Beschluss vom 03.09.2018 -
BVerwG 1 B 41.18ECLI:DE:BVerwG:2018:030918B1B41.18.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 03.09.2018 - 1 B 41.18 - [ECLI:DE:BVerwG:2018:030918B1B41.18.0]

Beschluss

BVerwG 1 B 41.18

  • VG Braunschweig - 21.09.2016 - AZ: VG 5 A 319/15
  • OVG Lüneburg - 04.04.2018 - AZ: OVG 10 LB 96/17

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 3. September 2018
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Berlit und die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Fricke und Dr. Rudolph
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 4. April 2018 wird verworfen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1 Die Beschwerde, mit der Verfahrensmängel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) geltend gemacht werden, bleibt ohne Erfolg.

2 1. Eine Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes bzw. des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) ist nicht dargetan.

3 1.1 Die Grundsätze der Sachverhalts- und Beweiswürdigung sind in aller Regel revisionsrechtlich dem sachlichen Recht zuzuordnen (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Januar 1990 - 4 C 28.89 - BVerwGE 84, 271 <272>). Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung ("Überzeugungsgrundsatz") im Sinne von § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO betrifft die Feststellung aller für die Entscheidung des Gerichts erheblichen Tatsachen und deren "freie Würdigung". Umfasst sind insbesondere die ausreichende Erforschung und Würdigung der tatsächlichen Entscheidungsgrundlagen, wie etwa des Akteninhalts, des Vortrags der Beteiligten, eingeholter Auskünfte oder gerichtskundiger Tatsachen (BVerwG, Beschluss vom 30. Juni 2003 - 4 B 35.03 - Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 26 S. 21). Die Einhaltung der aus § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO folgenden verfahrensmäßigen Verpflichtung ist nicht schon dann infrage gestellt, wenn ein Beteiligter eine aus seiner Sicht fehlerhafte Verwertung des vorliegenden Tatsachenmaterials rügt, aus dem er andere Schlüsse ziehen will als das angefochtene Urteil. Denn damit wird ein - angeblicher - Fehler in der Sachverhalts- und Beweiswürdigung angesprochen, der einen Verfahrensmangel im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO grundsätzlich nicht begründen kann (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 10. Oktober 2001 - 9 BN 2.01 - Buchholz 401.65 Hundesteuer Nr. 7 S. 11 f.). Ein einen Verfahrensfehler begründender Verstoß gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann nur ausnahmsweise insbesondere dann gegeben sein, wenn die tatrichterliche Beweiswürdigung auf einem Rechtsirrtum beruht, objektiv willkürlich ist oder allgemeine Sachverhalts- und Beweiswürdigungsgrundsätze, insbesondere gesetzliche Beweisregeln, Natur- oder Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze missachtet (BVerwG, Beschluss vom 10. Februar 2015 - 5 B 60.14 - juris Rn. 9 m.w.N.).

4 1.2 Derartige Fehler werden hier von der Beschwerde indes nicht substantiiert dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO).

5 a) Das Vorbringen des Klägers zur Erfüllung der Informationspflicht des Beklagten nach Art. 3 Abs. 4 Dublin II-VO in somalischer Sprache rechtfertigt die Zulassung der Revision schon deswegen nicht, weil das Berufungsgericht sein Urteil selbstständig tragend auch darauf gestützt hat, dass "nicht ersichtlich und von dem Prozessbevollmächtigten des Klägers auch nicht dargelegt worden [ist], dass ein Fehler bei der Belehrung gemäß Art. 3 Abs. 4 der Dublin II-Verordnung zum Zuständigkeitsübergang und zur Rechtswidrigkeit der Ablehnung des Asylantrags als unzulässig im angefochtenen Bescheid führen würde", das Urteil mithin nicht auf dem von dem Kläger geltend gemachten Mangel des Verwaltungsverfahrens und der hierauf bezogenen Sachverhaltswürdigung des Berufungsgerichts beruht. Unabhängig davon ist die Bewertung des Berufungsgerichts, dem Kläger sei eine Belehrung gemäß Art. 3 Abs. 4 Dublin II-VO im Rahmen der ersten Anhörung am 8. März 2013 ausgehändigt worden, die Aushändigung einer Durchschrift dieser Belehrung sei von dem Kläger und dessen Dolmetscher mit deren Unterschrift bestätigt worden (Bl. 18 und 18 Rückseite der Beiakte 001), auch insoweit nicht zu beanstanden, als daraus zu schließen wäre, dass eine Unterrichtung in der von dem Kläger beherrschten Sprache "Somali" erfolgt ist, auch wenn Übersetzungen dieser Belehrung in diese Sprache nicht zur Akte des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge genommen worden sind.

6 b) Das Beschwerdevorbringen, das Berufungsgericht sei der Möglichkeit eines erfolglosen Abschlusses eines in einem anderen Mitgliedstaat der EU betriebenen bzw. ohne Möglichkeit der Wiederaufnahme eingestellten Asylverfahrens nicht hinreichend nachgegangen, legt die Möglichkeit eines Verstoßes gegen den Überzeugungsgrundsatz ebenfalls nicht hinreichend dar.

7 Das Berufungsgericht hat seine Bewertung, dass der Kläger während seines zweimonatigen Aufenthalts in Italien einen Asylantrag gestellt habe und deswegen die durch den illegalen Grenzübertritt begründete Zuständigkeit auch nicht durch Zeitablauf oder Ortsabwesenheit erloschen sei, auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung zu Art. 5 Abs. 2 Dublin II-VO getroffen, dass maßgeblicher Zeitpunkt für die Zuständigkeitsbestimmung der Zeitpunkt der ersten Asylantragstellung in einem anderen Mitgliedstaat sei. Aus welchen Gründen seine Bewertung, "dass über den Asylantrag des Klägers in Italien nach dem vorliegenden Sachverhalt noch nicht (endgültig) entschieden, ihm dort aber jedenfalls bislang noch kein Flüchtlings- oder subsidiärer Schutz gewährt worden ist", fehlerhaft sei, erschließt sich angesichts des im Tatbestand mitgeteilten Treffers in der Europäischen Datenbank zur Speicherung von Fingerabdrücken nicht. Konkrete Anhaltspunkte für einen Abschluss des Asylverfahrens des Klägers in Italien während dessen Abwesenheit benennt der Kläger nicht; sein Vorbringen beschränkt sich insoweit auf abstrakte Wahrscheinlichkeitserwägungen bzw. bloße Vermutungen. Danach drängte sich mangels hinreichend konkret dargelegter Einwände eines Beteiligten auch keine weitere Sachverhaltsaufklärung auf, zumal den Kläger an der Aufklärung des möglichen Ausgangs in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union eine besondere Mitwirkungslast trifft (s. dazu auch BVerwG, Urteil vom 21. November 2017 - 1 C 39.16 - Buchholz 402.251 § 29 AsylG Nr. 4 Rn. 28). Auf dieser Grundlage läge auch ein (möglicher) Verstoß gegen die gerichtliche Pflicht zur Aufklärung des Sachverhaltes, den der anwaltlich vertretene Kläger nicht geltend macht, fern.

8 2. Die Rüge, das angefochtene Urteil sei in Bezug auf die Bewertung der Situation anerkannter Flüchtlinge in Italien und den diesen drohenden Gefahren für die Rechte aus Art. 3 EMRK nicht mit Gründen versehen, weil insoweit auf die "ausführliche Begründung" in einem erst zwei Tage später, nämlich am 6. April 2018 ergangenen Urteil in einem anderen Verfahren verwiesen werde, in dem der Prozessbevollmächtigte des Klägers nicht bevollmächtigt gewesen sei und das diesem - mangels Existenz - im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidungsfindung auch nicht bekannt gewesen sein konnte, greift ebenfalls nicht durch.

9 2.1 Nach § 117 Abs. 2 Nr. 5 und § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO müssen im Urteil die Gründe schriftlich niedergelegt werden, die für die Überzeugungsbildung des Gerichts maßgeblich waren. Nicht mit Gründen versehen ist eine Entscheidung nur dann, wenn die Entscheidungsgründe keine Kenntnis darüber vermitteln, welche tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte für die Entscheidung maßgebend waren und wenn den Beteiligten und dem Rechtsmittelgericht deshalb die Möglichkeit entzogen ist, die Entscheidung zu überprüfen. Das ist nur der Fall, wenn die Entscheidungsgründe vollständig oder zu wesentlichen Teilen des Streitgegenstandes fehlen oder sich als derart verworren oder unverständlich darstellen, dass sie unbrauchbar sind (s. BVerwG, Beschluss vom 25. September 2013 - 1 B 8.13 - juris Rn. 16 m.w.N.). Die Darlegung der Begründungsrüge darf sich nicht darauf beschränken, die der Entscheidung beigegebene Begründung als sachlich unzureichend, nicht überzeugend oder sonst fehlerhaft anzugreifen (s. Berlit, in: GK-AsylG, § 78 Rn. 679, 105. Lieferung April 2016 m.w.N.).

10 2.2 Hiernach ist ein Begründungsmangel schon nicht dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO).

11 Das Berufungsgericht hat zum einen seine Bewertung auf die in dem Urteil vorangehend für die Situation von Schutzsuchenden eingehend ausgewerteten Erkenntnismittel gestützt, soweit sich diese auch auf anerkannte Schutzberechtigte beziehen, und damit seine Überzeugungsbildung knapp, aber nachvollziehbar begründet. Bereits der Verweis auf die ausführliche Begründung des Berufungsgerichts in dem zwei Tage später ergangenen Urteil war lediglich ergänzend ("siehe hierzu im Übrigen ..."). Nicht zu vertiefen ist daher, dass in der hier vorliegenden Situation der Verweis auf ein Urteil desselben Spruchkörpers in einem anderen Verfahren jedenfalls dann zur (vertiefenden) Begründung einer Entscheidung grundsätzlich unbedenklich ist, wenn die Begründung der anderen Entscheidung die tragenden Erwägungen der Entscheidungsfindung zutreffend wiedergibt und gewährleistet ist, dass die andere Entscheidung gleichzeitig oder doch so zeitnah zu der Bezug nehmenden Entscheidung öffentlich zugänglich wird, dass es für die Prüfung bereitsteht, ob ein Rechtsmittel eingelegt werden soll.

12 Ein Begründungsmangel könnte zum anderen hier schon deswegen nicht zur Zulassung der Revision führen, weil das Berufungsgericht - selbstständig tragend - auch darauf abgestellt hat, dass über den Asylantrag des Klägers in Italien noch nicht (endgültig) entschieden, ihm dort aber jedenfalls bislang noch kein Flüchtlings- oder subsidiärer Schutz gewährt worden ist, ohne dass hiergegen durchgreifende Zulassungsgründe geltend gemacht worden sind (s.o. 1.2 b)). Etwaige Besonderheiten der Aufnahmebedingungen von Flüchtlingen oder subsidiär Schutzberechtigten wären mithin auch in einem Revisionsverfahren nicht entscheidungserheblich.

13 3. Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).

14 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Abs. 1 Satz 1 RVG. Gründe für eine Abweichung gemäß § 30 Abs. 2 RVG liegen nicht vor.