Urteil vom 05.08.2008 -
BVerwG 2 WD 14.07ECLI:DE:BVerwG:2008:050808U2WD14.07.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 05.08.2008 - 2 WD 14.07 - [ECLI:DE:BVerwG:2008:050808U2WD14.07.0]

Urteil

BVerwG 2 WD 14.07

  • Truppendienstgericht Nord 7. Kammer - 14.03.2007 - AZ: N 7 VL 2/06

In dem gerichtlichen Disziplinarverfahren hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts in der nichtöffentlichen Hauptverhandlung am 5. August 2008, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht Golze,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Müller,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Deiseroth,
ehrenamtlicher Richter Korvettenkapitän Millhahn und
ehrenamtliche Richterin Oberbootsmann Grigo
sowie
Leitender Regierungsdirektor ...
als Vertreter des Bundeswehrdisziplinaranwalts,
Rechtsanwalt ...,
als Verteidiger,
Geschäftsstellenverwalterin ...
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:

  1. Die Berufung des früheren Soldaten gegen das Urteil der 7. Kammer des Truppendienstgerichts Nord vom 14. März 2007 wird zurückgewiesen.
  2. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem früheren Soldaten auferlegt.

Gründe

I

1 Der jetzt 33 Jahre alte frühere Soldat, der seine gymnasiale Ausbildung nach Beendigung der Klasse 12 vorzeitig abgebrochen hatte, war aufgrund seiner Bewerbung für den freiwilligen Dienst in der Bundeswehr am 1. Oktober 1994 in das Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit getreten. Seine wiederholt verlängerte Dienstzeit betrug letztlich insgesamt zehn Jahre und endete, nachdem er zuvor noch durch Verfügung vom 30. Juni 2004 vorläufig des Dienstes enthoben worden war, am 30. September 2004; sein Antrag, die Dienstzeit auf acht Jahre zu verkürzen, war im Mai 2000 abgelehnt worden. Zurzeit lebt der ledige frühere Soldat in der Schweiz, arbeitet dort als Qualitätsprüfer und erzielt ein monatliches Einkommen von ca. 4 000 Schweizer Franken (netto).

2 Nach seinem Diensteintritt war der frühere Soldat zum Fluggerätemechaniker ausgebildet worden. Er wurde regelmäßig befördert, zuletzt am 28. März 2001 zum Oberbootsmann. In seiner letzten Verwendung nahm er die Funktion als Luftfahrzeugmechaniker und Erster Wart in der Technischen Staffel des Marinefliegergeschwaders ... „...“ in N. wahr. Mit Dienstpostenwechselverfügung Nr. 5501 der Stammdienststelle der Marine vom 20. August 2003, dem früheren Soldaten ausgehändigt am 15. September 2003, wurde dieser ab dem 1. Oktober 2003 in der Verwendung „Schüler Bundeswehr-Fachschule“ geführt. Der frühere Soldat hatte einen Rechtsanspruch, während seines letzten Dienstjahres im Rahmen des Berufsförderungsdienstes eine Schul- oder Fachausbildung zu betreiben.

II

3 1. In dem durch Verfügung vom 30. Juni 2004, dem früheren Soldaten ausgehändigt am 7. Juli 2004, ordnungsgemäß eingeleiteten gerichtlichen Disziplinarverfahren hat die Wehrdisziplinaranwaltschaft für den Bereich der Flotte dem früheren Soldaten mit Anschuldigungsschrift vom 20. Februar 2006 folgenden Sachverhalt als schuldhafte Verletzung seiner Dienstpflichten gemäß §§ 7, 17 Abs. 2 Satz 1 SG i.V.m. § 10 Abs. 1 SG zur Last gelegt:
„Obwohl der frühere Soldat weder zu einer Bundeswehrfachschule kommandiert noch durch Verfügung der Stammdienststelle der Marine vom militärischen Dienst freigestellt worden war, um eine Fachausbildung im Sinne der §§ 5, 5a des Soldatenversorgungsgesetzes aufzunehmen, blieb er dem Dienst im Marinefliegergeschwader ... ‚...’, Technische Gruppe, Technische Staffel ..., vom 01.10.2003 bis zum 16.06.2004 ohne Genehmigung seines nächsten Disziplinarvorgesetzten fern.“

4 Sofern dem früheren Soldaten in der Hauptverhandlung ein vorsätzliches Verhalten nicht nachgewiesen werden könne, ist ihm hilfsweise Folgendes zur Last gelegt worden:
„Obwohl der frühere Soldat hätte erkennen können und müssen, dass er weder zu einer Bundeswehrfachschule kommandiert noch durch Verfügung der Stammdienststelle der Marine vom militärischen Dienst freigestellt worden war, um eine Fachausbildung im Sinne der §§ 5, 5a des Soldatenversorgungsgesetzes aufzunehmen und insofern keine für ein Fernbleiben vom Dienst erforderliche Genehmigung seines nächsten Disziplinarvorgesetzten hatte, blieb er dem Dienst im Marinefliegergeschwader ... ‚...’, Technische Gruppe, Technische Staffel ..., vom 01.10.2003 bis zum 16.06.2004 fern.“

5 2. In dem sachgleichen Strafverfahren war der frühere Soldat zuvor durch rechtskräftiges (Berufungs-)Urteil des Landgerichts S. vom 24. Oktober 2005 wegen fahrlässiger eigenmächtiger Abwesenheit (§ 15 Abs. 1 WStG) zu einer Freiheitsstrafe von zwei Monaten verurteilt worden, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden war. Das Landgericht hatte insgesamt folgende Feststellungen getroffen und diese wie folgt strafrechtlich gewürdigt:
„Als Zeitsoldat hatte der Angeklagte (das ist der frühere Soldat, ergänzt) die Möglichkeit, vor Ablauf seiner Dienstzeit an einer Maßnahme des Berufsförderungsdienstes teilzunehmen. Er beabsichtigte, im Bereich der Informationstechnik eine Tätigkeit in St. durchzuführen. Entscheidend hierfür war u.a., dass er eine Freundin in St. hatte. Diese Absicht teilte er seiner Dienststelle mit. Er hatte bereits im Juni 2003 an einer Maßnahme des Berufsförderungsdienstes teilgenommen, und zwar an einer internen Maßnahme: ‚Qualitätsmanagement-Beauftragter Industrie mit TÜV-Zertifizierung’. Er erhielt hierzu den Bewilligungsbescheid vom 11.06.2003, in dem ausdrücklich der Hinweis enthalten war, dass im Falle des Nichtantritts dieser Maßnahme unverzüglich an die zuständige Dienststelle Mitteilung gemacht werden musste.
Entsprechend seiner Absicht, in St. die beabsichtigte Maßnahme anzutreten, bat er verschiedene Firmen um Übersendung von Musterverträgen. Diese wurden ihm auch zugesandt. Der Angeklagte verfolgte diese Absicht jedoch nicht weiter, weil seine Freundin in St. an einem Gehirntumor erkrankte. Diese Erkrankung traf den Angeklagten schwer. Er bemühte sich in der Folgezeit nicht um den Abschluss der berufsfördernden Maßnahme, sondern war ausschließlich mit seinen Gedanken bei seiner schwer erkrankten Freundin. Am 30.09.2003 gab er bei seiner Einheit einen Abschiedsempfang. Innerhalb der 3-Tages-Frist nach dem 01.10.2003 nahm er weder seinen Dienst bei der Truppe wieder auf, noch machte er innerhalb dieser Frist seiner Dienststelle Mitteilung davon, dass er die berufsfördernde Maßnahme nicht antreten wird. Beides unterließ er, weil er nach seiner nicht zu widerlegenden Einlassung ausschließlich mit den Gedanken bei seiner schwer erkrankten Freundin war und er deshalb nicht daran dachte, sich innerhalb der 3-Tages-Frist entweder zum Dienstantritt zu melden oder Mitteilung davon zu machen, dass er die Maßnahme des Berufsförderungsdienstes nicht antreten werde. Erst lange Zeit nach Ablauf der 3-Tages-Frist kam dem Angeklagten zu Bewusstsein, dass er sich falsch verhalten hat. Er hatte aber nicht den Mut, von sich aus die Konsequenzen zu ziehen.
Diese Feststellungen beruhen auf der nicht zu widerlegenden Einlassung des Angeklagten und auf den ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls erhobenen Beweisen.
Der Angeklagte hat sich hiernach einer eigenmächtigen Abwesenheit gem. § 15 Abs. 1 des WStG strafbar gemacht. Er hat zwar vorsätzlich seine Dienststelle verlassen. Gleichwohl konnte ihm die Kammer lediglich den Vorwurf der Fahrlässigkeit machen, weil der Angeklagte fahrlässig nicht bedacht hat, innerhalb der 3-Tages-Frist entweder seinen Dienst wieder anzutreten oder seiner Dienststelle Mitteilung darüber zu machen, dass er die berufsfördernde Maßnahme nicht antritt. Er war - nachvollziehbar - ausschließlich mit seinen Gedanken bei seiner erkrankten Freundin. Den Angeklagten betraf diese Erkrankung umso mehr, als seine frühere Freundin anlässlich der Folgen eines Verkehrsunfalls gestorben war. Bei Beobachtung der ihm zumutbaren Sorgfalt hätte er aber erkennen können und müssen, dass er entweder seinen Dienst innerhalb der 3-Tages-Frist wieder anzutreten hatte oder zumindest seiner Dienststelle Mitteilung über den Nichtantritt der berufsfördernden Maßnahme machen musste. Immerhin war er vor der Teilnahme an dem früheren Lehrgang darauf hingewiesen worden, dass er verpflichtet war, den Nichtantritt der berufsfördernden Maßnahme unverzüglich zu melden.“

6 3. Die 7. Kammer des Truppendienstgerichts Nord hat durch Urteil vom 14. März 2007 entschieden, dass der frühere Soldat in den Dienstgrad eines Hauptgefreiten der Reserve herabgesetzt wird. Da das rechtskräftige Strafurteil hinsichtlich der Schuldform unzureichend und in sich widersprüchlich sei, hatte sich die Truppendienstkammer von den tatsächlichen Feststellungen im Strafurteil zur subjektiven Tatseite gelöst. Aufgrund eigener Feststellungen hat sie dann den Anschuldigungs-Hauptvorwurf - vorsätzlicher Verstoß gegen die Dienstpflichten gemäß §§ 7, 17 Abs. 2 Satz 1 SG i.V.m. § 10 Abs. 1 SG - als erwiesen angesehen und hat ein Dienstvergehen von erheblichem Gewicht angenommen, das mit einer Degradierung bis in einen Mannschaftsdienstgrad geahndet werden müsse.

7 4. Gegen das ihm am 24. April 2007 zugestellte Urteil hat der frühere Soldat durch seinen Verteidiger am 23. Mai 2007 „in vollem Umfange“ Berufung eingelegt mit dem Antrag, das Verfahren unter Feststellung eines Dienstvergehens einzustellen, hilfsweise auf eine mildere Disziplinarmaßnahme zu erkennen.

8 Zur Begründung macht er im Wesentlichen geltend:
Er, der frühere Soldat, habe das ihm zur Last gelegte ungenehmigte Fernbleiben vom Dienst lediglich fahrlässig begangen, indem er irrtümlich nicht erkannt habe, dass er ohne Bewilligung einer Fachausbildung verpflichtet gewesen sei, trotz der Dienstpostenwechselverfügung Nr. 5501 zum Dienst bei seiner Einheit zu erscheinen. Unabhängig davon, dass die vom Truppendienstgericht abgegebene Begründung für den Lösungsbeschluss unzutreffend sei, habe er, der frühere Soldat, auch nicht vorsätzlich, sondern nur fahrlässig gehandelt. Es könne ihm nicht als Schutzbehauptung angelastet werden, dass der vermeintliche Gehirntumor und die darauf basierende Erklärung seiner damaligen Freundin, die Verbindung zu ihm beenden zu wollen, ihn in eine persönliche Krise gestürzt habe. Ferner spreche für ihn, dass er nichts unternommen habe, seinen Verbleib zu verschleiern. Vielmehr habe er sich durchgängig in seiner Privatwohnung aufgehalten. Nachdem sein Fehlen durch die Dienststelle bemerkt worden sei, sei er telefonisch erreichbar gewesen und habe dem Rückkehrbefehl sofort Folge geleistet. Hätte er die Absicht gehabt, sich ohne jede Gegenleistung bei voller Weiterzahlung seiner Dienstbezüge quasi selbst widerrechtlich Urlaub zu genehmigen, hätte es nahegelegen, dass er zunächst entsprechend den Anbahnungsgesprächen mit dem Berufsförderungsdienst eine Fachausbildungsstelle angenommen hätte, ohne die Ausbildung dann aber tatsächlich durchzuführen. Dem objektiven Erklärungsinhalt der Dienstpostenwechselverfügung Nr. 5501 habe er nicht ohne Weiteres entnehmen können, dass er Dienst in der Einheit zu leisten habe, wenn er seine Berufsförderungs-Ausbildungsstelle nicht antrete. Einen Dienstposten „Schüler Bundeswehr-Fachschule“ habe es in der Einheit nicht gegeben. Daher sei auch sein Abschiedsfrühstück am 30. September 2003 kein Indiz dafür gewesen, dass er ab dem nächsten Tag „absichtlich“ ungenehmigt dem Dienst habe fernbleiben wollen. Das Gegenteil sei der Fall. Es zeige, dass er, der frühere Soldat, sehr wohl, wenn auch irrig der Auffassung gewesen sei, in seiner bisherigen Einheit keinen Dienst mehr leisten zu müssen. Seine lange Abwesenheit lasse sich damit erklären, dass ihn nicht nur niemand in seiner Einheit vermisst habe, sondern dass sich auch niemand für seinen Verbleib interessiert habe, bis der Sachbearbeiter des Berufsförderungsdienstes im Juni 2004 festgestellt habe, dass sein Antragsfall „Fachschulausbildung“ noch nicht abgeschlossen sei. Darüber hinaus sei ein Mangel an erforderlicher Dienstaufsicht festzustellen, der sich als entlastendes Mitverschulden auf die Maßnahmebemessung auswirken müsse.

III

9 Die Berufung des früheren Soldaten hat keinen Erfolg.

10 1. Die gemäß § 115 Abs. 1, § 116 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 WDO form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig.

11 2. Die Berufung ist ausdrücklich und nach ihrem eindeutigen Wortlaut in vollem Umfang eingelegt worden. Mit der Berufungsbegründung werden sowohl die erstinstanzliche Schuldfeststellung als auch die Maßnahmebemessung angegriffen. Der Senat hat deshalb im Rahmen der Anschuldigung (§ 107 Abs. 1 i.V.m. § 123 Satz 3 WDO) eigene Tat- und Schuldfeststellungen zu treffen, diese rechtlich zu würdigen und unter Berücksichtigung des Verschlechterungsverbotes (§ 331 Abs. 1 StPO i.V.m. § 91 Abs. 1 Satz 1, § 123 Satz 3 WDO) gegebenenfalls über die angemessene Disziplinarmaßnahme zu befinden.

12 3. Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Die Entscheidung der Truppendienstkammer, den früheren Soldaten in den Dienstgrad eines Hauptgefreiten der Reserve herabzusetzen, ist nicht zu beanstanden. Der frühere Soldat war in der Zeit vom 1. Oktober 2003 bis zum 16. Juni 2004 wissentlich und willentlich dem Dienst in seiner Staffel unerlaubt ferngeblieben und hat durch diese vorsätzliche Dienstpflichtverletzung ein sehr schwerwiegendes Dienstvergehen begangen.
a) Tatsächliche Feststellungen

13 aa) Hinsichtlich des objektiven Geschehensablaufs hat der Senat gemäß § 84 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 123 Satz 3 WDO von dem im sachgleichen rechtskräftigen Strafurteil des Landgerichts S. vom 24. Oktober 2005 bindend festgestellten und vom früheren Soldaten auch eingeräumten Sachverhalt auszugehen, der nach der in der Berufungshauptverhandlung ergänzend durchgeführten Beweisaufnahme - Anhörung der Zeugen S. und H., damals Staffelchef und stellvertretender Staffelfeldwebel, sowie Verlesung von Urkunden - letztlich im Wesentlichen wie folgt lautet:

14 Als Soldat auf Zeit, dessen Dienstzeit am 30. September 2004 endete, hatte der frühere Soldat gemäß den §§ 4 ff. SVG a.F. einen Rechtsanspruch, ab dem 1. Oktober 2003 an einer Maßnahme des Berufsförderungsdienstes - Besuch einer Bundeswehr-Fachschule oder Absolvierung einer Fachausbildung im Rahmen eines Ausbildungsvertrages - teilzunehmen; andernfalls war er verpflichtet, bis zum Dienstzeitende bei seiner Staffel Dienst zu leisten. Am 29. Januar 2003 hatte der frühere Soldat in dem von ihm unterschriebenen Fachschulbogen gegenüber dem Berufsförderungsdienst des Kreiswehrersatzamts S. erklärt, dass er die Bundeswehr-Fachschule nicht besuchen wolle. Er beabsichtigte vielmehr, eine berufsfördernde Maßnahme im Bereich der Informationstechnik im Raum St. durchzuführen, was er dem Berufsförderungsdienst mitteilte. Entscheidend für diese Absicht war, dass er damals eine Freundin, die erstinstanzlich angehörte Zeugin E., in St. hatte. Der frühere Soldat bat verschiedene Unternehmen um die Übersendung von Musterverträgen. Das von einem Betrieb in K. ihm Ende Juni 2003 unterbreitete Angebot auf Abschluss eines Ausbildungsvertrages nahm er nicht an, ohne aber den Berufsförderungsdienst oder seine Staffel darüber zu unterrichten. Ein anderer Ausbildungsvertrag kam nicht zustande.

15 Im Juni 2003 hatte der frühere Soldat an einer internen Maßnahme des Berufsförderungsdienstes („Qualitätsmanagement- Beauftragter Industrie mit TÜV-Zertifizierung“) teilgenommen. Der ihm dazu erteilte Bewilligungsbescheid vom 11. Juni 2003 enthielt den ausdrücklichen Hinweis, dass im Falle des Nichtantritts der Maßnahme der zuständigen Dienststelle unverzüglich Mitteilung gemacht werden müsse.

16 Am 15. September 2003 wurde dem früheren Soldaten durch den Staffelfeldwebel die Dienstpostenwechselverfügung Nr. 5501 der Stammdienststelle der Marine ausgehändigt, wonach er ab dem 1. Oktober 2003 nicht mehr in der Verwendung „Luftfahrzeugmechaniker“ mit Dienstort N., sondern ohne nähere örtliche oder funktionelle Konkretisierung in der Verwendung „Schüler Bundeswehr-Fachschule“ geführt wurde. Der frühere Soldat war dadurch dienstpostenmäßig dem „Schüler-Etat“ der Stammeinheit zugeordnet, um für den Fall der Teilnahme an einer entsprechenden Maßnahme des Berufsförderungsdienstes den eigentlichen Dienstposten für einen Nachfolger freizumachen.

17 Da der frühere Soldat den Besuch einer Bundeswehr-Fachschule abgelehnt hatte, erging zu keinem Zeitpunkt eine entsprechende Kommandierungsverfügung. Aufgrund der Tatsache, dass der frühere Soldat auch keinen Ausbildungsvertrag vorgelegt hatte, ging die personalführende Stelle davon aus, dass er bis zum Ende seiner Dienstzeit weiter in seiner Einheit Dienst leisten werde. Sie erstellte deshalb auch keinen für eine Befreiung vom militärischen Dienst notwendigen Freistellungsbescheid.

18 Am 30. September 2003 verabschiedete sich der frühere Soldat mit einem Frühstück („Abschiedsempfang“) aus dem Kreis seiner Unteroffizierskameraden der Staffel und hielt sich ab dem 1. Oktober 2003 bis zum 16. Juni 2004 unter fortwährendem Erhalt seiner vollen Dienstbezüge überwiegend in seiner Privatwohnung auf. Sowohl der Disziplinarvorgesetzte, der Zeuge S., als auch der Staffelfeldwebel gingen davon aus, der frühere Soldat absolviere eine Ausbildung im Rahmen des Berufsförderungsdienstes. Der Zeuge S. hatte anfangs angenommen, der notwendige Freistellungsbescheid werde wohl alsbald - nachträglich - eintreffen; das Ausbleiben des Bescheides blieb dann aber in der Einheit unbeachtet.

19 Die freistellungslose Abwesenheit des früheren Soldaten vom Dienst fiel erst anlässlich der routinemäßigen Überprüfung des Falles durch den Berufsförderungsdienst N. Anfang Juni 2004 auf. Nachdem die Einheit vom Berufsförderungsdienst darauf hingewiesen worden war, dass der frühere Soldat seinen Anspruch auf Berufsförderung nie wahrgenommen hatte, wurde dieser vom stellvertretenden Staffelfeldwebel, dem Zeugen H., wiederholt telefonisch aufgefordert, zum Dienst zu erscheinen. Dem kam der frühere Soldat am 17. Juni 2004 nach.

20 bb) Die tatsächlichen Feststellungen des sachgleichen rechtskräftigen Strafurteils des Landgerichts S. vom 24. Oktober 2005 hinsichtlich der Frage, ob der frühere Soldat vorsätzlich oder nur fahrlässig gehandelt hat, sind für den Senat allerdings nicht bindend; denn er hat die nochmalige Prüfung dieser Feststellungen gemäß § 84 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 123 Satz 3 WDO einstimmig beschlossen und einen entsprechenden Lösungsbeschluss in der Hauptverhandlung verkündet. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats (z.B. Urteil vom 14. März 2007 - BVerwG 2 WD 3.06 - BVerwGE 128, 189 <190 f.> m.w.N.) ist eine nochmalige Prüfung von tatsächlichen Feststellungen eines sachgleichen rechtskräftigen Strafurteils mit dem Ziel der Lösung von diesen Feststellungen ausnahmsweise nur in den Fällen zulässig, in denen das Wehrdienstgericht sonst gezwungen wäre, auf der Grundlage offenkundig unzureichender oder inzwischen als unzutreffend erkannter Feststellungen zu entscheiden. Erhebliche und damit für einen Lösungsbeschluss ausreichende Zweifel an der Richtigkeit der strafgerichtlichen Feststellungen liegen jedenfalls dann vor, wenn die strafgerichtlichen Feststellungen in sich widersprüchlich oder sonst unschlüssig sind, im Widerspruch zu den Denkgesetzen oder allgemeinen Erfahrungssätzen stehen oder aus sonstigen - vergleichbar gewichtigen - Gründen offenkundig unzureichend sind. Offenkundig unzureichend in diesem Sinne sind strafgerichtliche Feststellungen dann, wenn sie in einem entscheidungserheblichen Punkt unter offenkundiger Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften zustande gekommen sind oder wenn entscheidungserhebliche neue Beweismittel vorgelegt werden, die dem Strafgericht noch nicht zur Verfügung standen oder wenn die im strafgerichtlichen Urteil vorgenommene Beweiswürdigung ausweislich der Urteilsgründe nicht nachvollziehbar ist.

21 Die Voraussetzungen für einen solchen Lösungsbeschluss sind hier gegeben. Der Senat hat sich von den Feststellungen des Strafgerichts insoweit gelöst, als das Landgericht angenommen hat, der frühere Soldat habe (lediglich) fahrlässig nicht bedacht, innerhalb der 3-Tages-Frist entweder seinen Dienst wieder anzutreten oder seiner Dienststelle Mitteilung darüber zu machen, dass er die berufsfördernde Maßnahme nicht antrete. Dementsprechend ist der frühere Soldat nur wegen fahrlässiger eigenmächtiger Abwesenheit (§ 15 Abs. 1 WStG) verurteilt worden. Die strafgerichtlichen Feststellungen zur Annahme fahrlässigen Verhaltens sind jedoch in sich widersprüchlich und unschlüssig. Einerseits hat das Landgericht festgestellt:
„Innerhalb der 3-Tages-Frist nach dem 01.10.2003 nahm er weder seinen Dienst bei der Truppe wieder auf, noch machte er innerhalb dieser Frist seiner Dienststelle Mitteilung davon, dass er die berufsfördernde Maßnahme nicht antreten wird. Beides unterließ er, weil er nach seiner nicht zu widerlegenden Einlassung ausschließlich mit den Gedanken bei seiner schwer erkrankten Freundin war und er deshalb nicht daran dachte, sich innerhalb der 3-Tages-Frist entweder zum Dienstantritt zu melden oder Mitteilung davon zu machen, dass er die Maßnahme des Berufsförderungsdienstes nicht antreten werde.“

22 Andererseits hat das Landgericht im unmittelbaren Anschluss daran folgende Feststellung getroffen:
„Erst lange Zeit nach Ablauf der 3-Tages-Frist kam dem Angeklagten zu Bewusstsein, dass er sich falsch verhalten hat. Er hatte aber nicht den Mut, von sich aus die Konsequenzen zu ziehen.“

23 Nach der zuletzt genannten Feststellung hätte für das Strafgericht Anlass bestanden, den Zeitpunkt der „Bewusstseinsänderung“ des früheren Soldaten genau festzulegen, da dieser Umstand unmittelbare Auswirkungen auf den gesetzlichen Tatbestand des § 15 Abs. 1 WStG hat. Nach der genannten Vorschrift wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bestraft, wer eigenmächtig seine Truppe oder Dienststelle verlässt oder ihr fernbleibt und vorsätzlich oder fahrlässig länger als drei volle Kalendertage abwesend ist. Der frühere Soldat hätte nämlich vom Zeitpunkt seiner „Bewusstseinsänderung“ an - legt man die vorherigen Feststellungen des Strafgerichts zugrunde - nicht mehr wegen Fahrlässigkeit, sondern wegen vorsätzlichen Verhaltens verurteilt werden müssen.

24 Nach dem Ergebnis der vom Senat durchgeführten Hauptverhandlung steht aufgrund der Einlassungen des früheren Soldaten, soweit ihnen gefolgt werden kann, der Anhörung der Zeugen S. und H. sowie der zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemachten Urkunden zur vollen Überzeugung des Senats fest, dass der frühere Soldat, der weder zu einer Bundeswehr-Fachschule kommandiert noch zwecks Fachausbildung vom militärischen Dienst freigestellt war, in der Zeit vom 1. Oktober 2003 bis zum 16. Juni 2004 in Kenntnis seiner Dienstpflicht - entsprechend dem Anschuldigungs-Hauptvorwurf - wissentlich und willentlich dem Dienst in seiner Staffel in N. unerlaubt ferngeblieben war.

25 Bereits objektive Umstände - das Dienstverhältnis des früheren Soldaten dauerte noch bis zum 30. September 2004, er erhielt monatlich fortlaufend seine Dienstbezüge, er hatte weder einen Antrag auf Besuch einer Bundeswehr-Fachschule noch auf Absolvierung einer Fachausbildung gestellt und deshalb auch keinen Freistellungsbescheid erhalten - sprechen dafür, dass dem früheren Soldaten auch ohne ausdrückliche Belehrung von Anfang an bekannt war, dass er weiterhin verpflichtet war, in seiner Staffel Dienst zu leisten. Diese Bewertung wird bestätigt durch seine Einlassungen im gerichtlichen Disziplinarverfahren. Bei seiner ersten Vernehmung am 18. Juni 2004 durch seinen damaligen Disziplinarvorgesetzten, den Zeugen S., hatte der frühere Soldat u.a. ausgesagt:
„Wenn mich jemand bezüglich des Berufsförderungsdienstes befragte, habe ich keine genauen Angaben gemacht, dennoch zu verstehen gegeben, dass ich an einer Maßnahme teilnehme ... Ich dachte, es fällt nicht weiter auf, wenn ich mich weder beim Berufsförderungsdienst noch bei der Staffel melde, mit dem Ziel, bis zu meinem Entlassungsdatum September 2004 zu warten, um dann entlassen zu werden ...“

26 Vor dem Truppendienstgericht hatte der frühere Soldat zur Vernehmungsniederschrift vom 18. Juni 2004 angegeben, er werde es so gesagt haben, wenn es dort so stehe. Zugleich hat er sich nochmals dahin eingelassen, er sei davon ausgegangen, dass es dem Berufsförderungsdienst bis zum Dienstzeitende nicht auffalle. In der Berufungshauptverhandlung hat der frühere Soldat dazu erklärt, er könne sich an seine Aussagen vom 18. Juni 2004 nicht mehr erinnern; wenn das damals so protokolliert worden sei, werde er es wohl so gesagt haben. Der Zeuge S. hatte bezüglich der Vernehmungsniederschrift vom 18. Juni 2004 bereits vor dem Truppendienstgericht angegeben, er habe damals mehrfach nachgefragt und nichts vorformuliert; alles sei korrekt verlaufen. In der Hauptverhandlung vor dem Senat hat der Zeuge seine frühere Aussage im Wesentlichen wiederholt und - zutreffend - darauf hingewiesen, dass der frühere Soldat den Text seiner damaligen Aussage selbst gelesen und mit seiner Unterschrift genehmigt hatte.

27 Die genannten Einlassungen des früheren Soldaten machen aber nicht nur deutlich, dass er von Anfang an bewusst, sondern auch gewollt seiner Truppe unerlaubt ferngeblieben ist. Dafür spricht insbesondere auch, dass sich der frühere Soldat am 30. September 2003 von seinen Kameraden mit einem Frühstück offiziell verabschiedet hat. Einen solchen „Abschiedsempfang“ veranstaltet man nur dann, wenn man die bisherige Truppe für einen bestimmten, in der Regel längeren Zeitraum verlassen will. Ab dem 1. Oktober 2003 ließ es der frühere Soldat dann täglich darauf ankommen, ob die Einheit bei ihm zu Hause nachfragen würde, wo er bleibe. Da sein Fehlen in der Staffel - entsprechend seiner damaligen Einschätzung und Hoffnung - nicht auffiel, entschloss er sich mit jedem Tag von Neuem, sich bei seiner Truppe nicht zu melden und dem Dienst weiterhin unerlaubt fernzubleiben.

28 Das Verteidigungsvorbringen des früheren Soldaten ist nicht geeignet, die Würdigung seiner Abwesenheit von der Truppe als von Anfang an bewusstes und gewolltes, d.h. vorsätzlich unerlaubtes Fernbleiben vom Dienst ernsthaft in Frage zu stellen. Soweit sich der frühere Soldat in diesem Zusammenhang auf den Inhalt der ihm ausgehändigten Dienstpostenwechselverfügung Nr. 5501 und einen dadurch bei ihm angeblich ausgelösten Irrtum über seine weiteren Dienstpflichten beruft, handelt es sich nach der Überzeugung des Senats nur um eine Schutzbehauptung. Die Gesamtumstände sprechen dagegen, dass bei dem früheren Soldaten damals durch Unkenntnis oder irrige Annahme falscher Tatsachen ein Irrtum über seine Verpflichtung zur Dienstleistung entstanden war. Schon der objektive Wortlaut der Dienstpostenwechselverfügung gab keinen Anlass für einen Irrtum. Der frühere Soldat wurde lediglich dienstpostenmäßig dem „Schüler-Etat“ seiner Stammeinheit zugeordnet, um für den Fall der Teilnahme an einer entsprechenden Maßnahme des Berufsförderungsdienstes den eigentlichen Dienstposten für einen Nachfolger frei zu machen. Der Bescheid enthielt weder Angaben hinsichtlich eines neuen Dienstortes noch Hinweise auf geänderte Dienstleistungspflichten. Der frühere Soldat wusste zudem, dass er dem Berufsförderungsdienst mitgeteilt hatte, er wolle eine Bundeswehr-Fachschule nicht besuchen. Es ist deshalb für den Senat nicht nachvollziehbar, dass der frühere Soldat als erfahrener Zeitsoldat und Vorgesetzter im Range eines Oberbootsmanns (Besoldungsgruppe A 7 BBesG mit Amtszulage), der damals bereits auf eine neunjährige Dienstzeit zurückblicken konnte, der zuvor ein Gymnasium besucht hatte und dessen „Geistige Befähigung“ wiederholt mit der Stufe „D“ (= „Eignung und Befähigung sind besonders vorhanden“) bewertet worden war (vgl. planmäßige Beurteilungen zum 30. September 2001 und zum 30. September 2003) - in der zuletzt genannten Beurteilung war ihm ausdrücklich systematisches Denken und kritisches Hinterfragen bescheinigt worden -, aus der Dienstpostenwechselverfügung falsche Schlussfolgerungen für seine Dienstleistungspflicht gezogen haben will. Dies gilt umso mehr, als er noch im Juni 2003 an einer internen Berufsförderungsdienst-Maßnahme teilgenommen hatte und in diesem Zusammenhang auf seine Verpflichtung hingewiesen worden war, den Nichtantritt der Maßnahme unverzüglich zu melden.

29 Soweit der frühere Soldat geltend macht, er habe sich damals wegen des vermeintlichen Gehirntumors seiner Freundin in einer persönlichen Krisensituation befunden mit der Folge, dass er unter Außerachtlassung der ihm objektiv möglichen und subjektiv zumutbaren Sorgfalt seine Pflicht zur Dienstleistung nur fahrlässig verletzt habe, ist dies ebenfalls nicht geeignet, die Annahme wissentlichen und willentlichen Handelns ernst in Zweifel zu ziehen. Es fehlt bereits an ausreichenden objektiven Anhaltspunkten dafür, dass im Fernbleibenszeitraum ab Oktober 2003 zwischen dem früheren Soldaten und seiner damaligen Freundin, der vor dem Truppendienstgericht angehörten Zeugin E., überhaupt noch ein Kontakt bestand. Zwischen beiden, die sich im Internet kennengelernt hatten, existierte nach ihren übereinstimmenden Aussagen lediglich eine platonische Beziehung, die sich fast ausschließlich auf telefonische und elektronische Kontakte beschränkte. Nur einmal, im Frühjahr 2003, hatte der frühere Soldat seine Freundin an einem Wochenende in St. besucht. Im Juli 2003 hatte die Zeugin ihren jetzigen Ehemann kennengelernt. Die häufig an Kopfschmerzen leidende Zeugin hatte nach ihrer Aussage vor dem Truppendienstgericht selbst nur bis Juli 2003 an die Möglichkeit eines Gehirntumors geglaubt und mit dem früheren Soldaten darüber gesprochen, ohne dass allerdings jemals eine entsprechende Diagnose erfolgte oder Behandlung stattfand. Nach der Einlassung des früheren Soldaten habe sich seine Freundin dann im September 2003 von ihm getrennt, da sie ihm „nicht zur Last fallen wolle“. Mitte Oktober 2003 bestand zwischen beiden kein Kontakt mehr, wie die Zeugin erstinstanzlich glaubhaft und nachvollziehbar ausgesagt hat.

30 Aber selbst wenn dem früheren Soldaten nicht widerlegt werden kann, bis Mitte Oktober 2003 noch an eine schwere Gehirnerkrankung seiner Freundin geglaubt zu haben, hätte eine durch diese Mitteilung ausgelöste psychische Belastung bereits Mitte 2003, also Monate vor Beginn der Pflichtverletzung auffallen müssen. Dies war aber nicht der Fall. Der frühere Soldat leistete bis Ende September 2003 seinen Dienst ohne jegliche Beanstandung. Der ehemalige Disziplinarvorgesetzte und Leumundszeuge S. hat in der Berufungshauptverhandlung ausgesagt, es sei nicht erkennbar gewesen, dass der frühere Soldat damals unter einer solchen Belastung gelitten habe; andernfalls hätte man den Sozialdienst oder den Pfarrer eingeschaltet. Im Übrigen hat der frühere Soldat bei seiner ersten Vernehmung am 18. Juni 2004 selbst eingeräumt, dass er Anfang des Jahres 2004 wieder „durchgeblickt“ habe, dass ihm aber der Mut und die Motivation gefehlt hätten, sich bei seiner Staffel zu melden. Aufgrund der Gesamtumstände hält der Senat die Zeitangabe „Anfang des Jahres 2004“ jedoch für eine Schutzbehauptung. Der frühere Soldat war von Anfang an bewusst und gewollt, d.h. vorsätzlich, dem Dienst unerlaubt ferngeblieben. Dafür, dass er den gesamten Zeitraum nicht nur fahrlässig versäumt hat, sondern dem Dienst vorsätzlich unerlaubt ferngeblieben ist, spricht schließlich der Umstand, dass sich der frühere Soldat nach Aufforderung seitens seiner Einheit am 7. Juni 2004 beim Zeugen H. telefonisch gemeldet hatte, aber trotz Anweisung, sofort Kontakt mit dem Berufsförderungsdienst in B. aufzunehmen, ohne nähere Erläuterung erst am 17. Juni 2004 beim Berufsförderungsdienst und dann bei seiner Staffel erschienen ist.
b) Disziplinarrechtliche Würdigung

31 Durch das festgestellte unerlaubte Fernbleiben vom Dienst in der Zeit vom 1. Oktober 2003 bis zum 16. Juni 2004 hat der frühere Soldat seine Pflicht, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen (§ 7 SG) in Gestalt der Anwesenheits- und Dienstleistungspflicht (vgl. dazu z.B. Urteil vom 14. November 2007 - BVerwG 2 WD 29.06 - DokBer 2008, 177 m.w.N., stRspr) wissentlich und willentlich, d.h. vorsätzlich, verletzt. Daneben liegt aber auch insoweit ein vorsätzlicher Verstoß gegen die Pflicht zum treuen Dienen vor, als der frühere Soldat durch sein Fehlverhalten zugleich eine Wehrstraftat - „eigenmächtige Abwesenheit“ gemäß § 15 Abs. 1 WStG - begangen hat und insoweit auch rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden ist. Die Straftat stellt eine (weitere) Verletzung der in § 7 SG normierten Pflicht zum treuen Dienen dar, und zwar in ihrer Ausprägung als Pflicht zur Loyalität gegenüber der geltenden Rechtsordnung, vor allem zur Beachtung der Strafgesetze (vgl. dazu z.B. Urteile vom 14. November 2007 a.a.O. und vom 13. März 2008 - BVerwG 2 WD 6.07 - <zur Veröffentlichung in Buchholz vorgesehen> jeweils m.w.N., stRspr).

32 Mit seinem unerlaubten Fernbleiben vom Dienst hat der frühere Soldat zugleich auch vorsätzlich seine Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten im Dienst (§ 17 Abs. 2 Satz 1 SG) verletzt. Denn ein solches Verhalten ist geeignet, das Vertrauen des Dienstherrn, seiner Vorgesetzten und Kameraden in seine persönliche Integrität und in seine Bereitschaft zur ordnungsgemäßen Erfüllung seiner Dienstleistungspflicht zu erschüttern. Achtungs- und Vertrauenswürdigkeit eines Soldaten können durch sein Verhalten schon dann Schaden nehmen, wenn dieses Zweifel an seiner Zuverlässigkeit weckt oder seine Eignung für die jeweilige Verwendung in Frage stellt. Dies ist jedenfalls bei unerlaubtem Fernbleiben vom Dienst der Fall (vgl. Urteil vom 14. November 2007 a.a.O. <insoweit nicht veröffentlicht> m.w.N., stRspr).
c) Bemessung der Disziplinarmaßnahme

33 Die von der Truppendienstkammer verhängte Disziplinarmaßnahme einer Herabsetzung des früheren Soldaten in den Dienstgrad eines Hauptgefreiten der Reserve wegen des vorsätzlich begangenen Dienstvergehens gemäß § 23 Abs. 1 i.V.m. §§ 7, 17 Abs. 2 Satz 1 SG, wobei der frühere Soldat als Vorgesetzter gemäß § 10 Abs. 1 SG der verschärften Haftung unterliegt, ist nicht zu beanstanden. Der gemäß § 58 Abs. 2 i.V.m. § 62 Abs. 1 Satz 4 WDO zulässige Ausspruch der Maßnahme ist angemessen und geboten.

34 Bei der Maßnahmebemessung ist von der von Verfassungs wegen (Art. 20 Abs. 1, Art. 103 Abs. 3 GG) allein zulässigen Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts auszugehen. Diese besteht ausschließlich darin, dazu beizutragen, einen ordnungsgemäßen Dienstbetrieb wiederherzustellen und aufrechtzuerhalten („Wiederherstellung und Sicherung der Integrität, des Ansehens und der Disziplin in der Bundeswehr“, vgl. dazu zuletzt Urteil vom 11. Juni 2008 - BVerwG 2 WD 11.07 - m.w.N.). Bei Art und Maß der Disziplinarmaßnahme sind nach § 58 Abs. 7 i.V.m. § 38 Abs. 1 WDO Eigenart und Schwere des Dienstvergehens und seine Auswirkungen, das Maß der Schuld, die Persönlichkeit, die bisherige Führung und die Beweggründe des früheren Soldaten zu berücksichtigen.

35 aa) Das Dienstvergehen des früheren Soldaten wiegt sehr schwer. Ein Soldat, der der Truppe unerlaubt fernbleibt, versagt - unabhängig davon, ob es strafrechtlich als Fahnenflucht oder eigenmächtige Abwesenheit, wie hier, zu beurteilen ist - im Kernbereich seiner Dienstpflichten. Gerade bei einem aufgrund freiwilliger Verpflichtung berufenen Soldaten gehören Anwesenheit und Dienstleistung zu den zentralen Dienstpflichten. Die Bundeswehr kann die ihr obliegenden Aufgaben nur dann hinreichend erfüllen, wenn nicht nur das innere Gefüge der Streitkräfte so gestaltet ist, dass sie ihren militärischen Aufgaben gewachsen ist, sondern auch ihre Angehörigen im erforderlichen Maße jederzeit präsent und einsatzbereit sind. Der Dienstherr muss sich darauf verlassen können, dass jeder Soldat seinen Pflichten zur Verwirklichung des Verfassungsauftrages der Bundeswehr nachkommt und alles unterlässt, was dessen konkreter Wahrnehmung zuwider läuft. Dazu gehören insbesondere die Pflichten zur Anwesenheit und gewissenhaften Dienstleistung (vgl. z.B. Urteil vom 14. November 2007 a.a.O. <insoweit nicht veröffentlicht> m.w.N., stRspr).

36 Der erkennende Senat hat daher in ständiger Rechtsprechung, was die Einstufung des Dienstvergehens eines unerlaubten, eigenmächtigen Fernbleibens eines Soldaten von der Truppe angeht, bei kürzerer eigenmächtiger Abwesenheit regelmäßig auf die Dienstgradherabsetzung, unter Umständen bis in einen Mannschaftsdienstgrad, sowie bei Fahnenflucht, längerdauernder oder wiederholter eigenmächtiger Abwesenheit regelmäßig auf Entfernung aus dem Dienstverhältnis erkannt (vgl. z.B. Urteil vom 14. November 2007 a.a.O. m.w.N., stRspr).

37 Der Senat hat zwar das Unterlassen der Rückkehr zur Truppe nach Abbruch oder Unterbrechung einer Fachausbildung im Rahmen des Berufsförderungsdienstes stets milder beurteilt als die eigenmächtige Abwesenheit eines aktiven Soldaten, weil derjenige, der an einer Fachausbildung teilnimmt, nicht mehr der Disziplin der Truppe unterliegt und sich in der Regel schon in etwa als „Zivilist“ fühlt, sodass er eine weit geringere Hemmschwelle zu überwinden hat als ein aktiver Soldat (vgl. dazu z.B. Urteil vom 14. November 2007 a.a.O. m.w.N., stRspr).

38 Ein solcher, milder zu beurteilender Fall liegt hier jedoch nicht vor. Der frühere Soldat hatte von seinem Rechtsanspruch auf Berufsförderung bewusst keinen Gebrauch gemacht. Den Besuch einer Bundeswehr-Fachschule hatte er abgelehnt. Zur Absolvierung einer Fachausbildung kam es nicht, da der frühere Soldat das Angebot zum Abschluss eines Ausbildungsvertrages nicht angenommen hatte. Aus diesem Grunde erging auch kein Freistellungsbescheid, sodass der frühere Soldat ab dem 1. Oktober 2003, d.h. von Anfang an weiter verpflichtet war, Dienst in der Truppe zu leisten. Dem kam er aber nicht nach, sondern blieb einfach zu Hause. Wer sich als Soldat von vornherein der militärischen Dienstleistung entzieht und anstelle der möglichen Teilnahme an einer Maßnahme des Berufsförderungsdienstes unter fortwährendem Erhalt seiner Dienstbezüge zu Hause privaten Interessen nachgeht, verletzt seine Dienstleistungspflicht in gleicher Weise wie ein aktiver Soldat im Falle der Fahnenflucht oder der unerlaubten, eigenmächtigen Abwesenheit vom Dienst (vgl. Urteil vom 3. September 1998 - BVerwG 2 WD 8.98 - BVerwGE 113, 263 <266>).

39 bb) Die Auswirkungen des Fehlverhaltens des früheren Soldaten sind dadurch gekennzeichnet, dass er trotz seiner Nichtteilnahme an einer Maßnahme des Berufsförderungsdienstes und ohne sich stattdessen bei seiner Einheit zu melden weiterhin Gehaltszahlungen seines Dienstherrn - ohne jede Gegenleistung - in Anspruch genommen und damit in dieser Form aus eigenem Entschluss öffentliche Mittel gleichsam zweckentfremdet hat. Auch das Bekanntwerden seiner Verfehlung in der Einheit und bei den mit der Durchführung des Wehrstrafverfahrens befassten Organen außerhalb der Bundeswehr ist zu Lasten des früheren Soldaten zu berücksichtigen (vgl. dazu Urteil vom 14. November 2007 - BVerwG 2 WD 29.06 - DokBer 2008, 177 m.w.N.), da der Vorfall bei Außenstehenden ein schlechtes Licht auf den Ruf der Bundeswehr und ihrer Angehörigen geworfen hat, in deren Reihen sich der frühere Soldat damals befand. Aufgrund seiner Verfehlung war er auch, wenn auch lediglich für den kurzen Restzeitraum von Juli bis einschließlich September 2004, gemäß § 126 Abs. 1 Satz 1 WDO vorläufig des Dienstes enthoben worden. Somit hatte das Dienstvergehen des früheren Soldaten auch Auswirkungen auf die Personalplanung der Bundeswehr. Die damit verbundenen nachteiligen dienstlichen Folgen muss er sich zurechnen lassen.

40 cc) Für das Maß der Schuld fällt die bewusste und gewollte, d.h. vorsätzliche Begehensweise des früheren Soldaten entscheidend ins Gewicht. Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass dieser zur Tatzeit im Sinne des § 21 StGB erheblich vermindert schuldfähig gewesen sein könnte, sind nicht ersichtlich und werden auch nicht geltend gemacht.

41 Milderungsgründe in den Umständen der Tat, die die Schuld des früheren Soldaten mindern könnten, sind ebenfalls nicht erkennbar. Sie wären nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. z.B. Urteil vom 14. November 2007 a.a.O. <insoweit nicht veröffentlicht> m.w.N.) nur dann gegeben, wenn die Situation, in der der Soldat versagt hat, von so außergewöhnlichen Besonderheiten gekennzeichnet wäre, dass ein an normalen Maßstäben orientiertes Verhalten nicht mehr erwartet und daher auch nicht vorausgesetzt werden könnte. Dazu hat der Senat in seiner gefestigten Rechtsprechung verschiedene - nicht abschließende - Fallgruppen entwickelt, z.B. ein Handeln in einer ausweglos erscheinenden, unverschuldeten wirtschaftlichen Notlage, die auf andere Weise nicht zu beheben war, ein Handeln unter schockartig ausgelöstem psychischem Zwang oder unter Umständen, die es als unbedachte, im Grunde persönlichkeitsfremde Augenblickstat eines ansonsten tadelfreien und im Dienst bewährten Soldaten erscheinen lassen, sowie ein Handeln in einer körperlichen oder psychischen Ausnahmesituation (vgl. z.B. Urteil vom 14. November 2007 a.a.O. <insoweit nicht veröffentlicht> m.w.N., stRspr).

42 Anhaltspunkte dafür, dass die Voraussetzungen eines solchen Milderungsgrundes hier vorgelegen haben könnten, sind nicht ersichtlich und werden ebenfalls nicht geltend gemacht. Dies gilt auch für den Milderungsgrund des Handelns in einer psychischen Ausnahmesituation. Für eine solche gab es zu keinem Zeitpunkt des unerlaubten Fernbleibens vom Dienst ausreichende Anzeichen. Bereits nach eigener Einlassung hatte der frühere Soldat Anfang des Jahres 2004 wieder „durchgeblickt“. Damit behauptet er selbst nicht, damals und anschließend, z.B. wegen seiner Freundin, psychisch belastet gewesen zu sein. Nichts anderes gilt für den Zeitraum davor. Dies ist bereits im Zusammenhang mit der vom früheren Soldaten geäußerten Auffassung, er habe im Hinblick auf den vermeintlichen Gehirntumor seiner Freundin nur fahrlässig gehandelt, dargestellt worden; darauf wird Bezug genommen.

43 Allerdings musste sich zugunsten des früheren Soldaten tatmildernd auswirken, dass eine ausreichende Dienstaufsicht seitens seines damaligen Disziplinarvorgesetzten nicht stattgefunden hat. Mangelnde Dienstaufsicht als Ursache einer dienstlichen Verfehlung kann bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme unter besonderen Voraussetzungen mildernd berücksichtigt werden. Wenn etwa Kontrollmaßnahmen durch Vorgesetzte aufgrund besonderer Umstände unerlässlich waren und pflichtwidrig unterlassen worden sind, kann dem Soldaten eine Milderung der Eigenverantwortung zugebilligt werden (vgl. z.B. Urteile vom 19. September 1985 - BVerwG 2 WD 63.84 - BVerwGE 83, 52 <57>, vom 21. Mai 1996 - BVerwG 2 WD 22.95 - BVerwGE 103, 321 <327> = Buchholz 235.0 § 34 WDO Nr. 14 = NZWehrr 1997, 205 und vom 26. September 2006 - BVerwG 2 WD 2.06 - BVerwGE 127, 1 <31> = Buchholz 449 § 10 SG Nr. 55 = NZWehrr 2007, 79 <insoweit nicht veröffentlicht in Buchholz und NZWehrr> m.w.N.).

44 Ein solcher Fall ist hier gegeben. In der Staffel war bis zum 30. September 2003 in Bezug auf den früheren Soldaten weder eine Kommandierung noch ein Freistellungsbescheid eingegangen. Schon aufgrund der dem früheren Soldaten vom Staffelfeldwebel am 15. September 2003 ausgehändigten Dienstpostenwechselverfügung Nr. 5501, der vagen Aussagen des früheren Soldaten zu seiner zukünftigen Tätigkeit, seines Abschiedsfrühstücks sowie der in der Einheit kursierenden Gerüchte, er habe einen Ausbildungsvertrag, lagen besondere Umstände vor, die dienstaufsichtliche Kontrollmaßnahmen in der Staffel erforderlich machten. Dies haben die Zeugen S. und H. als ehemaliger Disziplinarvorgesetzter und stellvertretender Staffelfeldwebel, zugleich Personalbearbeiter-Bootsmann, in der Hauptverhandlung vor dem Senat auch eingeräumt. Man sei in der Staffel gutgläubig gewesen und habe dem „gestandenen Portepee-Unteroffizier“ vertraut. Häufig dauere es vom Beginn der Berufsförderungsmaßnahme an noch bis zu etwa vier Wochen, bis der Freistellungsbescheid bei der Einheit eintreffe. Da hier aber die Voraussetzungen für den Erlass eines solchen Freistellungsbescheids zu keinem Zeitpunkt vorlagen, konnte ein solcher Bescheid nie ergehen. Dieser Umstand blieb dem Disziplinarvorgesetzten und dem Personalbearbeiter nur deshalb verborgen, weil diese es ab Ende September 2003 pflichtwidrig unterlassen hatten, die Personalakte des früheren Soldaten auf Wiedervorlage zu legen und dann spätestens Ende Oktober 2003 durch Anmahnung des Freistellungsbescheids die Personalangelegenheit weiter zu verfolgen. Allerspätestens Anfang November 2003 hätte dem Disziplinarvorgesetzten dann klar sein müssen, dass der frühere Soldat dem Dienst unerlaubt fernbleibt.

45 dd) Die Beweggründe für das Fehlverhalten des früheren Soldaten, der sich in der Hauptverhandlung vor dem Senat als relativ verschlossen und hinsichtlich seiner Verfehlung als uneinsichtig gezeigt hat, sind nur teilweise deutlich geworden. Es ist zwar nicht auszuschließen, dass die vermeintliche Tumorerkrankung der Zeugin E. und die Enttäuschung über das Nichtzustandekommen einer engeren Beziehung zu ihr für seinen Entschluss zum unerlaubten Fernbleiben vom Dienst eine gewisse Rolle gespielt haben. Vor allem jedoch durften dem früheren Soldaten damals die Motivation und der Wille gefehlt haben, noch bis zum Dienstzeitende regelmäßig Truppendienst zu leisten. Die Ablehnung seines Antrags auf Dienstzeitverkürzung könnte dafür mitursächlich gewesen sein. Letztlich blieb auch unklar, wie der frühere Soldat seine „dienstfreie Zeit“ von Oktober 2003 bis Juni 2004 genutzt hat; er hat lediglich angegeben, er sei viel „am Deich“ spazieren gegangen.

46 ee) Die vom früheren Soldaten erbrachten dienstlichen Leistungen lagen ausweislich der vom Senat anhand der bei den Akten befindlichen und in die Berufungshauptverhandlung eingeführten dienstlichen Beurteilungen (zuletzt zum 30. September 2001 und zum 30. September 2003) überwiegend im mittleren bis unteren Bewertungsbereich. Sie lassen sich deshalb nicht zugunsten des früheren Soldaten berücksichtigen. Für ihn spricht allerdings, dass der ehemalige Disziplinarvorgesetzte und Leumundszeuge S. schon in der Hauptverhandlung vor dem Truppendienstgericht ausgesagt hat, der frühere Soldat sei dienstlich zuverlässig gewesen. Er, der Disziplinarvorgesetzte, habe ihm vertraut und ihn gleich zum stellvertretenden Schichtführer gemacht. Hinsichtlich seiner Fähigkeiten habe er nicht „zur Spitze“ gehört, aber solide Leistungen abgeliefert. Diese Beurteilung hat der Leumundszeuge in der Berufungshauptverhandlung wiederholt und dahin zusammengefasst, der frühere Soldat sei ein normaler, unauffälliger Soldat gewesen, der im Bereich der Wartung solide Leistungen erbracht habe. Für eine Nachbewährung des früheren Soldaten bestand keine Gelegenheit. Kurz nach Entdeckung seines Fehlverhaltens wurde er vom Dienst suspendiert und Ende September 2004 aufgrund seines Dienstzeitendes aus der Bundeswehr entlassen. Ferner ist zugunsten des früheren Soldaten zu berücksichtigen, dass er sich bisher tadelfrei geführt hatte und weder straf- noch disziplinarrechtlich in Erscheinung getreten war.

47 ff) Bei der Gesamtwürdigung aller be- und entlastender Umstände ist im Hinblick auf Eigenart und Schwere des Dienstvergehens, das Maß der Schuld sowie die Persönlichkeit und bisherige Führung des früheren Soldaten auch nach Auffassung des Senats der Ausspruch einer Dienstgradherbsetzung unerlässlich.

48 Das Gewicht des Dienstvergehens wird geprägt durch das achteinhalbmonatige, d.h. sehr lange dauernde, vorsätzlich unerlaubte Fernbleiben vom Dienst. Bei einem derartigen Delikt ist die Verhängung der Höchstmaßnahme dann geboten, wenn der betreffende Soldat mit seinem Fehlverhalten das in ihn gesetzte Vertrauen des Dienstherrn endgültig zerstört hat, sodass diesem bei der gebotenen objektiven Betrachtungsweise eine Fortsetzung des Dienstverhältnisses nicht mehr zugemutet werden kann (vgl. z.B. Urteil vom 14. November 2007 - BVerwG 2 WD 29.06 - DokBer 2008, 177, m.w.N., stRspr). Die Beantwortung der Frage nach der erforderlichen fortbestehenden Vertrauenswürdigkeit eines Soldaten ist dabei ausschließlich an von den Disziplinargerichten festzustellende objektive Bewertungsmerkmale gebunden und hängt nicht maßgebend von den Erwägungen und Entscheidungen der jeweiligen Einleitungsbehörde oder der Einschätzung der unmittelbaren oder früheren Disziplinarvorgesetzten ab. Ob das Vertrauen in die Zuverlässigkeit und persönliche Integrität des betroffenen Soldaten erschüttert oder gar zerstört ist, ist nach einem objektiven Maßstab, also aus der Perspektive eines objektiv und vorurteilsfrei den Sachverhalt betrachtenden Dritten, zu beurteilen und zu bewerten (vgl. z.B. Urteil vom 14. November 2007 a.a.O. m.w.N., stRspr).

49 Danach ist hier die Verhängung der Höchstmaßnahme - bei einem früheren Soldaten im Sinne des § 1 Abs. 3 WDO, der zugleich Angehöriger der Reserve ist, die Aberkennung des Ruhegehalts in Gestalt der Dienstzeitversorgung (vgl. § 58 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Satz 1 Nr. 3 WDO, dazu Urteil vom 14. November 2007 a.a.O.) - Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen. Den früheren Soldaten belastet vor allem der lange Zeitraum seiner vorsätzlichen Abwesenheit vom Dienst von insgesamt achteinhalb Monaten. Ein so handelnder Soldat gibt zu erkennen, dass er an einer ordnungsgemäßen Erfüllung seiner Dienstleistungspflicht kein Interesse mehr hat. Der frühere Soldat hat wiederholt zum Ausdruck gebracht, dass ihm die Motivation gefehlt habe, sich bei seiner Staffel zu melden. Er habe auf den Termin seiner planmäßigen Entlassung aus der Bundeswehr gewartet. Auf den früheren Soldaten war (und ist) damit für den Dienstherrn kein Verlass mehr. Erschwerend fällt dabei ins Gewicht, dass er zur Tatzeit aufgrund seines Dienstgrades als Oberbootsmann eine Vorgesetztenstellung innehatte. Bei der gebotenen objektiven Betrachtung führt ein so schwerwiegendes Dienstvergehen grundsätzlich zum endgültigen Vertrauensverlust, sodass hier an sich die disziplinarische Höchstmaßnahme verwirkt wäre.

50 Gleichwohl hat das Truppendienstgericht im Ergebnis zu Recht nur eine Dienstgradherabsetzung ausgesprochen. Denn den früheren Soldaten entlastet nicht unerheblich die unterlassenen Kontrollmaßnahmen im Rahmen der Dienstaufsicht; sie waren jedenfalls für die lange Dauer seiner eigenmächtigen Abwesenheit mitursächlich. Bei rechtzeitiger Wiedervorlage der Personalakte des früheren Soldaten in der Staffel wäre das dienstpflichtwidrige Verhalten dem Disziplinarvorgesetzten spätestens Anfang November 2003, d.h. nach etwa fünf Wochen, aufgefallen. Anstelle des Fernbleibenszeitraums von achteinhalb Monaten wäre der frühere Soldat „nur“ etwa fünf Wochen unerlaubt dem Dienst ferngeblieben. Dies rechtfertigt es, vom Ausspruch der Höchstmaßnahme abzusehen und auf eine Dienstgradherabsetzung zu erkennen.

51 Im Hinblick auf die verbleibende Schwere des Dienstvergehens und den Zweck des Wehrdisziplinarrechts, aus spezial- und generalpräventiven Gründen durch die im Gesetz vorgesehene Disziplinarmaßnahme einen ordnungsgemäßen Dienstbetrieb wiederherzustellen und aufrechtzuerhalten, konnte der frühere Soldat aber nicht mehr in einem Vorgesetztendienstgrad verbleiben. Neben spezialpräventiven Erwägungen, insbesondere im Hinblick auf seine zuletzt noch in der Berufungshauptverhandlung gezeigte Uneinsichtigkeit in sein Fehlverhalten - war eine Degradierung bis in einen Mannschaftsdienstgrad auch deshalb geboten, weil diese Maßnahme über ihren (engeren) Zweck hinaus bekanntermaßen auch pflichtenmahnende Wirkung auf die Angehörigen der Bundeswehr im Allgemeinen hat (Generalprävention). Der frühere Soldat hat nicht nur als Vorgesetzter seinen Untergebenen ein schlechtes Beispiel gegeben, sondern hat auch in der Endphase seines auf insgesamt zehn Jahre angelegten Dienstverhältnisses auf Zeit schwer versagt. Gerade in der Endphase eines solchen Dienstverhältnisses, in dem der Soldat auf Zeit regelmäßig an Maßnahmen der Berufsförderung teilnimmt und deshalb nur noch eingeschränkt dienstlicher Kontrolle zugänglich ist, muss gewährleistet sein, dass er auch weiterhin seinen Dienstpflichten nachkommt. Jedem Soldaten, der sich eine Pflichtverletzung der hier in Rede stehenden Art unter Missbrauch des Vertrauens seiner Vorgesetzten und unter Ausnutzung deren beschränkter Kontrollmöglichkeit zu schulden kommen lässt, muss klar sein, dass er dafür zur Wiederherstellung und Aufrechterhaltung eines ordnungsgemäßen Dienstbetriebes regelmäßig nachhaltig zur Verantwortung gezogen wird. Jede Bagatellisierung des Fehlverhaltens im Hinblick darauf, dass der frühere Soldat „eigentlich“ auf Kosten seines Dienstherrn im Rahmen des Berufsförderungsdienstes eine Schul- oder Fachausbildung hätte betreiben können und sich durch seine gezeigte Gleichgültigkeit gegenüber Berufsförderungsmaßnahmen deshalb „nur selbst geschadet habe“, so sein Verteidiger in der Berufungshauptverhandlung, muss vermieden werden.

52 Nach alldem war die vom Truppendienstgericht ausgesprochene Herabsetzung des früheren Soldaten in den Dienstgrad eines Hauptgefreiten der Reserve, auch unter Berücksichtigung seiner durchschnittlichen dienstlichen Leistungen und seiner fehlenden Vorbelastung, nicht zu beanstanden. Ob sogar eine Degradierung in den Dienstgrad eines Matrosen in Betracht gekommen wäre, brauchte der Senat nicht zu entscheiden. Denn dem Ausspruch einer solchen Maßnahme stünde das Verschlechterungsverbot entgegen.

53 4. Da die Berufung des früheren Soldaten keinen Erfolg hat, hat er gemäß § 139 Abs. 2 WDO die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen. Die ihm darin erwachsenen notwendigen Auslagen ganz oder teilweise dem Bund aufzuerlegen, ist gemäß § 140 Abs. 5 Satz 2 WDO unzulässig.