Verfahrensinformation

Faktisches Kerngebiet und Wohnnutzung


Die Klägerin begehrt einen Bauvorbescheid für die Nutzung eines Geschäftsgebäudes in der Innenstadt der Beklagten als Spielhalle mit einer Gesamtfläche von ca. 150 m2 und 12 Spielgeräten. Die Beklagte lehnte den Antrag ab. Der nach erfolglosem Widerspruch erhobenen Klage gab das Verwaltungsgericht statt. Das Vorhaben sei nach § 34 Abs. 1 BauGB zulässig. Die maßgebliche nähere Umgebung entspreche keinem Baugebiet der Baunutzungsverordnung. Eine Einstufung als faktisches Kerngebiet scheide wegen der mehr als geringfügigen Wohnnutzung in der näheren Umgebung aus. Die Spielhalle füge sich aber ein, obwohl der vorhandene Rahmen überschritten werde. Städtebauliche Spannungen seien nicht zu erwarten. Eine negative Vorbildwirkung habe die Beklagte nicht konkret dargelegt.


Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und das Urteil im Ergebnis bestätigt. Allerdings sei das Vorhaben entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts gemäß § 34 Abs. 2 BauGB i. V. m. § 7 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO als Vergnügungsstätte zulässig. Die Eigenart der näheren Umgebung entspreche einem Kerngebiet im Sinne von § 7 BauNVO. Die nicht unerhebliche, aber noch untergeordnete Nutzung einiger Gebäude zum Wohnen stehe der Annahme eines Kerngebiets nicht entgegen, wenngleich die Wohnnutzung im vorhandenen Umfang in einem Kerngebiet nur aufgrund von Festsetzungen nach § 7 Abs. 4 BauNVO zulässig wäre.


Dagegen wendet sich die Beklagte mit ihrer vom Bundesverwaltungsgericht zugelassenen Revision.


Pressemitteilung Nr. 37/2025 vom 20.05.2025

Wohnnutzung und faktisches Kerngebiet

Bei einer mehr als unerheblichen Wohnnutzung in der näheren Umgebung des Vorhabengrundstücks scheidet die Annahme eines faktischen Kerngebiets aus. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute entschieden.


Die Klägerin begehrt einen Bauvorbescheid für die Nutzung eines Geschäftsgebäudes in der Innenstadt der Beklagten als Spielhalle. Die Beklagte lehnte den Antrag ab, der Widerspruch blieb erfolglos. Das Verwaltungsgericht gab der Klage gestützt auf § 34 Abs. 1 BauGB statt. Die Berufung der Beklagten wies das Oberverwaltungsgericht zurück. Das Vorhaben sei nach § 34 Abs. 2 BauGB i. V. m. § 7 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO als Vergnügungsstätte zulässig. Die Eigenart der näheren Umgebung entspreche einem Kerngebiet im Sinne von § 7 BauNVO. Die nicht unerhebliche, aber noch untergeordnete Wohnnutzung in der näheren Umgebung des Vorhabengrundstücks stehe dieser Einordnung nicht entgegen, obwohl sie im vorhandenen Umfang nur aufgrund von Festsetzungen in einem Bebauungsplan zulässig wäre.


Das Bundesverwaltungsgericht hat das Urteil aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückverwiesen. Die Auffassung des Oberverwaltungsgerichts, dass ein faktisches Kerngebiet auch bei einer nicht unerheblichen Wohnnutzung vorliegt, steht mit der Regelungssystematik der Baunutzungsverordnung und § 7 BauNVO nicht in Einklang. Die Verweisung in § 34 Abs. 2 Halbs. 1 BauGB auf die §§ 2 ff. BauNVO findet dort eine Grenze, wo die Baunutzungsverordnung eine planerische Entscheidung der Gemeinde vorsieht. Der Verordnungsgeber hat die Entscheidung darüber, ob die sonstige Wohnnutzung in einem Kerngebiet über Ausnahmen hinausgehen darf, der Gemeinde überlassen (§ 7 Abs. 2 Nr. 7, Abs. 4 BauNVO). Dieser Planvorbehalt darf bei der Einordnung als faktisches Kerngebiet nicht übergangen werden. Mangels hinreichender Tatsachenfeststellungen kann der Senat nicht abschließend entscheiden.


BVerwG 4 C 2.24 - Urteil vom 20. Mai 2025

Vorinstanzen:

VG Lüneburg, VG 2 A 404/18 - Urteil vom 03. Dezember 2020 -

OVG Lüneburg, OVG 1 LC 11/21 - Urteil vom 14. Dezember 2023 -


Beschluss vom 04.07.2024 -
BVerwG 4 B 6.24ECLI:DE:BVerwG:2024:040724B4B6.24.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 04.07.2024 - 4 B 6.24 - [ECLI:DE:BVerwG:2024:040724B4B6.24.0]

Beschluss

BVerwG 4 B 6.24

  • VG Lüneburg - 03.12.2020 - AZ: 2 A 404/18
  • OVG Lüneburg - 14.12.2023 - AZ: 1 LC 11/21

In der Verwaltungsstreitsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 4. Juli 2024
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Schipper,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Decker und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Stamm
beschlossen:

  1. Auf die Beschwerde der Beklagten wird die Entscheidung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts über die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil vom 14. Dezember 2023 aufgehoben.
  2. Die Revision wird zugelassen.
  3. Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
  4. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren vorläufig auf 75 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die Beschwerde der Beklagten ist zulässig und begründet. Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen. Das Revisionsverfahren kann voraussichtlich zur Klärung der Frage beitragen, ob eine mehr als nur unerhebliche, aber noch untergeordnete Wohnnutzung der Annahme eines faktischen Kerngebiets (§ 34 Abs. 2 BauGB i. V. m § 7 BauNVO) entgegensteht.

2 Die vorläufige Streitwertfestsetzung für das Revisionsverfahren beruht auf § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1 und § 63 Abs. 1 Satz 1 GKG.

Rechtsbehelfsbelehrung


Das Beschwerdeverfahren wird als Revisionsverfahren unter dem Aktenzeichen BVerwG 4 C 2.24 fortgesetzt. Der Einlegung einer Revision durch den Beschwerdeführer bedarf es nicht.
Die Revision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Beschlusses zu begründen. Die Begründung ist bei dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig einzureichen.
Für die Beteiligten besteht Vertretungszwang; dies gilt auch für die Begründung der Revision. Die Beteiligten müssen sich durch Bevollmächtigte im Sinne von § 67 Abs. 4 Satz 3 bis 6 VwGO, § 5 Nr. 6 Alt. 2 RDGEG vertreten lassen.