 <dort auch zum normativen Ermessen des Verordnungsgebers und zu dessen Grenzen>).

34 3. § 32 i. V. m. § 28 Abs. 1 IfSG war in dieser Auslegung im hier maßgeblichen Zeitraum vom 17. April bis 3. Mai 2020 eine verfassungsgemäße Grundlage für den Erlass von Rechtsverordnungen zur Bekämpfung von COVID-19. Die Verordnungsermächtigung erfüllte die Anforderungen des Bestimmtheitsgebots (a) und entsprach auch den Anforderungen des Demokratie- und Rechtsstaatsprinzips (b).

35 a) Nach Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG müssen Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung im Gesetz bestimmt werden.

36 aa) Das Bestimmtheitsgebot soll gewährleisten, dass der parlamentarische Gesetzgeber durch die Ermächtigung selbst entscheidet, welche Fragen durch die Rechtsverordnung geregelt werden können oder sollen. Dazu muss er die Grenzen der Ermächtigung festlegen und angeben, welchem Ziel sie dienen soll. Er muss der ermächtigten Stelle darüber hinaus ein "Programm" an die Hand geben, das mit der Ermächtigung verwirklicht werden soll. Bereits aufgrund der Ermächtigung soll vorhersehbar sein, in welchen Fällen und mit welcher Tendenz von ihr Gebrauch gemacht werden wird und welchen Inhalt die aufgrund der Ermächtigung erlassenen Verordnungen haben können. Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG verlangt allerdings nicht, dass die Ermächtigung in ihrem Wortlaut so genau wie nur irgend möglich gefasst ist. Inhalt, Zweck und Ausmaß der Ermächtigung müssen auch nicht ausdrücklich im Gesetzestext bestimmt sein; sie müssen jedoch durch Auslegung des ermächtigenden Gesetzes zu ermitteln sein. Das Erfordernis der hinreichenden Bestimmtheit gesetzlicher Ermächtigungen verwehrt es dem Gesetzgeber daher nicht, in der Ermächtigungsnorm Generalklauseln und unbestimmte Rechtsbegriffe zu verwenden. Es genügt, dass sich die gesetzlichen Vorgaben mit Hilfe allgemeiner Auslegungsregeln erschließen lassen, insbesondere aus dem Zweck, dem Sinnzusammenhang und der Entstehungsgeschichte des Gesetzes (stRspr, vgl. BVerfG, Urteil vom 19. September 2018 - 2 BvF 1/15 u. a. - BVerfGE 150, 1 Rn. 201 ff.; Kammerbeschluss vom 28. April 2009 - 1 BvR 224/07 - BVerfGK 15, 377 <382> = juris Rn. 14, jeweils m. w. N.).

37 Der Grad der im konkreten Fall erforderlichen Bestimmtheit hängt von den Besonderheiten des jeweiligen Regelungsgegenstandes ab, insbesondere davon, in welchem Umfang dieser einer genaueren begrifflichen Umschreibung überhaupt zugänglich ist. Bei vielgestaltigen, komplexen Lebenssachverhalten oder absehbaren Änderungen der tatsächlichen Verhältnisse sind geringere Anforderungen an die Bestimmtheit zu stellen als bei einfach gelagerten und klar vorhersehbaren Lebenssachverhalten (stRspr, vgl. BVerfG, Urteil vom 19. September 2018 - 2 BvF 1/15 u. a. - BVerfGE 150, 1 Rn. 204 m. w. N.). Maßgebend ist zudem, wie intensiv die Auswirkungen der Regelung für die Betroffenen sind. Insoweit berührten sich das Bestimmtheitsgebot und der Verfassungsgrundsatz des Vorbehalts des Gesetzes, der fordert, dass der Gesetzgeber die entscheidenden Grundlagen des zu regelnden Rechtsbereichs, die den Freiheits- und Gleichheitsbereich wesentlich betreffen, selbst festlegt. Greift die Regelung erheblich in die Rechtsstellung des Betroffenen ein, müssen höhere Anforderungen an die Bestimmtheit der Ermächtigung gestellt werden, als wenn es sich um einen Regelungsbereich handelt, der die Grundrechtsausübung weniger tangiert (stRspr, vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 18. Juli 2005 - 2 BvF 2/01 - BVerfGE 113, 167 <269>= juris Rn. 276 und vom 27. April 2022 - 1 BvR 2649/21 - juris Rn. 126, jeweils m. w. N.).

38 bb) In diesem Sinne war § 32 i. V. m. § 28 Abs. 1 IfSG, auch soweit die Vorschriften zum Erlass von Rechtsverordnungen zur Bekämpfung von COVID-19 ermächtigen, im Zeitpunkt des Erlasses der angegriffenen Verordnung und während ihrer Geltungsdauer hinreichend bestimmt.

39 (1) Im Infektionsschutzrecht ist eine Generalklausel, wie sie § 28 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 IfSG enthält, sachgerecht. Sie trägt den Besonderheiten dieses Regelungsbereichs Rechnung. Der Gesetzgeber kann nicht voraussehen, welche übertragbaren Krankheiten neu auftreten und welche Schutzmaßnahmen zu ihrer Bekämpfung erforderlich sein werden. Die Generalklausel gewährleistet, dass die zuständigen Behörden auch auf Infektionsgeschehen schnell und angemessen reagieren können, die durch das Auftreten neuartiger Krankheitserreger ausgelöst werden, für deren Bekämpfung die ausdrücklich normierten Schutzmaßnahmen nicht ausreichen (vgl. VerfGH Weimar, Vorlagebeschluss vom 19. Mai 2021 - 110/20 - juris Rn. 35 ff., m. w. N. in Rn. 39 und 43; OVG Lüneburg, Urteil vom 25. November 2021 - 13 KN 62/20 - juris Rn. 72; VGH Mannheim, Urteil vom 2. Juni 2022 - 1 S 1067/20 - juris Rn. 123, 129 m. w. N.).

40 (2) Die Verwendung der Generalklausel macht die Verordnungsermächtigung nicht unbestimmt. Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung lassen sich - wie gezeigt - durch Auslegung von § 32 i. V. m. § 28 Abs. 1 IfSG ermitteln. Möglicher Verordnungsinhalt ist der Erlass von Schutzmaßnahmen beim Auftreten einer übertragbaren Krankheit, um deren Weiterverbreitung zu verhindern. Die Bandbreite der Maßnahmen ergibt sich aus der allgemeinen Umschreibung der notwendigen Schutzmaßnahmen und aus den beispielhaft benannten Maßnahmen. Die Ge- und Verbote können an einen bestimmten oder bestimmbaren Personenkreis gerichtet sein, aber auch - wie dargelegt - gegenüber der Allgemeinheit erlassen werden. Ausgeschlossen ist nach § 32 i. V. m. § 28 Abs. 1 Satz 3 IfSG die Anordnung einer Heilbehandlung. Der Zweck der Verordnungsermächtigung ist gemäß § 32 Satz 1, § 28 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 und § 1 Abs. 1 IfSG die Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen. Zum Ausmaß der Ermächtigung bestimmt die Generalklausel, dass notwendige Schutzmaßnahmen erlassen werden können, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung der aufgetretenen übertragbaren Krankheit erforderlich ist. Zusätzlich zu den Grenzen, die ihm durch die gesetzlichen Vorgaben zu Inhalt und Zweck der Ermächtigung gezogen sind, ist das Ermessen des Verordnungsgebers durch das Verhältnismäßigkeitsgebot begrenzt.

41 (3) Tritt eine übertragbare Krankheit - wie hier COVID-19 - neu auf, kann § 32 i. V. m. der Generalklausel des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG daher eine tragfähige Ermächtigungsgrundlage für den Erlass notwendiger Schutzmaßnahmen zu ihrer Bekämpfung sein. Der Grad der verfassungsrechtlich gebotenen Bestimmtheit der Ermächtigung ist allerdings auch davon abhängig, wie intensiv die Auswirkungen der Regelung für die Betroffenen sind. Landesweite Kontaktbeschränkungen und Schließungen von Gastronomiebetrieben und Sporteinrichtungen sind Maßnahmen, die erheblich in grundrechtlich geschützte Freiheiten der Betroffenen eingreifen. Hat sich der Erkenntnisstand in Bezug auf einen neuen Krankheitserreger verbessert, haben sich geeignete Parameter herausgebildet, um die Gefahrenlage zu beschreiben und zu bewerten, und liegen ausreichende Erkenntnisse über die Wirksamkeit möglicher Schutzmaßnahmen vor, kann der Gesetzgeber gehalten sein, für die jeweilige übertragbare Krankheit zu konkretisieren, unter welchen Voraussetzungen welche Schutzmaßnahmen ergriffen werden können.

42 (4) Eine solche Kodifikationsreife lag für COVID-19 im hier maßgeblichen Zeitraum von Mitte April bis Anfang Mai 2020 nicht vor.

43 Ende Januar 2020 wurde der erste COVID-19-Fall in Deutschland laborbestätigt. Ab März 2020 kam es bundesweit zu einem vermehrten Auftreten des Coronavirus SARS-CoV-2 und von COVID-19-Fällen (vgl. RKI, Beschreibung des Ausbruchsgeschehens mit dem neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 in Deutschland, Stand: 12. März 2020, Epidemiologisches Bulletin 11/2020). Die Weltgesundheitsorganisation erklärte die Verbreitung von COVID-19 am 11. März 2020 zur Pandemie. Der Deutsche Bundestag stellte am 25. März 2020 eine epidemische Lage von nationaler Tragweite fest (vgl. BT-Plenarprotokoll 19/154 S. 19169C). Die Entwicklung des damaligen Ausbruchsgeschehens wurde als sehr dynamisch eingestuft (vgl. z. B. RKI, Täglicher Lagebericht zur Coronavirus-Krankheit-2019 <COVID-19>, Stand: 26. März 2020, S. 6 und Stand: 4. Mai 2020, S. 8; Entwurf eines Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite, BT-Drs. 19/18111 S. 1, 14). In dieser frühen Phase der Pandemie im Frühjahr 2020 ("1. Welle") war der neue Erreger SARS-CoV-2 noch wenig erforscht. Über seine Eigenschaften herrschten erhebliche Ungewissheiten. Entsprechend unsicher war die Prognose über den weiteren Verlauf des Infektionsgeschehens (vgl. RKI, Autoren: an der Heiden/Buchholz, Modellierung von Beispielszenarien der SARS-CoV-2-Epidemie 2020 in Deutschland, Stand: 20. März 2020; VGH Mannheim, Urteil vom 2. Juni 2022 - 1 S 1067/20 - juris Rn. 124, 135; OVG Magdeburg, Urteil vom 30. Juni 2022 - 3 K 55/20 - juris Rn. 69). Es wurden unterschiedliche Indikatoren zur Beschreibung und Bewertung der Pandemielage herangezogen (z. B. COVID-19-Fallzahlen, 7-Tage-Inzidenz, DIVI-Intensivregister, Todesfälle, Genesene, Verdopplungszeit, Reproduktionszahl R, 7-Tages R-Wert, Labortestungen auf SARS-CoV-2). Welche Parameter sich jedenfalls für eine gewisse Dauer als geeignet erweisen würden, war nicht abzusehen. Auch die Erfahrungsbasis in Bezug auf die Wirksamkeit der eingeleiteten Schutzmaßnahmen war schmal.

44 Bei dieser unsicheren Tatsachen- und damit auch Entscheidungsgrundlage war der Gesetzgeber nicht gehalten, für COVID-19 die Voraussetzungen zum Erlass von Schutzmaßnahmen zu konkretisieren (im Ergebnis ebenso: VerfGH Weimar, Vorlagebeschluss vom 19. Mai 2021 - 110/20 - juris Rn. 38 ff.; VGH Mannheim, Urteil vom 2. Juni 2022 - 1 S 1067/20 - juris Rn. 124, jeweils m. w. N. zum kontroversen Meinungsstand; OVG Lüneburg, Urteil vom 25. November 2021 - 13 KN 62/20 - juris Rn. 73).

45 b) Die Verordnungsermächtigung genügte, soweit sie als Grundlage für Rechtsverordnungen zur Bekämpfung der Krankheit COVID-19 diente, im hier maßgeblichen Zeitraum auch den Anforderungen des Parlamentsvorbehalts.

46 Das Demokratie- (Art. 20 Abs. 1 und 2 GG) und das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) gebieten, dass der parlamentarische Gesetzgeber Fragen, die wesentlich für die Verwirklichung der Grundrechte sind, selbst regelt (stRspr, vgl. BVerfG, Urteil vom 19. September 2018 - 2 BvF 1/15 u. a. - BVerfGE 150, 1 Rn. 190 ff. m. w. N.). Ob und unter welchen Voraussetzungen landesweite Kontaktbeschränkungen und Schließungen von Gastronomiebetrieben und Sporteinrichtungen zur Bekämpfung einer übertragbaren Krankheit angeordnet werden können, ist eine wesentliche Frage im vorgenannten Sinn. Aus der Einstufung eines Regelungsgegenstandes als "wesentlich" ergeben sich auch Anforderungen an die Bestimmtheit der gesetzlichen Regelung. Das Bestimmtheitsgebot soll sicherstellen, dass Regierung und Verwaltung im Gesetz steuernde und begrenzende Handlungsmaßstäbe vorfinden und die Gerichte eine wirksame Rechtskontrolle durchführen können. Des Weiteren sollen die betroffenen Grundrechtsträger sich auf mögliche belastende Maßnahmen einstellen können (stRspr, vgl. BVerfG, Urteil vom 19. September 2018 - 2 BvF 1/15 u. a. - a. a. O. Rn. 196 m. w. N.). Für eine Delegation an den Verordnungsgeber sind die damit verbundenen Bestimmtheitsanforderungen in Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG ausdrücklich normiert. Die Verordnungsermächtigung des § 32 i. V. m. § 28 Abs. 1 IfSG erfüllte - wie dargelegt - im maßgebenden Zeitraum diese Vorgaben. Aus dem Parlamentsvorbehalt ergeben sich keine weitergehenden Anforderungen (vgl. BVerfG, Urteil vom 19. September 2018 - 2 BvF 1/15 u. a. - a. a. O. Rn. 190, 198 ff. m. w. N.).

47 4. Die in § 2 Abs. 1, § 4 Abs. 1 Nr. 1 und § 5 Satz 1 SächsCoronaSchVO getroffenen Regelungen waren ausgehend von der Auslegung des Landesrechts und den tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts verhältnismäßig und damit notwendige Schutzmaßnahmen im Sinne von § 32 Satz 1 i. V. m. § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG. Die durch sie bewirkten Eingriffe in die Grundrechte der Betroffenen waren gerechtfertigt.

48 a) Der Verordnungsgeber verfolgte mit dem Erlass der Regelungen ein Ziel, das mit dem Zweck der Verordnungsermächtigung im Einklang stand.

49 aa) Die Ge- und Verbote dienten dem Ziel, physische Kontakte zu vermeiden, um die Ausbreitung des Virus SARS-CoV-2 und der Krankheit COVID-19 zu verlangsamen (UA Rn. 49 i. V. m. Rn. 48 <S. 19>, Rn. 61). Das hat das Oberverwaltungsgericht für das Revisionsverfahren verbindlich festgestellt (vgl. für tatsächliche Feststellungen: § 137 Abs. 2 VwGO; für die Auslegung irrevisiblen Landesrechts: § 137 Abs. 1, § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 560 ZPO); es ergibt sich auch aus der aktenkundigen Verordnungsbegründung. Das Ziel entsprach dem Zweck der Verordnungsermächtigung, übertragbare Krankheiten zu bekämpfen (§ 32 Satz 1 IfSG) und ihre Verbreitung zu verhindern (§ 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG).

50 bb) Soweit der Verordnungsgeber und ihm folgend das Oberverwaltungsgericht außerdem darauf abgestellt haben, die Verordnung diene dem Erhalt der Leistungsfähigkeit des Gesundheitswesens und insbesondere der Krankenhäuser zur Behandlung schwer- und schwerstkranker Menschen (vgl. UA Rn. 49 i. V. m. Rn. 48 <S. 19>, Rn. 61 f.), ergibt sich nichts anderes. Es kann offenbleiben, ob der Schutz des Gesundheitssystems für sich genommen ein Zweck im Sinne der Verordnungsermächtigung sein konnte. Das Infektionsschutzgesetz bezweckt, Leben und Gesundheit des Einzelnen wie der Gemeinschaft vor den Gefahren durch Infektionskrankheiten zu schützen (vgl. BT-Drs. 14/2530 S. 43 <zu § 1 Abs. 1 IfSG>). Der Erhalt eines funktionsfähigen Gesundheitssystems könnte als Zwischenziel dieses Gesundheits- und Lebensschutzes zu verstehen sein (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. November 2021 - 1 BvR 781/21 u. a. - BVerfGE 159, 223 Rn. 174 f. <zu § 28b IfSG i. d. F. des Vierten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 22. April 2021>). Allerdings findet sich für diese Auslegung kein eindeutiger Hinweis (anders bei § 28b IfSG i. d. F. vom 22. April 2021, vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. November 2021 - 1 BvR 781/21 u. a. - a. a. O.). Das kann jedoch dahinstehen. Die Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts knüpfen an die Verordnungsbegründung an. Dort hatte der Verordnungsgeber unter Bezugnahme auf die Gefährdungseinschätzung des Robert Koch-Instituts darauf verwiesen, dass die Ausbreitung des Virus SARS-CoV-2 eine ernstzunehmende Belastung für das Gesundheitssystem darstelle. Besonders ältere Menschen und solche mit vorbestehenden Grunderkrankungen seien von schweren Krankheitsverläufen betroffen und könnten ohne erforderliche Behandlungsmaßnahmen an der Krankheit sterben. Nur durch eine schnell wirksame Verlangsamung des Infektionsgeschehens könne erreicht werden, dass das Gesundheitssystem funktionsfähig bleibe. Danach haben der Verordnungsgeber und das Oberverwaltungsgericht eine drohende Überlastung des Gesundheitssystems in den Blick genommen, um die von ihnen angenommene Gefahrenlage zu veranschaulichen. Das ist nicht zu beanstanden. Die Gefahr der Überlastung des Gesundheitssystems ist ein Indikator für die Dringlichkeit des Ziels, die Verbreitung der übertragbaren Krankheit zu verhindern oder zumindest zu verlangsamen.

51 cc) Dass die Verordnung weiteren Zielen gedient hat, die - wie der Antragsteller meint - eine gesonderte Prüfung der Verhältnismäßigkeit der in Rede stehenden Maßnahmen erfordern könnten, hat das Oberverwaltungsgericht nicht festgestellt.

52 b) Die Annahme des Verordnungsgebers, dass dieses Ziel ohne die erlassenen Ge- und Verbote gefährdet und die Gefahr wegen einer möglichen Überlastung des Gesundheitssystems dringlich war, hatte eine tragfähige tatsächliche Grundlage (vgl. zu diesem Erfordernis: BVerfG, Urteil vom 30. Juli 2008 - 1 BvR 3262/07 u. a. - BVerfGE 121, 317 <350 ff.> = juris Rn. 103 ff., Rn. 109; Beschluss vom 19. November 2021 - 1 BvR 781/21 u. a. - BVerfGE 159, 223 Rn. 177).

53 aa) Nach den tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts beruhte die Sächsische Corona-Schutz-Verordnung, wie aus ihrer Begründung hervorging, auf der Gefahreneinschätzung der Weltgesundheitsorganisation und des Robert Koch-Instituts (UA Rn. 49 i. V. m. Rn. 48 <S. 19>). Die Verordnungsbegründung stellte - wie bereits dargelegt - darauf ab, dass die Ausbreitung des Virus SARS-CoV-2 eine sehr dynamische und ernstzunehmende Belastung für das Gesundheitssystem darstelle. Würden die bisher ergriffenen Maßnahmen nicht fortentwickelt und konsolidiert, sei nach wie vor mit einer starken Zunahme von Fallzahlen zu rechnen. Die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland werde derzeit durch das RKI unverändert als hoch eingeschätzt. Das gelte insbesondere, aber nicht nur, für ältere Menschen mit Vorerkrankungen. Da weder eine Impfung noch eine spezifische Therapie zur Verfügung stünden, müssten alle Maßnahmen ergriffen werden, um die weitere Ausbreitung des Virus zu verzögern. Das Oberverwaltungsgericht hat die Einschätzungen des Verordnungsgebers bestätigt und sich hierfür vor allem auf die Risikoeinschätzung und -bewertung des RKI (Stand: 26. März 2020) gestützt (UA Rn. 49 i. V. m. Rn. 48 <S. 19>). Es hat zudem auf die Ad-hoc-Stellungnahme der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina vom 13. April 2020 verwiesen. Auch diese empfehle nach dem weitgehenden "lock down", Lockerungen mit Bedacht und mit begleitenden Maßnahmen vorzunehmen. Vordringliche Voraussetzung für eine allmähliche Lockerung sei, dass sich die Neuinfektionen auf niedrigem Niveau stabilisierten und das Gesundheitssystem nicht überlastet werde. Infizierte müssten zunehmend identifiziert, Schutzmaßnahmen (Hygienemaßnahmen, Mund-Nasen-Schutz, Distanzregeln) diszipliniert eingehalten werden (UA Rn. 49 i. V. m. Rn. 48 <S. 20>). Das Oberverwaltungsgericht hat für möglich gehalten, dass bei Verordnungserlass die Belastung des Gesundheitssystems nicht mehr so hoch gewesen sei wie vordem. Der Verordnungsgeber habe aber auf eine hohe Dunkelziffer von Infektionen hingewiesen sowie auf das Fehlen einer Impfung und von Medikamenten. Aus medizinischer Sicht habe sich nur eine moderate Lockerung empfohlen, um das Gesundheitssystem nicht (wieder) zu überlasten (UA Rn. 62, 64).

54 Das Oberverwaltungsgericht hat außerdem - gestützt insbesondere auf den Epidemiologischen Steckbrief des RKI zu SARS-CoV-2 und COVID-19 (Stand: 24. April 2020) – Feststellungen zum Krankheitsbild und zur Übertragung getroffen. Danach manifestiere sich die Erkrankung als Infektion der Atemwege mit den Leitsymptomen Fieber und Husten. Bei 81 % der Patienten verlaufe die Erkrankung mild, bei 14 % schwer, und 5 % der Patienten seien kritisch krank. Mögliche Verlaufsformen seien die Entwicklung eines akuten Lungenversagens sowie, bisher eher seltener, eine bakterielle Koinfektion mit septischem Schock. Weitere beschriebene Komplikationen seien Rhythmusstörungen, eine myokardiale Schädigung sowie das Auftreten eines akuten Nierenversagens. Obwohl schwere Verläufe auch bei Personen ohne Vorerkrankung aufträten und auch bei jüngeren Personen beobachtet worden seien, hätten ältere Personen (mit stetig steigendem Risiko für einen schweren Verlauf ab etwa 50 bis 60 Jahre) und Menschen mit bestimmten Vorerkrankungen (z. B. Bluthochdruck, Herzerkrankungen, Diabetes mellitus, Krebserkrankung, geschwächtes Immunsystem) ein erhöhtes Risiko für schwere Verläufe. Eine Impfung oder eine spezifische Medikation stünden in absehbarer Zeit nicht zur Verfügung. Die Inkubationszeit betrage im Mittel fünf bis sechs Tage bei einer Spannweite von einem Tag bis zu vierzehn Tagen. Der Anteil der Infizierten, der auch tatsächlich erkranke, liege bei bis zu 86 %. Die Erkrankung sei sehr infektiös, in einem geschätzten Zeitraum von etwa zwei Tagen vor Symptombeginn bis etwa acht Tage danach. Die Übertragung erfolge hauptsächlich im Wege der Tröpfcheninfektion. Auch eine Übertragung durch Aerosole und kontaminierte Oberflächen könne nicht ausgeschlossen werden. Schätzungen gingen davon aus, dass sich bis zu 70 % der Bevölkerung in Deutschland mit dem Virus SARS-CoV-2 infizieren könnten. Es sei lediglich unklar, über welchen Zeitraum dies geschehen werde (UA Rn. 49 i. V. m. Rn. 48 <S. 21>).

55 bb) Die Feststellungen tragen die vom Verordnungsgeber angenommene Gefährdungslage. Der Antragsteller hat gegen sie keine durchgreifenden Revisionsgründe vorgebracht (§ 137 Abs. 2 VwGO). Der Verordnungsgeber und das Oberverwaltungsgericht durften sich insbesondere auf die Risikobewertung und weiteren Erkenntnisse des RKI stützen.

56 (1) Das RKI ist gemäß § 4 IfSG die nationale Behörde zur Vorbeugung übertragbarer Krankheiten sowie zur frühzeitigen Erkennung und Verhinderung der Weiterverbreitung von Infektionen (Absatz 1 Satz 1). Es arbeitet u. a. mit wissenschaftlichen Einrichtungen und Fachgesellschaften, mit ausländischen Stellen und internationalen Organisationen sowie mit der Weltgesundheitsorganisation zusammen (Absatz 1 Satz 3, Absatz 3 Satz 1). Zu seinen Aufgaben gehört die Erstellung von Empfehlungen und sonstigen Informationen zur Vorbeugung, Erkennung und Verhinderung der Weiterverbreitung übertragbarer Krankheiten (Absatz 2 Nr. 1). Es wertet die Daten zu meldepflichtigen Krankheiten und Nachweisen von Krankheitserregern infektionsepidemiologisch aus (Absatz 2 Nr. 2) und stellt die Ergebnisse der Auswertungen u. a. den obersten Landesgesundheitsbehörden und den Gesundheitsämtern zur Verfügung (Absatz 2 Nr. 3 Buchst. c und d). Das RKI ist eine infektionsepidemiologische Leit- und Koordinierungsstelle (vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung seuchenrechtlicher Vorschriften <Seuchenrechtsneuordnungsgesetz - SeuchRNeuG>, BT-Drs. 14/2530 S. 45). Durch seine Aufgabe, die Erkenntnisse zu einer übertragbaren Krankheit durch Erhebung, Auswertung und Veröffentlichung der Daten zum Infektionsgeschehen in Deutschland und durch die Auswertung verfügbarer Studien aus aller Welt fortlaufend zu aktualisieren, verfügt es über eine besondere fachliche Expertise bei der Risikoeinschätzung und -bewertung einer übertragbaren Krankheit.

57 (2) Danach durfte der Verordnungsgeber die vom RKI zur Verfügung gestellten Erkenntnisse und Bewertungen zu SARS-CoV-2 und COVID-19 wie ein Sachverständigengutachten bei seiner Entscheidung berücksichtigen und den erlassenen Ge- und Verboten zugrunde legen. Auch das Oberverwaltungsgericht durfte seine Feststellungen darauf stützen. Die Rüge mangelnder Sachaufklärung bleibt ohne Erfolg. Dass das Oberverwaltungsgericht die auf Einholung von Sachverständigengutachten gerichteten Beweisanträge des Antragstellers zum Bestehen eines Infektionsrisikos abgelehnt hat (Beschluss vom 16. Juni 2021), ist nicht zu beanstanden. Für das Gericht bestand kein Anlass, ein (weiteres) Sachverständigengutachten einzuholen. Dazu hätte es sich nur veranlasst sehen müssen, wenn die Erkenntnisse und Bewertungen des RKI, auf die sich der Verordnungsgeber gestützt hatte, auch für den nicht Sachkundigen erkennbare Mängel aufgewiesen hätten (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 20. Dezember 2019 - 3 B 20.19 - juris Rn. 23, 33 f. und vom 26. Juni 2020 - 7 BN 3.19 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 122 Rn. 5 f. m. w. N.). Das Vorliegen solcher Mängel hat der Antragsteller nicht aufgezeigt. Die Verpflichtung zur Einholung eines weiteren Gutachtens folgt nicht schon daraus, dass ein Beteiligter das vorliegende Gutachten als Erkenntnisquelle für unzureichend hält. Er muss dessen Beweiswert durch substantiierten Vortrag ernsthaft erschüttern (BVerwG, Beschluss vom 26. Juni 2020 - 7 BN 3.19 - a. a. O. Rn. 6). Der Antragsteller hat nichts vorgetragen, was die Risikobewertung des RKI nach der maßgeblichen ex ante-Sicht erschüttern könnte. Dafür ist auch nichts ersichtlich.

58 c) Das Oberverwaltungsgericht hat ohne Bundesrechtsverstoß angenommen, dass der Verordnungsgeber die in § 2 Abs. 1, § 4 Abs. 1 Nr. 1 und § 5 Satz 1 SächsCoronaSchVO angeordneten Maßnahmen als geeignet (aa) und erforderlich (bb) ansehen durfte, das mit der Verordnung verfolgte Ziel zu erreichen.

59 aa) Es ist zutreffend davon ausgegangen (UA Rn. 49 i. V. m. Rn. 48 <S. 22>, Rn. 54), dass für die Eignung ausreicht, wenn die Verordnungsregelungen den verfolgten Zweck fördern können. Bereits die Möglichkeit der Zweckerreichung genügt (stRspr, vgl. BVerfG, Urteil vom 30. Juli 2008 - 1 BvR 3262/07 u. a. - BVerfGE 121, 317 <354> = juris Rn. 114; Beschluss vom 19. November 2021 - 1 BvR 781/21 u. a. - BVerfGE 159, 223 Rn. 185, jeweils m. w. N.; BVerwG, Urteil vom 10. Oktober 2012 - 7 C 9.10 - juris Rn. 34). Es hat auch rechtsfehlerfrei angenommen, dass dem Verordnungsgeber wegen der damals in der Fachwissenschaft vorhandenen Ungewissheiten über die Eigenschaften des Virus SARS-CoV-2 (vgl. UA Rn. 55) ein tatsächlicher Einschätzungsspielraum bei der Beurteilung der Eignung einer Regelung zustand (UA Rn. 54; vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 13. Mai 2020 - 1 BvR 1021/20 - juris Rn. 10; Beschluss vom 19. November 2021 - 1 BvR 781/21 u. a. - BVerfGE 159, 223 Rn. 185). Die Grenzen dieses Spielraums sind überschritten, wenn die Eignungsprognose des Verordnungsgebers nicht auf tragfähigen tatsächlichen Annahmen beruht oder wenn das Prognoseergebnis nicht plausibel ist. Ob dies der Fall ist, unterliegt der verwaltungsgerichtlichen Prüfung.

60 Danach sind die Annahme des Verordnungsgebers und ihre Bestätigung durch das Oberverwaltungsgericht, die angegriffenen Regelungen seien geeignete Mittel zur Erreichung des Verordnungsziels, nicht zu beanstanden. Sie beruhen nach den im angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen auf einer tragfähigen Grundlage (1). Die dagegen gerichtete Verfahrensrüge des Antragstellers bleibt ohne Erfolg (2).

61 (1) Das Oberverwaltungsgericht hat - gestützt auf den SARS-CoV-2-Steckbrief des RKI - festgestellt, dass das Virus hauptsächlich durch Tröpfcheninfektion (UA Rn. 48 <S. 21>, Stand des Steckbriefs: 24. April 2020) bzw. durch Aerosolinfektion (UA Rn. 49, Stand des Steckbriefs: 19. April 2021) übertragen wird. Es hat außerdem festgestellt, dass die Verordnungsregelungen auf der fachwissenschaftlich abgesicherten Grundannahme beruhten, durch eine Reduzierung physischer Kontakte und die Einhaltung bestimmter Abstände zu anderen Personen könne die Ausbreitung des besonders leicht von Mensch zu Mensch übertragbaren Virus verlangsamt und die Infektionsdynamik verzögert werden (UA Rn. 55). Somit konnte der Verordnungsgeber davon ausgehen, dass Beschränkungen von Kontakten im öffentlichen Raum sowie die Schließungen von Sportstätten einschließlich Golfplätzen und von Gastronomiebetrieben dazu beitragen konnten, die Ausbreitung des Virus SARS-CoV-2 und der Krankheit COVID-19 zu verlangsamen, da durch diese Maßnahmen physische Kontakte von Menschen reduziert werden konnten. Eine Überschreitung seines Spielraums bei der Einschätzung und Bewertung der tatsächlichen Verhältnisse hat das Oberverwaltungsgericht nicht festgestellt; das ist auch nicht ersichtlich.

62 (2) Ohne Erfolg rügt der Antragsteller als Verfahrensmangel, dass das Oberverwaltungsgericht seinen Beweisanträgen Nr. 1 bis 9, mit denen er die Ungeeignetheit der angegriffenen Maßnahmen zur Reduzierung des Infektionsrisikos unter Beweis gestellt habe, nicht nachgegangen ist. Der geltend gemachte Verstoß gegen die gerichtliche Aufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1 VwGO liegt nicht vor. Die Ablehnung der Anträge durch den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts vom 16. Juni 2021 ist nicht zu beanstanden. Dass die Beweisanträge Nr. 4, 5, 7 und 8 unbeschieden geblieben seien, trifft nicht zu. Das Oberverwaltungsgericht hat mit seinem Beschluss über die "Beweisanträge Nr. 1 bis Nr. 9" und damit auch über diese Anträge entschieden. Die Ablehnung der Anträge ist auch im Übrigen verfahrensfehlerfrei. Das Oberverwaltungsgericht durfte sich für seine Feststellungen zu den Eigenschaften des Virus SARS-CoV-2 und zu den Wirkungen einer Reduzierung physischer Kontakte insbesondere auf die Erkenntnisse und Bewertungen des RKI stützen (vgl. oben unter <b) bb)>). Es hatte keinen Anlass, ein (weiteres) Sachverständigengutachten einzuholen. Der Antragsteller hat mit seinen Beweisanträgen nicht substantiiert vorgetragen, aufgrund welcher Tatsachen die Erkenntnisse des RKI zum Übertragungsweg und zur Grundannahme, dass eine Reduzierung physischer Kontakte zu einer Verlangsamung der Virusausbreitung führe, ernstlich in Frage gestellt würden. Auf die fehlende Substantiierung hat auch das Oberverwaltungsgericht in seinem Beschluss abgestellt (vgl. dort Rn. 7 f. und Rn. 17).

63 bb) An der Erforderlichkeit einer Regelung fehlt es, wenn dem Verordnungsgeber eine andere, gleich wirksame Maßnahme zur Erreichung des verfolgten Zwecks zur Verfügung steht, die weniger in die Grundrechte der Betroffenen eingreift und Dritte und die Allgemeinheit nicht stärker belastet. Die sachliche Gleichwertigkeit der alternativen Maßnahme zur Zweckerreichung muss dafür in jeder Hinsicht eindeutig feststehen (stRspr, vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. November 2021 - 1 BvR 781/21 u. a. - BVerfGE 159, 223 Rn. 203 m. w. N.; BVerwG, Urteile vom 25. Oktober 2017 - 6 C 44.16 - BVerwGE 160, 157 Rn. 26 und vom 28. März 2018 - 8 C 9.17 - BVerwGE 161, 334 Rn. 21).

64 Bei der Beurteilung der Erforderlichkeit hatte der Verordnungsgeber angesichts der im hier maßgeblichen Zeitraum fehlenden Erfahrungen mit dem SARS-CoV-2-Virus und den Wirkungen von Schutzmaßnahmen einen tatsächlichen Einschätzungsspielraum, der sich darauf bezog, die Wirkung der von ihm gewählten Maßnahmen im Vergleich zu anderen, weniger belastenden Maßnahmen zu prognostizieren (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. November 2021 - 1 BvR 781/21 u. a. - BVerfGE 159, 223 Rn. 204). Ein solcher Spielraum hat jedoch Grenzen. Die Einschätzung des Verordnungsgebers muss auf ausreichend tragfähigen Grundlagen beruhen (BVerfG, Beschluss vom 19. November 2021 - 1 BvR 781/21 u. a. - a. a. O. Rn. 205). Das Ergebnis der Prognose muss einleuchtend begründet und damit plausibel sein (vgl. BVerwG, Urteile vom 3. Juli 2002 - 6 CN 8.01 - BVerwGE 116, 347 <352> = juris Rn. 35, vom 29. Oktober 2009 - 7 C 22.08 - Buchholz 400 IFG Nr. 1 Rn. 20, vom 11. November 2015 - 8 CN 2.14 - BVerwGE 153, 183 Rn. 36 und vom 28. Mai 2021 - 7 C 2.20 - BVerwGE 172, 365 Rn. 37 m. w. N.; Beschluss vom 21. Dezember 2021 - 9 B 6.21 - juris Rn. 16). Das unterliegt der gerichtlichen Überprüfung (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. November 2022 - 3 CN 2.21 - Rn. 17 ff.).

65 Danach ist die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, die angegriffenen Verordnungsregelungen seien zur Zweckerreichung erforderlich gewesen, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Prognose des Verordnungsgebers, ihm hätten zur Reduzierung der physischen Kontakte keine anderen, gleich wirksamen, aber weniger belastenden Regelungen zur Verfügung gestanden, beruhte nach den im angefochtenen Urteil getroffenen Tatsachenfeststellungen auf tragfähigen Annahmen und war plausibel. Die Verfahrensrügen des Antragstellers haben keinen Erfolg.

66 (1) Das Oberverwaltungsgericht hat in tatsächlicher Hinsicht zugrunde gelegt, dass es angesichts der fortbestehenden Unsicherheiten bei der Einschätzung des dynamischen Infektionsgeschehens eine sachgerechte Vorgehensweise des Verordnungsgebers gewesen sei, die Lockerung des "lock down" schrittweise einzuleiten. Anders wären die epidemiologischen Auswirkungen der Lockerungsmaßnahmen nicht im Blick zu behalten gewesen und hätten Gefährdungen für den Erhalt der Leistungsfähigkeit des Gesundheitswesens nicht verhindert werden können (UA Rn. 49 i. V. m. Rn. 48 <S. 22>). Zwar seien bei Erlass der Verordnung ausreichend Krankenhausbetten und insbesondere Intensivbetten für die Behandlung von COVID-19-Erkrankten verfügbar gewesen, so dass kein Kapazitätsengpass zu besorgen gewesen sei. Diese Prognose habe nach sachverständiger Einschätzung allerdings nur gegolten, wenn auf die Lockerung nicht wieder ein exponentieller Anstieg der Neuinfektionen folgen würde (UA Rn. 49 i. V. m. Rn. 48 <S. 23>). Für die Strategie der schrittweisen Lockerungsmaßnahmen habe sich der Verordnungsgeber auf die wissenschaftlichen Handlungsempfehlungen des RKI und der Nationalen Akademie der Wissenschaften der Leopoldina stützen können (UA Rn. 49 i. V. m. Rn. 48 <S. 20>, Rn. 57).

67 Danach erweist sich die Einschätzung des Verordnungsgebers, in Anbetracht der Verlangsamung der Infektionsgeschwindigkeit in Sachsen zwar die Ausgangsbeschränkungen aufheben zu können (vgl. Begründung zur Sächsischen Corona-Schutz-Verordnung vom 17. April 2020, Allgemeiner Teil), auf die in § 2 Abs. 1 SächsCoronaSchVO geregelten Kontaktbeschränkungen zur Reduzierung der physischen Kontakte jedoch nicht verzichten zu können, als plausibel. Dass es insoweit eine gleich wirksame, aber mit geringeren Grundrechtseinschränkungen verbundene Maßnahme gegeben hätte, hat der Antragsteller nicht geltend gemacht. Dafür ist auch nichts ersichtlich. Ein Schutz durch Impfung stand nicht zur Verfügung. Dass der Verordnungsgeber Verhaltens- und Hygieneregeln für Kontakte im öffentlichen Raum nicht als gleich wirksame Maßnahmen angesehen hat, ist plausibel (vgl. zur Erforderlichkeit der Kontaktbeschränkungen nach § 28b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 IfSG i. d. F. des Gesetzes vom 22. April 2021: BVerfG, Beschluss vom 19. November 2021 - 1 BvR 781/21 u. a. - BVerfGE 159, 223 Rn. 210).

68 (2) In Bezug auf die Erforderlichkeit der Schließung von Sportstätten einschließlich Golfplätzen (§ 4 Abs. 1 Nr. 1 SächsCoronaSchVO) ist das Oberverwaltungsgericht gleichfalls beanstandungsfrei davon ausgegangen, dass der Verordnungsgeber den ihm zustehenden tatsächlichen Einschätzungsspielraum nicht überschritten hat.

69 Nach der Begründung zu § 4 SächsCoronaSchVO hatte der Verordnungsgeber die Schließung von (u. a.) Sportstätten weiterhin für erforderlich gehalten, weil bei diesen Einrichtungen "aufgrund der Nähe der im üblichen Betrieb anwesenden Menschen zueinander sowie aufgrund der durchschnittlichen Dauer ihres Verbleibs regelmäßig ein hohes Infektionsrisiko" bestehe. Das Oberverwaltungsgericht hat angenommen, es spreche Einiges dafür, dass aufgrund der Weiträumigkeit von Golfplätzen die Ansteckungsgefahr im Vergleich zu Hallensport weitgehend vermindert werden könne. Allerdings gehörten auch zu Golfplätzen Bereiche, die von einer Vielzahl von Spielern zusammen aufgesucht würden (UA Rn. 49 i. V. m. Rn. 48 <S. 23>). Dass es auf Golfplätzen Bereiche gibt, wo Spieler/Spielerinnen zusammenkommen, hat das Oberverwaltungsgericht für das Revisionsverfahren verbindlich festgestellt (§ 137 Abs. 2 VwGO). Eine Verfahrensrüge hat der Antragsteller insoweit nicht erhoben. Die Tatsachenwürdigung ist auch nicht willkürlich. Auch der Golfplatz ist eine Einrichtung, die auf eine gemeinsame Nutzung durch die Sporttreibenden angelegt ist. Die Annahme, dass es dort vermehrt - eher als beim Sport im Freien außerhalb von Einrichtungen - zu Begegnungen und physischen Kontakten von Menschen kommen konnte und dass auch Kontakte im Freien zu Ansteckungen führen konnten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. November 2021 - 1 BvR 781/21 u. a. - BVerfGE 159, 223 Rn. 193 f.; Kammerbeschluss vom 23. März 2022 - 1 BvR 1295/21 - juris Rn. 23), ist vom Einschätzungsspielraum des Verordnungsgebers gedeckt. Danach ist seine Prognose, dass andere Maßnahmen - wie eine Beschränkung der Nutzung auf den Außenbereich, eine Maskenpflicht oder eine Begrenzung der Nutzerzahl - der angeordneten Schließung in ihrer Wirksamkeit nicht gleichkommen würden, nicht zu beanstanden. Sie war ausgehend von den im angefochtenen Urteil getroffenen Feststellungen zur damaligen Erkenntnislage für den hier zu beurteilenden Zeitraum (noch) plausibel.

70 (3) In Bezug auf Gastronomiebetriebe hat das Oberverwaltungsgericht festgestellt, dort gebe es aufgrund der besonderen räumlichen Nähe von Gästen und Personal ein besonders hohes Ansteckungsrisiko für eine Tröpfcheninfektion bzw. eine Aerosolinfektion. Zudem bestehe gerade in "Szene-Vierteln" die Gefahr größerer Menschenansammlungen (UA Rn. 49 i. V. m. Rn. 48 <S. 23>). Danach konnte der Verordnungsgeber plausibel annehmen, dass selbst ein anspruchsvolles Hygienekonzept nicht ebenso wirksam zur Verlangsamung der Ausbreitung des SARS-CoV-2-Virus und von COVID-19 hätte beitragen können wie die in § 5 Satz 1 SächsCoronaSchVO angeordnete Schließung von Gastronomiebetrieben. Der Einwand des Antragstellers, eine Beschränkung der Gastronomie auf den Außenbereich, gegebenenfalls flankiert von einer Begrenzung der Gästezahl und einem Alkoholverbot, wäre gleich wirksam gewesen, stellt die Plausibilität der Prognose des Verordnungsgebers nicht in Frage. Dass eine solche Regelung zur Zweckerreichung gleich wirksam gewesen wäre, hat das Oberverwaltungsgericht nicht festgestellt. Seine Tatsachenwürdigung ist auch nicht willkürlich. Masken können beim Essen und Trinken nicht getragen werden, Abstandsregeln können bewusst oder unbewusst nicht eingehalten werden.

71 (4) Der Verordnungsgeber hat die Grenzen seines tatsächlichen Einschätzungsspielraums nicht dadurch überschritten, dass er die beanstandeten Maßnahmen ohne regionale Differenzierung landeseinheitlich angeordnet hat. Nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts sollte damit verhindert werden, dass es zu einem Ausweichverhalten in der Bevölkerung komme mit der Folge, dass Infektionsherde auch in bislang weniger betroffene Regionen "eingeschleppt" würden. Zudem habe der Verordnungsgeber Wettbewerbsverzerrungen vorbeugen wollen. Außerdem sei eine flächendeckende Ausbreitung der Infektionslage festzustellen gewesen, und ein Nachvollziehen der Infektionen habe sich wegen nicht bekannter Infektionsketten als schwierig dargestellt (UA Rn. 59). Danach war die Einschätzung des Verordnungsgebers, eine andere als eine landesweit einheitliche Regelung wäre zur Zweckerreichung weniger wirksam gewesen, plausibel.

72 (5) Die Rüge des Antragstellers, das Oberverwaltungsgericht sei seinen Beweisanträgen Nr. 1 bis 9 fehlerhaft nicht nachgegangen, greift - wie bereits ausgeführt - nicht durch. Das gilt auch, soweit er mit den Anträgen unter Beweis gestellt hat, dass dem Verordnungsgeber gleich wirksame Alternativmaßnahmen zur Zweckerreichung zur Verfügung gestanden hätten. Die Beweisanträge sind auch in dieser Hinsicht nicht hinreichend substantiiert.

73 Seine weitere Rüge, das Oberverwaltungsgericht habe seinen Beweisantrag Nr. 12 zu Unrecht abgelehnt, hat ebenfalls keinen Erfolg. Die Ablehnung des beantragten Zeugenbeweises mit der Begründung, die unter Beweis gestellte Tatsache sei nicht entscheidungserheblich, ist nicht verfahrensfehlerhaft. Der Antragsteller hat die Tatsache unter Beweis gestellt, der Antragsgegner habe es im Zeitraum vom 31. März 2020 bis zum Erlass der Sächsischen Corona-Schutz-Verordnung vom 17. April 2020 unterlassen, Daten zur Wirksamkeit der angegriffenen Verordnungsregelungen zusammenzutragen. Das Oberverwaltungsgericht hat angenommen, dass die Empfehlungen des RKI eine ausreichende Grundlage für die Anordnung der Maßnahmen gewesen seien und es daher nicht darauf ankomme, ob der Antragsteller weitere Ermittlungen angestellt habe (Beschluss vom 8. Oktober 2021 Rn. 15). Das ist nicht zu beanstanden.

74 d) Das Oberverwaltungsgericht hat auch im Einklang mit Bundesrecht entschieden, dass die Verordnungsregelungen verhältnismäßig im engeren Sinne waren.

75 aa) Die Angemessenheit und damit die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne erfordern, dass der mit der Maßnahme verfolgte Zweck und die zu erwartende Zweckerreichung nicht außer Verhältnis zu der Schwere des Eingriffs stehen (stRspr, vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. November 2021 - 1 BvR 781/21 u. a. - BVerfGE 159, 223 Rn. 216 m. w. N.). In einer Abwägung sind Reichweite und Gewicht des Eingriffs in Grundrechte einerseits und die Bedeutung der Maßnahme für die Zweckerreichung andererseits gegenüberzustellen. Angemessen ist eine Maßnahme dann, wenn bei der Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht sowie der Dringlichkeit der ihn rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit noch gewahrt wird. Dabei ist ein angemessener Ausgleich zwischen dem Gewicht des Eingriffs und dem verfolgten Ziel sowie der zu erwartenden Zielerreichung herzustellen (stRspr, vgl. BVerfG, Beschluss vom 29. September 2022 - 1 BvR 2380/21 u. a. - juris Rn. 119 m. w. N.). Davon ist auch das Oberverwaltungsgericht ausgegangen (UA Rn. 49 i. V. m. Rn. 48 <S. 22>).

76 bb) Danach ist es nicht zu beanstanden, dass das Oberverwaltungsgericht die in § 2 Abs. 1 SächsCoronaSchVO angeordneten Kontaktbeschränkungen als verhältnismäßig im engeren Sinne angesehen hat.

77 Das Bundesverfassungsgericht hat in Bezug auf die Beschränkungen von Kontakten im privaten und im öffentlichen Raum nach § 28b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 IfSG i. d. F. des Gesetzes vom 22. April 2021 (BGBl. I S. 802) entschieden, dass die Kontaktbeschränkungen verhältnismäßig im engeren Sinne waren (BVerfG, Beschluss vom 19. November 2021 - 1 BvR 781/21 u. a. - BVerfGE 159, 223 Rn. 215 ff.). Für die Beschränkungen des Aufenthalts im öffentlichen Raum nach § 2 Abs. 1 SächsCoronaSchVO ergibt sich nichts Anderes.

78 (1) Sie waren ein schwerwiegender Eingriff in die Grundrechte (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1 GG) der Betroffenen (vgl. zu den Kontaktbeschränkungen nach § 28b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 IfSG: BVerfG, Beschluss vom 19. November 2021 - 1 BvR 781/21 u. a. - BVerfGE 159, 223 Rn. 219 ff.). Der Verordnungsgeber hat aber für Milderungen der Eingriffe gesorgt, indem ein gemeinsamer Aufenthalt in Begleitung der Partnerin/des Partners bzw. mit Angehörigen des eigenen Hausstandes oder mit einer weiteren Person möglich war. Kontakte zur Ausübung des Sorge- und Umgangsrechts blieben gestattet. Das betraf nach der für das Revisionsverfahren bindenden Auslegung der Vorschrift durch das Oberverwaltungsgericht (§ 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 560 ZPO) auch das Umgangsrecht von Großeltern mit ihren Enkeln (§ 1685 BGB). Das Gericht hat zugrunde gelegt, dass die Gestattung des Aufenthalts im öffentlichen Raum zur Wahrnehmung des Sorge- und Umgangsrechts alle Handlungen erfasste, die sich auf eine Wahrnehmung dieser Rechte stützten; im Zweifel habe die Vorschrift großzügig ausgelegt werden müssen (UA Rn. 72).

79 Dass das Gewicht der Grundrechtseingriffe durch zeitlich vorausgehende vergleichbare Maßnahmen mitbestimmt werden kann und dass die Auswirkungen der durch die Kontaktbeschränkungen hervorgerufenen Beeinträchtigungen der Lebensgestaltung durch zeitgleich geltende weitere Ge- und Verbote zur Bekämpfung der Pandemie verstärkt werden können (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. November 2021 - 1 BvR 781/21 u. a. - BVerfGE 159, 223 Rn. 223 f.), hat das Oberverwaltungsgericht berücksichtigt. Es hat festgestellt, dass es sich um die "zweite derartige Verordnung" gehandelt habe und die Maßnahmen einschließlich des vorhergehenden Zeitraums insgesamt knapp sechs Wochen gegolten hätten (UA Rn. 68 ff.). Nachfolgende Verordnungen musste es bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit nicht berücksichtigen. Der hier maßgebliche Beurteilungszeitraum endete mit dem Außerkrafttreten der angegriffenen Verordnung mit Ablauf des 3. Mai 2020.

80 (2) Den durch die Kontaktbeschränkungen bewirkten schwerwiegenden Grundrechtseingriffen standen Gemeinwohlbelange von überragender Bedeutung gegenüber, zu deren Wahrung bei Erlass der Verordnung und während ihrer Geltung dringlicher Handlungsbedarf bestand. Ziel der Verordnung war es, die Ausbreitung des SARS-CoV-2-Virus und der dadurch verursachten bedrohlichen COVID-19-Erkrankung (vgl. § 2 Nr. 3a IfSG) zu verlangsamen und damit die Bevölkerung vor Lebens- und Gesundheitsgefahren zu schützen. Die Rechtsgüter Leben und Gesundheit haben eine überragende Bedeutung (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG; stRspr, vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. November 2021 - 1 BvR 781/21 u. a. - BVerfGE 159, 223 Rn. 231 m. w. N.). Die Kontaktbeschränkungen waren nach dem - plausiblen - Schutzkonzept des Verordnungsgebers das zentrale Mittel zur Zielerreichung (vgl. Verordnungsbegründung, Besonderer Teil, zu § 2). Ein Impfschutz oder eine spezifische Medikation standen in absehbarer Zeit nicht zur Verfügung. Bei Erlass der Verordnung war nach den tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts von einer hohen Gefährdungslage auszugehen. Der Verordnungsgeber durfte annehmen, dass es zu einem exponentiellen Anwachsen von Infektionen oder ihrem erneuten Anstieg kommen würde, wenn er nicht zeitnah effektive Schutzmaßnahmen ergreifen würde (UA Rn. 56).

81 (3) Der Verordnungsgeber hat für den zu beurteilenden Zeitraum bei der Ausgestaltung der Kontaktbeschränkungen einen angemessenen Ausgleich zwischen den mit der Maßnahme verfolgten besonders bedeutsamen Gemeinwohlbelangen und den schwerwiegenden Grundrechtsbeeinträchtigungen gefunden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. November 2021 - 1 BvR 781/21 u. a. - BVerfGE 159, 223 Rn. 232, 234). In Bezug auf die zu berücksichtigende Geltungsdauer dieser und der zeitlich vorausgehenden Maßnahmen von insgesamt knapp sechs Wochen hat das Oberverwaltungsgericht angenommen, die Intensität der Grundrechtseingriffe sei damit nicht in einem Maß verstärkt worden, das die Kontaktbeschränkungen als unverhältnismäßig erscheinen lasse (UA Rn. 70). Das ist nicht zu beanstanden. Schließlich durfte der Verordnungsgeber davon ausgehen, dass sich die Kontaktbeschränkungen auch nicht in Ansehung der zusätzlichen Belastungen durch zeitgleich geltende weitere Maßnahmen als unzumutbar darstellten.

82 cc) Hinsichtlich der in § 5 Satz 1 SächsCoronaSchVO angeordneten Schließung von Gastronomiebetrieben hat das Oberverwaltungsgericht die Abwägung des Verordnungsgebers gleichfalls nicht beanstandet. Es hat angenommen, dass die Maßnahme mit dem Grundrecht der Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 Abs. 1, Art. 19 Abs. 3 GG) vereinbar und noch verhältnismäßig sei. Für die Beurteilung der Zumutbarkeit der Betriebsschließungen sei in den Blick zu nehmen, dass die betroffenen Betriebe gravierende wirtschaftliche Einbußen erlitten oder sogar in ihrer Existenz bedroht sein könnten. Das Gewicht des Eingriffs werde allerdings durch finanzielle staatliche Hilfsprogramme gemildert. Auch die wirtschaftlichen Folgen für Arbeitnehmer durch mögliche Kurzarbeit oder Arbeitsplatzverlust seien in die Abwägung einzustellen. Zudem seien für die Volkswirtschaft im Freistaat Sachsen erhebliche Folgen zu befürchten. Auf der anderen Seite habe der Verordnungsgeber davon ausgehen dürfen, dass die Maßnahme Gemeinwohlbelangen von überragender Bedeutung diene. Dem Gewicht der Grundrechtseingriffe stünden die ebenfalls gravierenden Folgen für Leben und Gesundheit einer Vielzahl von Menschen gegenüber, die vom Virus SARS-CoV-2 und von COVID-19 betroffen werden könnten. Die Maßnahme unterliege der Verpflichtung des Verordnungsgebers zur fortlaufenden Überprüfung insbesondere darauf, ob sie im Hinblick auf die Verlangsamung der Verbreitung des Virus wirksam sei und wie sich die Schließungen für die betroffenen Betriebe auswirkten. Dieser Verpflichtung sei der Verordnungsgeber nachgekommen (UA Rn. 49 i. V. m. Rn. 48 <S. 22 f.>, Rn. 65 ff.).

83 Der Antragsteller hat insoweit keinen Revisionsgrund aufgezeigt. Durchgreifende Bedenken gegen die vom Oberverwaltungsgericht bejahte Angemessenheit der Verordnungsregelung sind auch nicht erkennbar. Das Bundesverfassungsgericht hat durch Beschluss vom 23. März 2022 - 1 BvR 1295/21 -, mit dem es die Verfassungsbeschwerde einer Gastronomin gegen das Verbot der Öffnung von Gaststätten nach § 28b Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 IfSG i. d. F. des Gesetzes vom 22. April 2021 nicht zur Entscheidung angenommen hat, bestätigt, dass die Schließung von gastronomischen Einrichtungen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie verhältnismäßig im engeren Sinn sein kann. Es hat den Eingriff in die Berufsfreiheit als gerechtfertigt angesehen. Bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne hat es der Regelung ein erhebliches Eingriffsgewicht bescheinigt, das allerdings durch die staatlichen Hilfsprogramme für die von den Schließungen betroffenen Betriebe gemindert worden sei. Dem Eingriff in die Berufsfreiheit sei gegenüberzustellen, dass angesichts der Dynamik des Infektionsgeschehens im April 2021 eine besondere Dringlichkeit bestanden habe, zum Schutz der überragend bedeutsamen Rechtsgüter Leben und Gesundheit sowie der Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems tätig zu werden. Das Bundesverfassungsgericht hat die Abwägung des Gesetzgebers nicht beanstandet. Die Vorschrift und die sie begleitenden staatlichen Hilfsprogramme hätten für einen hinreichenden Ausgleich zwischen den verfolgten besonders bedeutsamen Gemeinwohlbelangen und den erheblichen Grundrechtsbeeinträchtigungen gesorgt. Dabei hat das Bundesverfassungsgericht belastungsmindernd berücksichtigt, dass der Außer-Haus-Verkauf sowie die Lieferung von Speisen und Getränken möglich blieben und die Regelung befristet war (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 23. März 2022 - 1 BvR 1295/21 - juris Rn. 19 ff.). Es ist nicht ersichtlich, warum für die hier in Rede stehende Maßnahme aus der Anfangsphase der COVID-19-Pandemie die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne anders zu beurteilen sein sollte. Das gilt auch, soweit Gäste von Gastronomiebetrieben durch § 5 Satz 1 SächsCoronaSchVO in ihrem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG betroffen sein könnten.

84 dd) Für die Verhältnismäßigkeit der in § 4 Abs. 1 Nr. 1 SächsCoronaSchVO angeordneten Schließung von Sportstätten einschließlich Golfplätzen ergibt sich nichts Abweichendes. Dass der Verordnungsgeber insoweit noch keine Lockerung vorgesehen hatte, ist nicht zu beanstanden. Er durfte davon ausgehen, dass die Schließung von Sportstätten weiterhin einen nennenswerten Beitrag zur Zweckerreichung leisten konnte und daher nicht außer Verhältnis zu der Schwere des Eingriffs stand. Dass er die Schließung von Golfplätzen in der Zusammenschau mit der Schließung anderer Sportstätten bewertet hat, ist nicht zu beanstanden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. November 2021 - 1 BvR 971/21 u. a. - BVerfGE 159, 355 Rn. 154).

85 ee) Die Rüge des Antragstellers, das Oberverwaltungsgericht habe seinen Beweisantrag Nr. 11 zu Unrecht abgelehnt, hat keinen Erfolg. Die Ablehnung des beantragten Zeugenbeweises mit der Begründung, die unter Beweis gestellte Tatsache sei nicht entscheidungserheblich (Beschluss vom 8. Oktober 2021 Rn. 12 f.), ist nicht verfahrensfehlerhaft. Das Oberverwaltungsgericht hat angenommen, dass der Verordnungsgeber erst noch zu erlassende, zeitlich nachfolgende Maßnahmen nicht in seine Abwägung einstellen musste. Das ist - wie dargelegt - nicht zu beanstanden. Danach war unerheblich, ob der Verordnungsgeber bei Erlass der angegriffenen Verordnung davon ausgegangen war, dass kontaktbeschränkende Maßnahmen über den Geltungszeitraum der Verordnung hinaus angeordnet würden.

86 5. Das Oberverwaltungsgericht hat ohne Verstoß gegen Bundesrecht angenommen, dass § 2 Abs. 1 SächsCoronaSchVO hinsichtlich der Regelung zur Wahrnehmung des Sorge- und Umgangsrechts hinreichend bestimmt war. Wie bereits ausgeführt, erfasste die Regelung nach der verbindlichen Auslegung durch das Oberverwaltungsgericht alle Handlungen, die sich auf eine Wahrnehmung der Sorge- und Umgangsrechte stützen konnten. Eine Verkennung der Anforderungen des verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebots (Art. 20 Abs. 3 GG) ist nicht zu erkennen. Die Voraussetzungen der Sorge- und Umgangsrechte und ihre Reichweite bestimmen sich nach den einschlägigen familienrechtlichen Vorschriften. Bestand danach ein Sorge- oder Umgangsrecht, war zu dessen Wahrnehmung gemäß § 2 Abs. 1 SächsCoronaSchVO der Aufenthalt im öffentlichen Raum gestattet. Dass die familienrechtlichen Vorschriften nicht hinreichend bestimmt wären, hat der Antragsteller nicht geltend gemacht.

87 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Urteil vom 22.11.2022 -
BVerwG 3 CN 2.21ECLI:DE:BVerwG:2022:221122U3CN2.21.0

Ausgangsbeschränkung anlässlich der Corona-Pandemie

Leitsätze:

1. Bei der Beurteilung der Erforderlichkeit von Maßnahmen zum Schutz vor COVID-19 hatte der Verordnungsgeber angesichts der fehlenden Erfahrungen mit dem SARS-CoV-2-Virus und den Wirkungen von Schutzmaßnahmen einen tatsächlichen Einschätzungsspielraum, der sich darauf bezog, die Wirkung der von ihm gewählten Maßnahmen im Vergleich zu anderen, weniger belastenden Maßnahmen zu prognostizieren. Ein solcher Spielraum hat jedoch Grenzen. Die Einschätzung des Verordnungsgebers muss auf ausreichend tragfähigen Grundlagen beruhen. Das Ergebnis der Prognose muss einleuchtend begründet und damit plausibel sein. Das unterliegt der gerichtlichen Überprüfung. Maßgebend ist die Erkenntnislage bei Erlass der Verordnung (ex-ante-Sicht).

2. Wird die Annahme, die gewählte Maßnahme erreiche den Zweck der Schutzverordnung wirksamer als eine in Betracht kommende weniger belastende Alternative, im gerichtlichen Verfahren nicht plausibel gemacht, kann das Gericht nicht zur Feststellung gelangen, dass die verordnete Schutzmaßnahme erforderlich und damit verhältnismäßig ist. Das geht zu Lasten des Verordnungsgebers.

3. Das Verbot des Ausgangs für ein Verweilen im Freien ohne Kontakt zu hausstandsfremden Personen konnte nur erforderlich sein, wenn es über ein Verbot solcher Kontakte hinaus geeignet war, einen relevanten Beitrag zur Verhinderung hausstandsübergreifender Kontakte zu leisten. Zu berücksichtigen war hierbei, dass das Ziel, physische Kontakte zu Menschen außerhalb des eigenen Hausstandes auf ein absolut nötiges Minimum zu reduzieren (§ 4 Abs. 1 BayIfSMV), auch durch die Ausgangsbeschränkung mit den zugelassenen Gründen für das Verlassen der Wohnung nicht vollständig zu erreichen war.

4. Auch am Beginn der Pandemie konnte das Verbot des Ausgangs für ein Verweilen im Freien nur verhältnismäßig im engeren Sinne sein, wenn es über eine Kontaktbeschränkung hinaus einen erheblichen Beitrag zur Erreichung des Ziels leisten konnte, physische Kontakte zu reduzieren und dadurch die Verbreitung von COVID-19 zu verhindern.

  • Rechtsquellen
    GG Art. 2 Abs. 1, Abs. 2 Satz 2, Art. 104 Abs. 1
    IfSG i. d. F. des Gesetzes vom 27. März 2020 § 28 Abs. 1, § 32
    IfSG i. d. F. des Gesetzes vom 18. November 2020 § 28a Abs. 5
    IfSG i. d. F. des Gesetzes vom 22. April 2021 § 28b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
    BayIfSMV i. d. F. vom 31. März 2020 § 4

  • VGH München - 04.10.2021 - AZ: 20 N 20.767

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 22.11.2022 - 3 CN 2.21 - [ECLI:DE:BVerwG:2022:221122U3CN2.21.0]

Urteil

BVerwG 3 CN 2.21

  • VGH München - 04.10.2021 - AZ: 20 N 20.767

In der Normenkontrollsache hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 9. November 2022
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Philipp,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Liebler und
die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Dr. Kuhlmann, Dr. Gamp
und Hellmann
am 22. November 2022 für Recht erkannt:

  1. Die Revision des Antragsgegners gegen den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 4. Oktober 2021 wird zurückgewiesen.
  2. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

Gründe

I

1 Die Antragsteller wenden sich gegen eine durch die COVID-19-Pandemie veranlasste Ausgangsbeschränkung.

2 Das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege ordnete in § 4 der Bayerischen Verordnung über Infektionsschutzmaßnahmen anlässlich der Corona-Pandemie (Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung - BayIfSMV) vom 27. März 2020 (BayMBl. 2020 Nr. 158) in der Fassung der Verordnung zur Änderung der Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 31. März 2020 (BayMBl. 2020 Nr. 162; GVBl. S. 194) – im Folgenden: BayIfSMV - eine Ausgangsbeschränkung an. Die Vorschrift lautete wie folgt:
§ 4
Vorläufige Ausgangsbeschränkung
(1) Jeder wird angehalten, die physischen Kontakte zu anderen Menschen außerhalb der Angehörigen des eigenen Hausstands auf ein absolut nötiges Minimum zu reduzieren. Wo immer möglich, ist ein Mindestabstand zwischen zwei Personen von 1,5 m einzuhalten.
(2) Das Verlassen der eigenen Wohnung ist nur bei Vorliegen triftiger Gründe erlaubt.
(3) Triftige Gründe im Sinn des Abs. 2 sind insbesondere:
1. die Ausübung beruflicher Tätigkeiten,
2. die Inanspruchnahme medizinischer und veterinärmedizinischer Versorgungsleistungen, der Besuch bei Angehörigen therapeutischer Berufe, soweit dies medizinisch dringend erforderlich ist, sowie Blutspenden,
3. Versorgungsgänge für die Gegenstände des täglichen Bedarfs (...); nicht zur Deckung des täglichen Bedarfs gehört die Inanspruchnahme sonstiger Dienstleistungen wie etwa der Besuch von Friseurbetrieben,
4. der Besuch bei Lebenspartnern, Alten, Kranken oder Menschen mit Einschränkungen (außerhalb von Einrichtungen) und die Wahrnehmung des Sorge- und Umgangsrechts im jeweiligen privaten Bereich,
5. die Begleitung von unterstützungsbedürftigen Personen und Minderjährigen,
6. die Begleitung Sterbender sowie Beerdigungen im engsten Familienkreis,
7. Sport und Bewegung an der frischen Luft, allerdings ausschließlich alleine oder mit Angehörigen des eigenen Hausstandes und ohne jede sonstige Gruppenbildung und
8. Handlungen zur Versorgung von Tieren.
(4) Die Polizei ist angehalten, die Einhaltung der Ausgangsbeschränkung zu kontrollieren. Im Falle einer Kontrolle sind die triftigen Gründe durch den Betroffenen glaubhaft zu machen.

3 Die Vorschrift galt vom 1. bis 19. April 2020 (§ 2 Satz 1 der Änderungsverordnung, § 7 Abs. 1 BayIfSMV).

4 Die Antragsteller wohnen in Bayern. Sie haben am 10. April 2020 beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof einen Normenkontrollantrag gestellt. Nach dem Außerkrafttreten der Vorschrift haben sie beantragt, festzustellen, dass § 4 Abs. 2 BayIfSMV unwirksam war.

5 Der Verwaltungsgerichtshof hat durch Beschluss vom 4. Oktober 2021 festgestellt, dass § 4 Abs. 2 und 3 BayIfSMV unwirksam war. Zur Begründung hat er ausgeführt: Der Normenkontrollantrag sei zulässig und begründet. § 4 Abs. 2 und 3 BayIfSMV habe gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen. Für die Regelung habe zwar mit § 32 Satz 1 i. V. m. § 28 Abs. 1 Satz 1 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) vom 20. Juli 2000 in der Fassung des Gesetzes vom 27. März 2020 eine verfassungskonforme Ermächtigungsgrundlage bestanden; deren Tatbestandsvoraussetzungen seien erfüllt gewesen. In ihrer konkreten Ausgestaltung sei die Ausgangsbeschränkung jedoch keine notwendige Schutzmaßnahme im Sinne des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG gewesen. Der Verordnungsgeber habe den Ausnahmetatbestand der triftigen Gründe in § 4 Abs. 3 BayIfSMV so eng gefasst, dass die Regelung im Ergebnis unverhältnismäßig gewesen sei. Ihm stehe zwar grundsätzlich auch im Rahmen des § 32 Satz 1 IfSG ein Rechtsetzungsermessen zu. Er unterliege aber im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle. Ob er bei der Auswahl der Maßnahmen wegen Ungewissheiten hinsichtlich ihrer Wirkungen über einen gewissen Spielraum verfüge, sei eine Frage des Einzelfalls. Nach diesen Maßstäben stelle sich die streitige Ausgangsbeschränkung als unverhältnismäßig dar. Sie sei zwar grundsätzlich geeignet gewesen, den Gesetzeszweck nach § 1 Abs. 1 Alt. 3 IfSG zu erfüllen und die Übertragung des Coronavirus jedenfalls zu hemmen. Durch die Ausgangsbeschränkung komme es zur Kontaktreduzierung im öffentlichen und privaten Raum. Als mildere Maßnahme sei jedoch eine Beschränkung des Kontakts im öffentlichen und privaten Raum in Betracht gekommen. Die Auslegung von § 4 Abs. 3 BayIfSMV ergebe, dass das kontaktlose Verweilen im Freien außerhalb der Wohnung kein triftiger Grund zum Verlassen der Wohnung sei. Nach dem Vortrag des Antragsgegners bleibe offen, warum das Verweilen im Freien allein oder mit Angehörigen des eigenen Hausstandes, das infektiologisch unbedeutend sei, verboten gewesen sei. Sollte in dem Verweilen in der Öffentlichkeit eine Gefahr für die Bildung von Ansammlungen gesehen worden sein, weil sich um den Verweilenden sozusagen als Kristallisationspunkt Ansammlungen von Menschen bilden könnten, so unterstelle diese Sichtweise ein rechtswidriges Verhalten der Bürger und setze es sogar voraus. Dass ein solches Verhalten zu jenem Zeitpunkt in relevanter Anzahl anzunehmen gewesen wäre, sei nicht ersichtlich. Der Antragsgegner habe hierzu auch nichts vorgetragen. Der Senat könne daher bereits die Erforderlichkeit der Ausgangsbeschränkung in Bezug auf das Verlassen der Wohnung mit dem Ziel des Verweilens alleine oder in Begleitung von Mitgliedern des Hausstands in der Öffentlichkeit nicht erkennen. Letztlich stelle sich die Ausgangsbeschränkung auch als unangemessen dar. Es sei nicht ersichtlich, warum die Gefahr der Bildung von Menschenansammlungen eine landesweite Ausgangsbeschränkung rechtfertigen sollte, zumal diese Gefahr lediglich an stark frequentierten Lokalitäten bestanden haben dürfte. Hier wären regionale und örtliche Maßnahmen das mildere Mittel gewesen. Der Antragsgegner könne sich nicht darauf berufen, ihm sei bei der Auswahl der Maßnahme ein Einschätzungsspielraum zuzubilligen. Das Übermaßverbot sei über das Merkmal der Notwendigkeit in § 32 Satz 1 i. V. m. § 28 Abs. 1 IfSG einfachgesetzlich und wegen der mit der Ausgangsbeschränkung verbundenen Grundrechtseingriffe verfassungsrechtlich zu beachten.

6 Zur Begründung seiner vom Verwaltungsgerichtshof wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen Revision macht der Antragsgegner geltend: Der angefochtene Beschluss beruhe auf einer Verletzung von § 28 Abs. 1, § 32 IfSG, Art. 35 BayVwVfG, Art. 80 Abs. 1 und 4 GG und dem bundesverfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs sei die vorläufige Ausgangsbeschränkung eine notwendige Schutzmaßnahme im Sinne des § 28 Abs. 1 IfSG und mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar. Die vom Verwaltungsgerichtshof zugrunde gelegte Kontrolldichte bei der Überprüfung des Verordnungsermessens und die Nichtberücksichtigung eines Einschätzungsspielraums des Verordnungsgebers verletzten Bundesrecht. Der Spielraum des Verordnungsgebers sei auf allen Stufen der Verhältnismäßigkeitsprüfung relevant. Er beziehe sich insbesondere auf die Einschätzung der Gefahrenlage und die Wirksamkeit von Schutzmaßnahmen. Das Bundesverfassungsgericht habe für die im Kontext der so genannten Bundesnotbremse angeordneten Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen keinen über die Vertretbarkeitskontrolle hinausgehenden Kontrollmaßstab für angezeigt erachtet. Entsprechendes müsse für Ausgangsbeschränkungen im Rahmen von Verordnungen gelten. § 32 Satz 1 in Verbindung mit der Generalklausel des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG impliziere ein Verordnungsermessen hinsichtlich Art und Umfang der Schutzmaßnahmen. Die Genese von § 32 Satz 1 und § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG und die Eigenart des zu regelnden Sachbereichs sprächen für einen weiten Spielraum des Verordnungsgebers bei der Auswahl der Schutzmaßnahmen. Die Situation der COVID-19-Pandemie im Frühjahr 2020 sei durch eine besondere Dynamik und Komplexität des Infektionsgeschehens, Unsicherheiten hinsichtlich der tatsächlichen Entscheidungsgrundlagen sowie das Eingreifen zugunsten hochrangiger Rechtsgüter geprägt gewesen. Zudem habe der Verordnungsgeber die in unterschiedliche Richtungen weisenden Freiheits- und Schutzbedarfe der verschiedenen Grundrechtsträger zu gewichten und abzuwägen. Dabei komme ihm ein Wertungsspielraum zu. Die vorläufige Ausgangsbeschränkung halte einer Evidenz- oder Vertretbarkeitskontrolle stand. Der Verwaltungsgerichtshof habe ihre Erforderlichkeit nicht verneinen dürfen. Die Einschätzung des Verordnungsgebers, dass die Ausgangsbeschränkung einen wirksameren Beitrag zur Reduzierung beabsichtigter und unbeabsichtigter Sozialkontakte im privaten und öffentlichen Raum leiste und dadurch Infektionsketten wirksamer unterbreche als eine schlichte Kontaktbeschränkung, sei vertretbar gewesen. Das Plus an Wirksamkeit der Ausgangsbeschränkung gegenüber der Kontaktbeschränkung sei auch in der Rechtsprechung anerkannt worden. Wäre ein längeres Verweilen im Freien zulässig gewesen, hätte dies wegen der verstärkt zu erwartenden sozialen Kontakte kein infektiologisch unbedeutendes Verhalten dargestellt. Dass im beginnenden Frühsommer die Gefahr von Ansammlungen im Freien bestehe, sei ein allgemeiner Erfahrungssatz. Eine Kontaktbeschränkung wäre im Vergleich zur Ausgangsbeschränkung mit einer gesteigerten Mobilität der Bevölkerung einhergegangen. Die Einhaltung der Ausgangsbeschränkung lasse sich effektiver und grundrechtsschonender kontrollieren als eine Kontaktbeschränkung für private Räume. Regional differenzierte Beschränkungen seien im März 2020 nicht in Betracht gekommen, weil kein regional differenziert beherrschbares Infektionsgeschehen vorgelegen habe. Soweit der Verwaltungsgerichtshof die Angemessenheit der Ausgangsbeschränkung verneint habe, beruhe dies auf einem fehlerhaften Prüfungsmaßstab. Er habe die Eingriffsintensität der Ausgangsbeschränkung nicht - wie geboten - ins Verhältnis zum Gewicht und zur Dringlichkeit der sie rechtfertigenden Gründe gesetzt. Den Grundrechtseingriffen hätten mit dem Lebens- und Gesundheitsschutz und der Aufrechterhaltung eines funktionsfähigen Gesundheitssystems Gemeinwohlbelange von überragender Bedeutung gegenübergestanden, zu deren Wahrung dringlicher Handlungsbedarf bestanden habe. Der Verordnungsgeber habe mit der angeordneten Maßnahme auf ein dynamisches und bedrohliches Infektionsgeschehen reagiert, das in Bayern eine äußerste Gefahrenlage begründet habe. Danach erweise sich die der Maßnahme zugrundeliegende Interessenabwägung mindestens als vertretbar.

7 Die Antragsteller verteidigen den angefochtenen Beschluss in seinen entscheidungstragenden Teilen.

II

8 Der Senat entscheidet über die Revision auf der Grundlage der mündlichen Verhandlung vom 9. November 2022. Der Schriftsatz des Antragsgegners vom 15. November 2022 gibt keinen Anlass, die mündliche Verhandlung gemäß § 104 Abs. 3 Satz 2 VwGO wiederzueröffnen. Er dient - wie der Antragsgegner selbst darlegt - lediglich der schriftlichen Zusammenfassung seines Vortrags in der mündlichen Verhandlung.

9 Die zulässige Revision des Antragsgegners ist nicht begründet. Der angefochtene Beschluss beruht nicht auf der Verletzung revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO). Der Normenkontrollantrag ist zulässig (1.). Die Annahme des Verwaltungsgerichtshofs, die Ausgangsbeschränkung in § 4 Abs. 2 und 3 BayIfSMV sei nicht erforderlich und damit unverhältnismäßig gewesen, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden (2.). Soweit er angenommen hat, die Ausgangsbeschränkung stelle sich auch als unangemessen dar, ist der Beschluss nur im Ergebnis mit Bundesrecht vereinbar (3.). Die Feststellung der Unwirksamkeit von § 4 Abs. 2 und 3 BayIfSMV auf einen Teil der Vorschrift zu beschränken, war bundesrechtlich nicht geboten (4.).

10 1. Der gemäß § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO statthafte Normenkontrollantrag ist zulässig. Dass die angegriffene Rechtsvorschrift außer Kraft getreten ist, hat ihn nicht unzulässig gemacht (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. November 2022 - 3 CN 1.21 - Rn. 8 ff.). Die Antragsteller haben den Normenkontrollantrag während der Geltungsdauer des § 4 BayIfSMV gestellt. Sie können - wie geschehen - geltend machen, durch die angegriffene Ausgangsbeschränkung in ihrer durch Art. 2 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. Art. 104 Abs. 1 GG gewährleisteten Freiheit der Person und in ihrem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG) verletzt worden zu sein (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. November 2021 - 1 BvR 781/21 u. a. - BVerfGE 159, 223 Rn. 240 ff.). Sie haben angesichts der kurzen Geltungsdauer der Vorschrift und des durch die Ausgangsbeschränkung bewirkten gewichtigen Grundrechtseingriffs ein berechtigtes Interesse an der Feststellung, dass § 4 Abs. 2 und 3 BayIfSMV unwirksam war.

11 2. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat die Unwirksamkeit der Ausgangsbeschränkung in § 4 Abs. 2 und 3 BayIfSMV festgestellt, weil der Antragsgegner die triftigen Gründe, die zum Verlassen der eigenen Wohnung berechtigten, so eng gefasst habe, dass die Beschränkung des Ausgangs im Ergebnis unverhältnismäßig gewesen sei. Von der Beschränkung sei auch das Verweilen im Freien alleine oder ausschließlich mit Angehörigen des eigenen Hausstandes erfasst gewesen. Dass eine solche Beschränkung zur Hemmung der Übertragung des Coronavirus erforderlich und damit im Sinne von § 32 Satz 1 i. V. m. § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG notwendig gewesen sei, sei auf der Grundlage des Vortrags des Antragsgegners nicht zu erkennen. Das ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

12 a) Gemäß § 32 Satz 1 i. V. m. § 28 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz - IfSG) vom 20. Juli 2000 (BGBl. I S. 1045) i. d. F. des Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 27. März 2020 (BGBl. I S. 587) – im Folgenden: IfSG - erlässt der Verordnungsgeber unter den in § 28 Abs. 1 IfSG genannten Voraussetzungen die notwendigen Schutzmaßnahmen in Form von Geboten und Verboten, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung der übertragbaren Krankheit erforderlich ist. Danach müssen die Maßnahmen an dem Ziel ausgerichtet sein, die Verbreitung der Krankheit zu verhindern, und sie müssen verhältnismäßig sein, das heißt geeignet und erforderlich, den Zweck zu erreichen, sowie verhältnismäßig im engeren Sinne. Sind die Voraussetzungen erfüllt, handelt es sich um notwendige Schutzmaßnahmen im Sinne der Ermächtigungsnormen. Innerhalb dieser durch § 32 Satz 1 i. V. m. § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG und das Verhältnismäßigkeitsgebot gezogenen Grenzen verfügt der Verordnungsgeber beim Erlass der Schutzverordnungen über ein normatives Ermessen (zum Ermessen des Verordnungsgebers vgl. BVerwG, Urteile vom 26. April 2006 - 6 C 19.05 - BVerwGE 125, 384 Rn. 16, vom 15. Juni 2011 - 9 C 5.10 - Buchholz 401.84 Benutzungsgebühren Nr. 110 Rn. 12 und vom 26. November 2015 - 7 CN 1.14 - Buchholz 445.4 § 51 WHG Nr. 2 Rn. 20). Ob die Grenzen dieses Ermessens überschritten sind, unterliegt der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle. Gegenstand der Kontrolle ist das Ergebnis des Rechtsetzungsverfahrens, also die Vorschrift in ihrer regelnden Wirkung (vgl. BVerwG, Urteile vom 26. April 2006 - 6 C 19.05 - BVerwGE 125, 384 Rn. 16, vom 26. November 2014 - 6 CN 1.13 - BVerwGE 150, 327 Rn. 60 und vom 18. Dezember 2014 - 4 C 35.13 - Buchholz 442.42 § 27a LuftVO Nr. 8 Rn. 98). Auf die Motive desjenigen, der an ihrem Erlass mitgewirkt hat, und auf den der Verordnung zugrundeliegenden Abwägungsvorgang kommt es nicht an; das Infektionsschutzgesetz enthält insoweit keine Vorgaben. Unverhältnismäßig kann ein verordnetes Ge- oder Verbot auch sein, wenn das normative Ermessen "weit" ist. Maßgebend sind die Anforderungen, die sich in der konkreten Entscheidungssituation aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ergeben.

13 Der Verwaltungsgerichtshof hat das normative Ermessen, das dem Bayerischen Staatsministerium für Gesundheit und Pflege bei Erlass der Ausgangsbeschränkung in § 4 BayIfSMV zukam, nicht verkannt. Er ist zutreffend davon ausgegangen, dass nur die Einhaltung der Grenzen des normativen Ermessens zu überprüfen sei und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit das Ermessen begrenze (vgl. BA Rn. 63 - 66). Soweit er angenommen hat, Verordnungen auf Grund des § 32 Satz 1 i. V. m. § 28 Abs. 1 IfSG übernähmen Funktion und Regelungsgehalt eines Verwaltungsakts und es liege nahe, "sie derselben Kontrollintensität auszusetzen wie Verwaltungsakte" (BA Rn. 69), beruht die Entscheidung hierauf nicht. Der Verwaltungsgerichtshof hat seine nachfolgenden, die zitierte Erwägung nicht konkretisierenden Ausführungen dahingehend zusammengefasst, dass auf §§ 32 Satz 1, 28 IfSG gestützte Maßnahmen einer gerichtlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung unterlägen; ob dem Verordnungsgeber bei der Auswahl der Maßnahmen wegen der unbekannten Wirkung der Maßnahmen ein gewisser Spielraum einzuräumen sei, könne nicht generell beantwortet werden, sondern sei eine Frage der konkreten Maßnahme und der Umstände (BA Rn. 74). Entscheidungstragend sind danach allein die nachfolgenden, auf die Ausgangsbeschränkung in ihrer konkreten Ausgestaltung bezogenen Erwägungen zur Verhältnismäßigkeit (BA Rn. 75 ff.). Unabhängig hiervon liegt die vom Antragsgegner gerügte Verletzung von Art. 35 BayVwVfG nicht vor. Als Verwaltungsakt im Sinne dieser Vorschrift hat der Verwaltungsgerichtshof die Ausgangsbeschränkung in § 4 BayIfSMV nicht qualifiziert.

14 b) Der Verwaltungsgerichtshof hat angenommen, die Ausgangsbeschränkung in § 4 Abs. 2 und 3 BayIfSMV sei zwar geeignet gewesen, die Übertragung des Coronavirus jedenfalls zu hemmen und damit ihren mit der gesetzlichen Ermächtigung vereinbaren Zweck zu erreichen (BA Rn. 76); sie sei hierfür aber nicht erforderlich gewesen (BA Rn. 77 - 79). Das ist ausgehend von der Auslegung des Landesrechts und den tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs mit Bundesrecht vereinbar.

15 aa) An der Erforderlichkeit einer Regelung fehlt es, wenn dem Verordnungsgeber eine andere, gleich wirksame Maßnahme zur Erreichung des verfolgten Zwecks zur Verfügung steht, die weniger in die Grundrechte der Betroffenen eingreift und Dritte und die Allgemeinheit nicht stärker belastet. Die sachliche Gleichwertigkeit der alternativen Maßnahme zur Zweckerreichung muss dafür in jeder Hinsicht eindeutig feststehen (stRspr, vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. November 2021 - 1 BvR 781/21 u. a. - BVerfGE 159, 223 Rn. 203 m. w. N.; BVerwG, Urteile vom 25. Oktober 2017 - 6 C 44.16 - BVerwGE 160, 157 Rn. 26 und vom 28. März 2018 - 8 C 9.17 - BVerwGE 161, 334 Rn. 21).

16 (1) Als milderes Mittel kamen hier - wie der Verwaltungsgerichtshof zu Recht angenommen hat - Beschränkungen des Kontakts im öffentlichen und privaten Raum in Betracht. Sie hätten die Adressaten weniger belastet als die angegriffene Ausgangsbeschränkung. Der Verwaltungsgerichtshof hat § 4 Abs. 3 Nr. 7 BayIfSMV dahin ausgelegt, dass zwar das Verlassen der eigenen Wohnung für Sport und Bewegung, aber nicht für bloßes Verweilen an der frischen Luft erlaubt sei (BA Rn. 77). Das Verlassen der Wohnung, um an einem Ort außerhalb der eigenen Wohnung zu verweilen - also z. B. um auf einer Parkbank ein Buch zu lesen –, sei nicht von einem triftigen Grund im Sinne der Regelung, auch nicht von einem ungeschriebenen, umfasst. Um ein kurzes Erholen im Rahmen von Sport und Bewegung ging es insoweit nicht. Diese Auslegung des irrevisiblen Landesrechts ist für das Revisionsverfahren verbindlich (§ 137 Abs. 1, § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 560 ZPO). Das Verweilen im Freien im Wege einer verfassungskonformen Auslegung in die triftigen Gründe einzubeziehen, musste der Verwaltungsgerichtshof nicht in Betracht ziehen. Ein Verlassen der Wohnung, um im Freien zu verweilen, sollte - wie das Vorbringen des Antragsgegners im Normenkontrollverfahren bestätigt - nach der Zielsetzung der Verordnung gerade nicht zulässig sein. Bei einer Beschränkung lediglich des Kontakts, aber nicht des Ausgangs wäre es zulässig gewesen, die eigene Wohnung zu verlassen, um alleine oder ausschließlich mit Angehörigen des eigenen Hausstands im Freien zu verweilen. Eine solche Kontaktbeschränkung hätte auch nicht in Rechte Dritter eingegriffen oder die Allgemeinheit belastet.

17 (2) Bei der Beurteilung der Erforderlichkeit von Maßnahmen zum Schutz vor COVID-19 hatte der Verordnungsgeber angesichts der fehlenden Erfahrungen mit dem SARS-CoV-2-Virus und den Wirkungen von Schutzmaßnahmen einen tatsächlichen Einschätzungsspielraum, der sich darauf bezog, die Wirkung der von ihm gewählten Maßnahmen im Vergleich zu anderen, weniger belastenden Maßnahmen zu prognostizieren (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. November 2021 - 1 BvR 781/21 u. a. - BVerfGE 159, 223 Rn. 204). Ein solcher Spielraum hat jedoch Grenzen. Die Einschätzung des Verordnungsgebers muss auf ausreichend tragfähigen Grundlagen beruhen. Das Ergebnis der Prognose muss einleuchtend begründet und damit plausibel sein (vgl. BVerwG, Urteile vom 3. Juli 2002 - 6 CN 8.01 - BVerwGE 116, 347 <352> = juris Rn. 35, vom 29. Oktober 2009 - 7 C 22.08 - Buchholz 400 IFG Nr. 1 Rn. 20, vom 11. November 2015 - 8 CN 2.14 - BVerwGE 153, 183 Rn. 36 und vom 28. Mai 2021 - 7 C 2.20 - BVerwGE 172, 365 Rn. 37 m. w. N.; Beschluss vom 21. Dezember 2021 - 9 B 6.21 - juris Rn. 16). Das unterliegt der gerichtlichen Überprüfung. Maßgebend ist die Erkenntnislage bei Erlass der Verordnung (ex-ante-Sicht). Im gerichtlichen Verfahren obliegt es dem Verordnungsgeber, Tatsachen und Erwägungen vorzutragen, die das Ergebnis seiner Prognose plausibel machen. Das Gericht hat nicht eigene prognostische Erwägungen anzustellen, sondern die Rechtmäßigkeit der Prognose des Verordnungsgebers zu überprüfen. Wird die Annahme, die gewählte Maßnahme erreiche den Zweck der Schutzverordnung wirksamer als eine in Betracht kommende weniger belastende Alternative, im gerichtlichen Verfahren nicht plausibel gemacht, kann das Gericht nicht zur Feststellung gelangen, dass die verordnete Schutzmaßnahme erforderlich und damit verhältnismäßig ist. Das geht zu Lasten des Verordnungsgebers.

18 Aus dem Erfordernis, dass die sachliche Gleichwertigkeit der alternativen Maßnahmen zur Zweckerreichung in jeder Hinsicht eindeutig feststehen muss (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. November 2021 - 1 BvR 781/21 u. a. - BVerfGE 159, 223 Rn. 203), ergibt sich nichts Anderes. Dass die Gleichwertigkeit der alternativen Maßnahme "in jeder Hinsicht" eindeutig feststehen muss, bedeutet, dass nicht bereits ein einzelner Vorzug einer anderen Lösung gegenüber der gewählten zu deren Verfassungswidrigkeit führt (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 18. Dezember 1968 - 1 BvL 5/64 u. a. - BVerfGE 25, 1 <19 f.>, vom 16. März 1971 - 1 BvR 52/66 u. a. - BVerfGE 30, 292 <319> und vom 14. November 1989 - 1 BvL 14/85 u. a. - BVerfGE 81, 70 <90 f.>). Der Gesetz- bzw. Verordnungsgeber muss die mildere Maßnahme nur wählen, wenn deren Gleichwertigkeit "eindeutig feststeht"; danach darf die Erforderlichkeit des gewählten Mittels nicht schon deshalb verneint werden, weil unsicher ist, ob es besser wirkt als das weniger belastende Mittel. Unsicherheiten der Wirkungsprognose gehen nicht ohne Weiteres zu Lasten des Gesetz- und auch nicht des Verordnungsgebers. Bei schwerwiegenden Grundrechtseingriffen dürfen tatsächliche Unsicherheiten aber auch nicht ohne Weiteres zu Lasten des Grundrechtsträgers gehen. Darauf hat das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich hingewiesen. Dient der Eingriff dem Schutz gewichtiger verfassungsrechtlicher Güter und ist es dem Gesetzgeber angesichts der tatsächlichen Unsicherheiten nur begrenzt möglich, sich ein hinreichend sicheres Bild zu machen, ist die verfassungsrechtliche Prüfung auf die Vertretbarkeit der gesetzgeberischen Eignungsprognose beschränkt (BVerfG, Beschluss vom 19. November 2021 - 1 BvR 781/21 u. a. - BVerfGE 159, 223 Rn. 204). Ob der Spielraum des Verordnungsgebers bei der Prognose der Wirkungen von Schutzmaßnahmen im Sinne von § 32 Satz 1 i. V. m. § 28 Abs. 1 IfSG ebenso weit reicht wie derjenige des Gesetzgebers bei der Prognose der Eignung der von ihm gewählten Maßnahmen, kann offenbleiben. Auch die Prognose des Verordnungsgebers muss jedenfalls vertretbar sein. Zu dieser Feststellung kann das Gericht nur gelangen, wenn ihr Ergebnis einleuchtend begründet und damit aus ex-ante-Sicht plausibel ist.

19 Das Bayerische Ministerium für Gesundheit und Pflege musste allerdings nicht bereits bei Erlass der angegriffenen Ausgangsbeschränkung begründen, warum Beschränkungen des Kontakts im öffentlichen und privaten Raum die Weiterverbreitung von COVID-19 nach seiner Auffassung nicht ebenso wirksam hemmen würden wie die angegriffene Ausgangsbeschränkung; das Infektionsschutzgesetz verlangte eine solche Begründung nicht. Rechtsverordnungen, die nach § 32 i. V. m. § 28 Abs. 1 IfSG erlassen werden, müssen erst seit Einfügung des § 28a Abs. 5 IfSG durch das Dritte Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 18. November 2020 (BGBl. I S. 2397) mit einer allgemeinen Begründung versehen werden. Der gerichtlichen Kontrolle sind daher alle Erwägungen des Antragsgegners zugrunde zu legen, die er zu den bei Erlass der Verordnung vorliegenden Tatsachen bis zur Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs über den Normenkontrollantrag - die Entscheidung ist ohne mündliche Verhandlung ergangen - prozessordnungsgemäß vorgebracht hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Januar 2020 - 8 C 9.19 - BVerwGE 167, 259 Rn. 22).

20 (3) Von diesen Anforderungen an die Erforderlichkeit einer Schutzmaßnahme und an die Prognose ihrer Wirkungen ist auch der Verwaltungsgerichtshof ausgegangen. Er hat die Unwirksamkeit der Ausgangsbeschränkung in § 4 Abs. 2 und 3 BayIfSMV festgestellt, weil er ausgehend von dem Vortrag des Antragsgegners ihre Erforderlichkeit in Bezug auf das Verlassen der Wohnung mit dem Ziel des Verweilens alleine oder in Begleitung von Mitgliedern des eigenen Hausstands in der Öffentlichkeit nicht zu erkennen vermochte (BA Rn. 79).

21 bb) Der Verwaltungsgerichtshof hat angenommen, im Vortrag des Antragsgegners sei offengeblieben, warum ein Verhalten, welches für sich gesehen infektiologisch unbedeutend sei, nämlich das Verweilen alleine oder mit den Personen seines Haushalts im Freien außerhalb der eigenen Wohnung, der Ausgangsbeschränkung unterworfen worden sei (BA Rn. 79). Dass der Verwaltungsgerichtshof ein solches Verweilen als infektiologisch unbedeutend eingestuft hat, ist eine Würdigung von Tatsachen, die der Antragsgegner nicht mit einer Verfahrensrüge angegriffen hat; sie ist daher für das Revisionsverfahren verbindlich (§ 137 Abs. 2 VwGO). Unabhängig hiervon ist nicht ersichtlich, inwiefern durch bloßes Verweilen im Freien alleine oder ausschließlich mit Angehörigen des eigenen Hausstands eine Infektionsgefahr entstehen sollte. Dass Ansammlungen im Freien um die Verweilenden oder Kontakte auf dem Weg zum Ort des Verweilens infektiologisch unbedeutend seien, hat der Verwaltungsgerichtshof nicht angenommen ("für sich gesehen").

22 Der Verwaltungsgerichtshof hat außerdem festgestellt, es sei nicht ersichtlich, dass sich um den Verweilenden sozusagen als Kristallisationspunkt Ansammlungen von Menschen bilden könnten. Hierfür müsse ein rechtswidriges Verhalten der Bürger unterstellt werden; dass ein solches Verhalten zu jenem Zeitpunkt in relevanter Anzahl anzunehmen gewesen wäre, sei nicht ersichtlich (BA Rn. 79). Das Bundesverwaltungsgericht ist auch hieran gemäß § 137 Abs. 2 VwGO gebunden. Dass der Verwaltungsgerichtshof insoweit Vorbringen des Antragsgegners übergangen haben könnte, ist weder geltend gemacht noch ersichtlich. Einen der Feststellung widersprechenden allgemeinen Erfahrungssatz zum Verhalten von Menschen im Freien während einer Pandemie und unter Geltung pandemiebedingter Ausgangs- oder Kontaktbeschränkungen gibt es nicht. Soweit der Antragsgegner geltend macht, das Ansammeln wäre nicht rechtswidrig gewesen, weil Ansammlungen in der damals geltenden Verordnung nicht verboten gewesen seien, verkennt er, dass für die Prüfung, ob ein Kontaktverbot ebenso wirksam wie ein Verbot des Ausgangs zum Verweilen im Freien wäre, die Geltung eines solchen Kontaktverbots und damit auch ein Verbot von Ansammlungen zu unterstellen ist. Soweit es um Kontakte im Freien geht, sind besondere Schwierigkeiten bei der Durchsetzung eines solchen Verbots - anders als beim Verbot von Kontakten in privaten Wohnungen - nicht ersichtlich. Die Annahme, für derartige Ansammlungen sei nichts ersichtlich, widerspricht auch nicht anderen Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs. Der Verwaltungsgerichtshof hat bei der nachfolgenden Prüfung der Angemessenheit der Ausgangsbeschränkung nicht - wie der Antragsgegner meint - festgestellt, dass die Gefahr von Ansammlungen an stark frequentierten Orten bestanden habe. Er hat die Angemessenheit der Ausgangsbeschränkung verneint, weil er keine Anhaltspunkte für eine landesweite Gefahr der Bildung von Ansammlungen gesehen hat; eine etwaige örtlich begrenzte Gefahr von Ansammlungen reichte nach seiner Auffassung für die Angemessenheit einer landesweiten Ausgangsbeschränkung nicht aus. Mit dem Nachsatz "zumal diese Gefahr lediglich an stark frequentierten Lokalitäten bestanden haben dürfte" (BA Rn. 80), hat er eine solche örtlich begrenzte Gefahr lediglich unterstellt. Anhaltspunkte dafür, dass er die Relevanz der Anzahl etwaiger Ansammlungen um die Verweilenden bundesrechtswidrig beurteilt haben könnte, sind nicht ersichtlich. Eine Kontaktbeschränkung kann dem Verbot des Ausgangs für ein Verweilen im Freien auch dann zur Zweckerreichung gleichwertig sein, wenn zwar nicht auszuschließen ist, dass sich in einzelnen Fällen um die im Freien Verweilenden Ansammlungen bilden, die Ansammlungen aber im Vergleich zu den Ansammlungen, die aufgrund der zugelassenen Gründe für das Verlassen der Wohnung zu erwarten sind, für die Erreichbarkeit des Ziels ohne Relevanz bleiben.

23 Der Verwaltungsgerichtshof hat keine überzogenen Anforderungen an die Darlegungen des Antragsgegners gestellt. Dass das Verlassen der Wohnung auf dem Weg zum Ort des Verweilens an der frischen Luft - wie das Verlassen der Wohnung aus den in § 4 Abs. 3 BayIfSMV anerkannten Gründen - zu physischen Kontakten mit nicht dem eigenen Hausstand angehörenden Personen führen kann, bedarf als allgemeinkundige Tatsache nicht der Darlegung. Auch der Verwaltungsgerichtshof hat diese Möglichkeit nicht in Abrede gestellt. Das Verbot des Ausgangs für ein Verweilen im Freien ohne Kontakt zu hausstandsfremden Personen konnte aber nur erforderlich sein, wenn es über ein Verbot solcher Kontakte hinaus geeignet war, einen relevanten Beitrag zur Verhinderung möglicher hausstandsübergreifender Kontakte zu leisten. Zu berücksichtigen war hierbei, dass das Ziel des Antragsgegners, physische Kontakte zu Menschen außerhalb des eigenen Hausstandes auf ein absolut nötiges Minimum zu reduzieren (§ 4 Abs. 1 BayIfSMV), auch durch die Ausgangsbeschränkung mit den zugelassenen Gründen für das Verlassen der Wohnung nicht vollständig zu erreichen war. Bei Vorliegen triftiger Gründe (§ 4 Abs. 3 BayIfSMV) war das Verlassen der eigenen Wohnung erlaubt. Triftige Gründe waren u. a. die Ausübung beruflicher Tätigkeiten, Versorgungsgänge für die Gegenstände des täglichen Bedarfs, Sport und Bewegung an der frischen Luft, allerdings ausschließlich alleine oder mit Angehörigen des eigenen Hausstandes und ohne jede sonstige Gruppenbildung, und Handlungen zur Versorgung von Tieren (§ 4 Abs. 3 Nr. 1, 3, 7 und 8 BayIfSMV). Auch ein solches erlaubtes Verlassen der Wohnung war mit Mobilität verbunden und konnte - beabsichtigt oder unbeabsichtigt - zu Kontakten mit Menschen außerhalb des eigenen Hausstandes führen. Die Annahme, das bloße Verweilen im Freien sei anders als das Verlassen der Wohnung aus den zugelassenen Gründen nicht "absolut nötig" (vgl. § 4 Abs. 1 BayIfSMV) und deshalb gesondert von ihnen zu betrachten, trifft in dieser Allgemeinheit nicht zu. Es konnte nicht zuletzt wegen der pandemiebedingten Beschränkungen der Lebensgestaltung von großer Bedeutung sein, jedenfalls die Wohnung verlassen und an der frischen Luft verweilen zu können, ohne dafür einen weitergehenden Grund angeben und bei Bedarf glaubhaft machen zu müssen (vgl. § 4 Abs. 4 BayIfSMV). Das Verlassen der Wohnung aus den zugelassenen Gründen hat der Verordnungsgeber im Übrigen nicht davon abhängig gemacht, dass es auch im Einzelfall "absolut nötig" war. Im Hinblick darauf hätte der Antragsgegner im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof darlegen müssen, aufgrund welcher Tatsachen und Erwägungen die Annahme gerechtfertigt war, das Verbot des Ausgangs für ein Verweilen im Freien ohne Kontakt zu hausstandsfremden Personen werde über die Kontakte hinaus, die im Rahmen der zugelassenen Gründe für ein Verlassen der Wohnung zu erwarten waren, in einem für die Zielerreichung relevanten Umfang zu weiteren unerwünschten Kontakten führen. Das hat er nicht getan.

24 Mit der nächtlichen Ausgangsbeschränkung im Rahmen der "Bundesnotbremse", die das Bundesverfassungsgericht nicht beanstandet hat (Beschluss vom 19. November 2021 - 1 BvR 781/21 u. a. - BVerfGE 159, 223), sind die Wirkungen des Verbots, die Wohnung zum Verweilen im Freien zu verlassen, nicht vergleichbar. Die nächtliche Ausgangsbeschränkung sollte in erster Linie Zusammenkünfte in privaten Wohnungen, insbesondere solche in den Abendstunden und mit Alkoholkonsum, verhindern und verkürzen (a. a. O. Rn. 277 f.). Inwieweit das hier in Rede stehende, vor allem am Tage relevante Verbot angesichts der zugelassenen Gründe für ein Verlassen der Wohnung einen relevanten Beitrag dazu leisten sollte, Zusammenkünfte in privaten Wohnungen zu verhindern, ist nicht ersichtlich.

25 Ausgehend hiervon hat der Verwaltungsgerichtshof die Erforderlichkeit des aus § 4 Abs. 2 und 3 BayIfSMV folgenden Verbots, die eigene Wohnung für ein Verweilen im Freien zu verlassen, zu Recht verneint.

26 3. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Ausgangsbeschränkung in ihrer konkreten Ausgestaltung auch als unangemessen beanstandet (BA Rn. 80). Das ist nur im Ergebnis mit Bundesrecht vereinbar.

27 a) Zur Begründung der Unangemessenheit hat der Verwaltungsgerichtshof dargelegt, es sei nicht ersichtlich, warum die Gefahr der Bildung von Ansammlungen eine landesweite Ausgangsbeschränkung rechtfertigen sollte; regionale und örtliche Maßnahmen seien das mildere Mittel (BA Rn. 80). Diese Erwägungen tragen die Verneinung der Angemessenheit nicht.

28 Die Angemessenheit und damit die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne erfordern, dass der mit der Maßnahme verfolgte Zweck und die zu erwartende Zweckerreichung nicht außer Verhältnis zu der Schwere des Eingriffs stehen (stRspr, vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. November 2021 - 1 BvR 781/21 u. a. - BVerfGE 159, 223 Rn. 216 m. w. N.). In einer Abwägung sind Reichweite und Gewicht des Eingriffs in Grundrechte einerseits und die Bedeutung der Maßnahme für die Zweckerreichung andererseits gegenüberzustellen. Angemessen ist eine Maßnahme dann, wenn bei der Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht sowie der Dringlichkeit der ihn rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit noch gewahrt wird. Dabei ist ein angemessener Ausgleich zwischen dem Eingriffsgewicht der Maßnahme und dem verfolgten Ziel sowie der zu erwartenden Zielerreichung herzustellen (stRspr, vgl. BVerfG, Beschluss vom 29. September 2022 - 1 BvR 2380/21 u. a. - juris Rn. 119 m. w. N.).

29 Der Verwaltungsgerichtshof hat eine solche Abwägung nicht vorgenommen. Seine Ausführungen verhalten sich weder zur Bedeutung des Zwecks der Ausgangsbeschränkung und der zu erwartenden Zweckerreichung noch zum Gewicht des durch die Ausgangsbeschränkung bewirkten Eingriffs in die Grundrechte der Adressaten noch zum Ausgleich der gegenläufigen Interessen. Der Sache nach verneint er nicht die Angemessenheit, sondern aus einem weiteren Grund die Erforderlichkeit der Ausgangsbeschränkung, jedoch ohne - wie geboten - die Plausibilität der Annahme zu überprüfen, regionale und örtliche Maßnahmen seien einer landesweiten Ausgangsbeschränkung nicht gleichwertig gewesen.

30 b) Der angefochtene Beschluss stellt sich insoweit jedoch aus anderen Gründen als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO). Ausgehend von den tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs standen der mit der Ausgangsbeschränkung in ihrer konkreten Ausgestaltung verfolgte Zweck und die zu erwartende Zweckerreichung außer Verhältnis zu der Schwere des mit ihr verbundenen Eingriffs in die Grundrechte der Adressaten.

31 aa) Das Verbot, die eigene Wohnung zum Verweilen im Freien zu verlassen, war ein schwerer Eingriff in die Grundrechte der Adressaten. Es beschränkte die tatsächliche körperliche Bewegungsfreiheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 2, Art. 104 Abs. 1 GG) erheblich; je nach Größe der Wohnung konnte der Bewegungsradius auf wenige Quadratmeter begrenzt sein. Auch die freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG) war erheblich beschränkt. Der Aufenthalt im Freien ist für das Wohlbefinden vieler Menschen von elementarer Bedeutung; wenn Kontakt zu Menschen pandemiebedingt vermieden werden soll, kann der Kontakt zur Natur umso wichtiger werden. Die zugelassenen Gründe für das Verlassen der Wohnung minderten das Gewicht des Verbots jedenfalls für einen nicht geringen Teil der Betroffenen nur wenig. Menschen, die außerhalb der Wohnung keine berufliche Tätigkeit ausübten, kein Tier zu versorgen hatten, ihre Versorgungsgänge für Gegenstände des täglichen Bedarfs auf das Nötigste beschränkten und - aus welchem Grund auch immer - nicht für Sport oder Bewegung ins Freie wollten, dürften an vielen Tagen keinen triftigen Grund im Sinne des § 4 Abs. 3 BayIfSMV gehabt haben, die Wohnung zu verlassen. Das Verbot galt ganztägig und damit auch während der Tagstunden. § 4 Abs. 2 und 3 BayIfSMV beschränkte die Freiheit der Betroffenen damit deutlich stärker als die nächtliche Ausgangsbeschränkung im Rahmen der "Bundesnotbremse". Die angegriffene Verordnung war allerdings befristet; § 4 BayIfSMV galt für 19 Tage einschließlich der Osterfeiertage. Für eine Freiheitsbeschränkung ist das ein erheblicher Zeitraum.

32 bb) Den durch die Ausgangsbeschränkung bewirkten, schweren Grundrechtseingriffen standen auf der anderen Seite Gemeinwohlbelange von überragender Bedeutung gegenüber. Ziel der Verordnung war es, die Ausbreitung des SARS-CoV-2-Virus und der dadurch verursachten bedrohlichen COVID-19-Erkrankung (vgl. § 2 Nr. 3a IfSG) zu verlangsamen und damit die Bevölkerung vor Lebens- und Gesundheitsgefahren zu schützen. Die Rechtsgüter Leben und Gesundheit haben eine überragende Bedeutung (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG; stRspr, vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. November 2021 - 1 BvR 781/21 u. a. - BVerfGE 159, 223 Rn. 231 m. w. N.). Der Verordnungsgeber durfte bei Erlass der Ausgangsbeschränkung davon ausgehen, dass dringlicher Handlungsbedarf bestand. Das Robert Koch-Institut schätzte die Gefahr für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland als hoch, für Risikogruppen als sehr hoch ein (BA Rn. 54). Bayern wies bei Erlass der Ausgangsbeschränkung eine im Bundesvergleich schlechtere epidemiologische Lage auf (BA Rn. 84).

33 cc) In die Prüfung der Angemessenheit ist über die Bedeutung des Zwecks hinaus - wie ausgeführt - einzustellen, in welchem Maße er durch die in Rede stehende Maßnahme gefördert wird. Auch am Beginn der Pandemie konnte das Verbot des Ausgangs für ein Verweilen im Freien nur verhältnismäßig im engeren Sinne sein, wenn es über eine Kontaktbeschränkung hinaus einen erheblichen Beitrag zur Erreichung des Ziels leisten konnte, physische Kontakte zu reduzieren und dadurch die Verbreitung von COVID-19 zu verhindern. Auch das Bundesverfassungsgericht hat zur Begründung dafür, dass die nächtliche Ausgangsbeschränkung im Rahmen der "Bundesnotbremse" dem Verhältnismäßigkeitsgebot im engeren Sinne genügt habe, maßgebend darauf abgestellt, dass der Gesetzgeber ihren Beitrag zur Verminderung des Sterberisikos und des Risikos schwerer Krankheitsverläufe als "quantitativ und qualitativ erheblich" habe veranschlagen dürfen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. November 2021 - 1 BvR 781/21 u. a. - BVerfGE 159, 223 Rn. 303). Dass die bayerische Ausgangsbeschränkung in ihrer konkreten Ausgestaltung insgesamt einen erheblichen Beitrag zur Pandemiebekämpfung leisten konnte, genügte nicht. Das Verweilen im Freien ohne Kontakt zu haushaltsfremden Personen ist - wie der Verwaltungsgerichtshof festgestellt hat - für sich gesehen infektiologisch unbedeutend. Insoweit unterscheidet es sich von der Nutzung bestimmter Einrichtungen und einem hierauf gerichteten Verbot, dessen Gemeinwohlbedeutung nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nur im Zusammenwirken mit den weiteren Maßnahmen eines Gesamtkonzepts für andere Kontaktorte bewertet werden kann (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. November 2021 - 1 BvR 971/21 u. a. - BVerfGE 159, 355 Rn. 154 zu Schulschließungen). Das Verweilen im Freien war zugleich - insbesondere unter den pandemiebedingten Beschränkungen des gesamten Lebens - für das Wohlbefinden der Menschen von elementarer Bedeutung. Das Verbot, die Wohnung zu verlassen, um im Freien zu verweilen, konnte deshalb nur gerechtfertigt sein, wenn es selbst einen erheblichen Beitrag zur Zielerreichung leisten konnte. Bei der Abschätzung dieses Beitrags hatte der Verordnungsgeber - wie bei der Prüfung der Erforderlichkeit - einen tatsächlichen Einschätzungsspielraum; der Antragsgegner hätte aber einen solchen erheblichen Beitrag in der Tatsacheninstanz plausibel darlegen müssen. Das hat er nicht getan. Er hat - wie ausgeführt - vor dem Verwaltungsgerichtshof bereits nicht dargelegt, dass das Verbot einen relevanten Beitrag zur Reduzierung haushaltsübergreifender Kontakte leisten konnte.

34 4. Die Feststellung der Unwirksamkeit von § 4 Abs. 2 und 3 BayIfSMV auf einen Teil der Vorschrift zu beschränken, war bundesrechtlich nicht geboten. Ob und inwieweit die Vorschrift teilbar war, ist eine Frage des nichtrevisiblen Landesrechts. Da das Verbot, die eigene Wohnung zum Verweilen im Freien zu verlassen, nicht gesondert geregelt war, sondern aus der fehlenden Anerkennung des Verweilens im Freien als triftiger Grund folgte, ist im Übrigen nicht ersichtlich, auf welchen Teil der Vorschrift der Verwaltungsgerichtshof die Feststellung der Unwirksamkeit hätte beschränken können. Auch der Antragsgegner hat das nicht dargelegt.

35 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.