Beschluss vom 01.02.2011 -
BVerwG 1 WB 40.10ECLI:DE:BVerwG:2011:010211B1WB40.10.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 01.02.2011 - 1 WB 40.10 - [ECLI:DE:BVerwG:2011:010211B1WB40.10.0]

Beschluss

BVerwG 1 WB 40.10

In dem Wehrbeschwerdeverfahren hat der 1. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch
den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Golze,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Frentz,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Langer,
den ehrenamtlichen Richter Oberstleutnant Held und
den ehrenamtlichen Richter Leutnant Kress
am 1. Februar 2011 beschlossen:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

II

18 Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat keinen Erfolg.

19 Der Antrag ist zwar zulässig. Die Feststellung eines Sicherheitsrisikos gemäß § 14 Abs. 3 SÜG kann nach ständiger Rechtsprechung des Senats durch einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung vor den Wehrdienstgerichten mit dem Ziel der Aufhebung des entsprechenden Bescheides angefochten werden (vgl. Beschlüsse vom 24. Mai 2000 - BVerwG 1 WB 25.00 - BVerwGE 111, 219 = Buchholz 402.8 § 5 SÜG Nr. 9, vom 20. Januar 2009 - BVerwG 1 WB 22.08 - m.w.N. sowie zuletzt vom 14. Dezember 2010 - BVerwG 1 WB 13.10 -).

20 Der Antrag ist jedoch unbegründet. Der Bescheid des Geheimschutzbeauftragten beim Streitkräfteamt vom 10. August 20.. ist rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seine Rechten. Die Entscheidung, dass die erweiterte Sicherheitsüberprüfung Umstände ergeben hat, die im Hinblick auf eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit ein Sicherheitsrisiko darstellen, ist inhaltlich nicht zu beanstanden.

21 Die Überprüfung von Angehörigen der Bundeswehr auf Sicherheitsbedenken ist eine vorbeugende Maßnahme, die Sicherheitsrisiken nach Möglichkeit ausschließen soll (stRspr; vgl. Beschluss vom 11. März 2008 - BVerwG 1 WB 37.07 - BVerwGE 130, 291 <293 f.> = Buchholz 402.8 § 14 SÜG Nr. 14 m.w.N.). Die Beurteilung des Sicherheitsrisikos, die zugleich eine Prognose der künftigen Entwicklung der Persönlichkeit des Soldaten und seiner Verhältnisse darstellt, darf sich dabei nicht auf eine vage Vermutung oder eine rein abstrakte Besorgnis stützen, sondern muss auf der Grundlage tatsächlicher Anhaltspunkte getroffen werden. Dabei gibt es keine „Beweislast“, weder für den Soldaten dahingehend, dass er die Sicherheitsinteressen der Bundeswehr bisher gewahrt hat und künftig wahren wird, noch für die zuständige Stelle, dass der Soldat diesen Erwartungen nicht gerecht geworden ist oder ihnen zukünftig gerecht werden wird (stRspr; vgl. Beschlüsse vom 18. Oktober 2001 - BVerwG 1 WB 54.01 - Buchholz 402.8 § 5 SÜG Nr. 11 und zuletzt vom 14. Dezember 2010 - BVerwG 1 WB 13.10 -; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 22. Mai 1975 - 2 BvL 13/73 - BVerfGE 39, 334 <343>).

22 Dem Geheimschutzbeauftragten steht bei der ihm hiernach obliegenden Entscheidung ein Beurteilungsspielraum zu. Die gerichtliche Kontrolle beschränkt sich darauf, ob der Geheimschutzbeauftragte von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, den anzuwendenden Begriff oder den gesetzlichen Rahmen, in dem er sich frei bewegen kann, verkannt, allgemeingültige Wertmaßstäbe nicht beachtet, sachfremde Erwägungen angestellt oder gegen Verfahrensvorschriften verstoßen hat (vgl. Beschlüsse vom 22. Juli 2009 - BVerwG 1 WB 53.08 - und vom 14. Dezember 2010 - BVerwG 1 WB 13.10 -).

23 Die Feststellung des Geheimschutzbeauftragten beim Streitkräfteamt, dass in der Person des Antragstellers ein Sicherheitsrisiko vorliegt, hält diese Grenzen des Beurteilungsspielraums ein.

24 1. Der Geheimschutzbeauftragte ist nicht von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen.

25 Der Sachverhalt, den der Geheimschutzbeauftragte seiner Entscheidung als sicherheitserheblichen Umstand zugrunde gelegt hat, wird als solcher vom Antragsteller in den für die Entscheidung wesentlichen Punkten nicht bestritten, sondern lediglich abweichend bewertet. Danach ist der Antragsteller wegen eines Dienstvergehens rechtskräftig vom Truppendienstgericht zu einem Beförderungsverbot für die Dauer von 30 Monaten sowie einer Kürzung seiner Dienstbezüge für die Dauer von 10 Monaten verurteilt worden. Grundlage für diese Verurteilung war die Tatsache, dass der Antragsteller in der Zeit vom 1. Juli 20.. bis zum 21. Januar 20.. eine nicht genehmigte Nebentätigkeit im Bereich der Beratung und des Vertriebs von Finanz- und Versicherungsdienstleistungen für eine private Firma ausgeübt hat, wobei er von der Firma Provisionszahlungen in Höhe von mindestens 13 144,93 € erhielt.

26 2. Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, dass der Geheimschutzbeauftragte auf der Grundlage dieses Sachverhalts das Vorliegen eines Sicherheitsrisikos angenommen hat. Er hat mit dieser Einschätzung weder den anzuwendenden Begriff oder den gesetzlichen Rahmen, in dem er sich frei bewegen kann, verkannt noch allgemein gültige Wertmaßstäbe nicht beachtet oder sachfremde Erwägungen angestellt.

27 Der Geheimschutzbeauftragte hat in erster Linie tatsächliche Anhaltspunkte für Zweifel an der Zuverlässigkeit des Antragstellers bei der Wahrnehmung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit (§ 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SÜG, Nr. 2414 Satz 1 Nr. 1 ZDv 2/30) in dem unter Verstoß gegen den Erlass über die Nebentätigkeit von Beamten, Arbeitnehmern, Berufssoldaten und Soldaten auf Zeit (VMBl 1999, 190, VMBl 1987, 342) begangenen und vom Truppendienstgericht rechtskräftig festgestellten Dienstvergehen gesehen. Ausweislich des rechtskräftigen Disziplinargerichtsbescheids war der Antragsteller am 27. September 20.. aktenkundig über die Erlasslage belehrt worden. Außerdem verstieß der Antragsteller gegen den ihm nach den Feststellungen des Truppendienstgerichts inhaltlich bekannten Studentenfachbereichsbefehl 02/05 über die Nebentätigkeit von Berufssoldaten und Soldaten auf Zeit des Studentenfachbereichs C vom 8. September 2005, der im Daueraushang am Schwarzen Brett einzusehen war und über den er am 19. Januar 20.. erneut belehrt worden war.

28 Nach ständiger Rechtsprechung des Senats können sich tatsächliche Anhaltspunkte, die nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SÜG, Nr. 2414 Satz 1 Nr. 1 ZDv 2/30 Zweifel an der Zuverlässigkeit des Betroffenen bei der Wahrnehmung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit und damit ein Sicherheitsrisiko begründen, u.a. daraus ergeben, dass der Betroffene ein Dienstvergehen begangen hat, das auch ohne speziellen Bezug zu Geheimhaltungsbestimmungen ein gestörtes Verhältnis zur Rechtsordnung erkennen lässt (vgl. Beschlüsse vom 5. November 2005 - BVerwG 1 WB 19.05 - Buchholz 402.8 § 5 SÜG Nr. 19, vom 24. Januar 2006 - BVerwG 1 WB 17.05 - Buchholz 402.8 § 5 SÜG Nr. 20 = NZWehrr 2006, 153 und vom 14. Dezember 2010 - BVerwG 1 WB 13.10 -). In Übereinstimmung hiermit nennt Hinweis Nr. 9 zu Nr. 2414 Satz 1 Nr. 1 ZDv 2/30 (Anlage C 18) als Beispiel für entsprechende Anhaltspunkte Verstöße des Betroffenen gegen Dienstpflichten. Nicht nur, aber gerade auch im Umgang mit geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen, muss sich die militärische Führung auf die strikte Einhaltung bestehender Befehle, Weisungen und sonstiger Regelungen, auf die Richtigkeit abgegebener Meldungen, Erklärungen und Aussagen sowie auf die unaufgeforderte Erfüllung von Meldepflichten jederzeit und grundsätzlich ohne weitere Nachprüfung verlassen können. Es begegnet deshalb keinen rechtlichen Bedenken, dass der Geheimschutzbeauftragte die Zweifel an der Zuverlässigkeit des Antragstellers als Geheimnisträger mit dem beschriebenen Verstoß gegen die Erlass- und Befehlslage begründet hat.

29 3. Im Ergebnis nicht zu beanstanden ist ferner die vom Geheimschutzbeauftragten getroffene Prognose der künftigen Entwicklung der Persönlichkeit des Antragstellers und seiner Verhältnisse (vgl. zum prognostischen Element in der Feststellung eines Sicherheitsrisikos Beschlüsse vom 8. März 2007 - BVerwG
1 WB 63.06 -, vom 27. September 2007 - BVerwG 1 WDS-VR 7.07 - Buchholz 402.8 § 14 SÜG Nr. 13 und vom 11. März 2008 - BVerwG 1 WB 37.07 - BVerwGE 130, 291 <296 ff.> = Buchholz 402.8 § 14 SÜG Nr. 14).

30 Im Zeitpunkt der Entscheidung des Geheimschutzbeauftragten lag die Beendigung des Dienstvergehens erst etwa 1 1/2 Jahre zurück. Ein so kurzer Zeitraum ist nicht geeignet, die Prognose zu rechtfertigen, der Betroffene werde sich trotz des festgestellten Dienstvergehens mit Sicherheit künftig so verhalten, dass es gerechtfertigt wäre, ihn weiterhin im sicherheitsempfindlichen Bereich einzusetzen. Dies gilt auch in dem für die gerichtliche Kontrolle maßgeblichen Zeitpunkt (vgl. dazu Beschluss vom 11. März 2008 a.a.O. Rn. 31 ff.) der Vorlage durch den Bundesminister der Verteidigung. Auch der Zeitraum von zwei Jahren und acht Monaten, in dem sich der Antragsteller keinen weiteren Verstoß gegen Dienstpflichten hat zuschulden kommen lassen und in dem er sich stattdessen insbesondere bei seinem Auslandseinsatz besonders bewährt hat, vermag nach Ansicht des Geheimschutzbeauftragten und des Bundesministers der Verteidigung die sich aus dem ausschließlich aus eigennützigen Motiven (zusätzlicher Gelderwerb) begangenen Dienstvergehen ergebenden Sicherheitsbedenken noch nicht mit der erforderlichen Sicherheit für die Zukunft auszuschließen.

31 Diese Einschätzung des Sicherheitsrisikos begegnet keinen rechtlichen Bedenken; sie genügt den Anforderungen an die Prognoseentscheidung und lässt keine fehlerhaften oder sachfremden Erwägungen erkennen, die den Beurteilungsspielraum überschreiten würden. Die prognostische Bewertung begründet auch keine Verletzung des Verhältnismäßigkeitsprinzips als eines allgemeinen Wertmaßstabes. Vielmehr darf von einem Betroffenen noch über eine längere Zeit eine Bewährung abverlangt werden, die belegt, dass eine Verhaltensänderung eingetreten ist, die auch eine nachhaltige Bestätigung finden und von Bestand sein wird (vgl. Beschlüsse vom 20. Januar 2009 - BVerwG 1 WB 22.08 -, vom 21. Juli 2010 - BVerwG 1 WB 68.09 - NZWehrr 2010, 254 und vom 21. Oktober 2010 - BVerwG 1 WB 16.10 -). Nicht zu beanstanden ist, dass sich die Entscheidung dabei grundsätzlich an der Fünfjahresfrist der Nr. 2710 Abs. 2 Satz 1 ZDv 2/30 orientiert.

32 Eine für den Antragsteller günstigere Prognose oder eine Verkürzung des Zeitraums bis zu einer erneuten Sicherheitsüberprüfung war auch nicht deshalb geboten, weil sich der Antragsteller während des Auslandseinsatzes von Januar bis Juni 2009 besonders bewährt hat. Seine nicht näher belegte Behauptung, er sei während dieser Zeit auch im sicherheitsempfindlichen Bereich eingesetzt worden, hat der Bundesminister der Verteidigung nach erneuter Überprüfung ausdrücklich bestritten und darauf hingewiesen, dass der Antragsteller während des Auslandseinsatzes seine Tätigkeit wegen der fehlenden Sicherheitsüberprüfung nur eingeschränkt habe ausüben können und für ihn insbesondere Zutrittsbeschränkungen gegolten hätten. Dem ist der Antragsteller nicht entgegengetreten.

33 Im Übrigen entspricht es auch der Rechtsprechung des Senats, dass der dienstrechtliche Begriff der Zuverlässigkeit und der entsprechende Begriff im Rahmen des Sicherheitsüberprüfungsgesetzes nicht deckungsgleich sind. Die Einschätzung eines Dienstvorgesetzten vermag grundsätzlich die allein dem Geheimschutzbeauftragten übertragene Entscheidung über das Bestehen eines Sicherheitsrisikos nicht in Frage zu stellen (vgl. Beschluss vom 21. Juli 2010 - BVerwG 1 WB 68.09 - NZWehrr 2010, 254 = DokBer 2010, 327).

34 4. Rechtmäßig ist schließlich, dass der Geheimschutzbeauftragte die Feststellung eines Sicherheitsrisikos auf die Verwendung des Antragstellers in einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit der Überprüfungsart Ü 1 (Verschlusssachenschutz) erstreckt hat. Für die Beurteilung der Zuverlässigkeit des Antragstellers und die Risikoeinschätzung ergeben sich im vorliegenden Fall insoweit keine von der erweiterten Sicherheitsüberprüfung (Ü 2) abweichenden Gesichtspunkte.

35 5. Weitere Einwände gegen die Entscheidung des Geheimschutzbeauftragten, wie etwa eine Verletzung von Verfahrensvorschriften, sind weder geltend gemacht noch sonst ersichtlich.