Beschluss vom 04.05.2020 -
BVerwG 1 B 17.20ECLI:DE:BVerwG:2020:040520B1B17.20.0
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Zitiervorschlag
BVerwG, Beschluss vom 04.05.2020 - 1 B 17.20 - [ECLI:DE:BVerwG:2020:040520B1B17.20.0]
Beschluss
BVerwG 1 B 17.20
- VG Augsburg - 05.07.2011 - AZ: VG Au 1 K 10.1876
- VGH München - 08.01.2020 - AZ: VGH 10 B 18.2485
In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 4. Mai 2020
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Berlit, den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Fleuß und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Wittkopp
beschlossen:
- Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 8. Januar 2020 wird zurückgewiesen.
- Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
- Der Wert des Streitgegenstands wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.
Gründe
1 1. Die Beschwerde, mit der ein Verfahrensmangel und die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend gemacht wird, bleibt ohne Erfolg.
2 a) Die Revision ist nicht wegen eines Verfahrensmangels im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen.
3 aa) Ohne Erfolg macht die Beschwerde geltend, der Verwaltungsgerichtshof habe dadurch, dass er den Kläger "als Mitglied bzw. Teil der 'Augsburger Gruppe' der Ansar al-Islam" (UA Rn. 31) angesehen habe, ohne eine nachvollziehbare Abgrenzung der angeblichen Gruppenzugehörigkeit erkennbar zu machen, sowohl gegen allgemeine Sachverhalts- und Beweiswürdigungsgrundsätze ((1)) als auch gegen die Begründungspflicht des § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO ((2)) verstoßen.
4 (1) Die Grundsätze der Sachverhalts- und Beweiswürdigung sind in aller Regel revisionsrechtlich dem sachlichen Recht zuzuordnen (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Januar 1990 - 4 C 28.89 - BVerwGE 84, 271 <272>). Ein einen Verfahrensfehler begründender Verstoß gegen den Grundsatz der freien Beweiswürdigung ("Überzeugungsgrundsatz") im Sinne von § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann ausnahmsweise insbesondere dann gegeben sein, wenn die tatrichterliche Beweiswürdigung auf einem Rechtsirrtum beruht, objektiv willkürlich ist oder allgemeine Sachverhalts- und Beweiswürdigungsgrundsätze, insbesondere gesetzliche Beweisregeln, Natur- oder Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze missachtet (BVerwG, Beschluss vom 25. April 2018 - 1 B 11.18 - juris Rn. 3 m.w.N.).
5 Die Missachtung derartiger allgemeiner Sachverhalts- und Beweiswürdigungsgrundsätze wird hier von der Beschwerde nicht substantiiert aufgezeigt. Dass der Verwaltungsgerichtshof gesetzliche Beweisregeln, Natur- oder Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze missachtet habe, wird nicht vorgetragen. Ebenso wenig wird dargetan, welche sonstigen allgemeinen Beweisregeln verletzt worden sein sollen. Soweit die Beschwerde der Sache nach rügt, der Verwaltungsgerichtshof habe den Kläger als der "Augsburger Gruppe" zugehörig angesehen und ihm Aktivitäten dieser Gruppe zugerechnet, ohne darzutun, welche Personen dieser Gruppe angehört hätten, unterlässt sie es, sich mit der Tatsachenwürdigung in UA Rn. 38 auseinanderzusetzen, in der sich der Verwaltungsgerichtshof zu dem Verhältnis des Klägers nicht nur zu der Schlüsselperson der Gruppe, sondern auch zu weiteren Unterstützern der Ansar al-Islam verhält.
6 (2) Ein Verfahrensmangel ist auch nicht durch die Rüge einer Verletzung der Begründungspflicht im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO dargetan.
7 Gemäß § 117 Abs. 2 Nr. 5 VwGO sind die Entscheidungsgründe Teil des Urteils. In diesem sind gemäß § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO diejenigen Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. Sinn dieser Regelung ist zum einen, die Beteiligten über die dem Urteil zugrunde liegenden tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen zu unterrichten, und zum anderen, dem Rechtsmittelgericht die Nachprüfung der Entscheidung auf ihre inhaltliche Richtigkeit in prozess- und materiell-rechtlicher Hinsicht zu ermöglichen. Die Begründungspflicht ist immer dann verletzt, wenn die Entscheidungsgründe völlig fehlen, rational nicht nachvollziehbar, sachlich inhaltslos oder in sonstiger Weise unbrauchbar sind (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 24. August 2016 - 9 B 54.15 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 108 Rn. 22 und vom 24. August 2018 - 4 B 33.18 - juris Rn. 6 m.w.N.).
8 Ausgehend davon lässt das Beschwerdevorbringen eine Verletzung des § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO nicht erkennen. Dem angegriffenen Urteil ist ohne Weiteres zu entnehmen, auf welche Gesichtspunkte der Verwaltungsgerichtshof die Feststellung der Zugehörigkeit der Person des Klägers zu der "Augsburger Gruppe" der Ansar al-Islam gestützt hat. Insbesondere legt das Berufungsgericht in UA Rn. 38 dar, wer die Schlüsselperson und die Unterstützer dieses Personenkreises waren. UA Rn. 40 verhält sich zu eigenen Unterstützungsleistungen des Klägers.
9 bb) Ohne Erfolg rügt die Beschwerde, durch die Nichtberücksichtigung des Vorbringens, dass die Schlüsselperson der "Augsburger Gruppe" ihre Mitgliedschaft in der Ansar al-Islam geheim gehalten habe, sei der Kläger in seinem Recht auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt worden.
10 Der Anspruch auf rechtliches Gehör verpflichtet die Gerichte, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen, in Erwägung zu ziehen und die wesentlichen Gründe für ihre Entscheidung anzugeben. Die Gerichte brauchen sich jedoch nicht mit jedem Vorbringen der Beteiligten in den Gründen ihrer Entscheidung ausdrücklich auseinanderzusetzen. Denn es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass ein Gericht das von ihm entgegengenommene Beteiligtenvorbringen auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Etwas anderes gilt, wenn im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist (stRspr, vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Juli 2003 - 2 BvR 624/01 - NVwZ-RR 2004, 3; BVerwG, Beschluss vom 29. Oktober 2013 - 5 B 71.13 - juris Rn. 2).
11 Entgegen der Darstellung der Beschwerde ist dem Berufungsurteil zu entnehmen, dass der Verwaltungsgerichtshof das Vorbringen im Schriftsatz vom 11. November 2019 (BA III Bl. 82), dem Kläger sei die Mitgliedschaft der Schlüsselperson der Augsburger Gruppe in der Ansar al-Islam nicht bekannt gewesen, berücksichtigt hat. Einer gesonderten und ausdrücklichen Auseinandersetzung mit diesem Vortrag bedurfte es nicht, da die Urteilsgründe eindeutig erkennen lassen, dass der Verwaltungsgerichtshof ihn im Rahmen seiner Überzeugungsbildung nicht nur zur Kenntnis genommen, sondern auch in Erwägung gezogen hat. So hat er den vorbezeichneten Schriftsatz in UA Rn. 18 und UA Rn. 42 ausdrücklich in Bezug genommen. Des Weiteren hat er in UA Rn. 35 und UA Rn. 37 seiner Überzeugung Ausdruck verliehen, allen Beteiligten sei hinreichend klar gewesen, dass die gesammelten Gelder zur finanziellen Unterstützung unter anderem der Ansar al-Islam bestimmt gewesen seien. Zur Begründung hat er unter anderem auf die im Wortlaut wiedergegebenen Gründe seines Urteils vom 27. Oktober 2017 - 10 B 16.12 52 - juris Rn. 43 und auf die Feststellungen des Oberlandesgerichts München in dessen Urteil vom 12. Januar 2006 - 6 St 001/05 - (BA 8, UA S. 45) Bezug genommen. In UA Rn. 38 hat er ferner das Bestreiten des Klägers in der mündlichen Verhandlung und (zuvor) gegenüber den Behörden, gewusst zu haben, dass die Schlüsselperson die regelmäßig eingesammelten bzw. beigetriebenen Gelder zur finanziellen Unterstützung der Ansar al-Islam und ihrer Kämpfer weitergeleitet habe, als unglaubhaft gewürdigt.
12 cc) Die Rüge, das Berufungsgericht bewerte seine eigenen Überzeugungen in einem über den Rahmen der freien Beweiswürdigung deutlich hinausgehenden Maß als Sachverhaltstatsachen, verfehlt bereits die Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO an eine substantiierte Darlegung eines Verstoßes gegen den Überzeugungsgrundsatz des § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
13 Weder wird insoweit ein einen Verfahrensfehler begründender Verstoß gegen die richterliche Überzeugungsbildung aufgezeigt noch wird substantiiert dargetan, auf welche konkreten Ausführungen in den "über mehrere Seiten hinweg erfolgenden Zitaten aus den eigenen Urteilen" des Verwaltungsgerichtshofs "in anderen Fällen der 'Augsburger Gruppe'" zur Begründung eines solchen Verstoßes in Bezug genommen wird.
14 b) Die Revision ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.
15 Grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt einer Rechtssache zu, wenn sie eine für die erstrebte Revisionsentscheidung erhebliche Rechtsfrage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit und der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO setzt insoweit die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts und außerdem die Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung besteht. Die Beschwerde muss daher erläutern, dass und inwiefern die Revisionsentscheidung zur Klärung einer bisher revisionsgerichtlich nicht beantworteten fallübergreifenden Rechtsfrage des revisiblen Rechts führen kann (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 S. 14).
16
Die von der Beschwerde sinngemäß für rechtsgrundsätzlich klärungsbedürftig gehaltene Frage,
ob die Auffassung des Berufungsgerichts, ein erkennbares und glaubhaftes Abstandnehmen von dem sicherheitsgefährdenden Handeln im Sinne des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG bedinge, dass der Ausländer in jedem Fall einräume oder zumindest nicht bestreite, in der Vergangenheit durch sein Handeln die freiheitlich demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet zu haben, mit verfassungsrechtlichen Grundsätzen, insbesondere mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, dem Gebot der Achtung der Menschenwürde, gegebenenfalls auch dem Gleichbehandlungsgrundsatz vereinbar ist,
rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht.
17 Die von der Beschwerde aufgeworfene Rechtsfrage ist nicht entscheidungserheblich, weil ausweislich der in Ermangelung zulässiger und begründeter Verfahrensrügen gemäß § 137 Abs. 2 VwGO bindenden tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs davon auszugehen ist, dass der Kläger durch seine Unterstützung der Ansar al-Islam die freiheitlich demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdete, und Umstände, welche - sähe man von dem Erfordernis eines Einräumens oder Nichtbestreitens des sicherheitsgefährdenden Handelns in der Vergangenheit ab (vgl. insoweit jedoch BVerwG, Beschluss vom 25. April 2018 - 1 B 11.18 - juris Rn. 12 m.w.N.) - die Annahme eines erkennbaren und glaubhaften Abstandnehmens im Sinne des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG rechtfertigen könnten, durch das Berufungsgericht nicht festgestellt worden sind. Dieses hat vielmehr seiner Überzeugung Ausdruck verliehen, dass der Kläger weiterhin zumindest eine salafistische Ideologie vertrete, "bis vor kurzer Zeit" Kontakte zu jidahistischen/terroristischen Organisationen bzw. Personen unterhalten habe, islamistischem Gedankengut (UA Rn. 42) und einer offensichtlich bis in die Gegenwart fortbestehenden einer radikal-salafistischen Gesinnung (UA Rn. 45) anhänge, und die Beschreibung des Klägers als lediglich gläubigen und praktizierenden Muslim als nicht überzeugend gewürdigt. Damit hat es eben nicht allein darauf abgestellt, ob der Kläger ihm zugerechnete Unterstützungshandlungen in der Vergangenheit nicht (mehr) bestritten habe.
18 2. Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).
19 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes ergibt sich aus § 47 Abs. 1 und 3 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG.