Beschluss vom 03.11.2025 -
BVerwG 3 BN 13.24ECLI:DE:BVerwG:2025:031125B3BN13.24.0
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Zitiervorschlag
BVerwG, Beschluss vom 03.11.2025 - 3 BN 13.24 - [ECLI:DE:BVerwG:2025:031125B3BN13.24.0]
Beschluss
BVerwG 3 BN 13.24
- OVG Saarlouis - 10.07.2024 - AZ: 2 C 14/24
In der Normenkontrollsache hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 3. November 2025 durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Philipp und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Rothfuß und Dr. Sinner beschlossen:
- Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes vom 10. Juli 2024 wird zurückgewiesen.
- Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
- Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.
Gründe
I
1
Der Antragsteller wendet sich mit seinem am 13. Februar 2022 gestellten Normenkontrollantrag gegen die sogenannte 2G-Plus-Regelung bei der Inanspruchnahme von körpernahen, nicht medizinisch oder therapeutisch indizierten Dienstleistungen, namentlich Friseurdienstleistungen. § 6 Abs. 2 Nr. 1 der Verordnung des Antragsgegners zur Bekämpfung der Corona Pandemie (VO-CP) vom 10. Februar 2022 hatte folgenden Wortlaut:
§ 6
Nachweispflicht über das Nichtvorliegen
einer Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus
...
(2) Ausschließlich für Kundinnen und Kunden, Besucherinnen und Besucher sowie Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die einen 2G-Plus-Nachweis vorlegen, sowie für Personen, die aufgrund einer medizinischen Kontraindikation, insbesondere einer Schwangerschaft im ersten Schwangerschaftsdrittel, nicht gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 geimpft werden können oder in den letzten drei Monaten aufgrund einer medizinischen Kontraindikation nicht gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 geimpft werden konnten, die einen Nachweis im Sinne des § 2 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 dieser Verordnung führen, sind zulässig
1. die Inanspruchnahme von körpernahen, nicht medizinisch oder therapeutisch indizierten Dienstleistungen,
2. - 13. ...
2 Mit Urteil vom 31. Januar 2023 - 2 C 31/22 - hat das Oberverwaltungsgericht den Antrag als unzulässig zurückgewiesen und die Revision gegen seine Entscheidung nicht zugelassen. Auf die hiergegen gerichtete Beschwerde hat der Senat das Urteil unter Anwendung von § 133 Abs. 6 VwGO mit Beschluss vom 5. Januar 2024 - 3 BN 2.23 - wegen eines Verfahrensfehlers aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
3 Das Oberverwaltungsgericht hat den in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag des Antragstellers, ein infektiologisches Sachverständigengutachten zum Beweis der Tatsache einzuholen, dass die am 10. Februar 2022 − dem Zeitpunkt des Normerlasses − verfügbaren COVID-19-Impfstoffe das Transmissionsrisiko von Geimpften im Vergleich zu Ungeimpften nicht zu senken vermochten, als nicht entscheidungserheblich abgelehnt.
4 Das Oberverwaltungsgericht hat den Normenkontrollantrag mit Urteil vom 10. Juli 2024 zurückgewiesen. Die Revision gegen sein Urteil hat es nicht zugelassen. Hiergegen wendet sich der Antragsteller mit der Verfahrensrüge, das Oberverwaltungsgericht habe seine Aufklärungspflicht verletzt, weil es den Beweisantrag abgelehnt habe, ohne dass dies im Prozessrecht eine Stütze finde.
II
5 Die Beschwerde des Antragstellers hat keinen Erfolg.
6 Ein Verfahrensfehler im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO liegt nicht vor.
7 Das Oberverwaltungsgericht hat seine Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) nicht verletzt. Die Ablehnung eines unbedingten Beweisantrags durch einen begründeten Gerichtsbeschluss (§ 86 Abs. 2 VwGO) ist nur dann verfahrensfehlerhaft, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze findet (stRspr, BVerwG, Beschlüsse vom 16. Dezember 2020 - 3 B 45.19 - juris Rn. 16 und vom 21. November 2024 - 4 B 20.24 - juris Rn. 11, jeweils m. w. N.). Das ist hier nicht der Fall. Ein Beweisantrag kann unter anderem abgelehnt werden, wenn die unter Beweis gestellte Tatsache nach der materiell-rechtlichen Auffassung des Tatsachengerichts nicht entscheidungserheblich ist (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 21. September 2023 - 3 B 44.22 - juris Rn. 25 m. w. N.). Zu dieser Annahme darf es sich in den Entscheidungsgründen nicht in Widerspruch setzen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10. September 2018 - 6 B 134.18 - juris Rn. 7 f.).
8 Das Oberverwaltungsgericht hat den Beweisantrag abgelehnt, weil für den Rechtsstreit nicht entscheidungserheblich sei, ob die am 10. Februar 2022 − dem Zeitpunkt des Normerlasses − verfügbaren COVID-19-Impfstoffe das Transmissionsrisiko von Geimpften im Vergleich zu Ungeimpften nicht zu senken vermochten. Der Antragsteller macht geltend, die unter Beweis gestellte Tatsache sei entgegen der Begründung für die Ablehnung des Beweisantrags nach der Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts für die Zurückweisung des Normenkontrollantrags entscheidungserheblich gewesen. Das trifft nicht zu. Das angefochtene Urteil beruht nicht auf der Annahme, dass die bei Erlass der Verordnung verfügbaren Impfstoffe geeignet waren, das Transmissionsrisiko von Geimpften im Vergleich zu Ungeimpften zu senken.
9 Das Oberverwaltungsgericht hat in den Urteilsgründen dargelegt, Rechtsgrundlage der angegriffenen Regelung in § 6 Abs. 2 Nr. 1 VO-CP sei § 32 Satz 1 und 2 i. V. m. § 28 Abs. 1 Satz 1 und § 28a Abs. 1 Nr. 14 IfSG in der damals geltenden Fassung gewesen (UA S. 21). Eine notwendige Schutzmaßnahme im Sinne dieser Vorschriften liege vor, wenn sie an dem Ziel ausgerichtet sei, die Verbreitung der Krankheit zu verhindern, und sie verhältnismäßig, d. h. geeignet und erforderlich sowie verhältnismäßig im engeren Sinne sei (UA S. 22). Davon ausgehend habe hier eine notwendige Schutzmaßnahme vorgelegen.
10 Das Ziel des Verordnungsgebers, die weitere Verbreitung der Krankheit und damit einhergehend eine Überforderung des Gesundheitssystems zu verhindern, habe dem Zweck der Verordnungsermächtigung entsprochen (UA S. 23). Der Verordnungsgeber habe die in der 2G-Plus-Regelung liegende Beschränkung bei der Inanspruchnahme von (körpernahen) Friseurdienstleistungen für ein geeignetes Mittel zur Eindämmung der Verbreitung des Coronavirus halten dürfen; durch die Minimierung von Kontakten zwischen Menschen werde die Ausbreitung des Virus eingedämmt (UA S. 29). Insoweit hat das Oberverwaltungsgericht nicht entgegen der Beweisbehauptung vorausgesetzt, die Ausbreitung des Virus werde durch die Impfung eingedämmt; als ursächlich hat es die Reduzierung der Kontakte angesehen, also den Umstand, dass aufgrund der 2G-Plus-Regelung weniger Personen Friseurdienstleistungen und andere körpernahe Dienstleistungen in Anspruch nehmen konnten als ohne die Beschränkung.
11 Es hat weiter dargelegt, die Einschätzung des Verordnungsgebers, dass kein milderes, gleichermaßen geeignetes Mittel als die 2G-Plus-Regelung bei der Inanspruchnahme körpernaher Dienstleistungen zur Verfügung gestanden habe, sei plausibel (UA S. 30). Das Robert Koch-Institut habe in der damaligen Situation dazu geraten, alle nicht notwendigen Kontakte zu reduzieren und insbesondere enge Kontaktsituationen zu vermeiden (UA S. 30). Eine 3G-Regelung (geimpft oder genesen oder getestet) wäre nicht gleich wirksam gewesen. Die 2G-Plus-Regelung sei gerade darauf gerichtet gewesen, in Zeiten eines erheblichen Infektionsgeschehens mit hohen Inzidenzwerten Kontakte ganz zu vermeiden oder, um sie überhaupt zu ermöglichen, dies auf einem möglichst hohen Schutzniveau zu gewährleisten. Die Anwendung der 3G-Regelung wäre hinter dem Schutzniveau der 2G-Plus-Regelung zurückgeblieben (UA S. 31). Auch insoweit hat das Oberverwaltungsgericht die 2G-Plus-Regelung mit einer 3G-Regelung im Hinblick auf die Kontaktreduzierung und die dadurch bewirkte Unterbindung einer Übertragung des Virus verglichen. Es ist davon ausgegangen, dass eine 3G-Regelung mit der weitergehenden Öffnung körpernaher Dienstleistungen Kontakte nicht im selben Umfang reduziert hätte wie die 2G-Plus-Regelung.
12 Die Angemessenheit hat das Oberverwaltungsgericht bejaht, weil durch die exponentielle Weiterverbreitung des Coronavirus und die befürchtete Überlastung des Gesundheitswesens weitreichende kontaktbeschränkende Maßnahmen erforderlich gewesen seien. Vor diesem Hintergrund sei es dem Antragsteller zumutbar gewesen, für einen begrenzten Zeitraum auf einen Friseurbesuch zu verzichten. Auf die Wirksamkeit der Impfstoffe gegen eine Transmission des Virus hat es auch insoweit nicht abgestellt.
13 Einen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG hat das Oberverwaltungsgericht verneint, weil die Differenzierung zwischen vollständig geimpften und genesenen Personen einerseits und noch nicht vollständig geimpften bzw. ungeimpften Personen andererseits sachlich gerechtfertigt gewesen sei. Nach dem damaligen Kenntnisstand des Robert Koch-Instituts hätten COVID-19-Impfstoffe eine hohe Wirksamkeit gegen eine schwere COVID-19-Erkrankung geboten, die z. B. eine Behandlung im Krankenhaus notwendig mache. Die Wahrscheinlichkeit, schwer an COVID-19 zu erkranken, sei bei vollständig geimpften Personen deutlich geringer gewesen als bei nicht geimpften Personen. Darin hat das Oberverwaltungsgericht den rechtfertigenden Grund dafür gesehen, ungeimpften Personen die hier in Rede stehende Last der Reduzierung von Kontakten aufzuerlegen. Ein Widerspruch zur Ablehnung des Beweisantrags liegt hierin nicht. Ob darüber hinaus bei geimpften Personen das Risiko einer Übertragung des Virus auf andere Menschen geringer gewesen ist als bei ungeimpften Personen, hat das Oberverwaltungsgericht offen gelassen. Die nachfolgenden Ausführungen hierzu tragen seine Entscheidung nicht (UA S. 38).
14 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 und 3 i. V. m. § 52 Abs. 2 GKG.