Beschluss vom 01.10.2025 -
 BVerwG 3 AV 1.25ECLI:DE:BVerwG:2025:011025B3AV1.25.0
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    ZitiervorschlagBVerwG, Beschluss vom 01.10.2025 - 3 AV 1.25 - [ECLI:DE:BVerwG:2025:011025B3AV1.25.0] 
Beschluss
BVerwG 3 AV 1.25
- VG Kassel - 26.06.2025 - AZ: 3 K 392/25.KS
In der Verwaltungsstreitsache hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 1. Oktober 2025 durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Philipp, die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Kuhlmann und den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Sinner beschlossen:
Als zuständiges Gericht wird das Amtsgericht Fulda bestimmt.
Gründe
I
              1
                              
                                                          Die Klägerin betreibt eine Reitschule. Nach Ablauf einer befristeten Erlaubnis des Reitbetriebs nach § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 Buchst. c TierSchG bestand zwischen den Beteiligten Streit, ob der Reitbetrieb weiter zu erlauben war. Nach einer Untersagung des Betriebs wurden gegen die Klägerin Zwangsgelder festgesetzt und unter dem 30. November 2022 ein Bußgeldbescheid erlassen. Zwei die Erlaubnis nach § 11 TierSchG betreffende verwaltungsgerichtliche Verfahren endeten im Juli 2023 mit einem vor dem Verwaltungsgericht Kassel geschlossenen Vergleich, in dem es unter anderem heißt:
                                                        
                
                                                          "3. Nach Eingang des vollständigen Betriebskonzeptes verpflichtet sich der Beklagte, den Bescheid vom 26. September 2022 aufzuheben und den Antrag auf Erlaubniserteilung vom 9. August 2022 erneut zu prüfen und innerhalb der gesetzlichen Frist zu bescheiden. Für die Dauer von vier Wochen nach Vergleichsschluss sowie ab Eingang des vollständigen Betriebskonzeptes und bis zur Bescheidung des Antrags verpflichtet sich der Beklagte, keine Vollstreckungsmaßnahmen aus dem Bescheid vom 28. März 2022 zu veranlassen und bereits festgesetzte Zwangsgelder nicht beizutreiben. Für den Fall, dass die Erlaubnis erteilt wird, verpflichtet sich der Beklagte, den Bescheid vom 28. März 2022 und die bereits erfolgten Zwangsgeldfestsetzungen aufzuheben."
                                                        
                                          
2 Der Beklagte hat mit Schreiben vom 28. Oktober 2024 Vollstreckungsmaßnahmen aus dem Bußgeldbescheid angekündigt.
3 Am 26. Februar 2025 hat die Klägerin bei dem Verwaltungsgericht Kassel Klage erhoben und mit ihrem Hauptantrag begehrt, die Vollstreckung aus dem Bußgeldbescheid des Beklagten vom 30. November 2022 für unzulässig zu erklären. Hilfsweise hat sie beantragt, ihr "betreffend des Bußgeldbescheides" Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
4 Mit Beschluss vom 17. März 2025 hat das Verwaltungsgericht Kassel den Verwaltungsrechtsweg für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Amtsgericht Fulda verwiesen. Das Amtsgericht sei gemäß § 103 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 68 Abs. 1 Satz 1 OWiG für Entscheidungen über Einwendungen gegen die Zulässigkeit der Vollstreckung eines Bußgeldbescheides zuständig.
5 Das Amtsgericht Fulda hat den Vorgang mit Beschluss vom 3. Juni 2025 an das Verwaltungsgericht Kassel zurückgesandt. Der Verweisungsbeschluss des Verwaltungsgerichts entfalte keine Bindungswirkung, da er willkürlich sei. Ihm sei nicht zu entnehmen, ob die Verweisung an das Zivil-, das Straf- oder eines der anderen Gerichte des Amtsgerichts erfolgen solle. Eine Zuständigkeit des Strafgerichts sei nicht gegeben. Die Klägerin habe keinen Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen eine Entscheidung der Verwaltungsbehörde gestellt. Erst nach einer Entscheidung der Verwaltungsbehörde könne durch die Vorlage der Bußgeldakte an das Gericht eine Zuständigkeit des Bußgeldrichters begründet werden; anderenfalls verliere die Klägerin eine Instanz.
6 Mit Beschluss vom 26. Juni 2025 hat das Verwaltungsgericht Kassel das Verfahren dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung über den zulässigen Rechtsweg vorgelegt.
7 Die Klägerin hält den Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten für eröffnet, der Beklagte den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten.
II
8 Als sachlich zuständiges Gericht für die Entscheidung über den Antrag der Klägerin, die Vollstreckung aus dem Bußgeldbescheid des Landkreises Fulda vom 30. November 2022 für unzulässig zu erklären, wird das Amtsgericht Fulda bestimmt.
9 1. Das Bundesverwaltungsgericht ist für die Entscheidung im negativen Kompetenzkonflikt zwischen dem Verwaltungsgericht Kassel und dem Amtsgericht Fulda sachlich zuständig. Diese Zuständigkeit ergibt sich aus einer entsprechenden Anwendung von § 53 Abs. 1 Nr. 5 und Abs. 3 Satz 1 VwGO. Auf den Kompetenzkonflikt zwischen einem Verwaltungsgericht und einem Amtsgericht ist § 53 Abs. 1 Nr. 5 VwGO, wonach ein negativer Kompetenzkonflikt zwischen Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit von dem Gericht entschieden wird, das den beteiligten Gerichten übergeordnet ist, nicht unmittelbar anwendbar; auch ansonsten gibt es für die Auflösung des Kompetenzkonflikts keine gesetzliche Regelung. Die bestehende Regelungslücke ist - in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung der anderen obersten Gerichtshöfe des Bundes - in der Weise zu schließen, dass dasjenige oberste Bundesgericht den negativen Kompetenzkonflikt zwischen Gerichten verschiedener Gerichtszweige entscheidet, das einem der beteiligten Gerichte übergeordnet ist und zuerst angegangen wird (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 29. Dezember 2021 - 3 AV 1.21 - NVwZ 2022, 421 Rn. 6 und vom 6. Januar 2025 - 6 AV 3.24 - NVwZ 2025, 433 Rn. 7; BGH, Beschluss vom 26. Juli 2001 - X ARZ 69/01 - NJW 2001, 3631 <3632>; BSG, Beschluss vom 16. September 2009 - B 12 SF 7/09 S - juris Rn. 3).
10 2. Die sachliche Zuständigkeit des Amtsgerichts Fulda für die Entscheidung über den Antrag der Klägerin, die Vollstreckung aus dem Bußgeldbescheid des Landkreises Fulda vom 30. November 2022 für unzulässig zu erklären, ergibt sich aus dem Verweisungsbeschluss des Verwaltungsgerichts Kassel vom 17. März 2025. Der Beschluss ist gemäß § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG hinsichtlich des Rechtswegs bindend. Die Bindungswirkung tritt auch bei einem fehlerhaften Verweisungsbeschluss ein, etwa wenn der Rechtsweg zu dem verweisenden Gericht entgegen dessen Rechtsauffassung gegeben war (BVerwG, Beschlüsse vom 29. Dezember 2021 - 3 AV 1.21 - NVwZ 2022, 421 Rn. 11 und vom 6. Januar 2025 - 6 AV 3.24 - NVwZ 2025, 433 Rn. 9, jeweils m. w. N.). Mit Rücksicht auf die in § 17a GVG eröffnete, hier ungenutzt gebliebene Möglichkeit, einen Verweisungsbeschluss in dem in § 17a Abs. 4 Satz 3 bis 6 GVG vorgesehenen Instanzenzug überprüfen zu lassen, kann die gesetzliche Bindungswirkung eines unanfechtbaren Verweisungsbeschlusses allenfalls bei extremen Rechtsverstößen durchbrochen werden. Ein solcher Fall ist gegeben, wenn sich die Verweisung bei der Auslegung und Anwendung der Zuständigkeitsnormen so weit von dem verfassungsrechtlichen Grundsatz des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) entfernt hat, dass sie nicht mehr zu rechtfertigen ist. Hiervon kann nur ausgegangen werden, wenn die Entscheidung bei verständiger Würdigung nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 23. April 2021 - 8 AV 1.21 - juris Rn. 7, vom 29. Dezember 2021 - 3 AV 1.21 - NVwZ 2022, 421 Rn. 11 und vom 6. Januar 2025 - 6 AV 3.24 - NVwZ 2025, 433 Rn. 10, jeweils m. w. N.).
11 Das ist hier nicht der Fall, denn die Verweisung an das Amtsgericht Fulda ist in der Sache zutreffend. Jedenfalls beruht sie nicht auf einem extremen Rechtsverstoß im dargelegten Sinne.
12 a) Über Einwendungen, die sich - wie von der Klägerin in ihrer Klageschrift geltend gemacht - gegen die Zulässigkeit der Vollstreckung einer Bußgeldentscheidung insgesamt richten, entscheidet nach § 103 Abs. 1 Nr. 1 OWiG das Gericht. Das ist, wenn wie hier ein Bußgeldbescheid zu vollstrecken ist, nach § 68 Abs. 1 Satz 1 OWiG das Amtsgericht, in dessen Bezirk die Verwaltungsbehörde ihren Sitz hat. Insoweit gilt nichts Anderes als für die bei der Vollstreckung notwendig werdenden Entscheidungen (vgl. § 104 Abs. 1 Nr. 1 OWiG). Der Verwaltungsrechtsweg ist ausgeschlossen (vgl. Bauer, in: Göhler, OWiG, 19. Aufl. 2024, § 68 Rn. 27). Im Fall der Klägerin ist das Amtsgericht Fulda zuständig, da der beklagte Landkreis Fulda ausweislich seiner Vollstreckungsankündigung vom 28. Oktober 2024 die Vollstreckung des Bußgeldbescheides vom 30. November 2022 zu betreiben beabsichtigt. Die Zuständigkeit innerhalb des Amtsgerichts ist - entgegen den Ausführungen im Beschluss des Amtsgerichts Fulda vom 3. Juni 2025 - durch dieses von Amts wegen zu bestimmen.
13 b) Einwendungen gegen die Vollstreckung sind zwar zunächst gegenüber der Vollstreckungsbehörde zu erheben oder ihr zuzuleiten, da sie abhelfen kann. Wenn sie nicht abhilft, legt sie die Sache dem Gericht vor (Mitsch, in: Karlsruher Kommentar OWiG, 5. Aufl. 2018, § 103 Rn. 15). Sollte hier die Vollstreckungsbehörde mit den Einwendungen der Klägerin noch nicht befasst worden sein, änderte das indes nichts an der Zuständigkeit des Amtsgerichts, über die Einwendungen gegen die Vollstreckung zu entscheiden. Die Abhilfemöglichkeit ist - worauf das Verwaltungsgericht Kassel in seinem Schreiben an das Amtsgericht Fulda vom 13. Mai 2025 zutreffend hingewiesen hat - nicht für den Rechtsweg relevant, sondern für das vom zuständigen Gericht durchzuführende Verfahren und gegebenenfalls dessen Zulässigkeit.
 
                