Verfahrensinformation

Einziehung eines Grundstücks im Rahmen eines Vereinsverbots


Die Klägerin wendet sich gegen die Einziehung ihres Grundstücks in O. im Rahmen eines Vereinsverbots.


In einem vereinsrechtlichen Ermittlungsverfahren gegen das "Freie Netz Süd“ (FNS) wurden im Juli 2013 u.a. die Räume im Anwesen O. durchsucht. Mit Bescheid vom 2. Juli 2014 stellte das Bayerische Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr fest, dass das FNS eine Ersatzorganisation der verbotenen Vereinigung "Fränkische Aktionsfront“ sei, verbot die FNS und löste sie auf. Des Weiteren beschlagnahmte die Behörde das dem FNS von der Klägerin überlassene Grundstück in O. samt Wohn- und Wirtschaftsgebäude und ordnete die Einziehung zugunsten des Freistaates Bayern an. Die Anordnungen sind auf § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Alt. 1, § 10 Abs. 2, § 12 Abs. 2 Alt. 1 des Vereinsgesetzes gestützt. Danach werden mit dem Vereinsverbot Sachen Dritter beschlagnahmt und eingezogen, wenn der Berechtigte durch die Überlassung der Sachen an den Verein dessen verfassungswidrige Bestrebungen vorsätzlich gefördert hat.


Das Verwaltungsgericht hat die gegen die Beschlagnahme und Einziehung des Grundstücks gerichtete Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof die Anordnungen aufgehoben, da nicht erwiesen sei, dass der Sohn der Klägerin die Immobilie im maßgeblichen Zeitpunkt der Beschlagnahme- und Einziehungsanordnung zumindest gelegentlich dem FNS und nicht ausschließlich anderen Nutzern zur Verfügung gestellt habe. Dieser Frage sei aber nicht weiter nachzugehen, da jedenfalls der Nachweis fehle, dass die Klägerin die verfassungswidrigen Bestrebungen des verbotenen Vereins durch die Überlassung von Räumen "vorsätzlich“ gefördert habe. Das sei nur dann der Fall, wenn der Eigentümer zum einen die verfassungswidrigen Bestrebungen des Vereins zumindest billigend in Kauf genommen und zum anderen zumindest eine laienhafte Vorstellung davon entwickelt habe, dass die verfassungswidrigen Aktivitäten in organisierter Form erfolgten und damit einem Verein im Sinne des § 2 Abs. 1 VereinsG zuzurechnen seien. Die zuletzt genannte Voraussetzung hat das Berufungsgericht nach Einvernahme der Klägerin nicht festgestellt.


Mit der dagegen gerichteten Revision macht der Freistaat Bayern geltend, dass der erforderliche Vorsatz des Eigentümers nicht auch die Nutzung der Sache durch den verbotenen Verein umfassen müsse.


Pressemitteilung Nr. 39/2023 vom 17.05.2023

Beschlagnahme und Einziehung des Grundstücks eines Dritten im Rahmen eines Vereinsverbots

Eine mit einer vereinsrechtlichen Verbotsverfügung verbundene Beschlagnahme- und Einziehungsanordnung in Bezug auf die Sache eines Dritten, der durch ihre Überlassung an den Verein dessen verfassungswidrige Bestrebungen gefördert hat, setzt voraus, dass der Dritte vorsätzlich gehandelt hat. Der Vorsatz muss sich auf alle objektiven Merkmale, also auch auf die Überlassung an einen Verein beziehen. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute entschieden.


Die Klägerin wandte sich gegen die Beschlagnahme und Einziehung ihres mit einem Wohn- und Wirtschaftsgebäude bebauten Grundstücks im Rahmen eines Vereinsverbots. Mit Bescheid vom 2. Juli 2014 stellte das Bayerische Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr fest, dass das "Freie Netz Süd“ eine Ersatzorganisation der verbotenen Vereinigung "Fränkische Aktionsfront“ sei, verbot die Vereinigung und löste sie auf. Die Behörde beschlagnahmte hierbei zugleich das dem Verein von der Klägerin überlassene Grundstück und ordnete dessen Einziehung zugunsten des Freistaats Bayern an. Das Verwaltungsgericht hat die gegen die Beschlagnahme und Einziehung des Grundstücks gerichtete Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof beide Anordnungen aufgehoben, da jedenfalls der Nachweis fehle, dass der Vorsatz der Klägerin auch die Vereinseigenschaft des "Freien Netzes Süd" umfasst habe. Die hiergegen eingelegte Revision des Freistaats Bayern ist vor dem Bundesverwaltungsgericht erfolglos geblieben.


Nach § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Alt. 1, § 12 Abs. 2 Alt. 1 i. V. m. § 8 Abs. 2 Satz 2 VereinsG ist mit einem Vereinsverbot in der Regel die Beschlagnahme und die Einziehung von Sachen Dritter zu verbinden, soweit der Berechtigte durch die Überlassung der Sachen an den Verein dessen verfassungswidrige Bestrebungen vorsätzlich gefördert hat. Diese Rechtsgrundlage ist hier anzuwenden, da das betroffene Grundstück im Eigentum der Klägerin als Dritte steht und nicht als Vereinsvermögen i.S.d. § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 VereinsG anzusehen ist. Zwar ist das Vereinsvermögen nicht zivilrechtlich, sondern wirtschaftlich und damit weit zu verstehen. Maßgeblich ist das tatsächliche Herrschaftsverhältnis im Sinne eines Vereinsgewahrsams. Ausgenommen vom Begriff des Vereinsvermögens sind jedoch Sachen im Eigentum Dritter.       


Zu Recht hat das Berufungsgericht sämtliche Merkmale des objektiven Tatbestandes als Bezugspunkt des Vorsatzes angesehen. Insbesondere muss sich der Vorsatz des Dritten auch darauf beziehen, dass die Überlassung seiner Sache an den Verein dessen verbotswürdige Tätigkeit gefördert hat. Dies erfordert, dass er bei einer Parallelwertung in der Laiensphäre um die Existenz dieser Vereinigung und ihrer verfassungswidrigen Bestrebungen weiß und deren Förderung zumindest billigend in Kauf nimmt.


Ausgehend von diesem zutreffend erkannten Maßstab hat das Berufungsgericht nach Anhörung der Klägerin in tatsächlicher Hinsicht festgestellt, ihr fehle das Wissen, dass sie das Grundstück an das "Freie Netz Süd" als Verein überlassen habe. Denn sie habe keine zumindest laienhafte Vorstellung davon entwickelt, dass die verfassungswidrigen Aktivitäten in organisierter Form von einem Verein im Sinne des § 2 Abs. 1 VereinsG vorgenommen worden seien. An diese Tatsachenfeststellung ist das Bundesverwaltungsgericht mangels von dem Beklagten erhobener Verfahrensrügen gebunden.


BVerwG 6 C 5.21 - Urteil vom 17. Mai 2023

Vorinstanzen:

VGH München, VGH 4 B 20.124 - Urteil vom 30. Juni 2020 -

VG Bayreuth, VG B 1 K 16.23 - Urteil vom 07. Juni 2018 -


Beschluss vom 13.04.2021 -
BVerwG 6 B 52.20ECLI:DE:BVerwG:2021:130421B6B52.20.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 13.04.2021 - 6 B 52.20 - [ECLI:DE:BVerwG:2021:130421B6B52.20.0]

Beschluss

BVerwG 6 B 52.20

  • VG Bayreuth - 07.06.2018 - AZ: VG B 1 K 16.23
  • VGH München - 30.06.2020 - AZ: VGH 4 B 20.124

In der Verwaltungsstreitsache hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 13. April 2021
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Kraft und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Heitz und Dr. Tegethoff
beschlossen:

  1. Die Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs über die Nichtzulassung der Revision gegen sein Urteil vom 30. Juni 2020 wird aufgehoben.
  2. Die Revision wird zugelassen.
  3. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt der Kostenentscheidung in der Hauptsache.
  4. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren und - insoweit vorläufig - für das Revisionsverfahren auf jeweils 12 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die Revision des Beklagten ist zuzulassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO hat. In dem Revisionsverfahren kann geklärt werden, ob der Vorsatz des Berechtigten, der für die Einziehung von Sachen Dritter aus Anlass eines Vereinsverbots nach § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3, § 12 Abs. 2 VereinsG erforderlich ist, nicht nur die Überlassung der Sache für verfassungswidrige Bestrebungen, sondern auch ihre Nutzung durch den verbotenen Verein umfassen muss.

2 Die Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren folgt aus § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG; die vorläufige Streitwertfestsetzung für das Revisionsverfahren beruht auf § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1 und § 63 Abs. 1 GKG.

Rechtsbehelfsbelehrung


Das Beschwerdeverfahren wird als Revisionsverfahren unter dem Aktenzeichen BVerwG 6 C 5.21 fortgesetzt. Der Einlegung einer Revision durch den Beschwerdeführer bedarf es nicht.
Die Revision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Beschlusses zu begründen. Die Begründung ist bei dem Bundesverwaltungsgericht, Simsonplatz 1, 04107 Leipzig, schriftlich oder in elektronischer Form (§ 55a Abs. 1 bis 6 VwGO sowie Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach vom 24. November 2017, BGBl. I S. 3803) einzureichen.
Für die Beteiligten besteht Vertretungszwang; dies gilt auch für die Begründung der Revision. Die Beteiligten müssen sich durch Bevollmächtigte im Sinne von § 67 Abs. 4 Satz 3 bis 6 VwGO, § 5 Nr. 6 Alt. 2 RDGEG vertreten lassen.