Verfahrensinformation

Arzneimittelrecht: Klage des Inhabers einer Arzneimittelzulassung gegen die Zulassung des Parallelimports des Arzneimittels aus EU-Mitgliedstaaten


Die Klägerin ist Inhaberin einer Zulassung zum Inverkehrbringen eines Humanarzneimittels in Deutschland. Zugelassen ist das Arzneimittel zur Behandlung des fortgeschrittenen Prostatakarzinoms. Es ist zum einmaligen Gebrauch bestimmt und besteht aus zwei Fertigspritzen, die zur Herstellung der Injektionslösung miteinander verschraubt werden müssen. Die Spritzen liegen jeweils in einer thermoplastisch geformten Schalenverpackung, die mittels einer Folie verschlossen ist. Nach dem Öffnen der Schalenverpackung muss die Lösung sofort zubereitet und verwendet werden.


Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) erteilte der Beigeladenen - unter Bezugnahme auf die Zulassung der Klägerin - mit Bescheid vom 8. September 2014 eine Zulassung des Parallelimports des Arzneimittels aus Italien, Rumänien und Polen. Der Zulassungsbescheid weist darauf hin, dass die Schalenverpackung aufgrund des negativen Einflusses auf die Haltbarkeit des Medikaments nicht geöffnet werden sollte, um die Spritzen mit den gemäß § 10 Abs. 8 AMG erforderlichen Angaben in deutscher Sprache zu kennzeichnen. Stattdessen müsse die Beigeladene sicherstellen, dass mindestens gewisse Angaben in lateinischer Schrift auf den Spritzen vorhanden seien. Die gegen diesen Bescheid gerichtete Klage der Klägerin blieb vor dem Verwaltungsgericht und in der Berufungsinstanz erfolglos.


Das Oberverwaltungsgericht hat zur Begründung ausgeführt, dass es nicht darauf ankomme, ob die Zulassung des Parallelimports wegen eines Verstoßes gegen Kennzeichnungsvorschriften rechtswidrig sei, da die Klägerin auch bei einem unterstellten Verstoß nicht in eigenen Rechten verletzt sei. Die Vorschriften zur Kennzeichnung von Arzneimitteln dienten nicht dem Schutz des Inhabers der Zulassung für das Referenzarzneimittel im Einfuhrmitgliedstaat, sondern dem Schutz der öffentlichen Gesundheit. Eine Rechtsverletzung der Klägerin resultiere zudem nicht aus dem Umstand, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs marken- und wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsansprüchen aufgrund der Tatbestandswirkung der arzneimittelrechtlichen Zulassung ausschieden. Die Klägerin sei durch den angegriffenen Bescheid nicht in ihren Grundrechten verletzt. Weder das Recht auf freie Berufsausübung noch die Eigentumsfreiheit schützten vor der Zulassung eines Konkurrenten.


Mit ihrer Revision, die das Bundesverwaltungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen hat, verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.


Pressemitteilung Nr. 18/2025 vom 20.03.2025

Parallelimport von Arzneimitteln: Gerichtshof der Europäischen Union soll Fragen zur Kennzeichnung der Behältnisse des Arzneimittels klären

Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig holt eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu der Frage ein, unter welchen Voraussetzungen Abweichungen von den Vorschriften über die Kennzeichnung von Arzneimitteln insbesondere beim Parallelimport von Arzneimitteln nach Unionsrecht möglich sind.


Die Klägerin ist Inhaberin einer Zulassung zum Inverkehrbringen eines Arzneimittels in Deutschland, das zur Behandlung des fortgeschrittenen Prostatakarzinoms dient. Es besteht aus zwei Fertigspritzen, die jeweils in einer durch Folie verschlossenen Schalenverpackung liegen. Nach dem Öffnen der Schalenverpackung sollen die Spritzen sofort zubereitet und verwendet werden.


Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte erteilte der Beigeladenen im Jahr 2010 – unter Bezug auf die Zulassung der Klägerin – eine Zulassung für den Parallelimport des Arzneimittels aus Italien und verlängerte diese im Jahr 2014 unter Erweiterung auf Importe aus Rumänien und Polen. Der Verlängerungsbescheid weist darauf hin, dass die Schalenverpackung des Arzneimittels nicht geöffnet werden solle, um die Spritzen – wie von § 10 Abs. 1 und Abs. 8 Satz 3 des Arzneimittelgesetzes (AMG) verlangt – in deutscher Sprache unter anderem mit der Angabe "subkutane Anwendung" zu kennzeichnen, da hierdurch die Haltbarkeit des Medikaments beeinträchtigt würde. Die Beigeladene müsse aber sicherstellen, dass bestimmte Mindestangaben in lateinischer Schrift auf den Spritzen vorhanden seien. Die gegen diesen Bescheid gerichtete Klage der Klägerin blieb vor dem Verwaltungsgericht und in der Berufungsinstanz erfolglos. Das Oberverwaltungsgericht hat angenommen, dass die Frage, ob die Zulassung des Parallelimports unter Abweichung von den Kennzeichnungsvorschriften des Arzneimittelgesetzes rechtswidrig sei, dahinstehen könne, weil die Klägerin hierdurch jedenfalls nicht in eigenen Rechten verletzt werde.


Auf die Revision der Klägerin hat das Bundesverwaltungsgericht das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union vorgelegt. Dem liegt zugrunde, dass die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, die Klägerin könne bei einem Verstoß gegen § 10 Abs. 1 und Abs. 8 Satz 3 AMG nicht in eigenen Rechten verletzt sein, gegen Bundesrecht verstößt. Die Vorschriften über die Zulassung eines Arzneimittels sind in Verbindung mit den Kennzeichnungsvorgaben in § 10 Abs. 1 und Abs. 8 Satz 3 AMG auch dazu bestimmt, den Inhaber einer Arzneimittelzulassung davor zu schützen, dass unter Bezugnahme auf seine Zulassung das Inverkehrbringen eines parallel importierten Arzneimittels gestattet wird, dessen Primärverpackung nicht den Vorschriften entsprechend in deutscher Sprache gekennzeichnet ist. Zur Beurteilung, ob sich das Urteil des Oberverwaltungsgerichts aus anderen Gründen als richtig darstellt, kommt es daher darauf an, ob die Beklagte bei der Erteilung der Zulassung von den Kennzeichnungsvorgaben des Arzneimittelgesetzes abweichen durfte. Während das nationale Recht hierfür keine Möglichkeit vorsieht, könnte sich eine Abweichungsmöglichkeit aus Art. 63 Abs. 3 der Richtlinie 2001/83/EG vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (in der Fassung der Richtlinie 2012/26/EU vom 25. Oktober 2012) ergeben. Hiernach können die nationalen Behörden für Arzneimittel, die nicht dazu bestimmt sind, direkt an den Patienten abgegeben zu werden, von bestimmten Kennzeichnungsvorschriften absehen, unter anderem von der Verwendung der Sprache des Mitgliedstaats, in dem das Arzneimittel in Verkehr gebracht werden soll. In diesem Zusammenhang hat das Bundesverwaltungsgericht den Gerichtshof der Europäischen Union um Klärung folgender Fragen gebeten:


1. Finden die Kennzeichnungsvorgaben der Art. 54, 55 Abs. 3 und Art. 63 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83/EG auf ein Arzneimittel Anwendung, für das in einem Mitgliedstaat eine Genehmigung für das Inverkehrbringen erteilt wurde und dessen Einfuhr in einen anderen Mitgliedstaat im Verhältnis zu einem in diesem zweiten Mitgliedstaat bereits zugelassenen Arzneimittel einen Parallelimport darstellt?


2. Ist Art. 63 Abs. 3 der Richtlinie 2001/83/EG dahingehend auszulegen, dass ein Arzneimittel nicht dazu bestimmt ist, direkt an den Patienten abgegeben zu werden, wenn es als Arzneimittel eingestuft ist, das der ärztlichen Verschreibungspflicht unterliegt?


3. Kommt Art. 63 Abs. 3 der Richtlinie 2001/83/EG unmittelbare Wirkung zu, so dass sich ein Wirtschaftsteilnehmer, der ein Arzneimittel aus einem anderen Mitgliedstaat nach Deutschland importieren möchte, vor den deutschen Gerichten gegenüber der beklagten Bundesrepublik Deutschland, die die Vorschrift nicht bzw. nicht vollständig in ihr nationales Recht umgesetzt hat, auf die Vorschrift berufen kann?


4. Stehen Art. 34 und 36 AEUV der Anwendung von Vorschriften des nationalen Rechts und des Unionsrechts, die die Kennzeichnung von Primärverpackungen mit bestimmten Mindestangaben in der Sprache des Einfuhrmitgliedstaats verlangen, auf ein parallel importiertes Arzneimittel entgegen, wenn eine zur Erfüllung dieser Kennzeichnungsvorgaben erforderliche Umetikettierung der Primärverpackung des parallel importierten Arzneimittels wegen einer damit einhergehenden wesentlichen Beeinträchtigung seiner Haltbarkeit nicht möglich ist?


BVerwG 3 C 9.23 - Beschluss vom 20. März 2025

Vorinstanzen:

VG Köln, VG 7 K 3695/15 - Urteil vom 31. Mai 2016 -

OVG Münster, OVG 9 A 1531/16 - Urteil vom 14. Dezember 2021 -


Beschluss vom 16.05.2023 -
BVerwG 3 B 11.22ECLI:DE:BVerwG:2023:160523B3B11.22.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 16.05.2023 - 3 B 11.22 - [ECLI:DE:BVerwG:2023:160523B3B11.22.0]

Beschluss

BVerwG 3 B 11.22

  • VG Köln - 31.05.2016 - AZ: 7 K 3695/15
  • OVG Münster - 14.12.2021 - AZ: 9 A 1531/16

In der Verwaltungsstreitsache hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 16. Mai 2023
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Philipp,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Liebler und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Hellmann
beschlossen:

  1. Die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen über die Nichtzulassung der Revision im Urteil vom 14. Dezember 2021 wird aufgehoben.
  2. Die Revision wird zugelassen.
  3. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt der Kostenentscheidung in der Hauptsache.
  4. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren vorläufig auf 50 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die zulässige Beschwerde der Klägerin ist begründet. Die Revision ist gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen. Sie wird voraussichtlich zur Klärung der Frage beitragen, ob und inwieweit der Inhaber einer arzneimittelrechtlichen Zulassung zum Inverkehrbringen eines Arzneimittels in Deutschland durch die Erteilung einer Zulassung des Parallelimports des Arzneimittels aus einem EU-/EWR-Mitgliedstaat in eigenen Rechten verletzt wird, wenn die Kennzeichnung des zu importierenden Arzneimittels nicht den Anforderungen des § 10 Abs. 8 Satz 3 AMG entspricht.

2 Die vorläufige Festsetzung des Streitwerts für das Revisionsverfahren beruht auf § 63 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 47 Abs. 1 und 3 und § 52 Abs. 1 GKG.
Rechtsbehelfsbelehrung
Das Beschwerdeverfahren wird als Revisionsverfahren unter dem Aktenzeichen BVerwG 3 C 9.23 fortgesetzt. Der Einlegung einer Revision durch die Beschwerdeführerin bedarf es nicht.
Die Revision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Beschlusses zu begründen. Die Begründung ist bei dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig einzureichen.
Für die Beteiligten besteht Vertretungszwang; dies gilt auch für die Begründung der Revision. Die Beteiligten müssen sich durch Bevollmächtigte im Sinne von § 67 Abs. 4 Satz 3 bis 6 VwGO, § 5 Nr. 6 Alt. 2 RDGEG vertreten lassen.

Beschluss vom 20.03.2025 -
BVerwG 3 C 9.23ECLI:DE:BVerwG:2025:200325B3C9.23.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 20.03.2025 - 3 C 9.23 - [ECLI:DE:BVerwG:2025:200325B3C9.23.0]

Beschluss

BVerwG 3 C 9.23

  • VG Köln - 31.05.2016 - AZ: 7 K 3695/15
  • OVG Münster - 14.12.2021 - AZ: 9 A 1531/16

In der Verwaltungsstreitsache hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 13. März 2025
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Philipp,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Kuhlmann,
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Rothfuß und Dr. Sinner und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Hellmann
am 20. März 2025
beschlossen:

  1. Das Verfahren wird ausgesetzt.
  2. Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden folgende Fragen zur Auslegung der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (ABl. L 311 S. 67) in der Fassung der Richtlinie 2012/26/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2012 zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG hinsichtlich der Pharmakovigilanz (ABl. L 299 S. 1) und der Art. 34 und 36 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) zur Vorabentscheidung gemäß Art. 267 AEUV vorgelegt:
    1. Finden die Kennzeichnungsvorgaben der Art. 54, 55 Abs. 3 und Art. 63 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83/EG auf ein Arzneimittel Anwendung, für das in einem Mitgliedstaat eine Genehmigung für das Inverkehrbringen erteilt wurde und dessen Einfuhr in einen anderen Mitgliedstaat im Verhältnis zu einem in diesem zweiten Mitgliedstaat bereits zugelassenen Arzneimittel einen Parallelimport darstellt?
    1. Ist Art. 63 Abs. 3 der Richtlinie 2001/83/EG dahingehend auszulegen, dass ein Arzneimittel nicht dazu bestimmt ist, direkt an den Patienten abgegeben zu werden, wenn es als Arzneimittel eingestuft ist, das der ärztlichen Verschreibungspflicht unterliegt?
    1. Kommt Art. 63 Abs. 3 der Richtlinie 2001/83/EG unmittelbare Wirkung zu, so dass sich ein Wirtschaftsteilnehmer, der ein Arzneimittel aus einem anderen Mitgliedstaat nach Deutschland importieren möchte, vor den deutschen Gerichten gegenüber der beklagten Bundesrepublik Deutschland, die die Vorschrift nicht bzw. nicht vollständig in ihr nationales Recht umgesetzt hat, auf die Vorschrift berufen kann?
    1. Stehen Art. 34 und 36 AEUV der Anwendung von Vorschriften des nationalen Rechts und des Unionsrechts, die die Kennzeichnung von Primärverpackungen mit bestimmten Mindestangaben in der Sprache des Einfuhrmitgliedstaats verlangen, auf ein parallel importiertes Arzneimittel entgegen, wenn eine zur Erfüllung dieser Kennzeichnungsvorgaben erforderliche Umetikettierung der Primärverpackung des parallel importierten Arzneimittels wegen einer damit einhergehenden wesentlichen Beeinträchtigung seiner Haltbarkeit nicht möglich ist?

Gründe

I

1 Der Rechtsstreit betrifft die Kennzeichnung eines parallel importierten Arzneimittels.

2 Die Klägerin ist Inhaberin der deutschen Zulassung des Arzneimittels ... Das verschreibungspflichtige Arzneimittel ist zur Behandlung des fortgeschrittenen Prostatakarzinoms indiziert. Es besteht aus einer mit 440 mg Lösungsmittel gefüllten Fertigspritze (Spritze A) und einer weiteren Fertigspritze, die mit 28,2 mg ... in Pulverform gefüllt ist (Spritze B). Zur Herstellung der fertigen Injektionslösung werden die Spritzen miteinander verschraubt und die in der Spritze A enthaltene Flüssigkeit wird in die Spritze B gedrückt. Die Spritzen liegen jeweils in einer thermoplastisch geformten Schalenverpackung, die mittels einer Folie verschlossen ist. Beide Schalenverpackungen befinden sich in einem Umkarton. Das Arzneimittel ist nur zum einmaligen Gebrauch bestimmt; nach den Angaben in der Packungsbeilage muss nach dem Öffnen der Schalenverpackung die Lösung unverzüglich zubereitet und verwendet werden.

3 Die Beigeladene beantragte im Jahr 2009 die Zulassung für das aus Italien nach Deutschland parallel importierte Arzneimittel ... Der Antrag nahm Bezug auf das bereits in der Bundesrepublik zugelassene Arzneimittel ... Die zuständige Behörde der beklagten Bundesrepublik, das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), erteilte der Beigeladenen im Juli 2010 die beantragte Zulassung. Im Jahr 2012 zeigte die Beigeladene an, das Arzneimittel ... zusätzlich auch aus Rumänien und Polen zu importieren. Im Juli 2014 beantragte sie - wiederum unter Bezugnahme auf das in Deutschland zugelassene Arzneimittel ... als Referenzarzneimittel - die Verlängerung der Zulassung für die parallel importierten Arzneimittel. Mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 8. September 2014 verlängerte das BfArM die Parallelimportzulassung. Der Bescheid enthält folgenden "Hinweis zum Wortlaut der für das Behältnis (Spritzen) vorgesehenen Angaben":
"Das Öffnen der die Spritze A bzw. die Spritze B umhüllenden Thermoschalen hat einen Einfluss auf die Haltbarkeit des Arzneimittels. Daher sollte der Parallelimporteur die Thermoschalen nicht öffnen, um die Spritzen gemäß § 10 Abs. 8 AMG zu kennzeichnen. Um in diesem Fall eine zweifelsfreie Identifizierung des Arzneimittels und der unterschiedlichen Spritzen A und B über die Spritzenbeschriftung zu gewährleisten, muss der Parallelimporteur mittels dokumentierter Stichproben (GMP) sicherstellen, dass sich grundsätzlich mindestens die nachfolgend genannten Angaben in lateinischer Schrift auf den Spritzen des parallel importierten Arzneimittels befinden:
- Bezeichnung des Arzneimittels und die Stärke

  • die Spritzenkennzeichnung A oder B, mittels der die zwei Spritzen eindeutig voneinander unterschieden werden können

- Chargenbezeichnung
- Verfalldatum."

4 Gegen diesen Bescheid hat die frühere Inhaberin der deutschen Zulassung, d. h. die Rechtsvorgängerin der jetzigen Klägerin, Widerspruch eingelegt und nach dessen Zurückweisung mit Bescheid vom 22. Mai 2015 Klage zum Verwaltungsgericht erhoben. Zur Begründung hat sie sich auf die Nichteinhaltung der Kennzeichnungsvorgaben nach § 10 Abs. 8 Satz 3 des deutschen Arzneimittelgesetzes (AMG) berufen. Das Verwaltungsgericht hat die Klage wegen Fehlens der Klagebefugnis als unzulässig abgewiesen. Während des Berufungsverfahrens hat die jetzige Klägerin den Erwerb der Zulassung von der früheren Klägerin angezeigt und die Führung des Prozesses übernommen. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung der Klägerin mit dem angegriffenen Urteil vom 14. Dezember 2021 zurückgewiesen. Die Klage sei zulässig, aber unbegründet. Ob die angefochtene Zulassung bzw. ihre Verlängerung wegen Nichteinhaltung von Kennzeichnungsvorgaben rechtswidrig sei, könne offen bleiben. Jedenfalls würde die Klägerin hierdurch nicht in eigenen Rechten verletzt. Die Kennzeichnungsvorschriften des § 10 Abs. 1 und 8 Satz 3 AMG bzw. des Art. 55 Abs. 3 der Richtlinie 2001/83/EG dienten nicht dem Schutz des Inhabers der Zulassung für das Referenzarzneimittel im Einfuhrmitgliedstaat, sondern allein der Information und dem Schutz der Patienten.

5 Mit ihrer Revision macht die Klägerin unter anderem geltend, der angegriffene Bescheid sei rechtswidrig, weil die Zulassung trotz Nichteinhaltung der Kennzeichnungsvorschriften des § 10 Abs. 8 Satz 3 AMG erteilt worden sei; hierdurch werde sie in ihren Rechten verletzt. Den Besonderheiten des Parallelimports entsprechend nehme die Zulassung Bezug auf ihre Zulassung für das in Deutschland bereits in Verkehr gebrachte (Original-)Arzneimittel. Das müsse sie nur dulden, wenn das parallel importierte Arzneimittel den Vorschriften des Arzneimittelgesetzes entspreche.

6 Die Beklagte und die Beigeladene verteidigen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts. Die Beklagte hält den angegriffenen Zulassungsbescheid zudem für rechtmäßig. Im Interesse des freien Warenverkehrs dürfe das BfArM dem Parallelimporteur in begründeten Ausnahmefällen gestatten, das Primärbehältnis nicht mit Angaben in deutscher Sprache zu versehen. Dies sei hier geschehen, da das Öffnen der Thermoschalen Einfluss auf die Haltbarkeit des Arzneimittels habe. § 10 Abs. 8 AMG sei dahin auszulegen, dass er in solchen Ausnahmefällen auf § 28 Abs. 1 AMG gestützte abweichende Maßgaben zulasse.

II

7 Das Verfahren ist auszusetzen und gemäß Art. 267 Abs. 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union einzuholen. Die Auslegung des für den Rechtsstreit entscheidungserheblichen Unionsrechts ist nicht derart offenkundig, dass keinerlei Raum für einen vernünftigen Zweifel bleibt (vgl. EuGH <GK>, Urteil vom 6. Oktober 2021 - C-561/19 [ECLI:​​EU:​​C:​​2021:​​291], Consorzio - Rn. 39).

8 Die zulässige Anfechtungsklage der Klägerin ist nach § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO begründet, wenn die der Beigeladenen erteilte Verlängerung der Zulassung rechtswidrig und die Klägerin hierdurch in eigenen Rechten verletzt ist. Ob die Zulassungsverlängerung rechtswidrig ist, kann ohne Klärung der vorgelegten Fragen nicht beantwortet werden.

9 1. Die Klägerin macht geltend, dass der Bescheid vom 8. September 2014, mit dem die im Jahr 2010 erteilte Zulassung verlängert wurde, rechtswidrig sei, weil der Beigeladenen mit ihm das Inverkehrbringen des aus Italien, Polen und Rumänien importierten Arzneimittels ... genehmigt wurde, obwohl die Kennzeichnung des jeweils importierten Arzneimittels den gesetzlichen Anforderungen nicht genüge.

10 Nach § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 des Gesetzes über den Verkehr mit Arzneimitteln (Arzneimittelgesetz - AMG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 12. Dezember 2005 (BGBl. I S. 3394), zum maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides zuletzt geändert durch das Erste Pflegestärkungsgesetz vom 17. Dezember 2014 (BGBl. I S. 2222), darf die Zulassung für ein Arzneimittel versagt werden, u. a. wenn das Inverkehrbringen des Arzneimittels gegen gesetzliche Vorschriften verstoßen würde. Nach § 31 Abs. 3 Satz 1 AMG ist in diesem Fall auch die Verlängerung einer Zulassung ausgeschlossen.

11 Als gesetzliche Vorschrift, gegen die das Inverkehrbringen des aus Italien, Polen und Rumänien parallel importierten Arzneimittels ... verstoßen könnte, kommt § 10 Abs. 1 und 8 Satz 3 AMG in Betracht. § 10 Abs. 1 AMG bestimmt unter anderem, dass Fertigarzneimittel im Geltungsbereich des Arzneimittelgesetzes - von hier nicht einschlägigen Ausnahmen abgesehen - nur in den Verkehr gebracht werden dürfen, wenn auf den Behältnissen und, soweit verwendet, auf den äußeren Umhüllungen bestimmte Pflichtangaben allgemeinverständlich in deutscher Sprache angegeben sind. § 10 Abs. 8 Satz 3 AMG reduziert die aufzuführenden Pflichtangaben u. a. für Behältnisse mit nicht mehr als 10 Milliliter Nennfüllmenge.

12 a) Der geltend gemachte Verstoß gegen die Kennzeichnungsvorgaben des § 10 Abs. 1 und 8 Satz 3 AMG führt nur dann zur Rechtswidrigkeit der der Beigeladenen erteilten Verlängerung der Zulassung, wenn die Kennzeichnungsanforderungen auch bei der Zulassung eines parallel importierten Arzneimittels bzw. ihrer Verlängerung Anwendung finden, d. h. wenn - wie hier - in einem Mitgliedstaat eine Genehmigung für das Inverkehrbringen des Arzneimittels erteilt wurde und seine Einfuhr in einen anderen Mitgliedstaat im Verhältnis zu einem in diesem zweiten Mitgliedstaat bereits zugelassenen Arzneimittel einen Parallelimport darstellt.

13 Der Wortlaut der Norm lässt die Frage offen; die Systematik des Arzneimittelgesetzes spricht für die Anwendung auch auf parallel importierte Arzneimittel. Fraglich ist aber, ob das Unionsrecht eine andere Auslegung gebietet. § 10 Abs. 1 und 8 Satz 3 AMG dienen der Umsetzung der Art. 54, 55 Abs. 3 und Art. 63 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (ABl. L 311 S. 67), hier maßgeblich in der Fassung der Richtlinie 2012/26/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2012 zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG hinsichtlich der Pharmakovigilanz (ABl. L 299 S. 1). Nach Art. 54 der Richtlinie 2001/83/EG muss die äußere Umhüllung oder - sofern nicht vorhanden - die Primärverpackung jedes Arzneimittels bestimmte Pflichtangaben aufweisen. Die Angaben sind nach Art. 63 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83/EG in einer Amtssprache bzw. in Amtssprachen des Mitgliedstaats abzufassen, in dem das Arzneimittel in Verkehr gebracht wird, wie von diesem Mitgliedstaat für die Zwecke dieser Richtlinie festgelegt. Nach Art. 55 Abs. 3 der Richtlinie 2001/83/EG müssen kleine Primärverpackungen, auf denen die in den Art. 54 und 62 genannten Angaben nicht möglich sind, mindestens folgende Angaben aufweisen: Name des Arzneimittels gemäß Art. 54 Buchst. a) und erforderlichenfalls Verabreichungsweg, Art der Verabreichung, Verfalldatum, Nummer der Herstellungscharge und Inhalt nach Gewicht, Volumen oder Einheiten.

14 Gegen die Anwendbarkeit der Vorschriften der Richtlinie 2001/83/EG könnte sprechen, dass nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union die Richtlinie nicht auf ein Arzneimittel angewandt werden kann, das in einem Mitgliedstaat zugelassen wurde und dessen Einfuhr in einen anderen Mitgliedstaat im Verhältnis zu einem in diesem zweiten Mitgliedstaat bereits zugelassenen Arzneimittel einen Parallelimport darstellt. Diese Situation fällt vielmehr unter die Bestimmungen des AEUV über den freien Warenverkehr (EuGH, Urteil vom 8. Oktober 2020 - C-602/19 [ECLI:​​EU:​​C:​​2020:​​804], kohlpharma - Rn. 25). Die Zulassung für das importierte Arzneimittel ist daher zu erteilen, wenn sich die zuständige Behörde des Einfuhrmitgliedstaats vergewissert hat, dass das parallel importierte Arzneimittel und das im Einfuhrmitgliedstaat zugelassene Arzneimittel, auch wenn sie nicht in allen Punkten identisch sind, zumindest nach der gleichen Formel und unter Verwendung des gleichen Wirkstoffs hergestellt worden sind, dass sie die gleichen therapeutischen Wirkungen haben und dass das eingeführte Arzneimittel im Hinblick auf die Qualität, die Wirksamkeit und die Unschädlichkeit keine Probleme aufwirft und sie davon überzeugt ist, dass das Importarzneimittel trotz des Bestehens von Unterschieden bei den Hilfsstoffen im Hinblick auf die Qualität, die Wirksamkeit und die Unschädlichkeit keine Probleme aufwirft (EuGH, Urteil vom 8. Oktober 2020 - C-602/19, kohlpharma - Rn. 27). Ob auch die Einhaltung der Kennzeichnungsvorgaben zu überprüfen ist, hatte der Gerichtshof bislang nicht zu entscheiden. Im Fall des Parallelimports eines Tierarzneimittels hat er allerdings keinen Grund gesehen, weshalb die strengen Bestimmungen der - zwischenzeitlich außer Kraft getretenen - Richtlinie 2001/82/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Tierarzneimittel (ABl. L 311 S. 1) bezüglich u. a. der Etikettierung und der Packungsbeilage im Fall des Parallelimports nicht anwendbar sein sollten (EuGH, Urteil vom 27. Oktober 2016 - C-114/15 [ECLI:​​EU:​​C:​​2016:​​813], Audace - Rn. 56). Für Humanarzneimittel dürfte insoweit aus Sicht des Senats nichts anderes gelten.

15 b) Wird die erste Frage bejaht, sind die Kennzeichnungsvorgaben also anwendbar, ist festzustellen, dass das aus Italien, Polen und Rumänien parallel importierte Arzneimittel ... den Vorgaben des § 10 Abs. 1 und 8 Satz 3 AMG nicht entspricht. Die Spritzen sind Behältnisse im Sinne des § 10 Abs. 1 AMG bzw. Primärverpackungen im Sinne der Art. 1 Nr. 23, Art. 55 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83/EG. Sie unterfallen der Vorschrift des § 10 Abs. 8 Satz 3 AMG, weil ausgehend vom Gewicht der Spritzenfüllungen ihre jeweilige Nennfüllmenge 10 Milliliter nicht übersteigt. Nach § 10 Abs. 1 und 8 Satz 3 AMG müssen auf derartigen Behältnissen in deutscher Sprache mindestens genannt werden

  • die Bezeichnung des Arzneimittels, gefolgt von der Angabe der Stärke und der Darreichungsform, und soweit zutreffend, dem Hinweis, dass es zur Anwendung für Säuglinge, Kinder oder Erwachsene bestimmt ist, es sei denn, dass diese Angaben bereits in der Bezeichnung enthalten sind (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Halbs. 1 AMG),
  • die Chargenbezeichnung, soweit das Arzneimittel in Chargen in den Verkehr gebracht wird, mit der Abkürzung "Ch.-B.", soweit es nicht in Chargen in den Verkehr gebracht werden kann, das Herstellungsdatum (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AMG),
  • der Inhalt nach Gewicht, Rauminhalt oder Stückzahl (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AMG),
  • die Art der Anwendung (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 AMG) und
  • das Verfalldatum mit dem Hinweis "verwendbar bis" (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 AMG).

16 Diese Angaben sind, was unstreitig ist, auf den Spritzen des parallel importierten Arzneimittels ... nicht vorhanden. Die Spritzen tragen keine Angaben in deutscher Sprache, insbesondere nicht die nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 AMG erforderliche Angabe "subkutane Anwendung".

17 c) Entscheidend ist damit, ob das BfArM von der Einhaltung der Kennzeichnungsvorgaben absehen durfte.

18 Mit seinem oben wiedergegebenen "Hinweis zum Wortlaut der für das Behältnis (Spritzen) vorgesehenen Angaben" hat das BfArM auf die von § 10 Abs. 8 Satz 3 AMG verlangte Angabe der Bestimmung des Arzneimittels für besondere Patientengruppen, des Inhalts nach Gewicht, Rauminhalt oder Stückzahl, der Art der Anwendung, der Bezeichnung "Ch-B." bei der Angabe der Chargenbezeichnung sowie des Hinweises "verwendbar bis" bei der Angabe des Verfalldatums verzichtet. Für die danach noch erforderliche Bezeichnung des Arzneimittels und seiner Stärke, die Chargenbezeichnung und das Verfalldatum hat es auf die Kennzeichnung in deutscher Sprache verzichtet.

19 Im nationalen Recht fehlt es hierfür an einer gesetzlichen Grundlage; insbesondere kann das Absehen von den Kennzeichnungsanforderungen nicht auf § 28 AMG gestützt werden. Es könnte aber von Art. 63 Abs. 3 der Richtlinie 2001/83/EG gedeckt sein.

20 aa) Art. 63 Abs. 3 der Richtlinie 2001/83/EG in der hier maßgeblichen Fassung lautet:
"Ist das Arzneimittel nicht dazu bestimmt, direkt an den Patienten abgegeben zu werden, oder bestehen hinsichtlich des Arzneimittels gravierende Verfügbarkeitsprobleme, so können die zuständigen Behörden vorbehaltlich von Maßnahmen, die sie zur Gewährleistung der menschlichen Gesundheit für notwendig halten, von der Verpflichtung absehen, dass die Etikettierung und die Packungsbeilage bestimmte Angaben aufweisen müssen. Sie können zudem ganz oder teilweise von der Verpflichtung absehen, dass die Etikettierung und die Packungsbeilage in einer Amtssprache bzw. in Amtssprachen des Mitgliedstaats abzufassen sind, in dem das Arzneimittel in den Verkehr gebracht wird, wie von diesem Mitgliedstaat für die Zwecke dieser Richtlinie festgelegt."

21 (1) Soweit das BfArM auf bestimmte Angaben vollständig verzichtet hat, könnte die Grundlage hierfür in Art. 63 Abs. 3 Satz 1 der Richtlinie 2001/83/EG zu finden sein. Der Verzicht auf die Verwendung der deutschen Sprache bei den verbleibenden Angaben könnte sich auf Art. 63 Abs. 3 Satz 2 der Richtlinie 2001/83/EG stützen. Voraussetzung hierfür ist - da Verfügbarkeitsprobleme nicht vorlagen –, dass das parallel importierte Arzneimittel ... im maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides nicht dazu bestimmt war, direkt an den Patienten abgegeben zu werden. Wie dieses Tatbestandsmerkmal auszulegen ist, kann nach Überzeugung des Senats nicht hinreichend klar beantwortet werden.

22 In Betracht kommt zunächst, dass ein Arzneimittel nicht dazu bestimmt ist, direkt an den Patienten abgegeben zu werden, wenn es als Arzneimittel eingestuft ist, das der ärztlichen Verschreibungspflicht unterliegt (vgl. Art. 70 ff. der Richtlinie 2001/83/EG). Für diese Auslegung spricht, dass Art. 63 Abs. 3 der Richtlinie 2001/83/EG in der Ursprungsfassung vom 6. November 2001 (ABl. L 311 S. 67) die Möglichkeit der Entbindung von bestimmten Kennzeichnungsanforderungen vorsah, "wenn das Arzneimittel nicht an den Patienten zur Selbstmedikation abgegeben werden soll". Der Begriff der Selbstmedikation beschreibt regelmäßig die Eigenbehandlung durch den Patienten mit Arzneimitteln ohne ärztliche Verschreibung. Ist ein Arzneimittel verschreibungspflichtig, wird es damit nicht zur Selbstmedikation in diesem Sinne abgegeben. Der Begriff der Selbstmedikation ist im Zuge der Änderung des Art. 63 Abs. 3 der Richtlinie 2001/83/EG durch die Richtlinie 2004/27/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (ABl. L 136 S. 34) entfallen. Ausführungen zu den Gründen finden sich nicht; dass der Unionsgesetzgeber lediglich eine sprachliche und keine inhaltliche Änderung vornehmen wollte, ist nicht auszuschließen. Sollte der neu eingefügte Begriff der direkten Abgabe eines Arzneimittels inhaltlich weiterhin im Sinne einer Abgabe zur Selbstmedikation zu verstehen sein, läge eine solche nicht vor, wenn der Abgabe an den Patienten eine ärztliche Verschreibung zugrunde liegt. Bei diesem Verständnis unterfiele das parallel importierte Arzneimittel ... der Bestimmung des Art. 63 Abs. 3 der Richtlinie 2001/83/EG, da es verschreibungspflichtig ist.

23 Es ist allerdings ebenfalls nicht auszuschließen, dass der Normgeber mit der Änderung des Art. 63 Abs. 3 der Richtlinie 2001/83/EG durch die Richtlinie 2004/27/EG eine inhaltliche Änderung vornehmen wollte. Hiervon ausgehend könnte ein Arzneimittel dann nicht zur direkten Abgabe an den Patienten bestimmt sein, wenn es dem Patienten nicht ausgehändigt wird, also nicht in seine Verfügungsgewalt gelangt. Für eine solche Auslegung spricht, dass der ursprüngliche Vorschlag der Kommission, vorgelegt am 26. November 2001, zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG (KOM<2001> 404 endg.; ABl. 2002 C 75 E S. 216) in der deutschen Sprachfassung die Möglichkeit der Entbindung von bestimmten Kennzeichnungsvorgaben für den Fall vorsah, dass "das Arzneimittel nicht an den Patienten abgegeben werden soll". Erst im weiteren Lauf des Gesetzgebungsverfahrens ist das Wort "direkt" eingefügt worden. Es erscheint erstmals im Gemeinsamen Standpunkt (EG) Nr. 61/2003, vom Rat festgelegt am 29. September 2003 (ABl. C 297 E S. 41); zu den Gründen finden sich keine Ausführungen. Eine entsprechende Änderung findet sich auch in der französischen Sprachfassung der Dokumente; hier sprach der ursprüngliche Kommissionsentwurf noch von "lorsque le médicament n’est pas destiné à être fourni au patient", während im Gemeinsamen Standpunkt die Vorschrift die Formulierung erhält "lorsque le médicament n'est pas destiné à être fourni directement au patient". Gleiches gilt für die italienische Sprachfassung der Dokumente, in denen es im ursprünglichen Entwurf hieß: "..., se il medicinale non è destinato ad essere fornito al paziente". Im Gemeinsamen Standpunkt ist der Halbsatz an den Anfang des Absatzes umgestellt und das Wort "direttamente" ergänzt: "Se il medicinale non è destinato ad essere fornito direttamente al paziente, ...". Demgegenüber lautete die englische Sprachfassung des Kommissionsvorschlags von Anfang an "when the product is not intended to be delivered directly to the patient". Wurde damit in der Ausgangsfassung des Kommissionsvorschlags die Formulierung der englischen Sprachfassung "delivered directly to the patient" in der deutschen Sprachfassung als "an den Patienten abgegeben" ausgedrückt, ist nicht auszuschließen, dass es sich bei der Einfügung der Worte "direkt" (und "directement" in der französischen sowie "direttamente" in der italienischen Sprachfassung) allein um eine sprachliche, nicht aber um eine inhaltliche Anpassung handelte. Wäre Art. 63 Abs. 3 der Richtlinie 2001/83/EG dahingehend zu verstehen, dass das Arzneimittel nicht dazu bestimmt sein darf, dem Patienten ausgehändigt zu werden, griffe die Vorschrift vorliegend nicht ein, denn das parallel importierte Arzneimittel ... kann nach § 43 AMG von der Apotheke an den Patienten ausgehändigt werden.

24 Schließlich kommt auch eine Auslegung in Betracht, nach der ein Arzneimittel dann nicht zur direkten Abgabe an den Patienten bestimmt ist, wenn es nicht dazu bestimmt ist, durch den Patienten selbst angewandt zu werden. Die Richtlinie 2001/83/EG unterscheidet zwar zwischen dem Abgeben als einer Tätigkeit im Rahmen des Vertriebs (vgl. u. a. Art. 1 Nr. 17, Art. 3 Nr. 2, Art. 70 ff.) und dem Anwenden des Arzneimittels, beispielsweise der oralen oder äußerlichen Anwendung (vgl. u. a. Art. 11 Nr. 4.2, Art. 14 Abs. 1, Art. 54 Buchst. a); zur Stützung dieser Auslegung kann aber die englische Sprachfassung der ursprünglichen Fassung des Art. 63 Abs. 3 der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. L 311 S. 67) herangezogen werden. Hiernach war ein Absehen von Kennzeichnungsanforderungen möglich, "when the product is not intended to be delivered to the patient for self-administration". Damit könnte die Bestimmung des Produkts gemeint gewesen sein, direkt zur Selbstanwendung an den Patienten abgegeben zu werden. Für dieses Verständnis spricht auch die italienische Sprachfassung ("... se il medicinale non è destinato ad essere fornito al paziente per l'autosomministrazione"). Ob dieses Begriffsverständnis zutreffend ist, hängt wiederum davon ab, inwieweit anzunehmen ist, dass der Normgeber mit der Wortlautänderung durch die Richtlinie 2004/27/EG eine inhaltliche Änderung herbeiführen wollte. Zudem wäre zu klären, wie sich die Begriffe "Selbstmedikation" (in der deutschen Sprachfassung der Ursprungsfassung der Richtlinie 2001/83/EG, s. o.) und "self-administration" (in der englischen Sprachfassung der Ursprungsfassung) sowie "autosomministrazione" (in der italienischen Sprachfassung der Ursprungsfassung) zueinander verhalten. Verstünde man die Voraussetzung des Art. 63 Abs. 3 der Richtlinie 2001/83/EG im genannten Sinne, so könnte das Absehen von den Kennzeichnungsvorschriften im vorliegenden Fall wohl nicht auf diese Vorschrift gestützt werden. Der im maßgeblichen Zeitpunkt dem BfArM vorliegende Entwurf der Packungsbeilage des parallel importierten Arzneimittels ... wies darauf hin, dass ... gewöhnlich vom Arzt oder vom Pflegepersonal verabreicht werde, die auch die Zubereitung der gebrauchsfertigen Lösung übernähmen. Falls der Patient die gebrauchsfertige Lösung selbst herstellen wolle, solle er sich vom Arzt genau erklären lassen, wie er vorgehen solle. Damit war das Arzneimittel auch dazu bestimmt - wenn auch eher im Ausnahmefall - vom Patienten selbst angewandt zu werden.

25 (2) Wird die zweite Frage bejaht, so unterfällt das parallel importierte Arzneimittel ... der Vorschrift des Art. 63 Abs. 3 der Richtlinie 2001/83/EG. Um im vorliegenden Verfahren zur Anwendung zu gelangen, müsste die Richtlinienbestimmung zudem unmittelbare Wirkung entfalten. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs kann sich der Einzelne in Fällen, in denen die Bestimmungen einer Richtlinie inhaltlich unbedingt und hinreichend genau sind, vor nationalen Gerichten gegenüber dem Staat auf diese Bestimmungen berufen, wenn dieser die Richtlinie nicht fristgemäß oder nur unzulänglich in das nationale Recht umgesetzt hat (stRspr, vgl. EuGH, Urteil vom 8. März 2022 - C-205/20 [ECLI:​​EU:​​C:​​2022:​​168], Bezirkshauptmannschaft Hartberg-Fürstenfeld - Rn. 17 m. w. N.). Ob dies auf Art. 63 Abs. 3 der Richtlinie 2001/83/EG zutrifft, kann nach Überzeugung des Senats nicht hinreichend klar beantwortet werden. Allerdings war die Frist für die Umsetzung der Vorschrift in der hier maßgeblichen Fassung der Änderung durch die Richtlinie 2012/26/EU vom 25. Oktober 2012 (ABl. L 299 S. 1), die nach deren Art. 2 Abs. 1 bis zum 28. Oktober 2013 lief, im hier maßgeblichen Zeitpunkt im Mai 2015 bereits abgelaufen, ohne dass der deutsche Gesetzgeber sie in nationales Recht umgesetzt hatte. Der Senat geht auch davon aus, dass es der unmittelbaren Anwendung der Vorschrift im vorliegenden Verfahren nicht entgegensteht, dass die Anwendung des Art. 63 Abs. 3 der Richtlinie 2001/83/EG nicht der Klägerin zugute käme. Zwar kann eine Richtlinie keine Verpflichtungen für einen einzelnen begründen, sondern nur Rechte (EuGH, Urteil vom 17. Juli 2008 - C-152/07 bis C-154/07 [ECLI:​​EU:​​C:​​2008:​​426], Arcos u. a. - Rn. 35); maßgeblich dürfte im vorliegenden Drittanfechtungsverfahren indes sein, dass die Beigeladene sich gegenüber der Beklagten auf Art. 63 Abs. 3 der Richtlinie 2001/83/EG berufen könnte. Es stellt sich aber die Frage, ob die Bestimmung inhaltlich unbedingt ist oder den Mitgliedstaaten lediglich die in ihr Ermessen gestellte Möglichkeit eröffnet, eine entsprechende Ausnahmevorschrift zu schaffen. Art. 63 Abs. 3 der Richtlinie 2001/83/EG richtet sich nicht an die Mitgliedstaaten, sondern an die zuständigen Behörden. Der deutsche Gesetzgeber scheint die Regelung im Sinne einer Option zu verstehen; so hat er bei der Einfügung des § 10 Abs. 1a AMG, mit dem Art. 63 Abs. 3 der Richtlinie 2001/83/EG im Jahr 2020 teilweise in deutsches Recht umgesetzt wurde, ausgeführt, er mache "von der Möglichkeit einer entsprechenden Regelung in Artikel 63 Abs. 3 der Richtlinie 2001/83/EG" Gebrauch (BT-Drs. 19/17155 S. 124).

26 bb) Werden die Fragen 2 und/​oder 3 verneint, könnte das Absehen von den Kennzeichnungsvorgaben des § 10 Abs. 1 und 8 Satz 3 AMG und der ihm zugrundeliegenden Richtlinienbestimmungen der Art. 54, 55 Abs. 3 und Art. 63 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83/EG dennoch gerechtfertigt sein, wenn Art. 34 und 36 AEUV der Anwendung der Kennzeichnungsvorschriften entgegenstünden. Der Senat geht davon aus, dass die Anwendung der Kennzeichnungsvorschrift im hier zu entscheidenden Fall als eine Maßnahme mit gleicher Wirkung wie mengenmäßige Beschränkungen im Sinne des Art. 34 AEUV anzusehen ist. Da die Öffnung der Tiefziehschalen, um die Spritzen so umzuetikettieren, dass ihre Beschriftung den Kennzeichnungsvorgaben entspricht, nach den den Senat nach § 137 Abs. 2 VwGO bindenden Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts die Haltbarkeit des Arzneimittels wesentlich beeinträchtigen würde und somit nicht möglich ist, würden die Kennzeichnungsvorschriften den Parallelimport von ... aus Italien, Polen und Rumänien ausschließen. Ob eine solche Beschränkung der Warenverkehrsfreiheit nach Art. 36 AEUV zum Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen gerechtfertigt ist, ist nach Überzeugung des Senats nicht hinreichend klar zu beantworten.

27 2. Die aufgeworfenen Fragen sind entscheidungserheblich. Von ihnen unabhängige Gründe für eine Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 8. September 2014 sind nicht ersichtlich. Ist die Verlängerung der Zulassung für das aus Italien, Polen und Rumänien parallel importierte Arzneimittel ... unter Nichterfüllung der Kennzeichnungsanforderungen nach § 10 Abs. 1 und 8 Satz 3 AMG rechtswidrig, so ist die Klägerin hierdurch, wie von § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO verlangt, in eigenen Rechten verletzt. Die Vorschriften über die Zulassung eines Arzneimittels sind in Verbindung mit den Kennzeichnungsvorgaben in § 10 Abs. 1 und 8 Satz 3 AMG auch dazu bestimmt, den Inhaber einer Arzneimittelzulassung davor zu schützen, dass unter Bezugnahme auf seine Zulassung das Inverkehrbringen eines parallel importierten Arzneimittels gestattet wird, dessen Primärverpackung nicht den Vorschriften entsprechend in deutscher Sprache gekennzeichnet ist.

28 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs folgt aus den Bestimmungen des AEUV, dass ein Wirtschaftsteilnehmer, der ein in einem Mitgliedstaat auf der Grundlage einer in diesem Staat erteilten Zulassung rechtmäßig vertriebenes Arzneimittel gekauft hat, dieses Arzneimittel in einen anderen Mitgliedstaat, in dem es bereits zugelassen ist, einführen kann, ohne eine Zulassung gemäß der Richtlinie 2001/83/EG beantragen zu müssen und ohne die in dieser Richtlinie vorgesehenen Angaben und Unterlagen für die Untersuchung der Wirksamkeit und der Unschädlichkeit des Arzneimittels beibringen zu müssen (stRspr, vgl. etwa EuGH, Urteil vom 8. Oktober 2020 - C-602/19, kohlpharma - Rn. 25 ff. m. w. N.). Die Zulassung für ein parallel importiertes Arzneimittel kann in einem vereinfachten Verfahren erteilt werden, wenn die zuständigen Behörden des Einfuhrmitgliedstaats infolge des erstmaligen Inverkehrbringens eines Erzeugnisses in diesem Mitgliedstaat bereits über die zum Schutz der öffentlichen Gesundheit erforderlichen Informationen verfügen (KOM<2003> 839 endg. S. 7 f.). Das vereinfachte Verfahren beschränkt sich im Wesentlichen auf die Überprüfung, ob zwischen dem Importarzneimittel und dem Bezugsarzneimittel therapeutisch relevante Unterschiede bestehen (Bundesgesundheitsministerium, Bekanntmachung über die Zulassung eines parallel importierten Arzneimittels im Rahmen eines vereinfachten Verfahrens vom 6. November 1995, BAnz 1996 S. 398). Die Bezugnahme auf das in der Bundesrepublik zugelassene Arzneimittel ermöglicht dem Importeur damit das Inverkehrbringen, ohne Nachweise über die Wirksamkeit und Unschädlichkeit des Arzneimittels vorlegen zu müssen. Der Inhaber der Zulassung des Bezugsarzneimittels muss das Anknüpfen des Parallelimporteurs an seine Zulassung und die damit verbundenen Erleichterungen des Parallelimports grundsätzlich hinnehmen. Er kann im Gegenzug aber verlangen, dass die Zulassung für das Importarzneimittel nur erteilt wird, wenn es den Anforderungen des § 10 Abs. 1 und 8 Satz 3 AMG entsprechend in deutscher Sprache gekennzeichnet ist. Die Kennzeichnungsvorschriften gelten zwar für alle Arzneimittel. Die hier fehlende Kennzeichnung der Behältnisse in deutscher Sprache ist jedoch Folge des Imports des Arzneimittels aus einem nicht deutschsprachigen Mitgliedstaat der Europäischen Union. Der spezifische Zusammenhang zwischen dem Parallelimport und dem Bezugsarzneimittel findet seinen Ausdruck auch in der Anzeigepflicht des Parallelimporteurs gegenüber dem Inhaber der Zulassung des Bezugsarzneimittels nach Art. 76 Abs. 3 der Richtlinie 2001/83/EG und § 67 Abs. 7 Satz 1 AMG. Das beschriebene vereinfachte Verfahren ist bei der Zulassung des parallel importierten Arzneimittels ... und der Verlängerung der Zulassung auch angewandt worden; Zulassungs- und Verlängerungsantrag der Beigeladenen nahmen jeweils Bezug auf das in der Bundesrepublik zugelassene Arzneimittel ...